Bombenangriff hätte katastrophale Folgen
von Judy Beishon, The Socialist, Wochenzeitung der Socialist Party (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England und Wales)
Der Originalartikel in englischer Sprache erschien in The Socialist vom 16 Juli 2008, der Wochenzeitung der Socialist Party (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in England un Wales) und ist im Internet hier zu finden.
Wieder einmal wird landläufig darüber spekuliert, ob Israel oder die USA Luftangriffe auf den Iran durchführen werden. Möglicherweise steht der Nahe Osten in der nächsten Zeit kurz vor schrecklichen Ereignissen, die durch derartiges Vorgehen ausgelöst werden. Eine solche Aussicht lässt die Alarmglocken schlagen und löst gerade in dieser Region sowie weltweit Panik aus, da die Folgen immens sein würden. Es könnte zu einem ausgeweiteten Krieg in der Region führen, mit schweren Auswirkungen auf die Weltölreserven und die Weltwirtschaft sowie starken Umbrüchen in etlichen Staaten. Der syrische Präsident warnte: „Wenn eine Seite solche Handlungen im Nahen Osten anfängt, dann kann keiner die Reaktionen abschätzen, die über Jahre und Jahrzehnte andauern können“.
Die israelische Luftwaffe führte vergangenen Monat große Manöveraktionen mit 100 Flugzeugen über dem östlichen Mittelmeer und Griechenland durch, die exakt dieselbe Entfernung hatten, die es braucht, um den Iran anzugreifen. Shaul Mofaz, israelischer stellvertretender Premierminister, erklärte: „Wenn Iran mit seinem Programm zur Entwicklung nuklearer Waffen fortfährt, […] dann wir ein Angriff unausweichlich“. Die US-Marine führt ebenfalls ihre eigenen Übungen im Persischen Golf durch.
Der Iran hat darauf mit der Durchführung von Raketentests reagiert, um „für eine schnelle und vernichtende Antwort und Vergeltungsschläge im Falle eines feindlichen Angriffes“ gerüstet zu sein, so die Worte des Oberbefehlshabers der iranischen Revolutionären Garden.
Die militärische Bedrohung gegen den Iran geschieht entgegen der Tatsache, dass US-Geheimdienste seit letztem Dezember davon ausgehen, dass der Iran sein Atomwaffenprogramm 2003 eingestellt hat. Es gibt keinen Hinweis dafür anzunehmen, dass es wieder aufgenommen wurde. Dennoch erklären jetzt eine Reihe von US-amerikanischen und israelischen Politikern, vor dem Hintergrund der widerhallenden Propaganda und Lügen, welche über Saddam
Husseins „Massenvernichtungswaffen“ vor dem Einmarsch in den Irak geäußert wurden, dass der Iran binnen einiger Jahre die Fähigkeit zur Fertigung nuklearer Waffen hat.
Die israelische Regierung ist extrem schwach und unbeliebt, sie wird von einer wankenden, gespaltenen Koalition geführt und hat einen Premierminister, Ehud Olmert, der sich Ermittlungen aufgrund beträchtlicher Korruptionsvorwürfe unterziehen muss. Es ist daher verrückt, dass die Vorstellung von Luftangriffen auf den Iran den meisten Menschen weltweit vorkommt als betrachte die Regierung solche Maßnahmen wie eine willkommene Ablenkung von ihren innerstaatlichen Problemen.
Im Grunde aber wird die israelische politische Führung – wie auch immer die Wahrheit über Irans nukleare Absichten und Zeitplanungen aussieht – die Möglichkeit des iranischen Regimes zum Aufbau eines Atomprogrammes verzögern wollen, und sie wollen das Bild vermitteln, als seien sie Willens „harte“ Maßnahmen im Interesse Israels zu ergreifen. Einer der Faktoren hinter ihren momentanen Überlegungen ist der sich rasch nähernde Termin der US-Präsidentenwahlen im November und der mögliche Sieg Barack Obamas, der wahrscheinlich weniger als Bush vor hat, einen Angriff auf den Iran zu unterstützen. Ein anderer zeitlicher Faktor dabei ist, dass Israel eigentlich lieber handeln würde, bevor der Iran nächstes Frühjahr neue Boden-Luft-Raketen von Russland bezieht.
Logistik und Spaltung
Eine effektive Bombardierung iranischer Atomanlagen ist sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, da es viele weit verstreut liegende und einige unterirdische Anlagen gibt. 1981 hat die israelische Luftwaffe einen irakischen Nuklearreaktor in Osirak zerstört. Dabei handelte es sich allerdings um eine einzelne Anlage und man war in der Lage den Irak zu überraschen. Obgleich Israel die viertstärkste Militärmacht der Welt stellt, ist sie an keiner Stelle annähernd so ausgerüstet wie die USA, um erfolgreiche Schläge gegen den Iran durchzuführen.
Obwohl die US-Regierung möglicherweise ihren eigenen vorläufigen Angriffsplan hat, ist man in der Frage uneins, ob man diesen durchführen will und wie viel Zuspruch man Israel für eigenständiges Handeln geben will. Falken wie George Bush und Vizepräsident Dick Cheney wollen immer noch einen Grund für einen Schlag gegen den Iran finden. Die Sunday Times berichtete am 13. Juli, dass Bush Israel ein „Warnsignal“ gegeben, dass Israel den USA aber noch keinen „überzeugenden militärischen Vorschlag“ unterbreitet hat.
Andere führende US-Persönlichkeiten einschließlich einiger Top Militärgeneräle mahnen zur Vorsicht oder sind energisch dagegen. US-Admiral Mike Mullen, der demUS-Generalstab vorsteht, beeilte sich damit, um bei Israel anscheinend für den Weg der „Diplomatie“ zu werben statt dem Iran zu diesem Zeitpunkt mit Miltiäraktionen zu begegnen.
„Diplomatie“ wurde von drei Beratungsrunden mit internationalen Sanktionen begleitet, um zu versuchen, den Iran von der Urananreicherung abzubringen – von der der Iran sagt, dass sie nur Teil ihres Programmes zur Entwicklung der Atomenergie für die Stromerzeugung ist. Weil diese Taktik fehlgeschlagen ist, versucht der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nun, den Iran durch das Angebot eines „Anreiz-Paketes“, das unter bestimmten Bedingungen Hilfe beim zivilen Atomprogramm beinhaltet, zu bestechen.
Wenn die israelische Luftwaffe möglicherweise Schläge durchführt, ist es unwahrscheinlich, dass dies ohne ein gewisses Maß an Unterstützung, Geheimdienstinformationen und Entgegenkommen von Bushs Regierung geschieht. Auch wenn Bush und Co sagen würden, sie hätten einen Angriff nicht unterstützt, so würden ihnen aufgrund ihrer Unterstützung für das israelische Regime und ihre eigene Beschreibung des Iran als Teiles der „Achse des Bösen“ auf jeden Fall nur wenige Menschen glauben.
Presseberichte gehen davon aus, dass es ein hohes Maß an US-israelischer Zusammenarbeit bei der Propaganda gegenüber dem Iran gibt. Die US-Regierung hat versucht Israels Bombendrohungen zu benutzen, um Druck auf den Iran auszuüben, damit dieser in den momentanen internationalen Verhandlungen über die Urananreicherung nachgibt (Gespräche, an denen die USA nicht unmittelbar teilnehmen). Doch obwohl die Propaganda und Drohungen ihren Nutzen für sie haben, heißt dies nicht notwendigerweise, dass keine Militäraktion unternommen wird; unglücklicherweise scheint es so, als ob sie ernsthaft in Erwägung gezogen werden.
Iranischer Gegenschlag
Der Kopf der iranischen Revolutionären Garden sagte, dass ein Gegenschlag auf einen Angriff gegen den Iran die Blockade von 40 Prozent der Weltölexporte, die die Straße von Hormus passieren, beinhalten könnte. Das hätte katastrophale Auswirkungen auf die Weltölreserven und die Weltwirtschaft. Er sagte auch, dass Langstreckenraketen auf Israel abgefeuert werden könnten. Israel könnte zusätzlich konfrontiert werden mit Vergeltungsschlägen seitens der Hisbollah im Libanon und palästinensischen Milizen in den besetzten Gebieten.
Auch US-Militärbasen und Schiffe im ganzen Nahen Osten würden zu Zielen. Und damit endet die lange Liste möglicher desaströser Auswirkungen nicht; es hätte einschließlich der dortigen US-Truppen auch Konsequenzen im Irak, weil das iranische Regime enge Verbindungen zur irakischen US-Marionettenregierung unterhält. US- und britische Truppen in Afghanistan könnten ebenfalls betroffen sein, wenn es für das iranische Regime gilt, Kräften, die gegen die Besatzung stehen, aktive Unterstützung zukommen zu lassen.
Die sunnitisch-muslimischen arabischen Eliten im Nahen Osten wollen nicht, dass die iranisch-schiitische Elite größeren Einfluss in der Region bekommt und sie würden militärische Schläge gegen den Iran insgeheim gutheißen, wenn die Rückwirkung auf ihre eigenen Interessen nicht allzu groß wäre. Doch die Rückwirkung wäre enorm; die Massen in der arabischen Welt würden sich über die Atommächte Israel und USA empören, die den Iran angreifen. Die arabischen Eliten könnten daher sogar aufgrund des möglichen Ausmaßes eines ausufernden regionalen Krieges gezwungen sein diese Wut zu reflektieren. Länder wie Pakistan könnten obendrein in Aufruhr geraten.
All dies steht im Raum, obwohl auch ein erfolgreicher Angriff auf die iranischen Urananlagen den Iran in der Tat nicht daran hindern würde, mit schnell neu errichtbaren Anlagen und Expertenwissen ein Atomprogramm zu entwickeln. Und das repressive iranische Regime würde sehr wahrscheinlich gestärkt statt geschwächt werden, wenngleich eine iranische Bevölkerung unter Lebensmittelknappheit, einer hohen Inflation und Arbeitslosigkeit leidet. Ein Angriff von außen würde einen iranischen Nationalismus befördern. Der Hang zur Entwicklung einer iranischen Atombombe würde wahrscheinlicher werden, da viele IranerInnen bei Angriffen durch ausländische Atommächte das Gefühl bekommen würden, dass die Entwicklung eines eigenen Nuklearprogrammes zur Abschreckung und Verteidigung dringlicher geworden sei.
Es ist wichtig, dass SozialistInnen Nuklearwaffen und Atomenergie komplett ablehnen. Gleichzeitig lehnen wir die Heuchelei von Regierungen in Ländern wie Israel, Großbritannien und den USA ab, die Atomwaffen besitzen, während sie dasselbe Recht dem Iran nicht einräumen wollen. Die Taktiererei und Heuchelei der USA und anderer imperialistischer Mächte kennt keine Grenzen.
Während George Bush für schärfere Sanktionen gegen den Iran in Rage geraten ist, sind die US -Exporte in den Iran während seiner Präsidentschaft tatsächlich angestiegen. Während führende US-Politiker iranische Interventionen in andere Länder des Nahen Ostens anprangert, intervenieren die USA in der ganzen Welt und geben 400 Millionen US-Dollar zur Stärkung oppositioneller Kräfte gegen das iranische Regime inner- und außerhalb des Iran aus.
Wenn wir auch energisch gegen Luftangriffe oder jede andere Art imperialistischer Intervention im Iran eintreten, so können wir als SozialistInnen das von Ayatollah Khamenei und Präsident Ahmadinejad geführte reaktionäre iranische Regime nicht unterstützen. Es ist die dringende Aufgabe der iranischen Arbeiterklasse dieses Regime zu entfernen und es durch eine Regierung zu ersetzen, die im eigenen Interesse der ArbeiterInnen handelt. Die düsteren Konsequenzen eines vom Imperialismus getriebenen „Systemwechsels“ kann man tragischer Weise im Irak und in Afghanistan sehen – wenngleich auch nicht diskutiert wird, dass der US-Imperialismus wie in diesen Ländern mit Bodentruppen in den Iran geht, da ein solches Unternehmen jenseits seiner über die Maßen strapazierten militärischen Kraft hinaus ginge.
Die iranische Arbeiterklasse hat große potentielle Stärke. Jüngst gab es viele wichtige Streiks und Kämpfe unter anderem in der Auto-, Papier-, Rohrzucker-, Ziegel-, Schiff- und Reifenindustrie. Eine Mehrheit der 70 Millionen-Bevölkerung lebt in den städtischen Gebieten. Die meisten, die seit drei Jahrzehnten unter einem repressiven religiösen Regime leben, fühlen sich nicht zu politisch rechten islamischen Vorstellungen hingezogen. Wenn diese gigantische Kraft der Arbeiterklasse in Kämpfe gegen das Regime eintritt, könnten sozialistische Ideen rasch angenommen werden und die Grundlage einer „Systemveränderung“ bilden, was ein Signalfeuer für normale Menschen im ganzen Nahen Osten und der Welt wäre.