DIE LINKE scheint eine Erfolgsgeschichte zu schreiben. Ein Jahr nach der Fusion von WASG und Linkspartei.PDS zur Partei DIE LINKE kann sie nicht nur auf den Einzug in vier westdeutsche Landesparlamente verweisen, sie kann auch mit Fug und Recht behaupten, dass sie die politische Debatte in der Bundesrepublik mehr beeinflusst, als jede andere Partei.
Viele ihrer zentralen politischen Positionen werden in einer Meinungsumfrage nach der anderen von großen Mehrheiten in der Bevölkerung unterstützt – ob die Einführung eines Mindestlohns, die Ablehnung der Bahn-Privatisierung oder die Forderung nach einer Beendigung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. Lafontaine wird von den bürgerlichen Medien abwechselnd als der einflussreichste oder gefährlichste Politiker des Landes bezeichnet. Mit kleinen Korrekturen an Hartz IV, einer – wenn auch minimalen – Rentenerhöhung „außer der Reihe“ und Modifikationen bei den Plänen zur Bahnprivatisierung musste die Große Koalition auf den Druck der LINKEN reagieren. Das wiederum hat nichts am Absturz der SPD in Meinungsumfragen und dem Klettern der Partei DIE LINKE auf bis zu 14 Prozent ändern können.
Doch ein genauerer Blick auf die Entwicklung der neuen linken Partei führt zu einem weitaus komplexeren Bild.
von Sascha Stanicic
Die gesellschaftliche Wirkung der Partei DIE LINKE ist riesig. Dies vor allem, weil sie die Stimmung von Millionen abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen, Jugendlichen und RentnerInnen zum Ausdruck bringt. Diese haben die Nase voll von neoliberalen Angriffen auf ihre Löhne, Sozialleistungen, Bildungschancen und Rechte. Gerade angesichts des Wirtschaftswachstums in den letzten zwei Jahren, ist die Stimmung in der Arbeiterklasse von dem Verlangen, einen größeren Anteil am gesellschaftlichen Reichtum abzubekommen, geprägt. In diesem Sinne ist DIE LINKE, wie vor ihr die WASG, Produkt von Bewusstseinsveränderungen und vor allem auch von den vielen Protesten, Bewegungen und Streiks seit November 2003. Aber gleichzeitig wirkt sie auf diese Bewusstseinsveränderungen zurück und verstärkt sie. Denn zum ersten Mal seit zwei Jahrzehnten wird der Gedanke durchbrochen, es gebe keine Alternative zum Neoliberalismus. Die Wahlerfolge der LINKEN geben Zuversicht, dass Veränderungen erreichbar sind und die oftmals radikalen Aussagen von Oskar Lafontaine, die ein Millionenpublikum erreichen, geben das Gefühl, dass man keiner marginalisierten Randgruppe angehört, wenn man will, dass die Konzerne mehr zur Kasse gebeten werden. Dies hat auch Auswirkungen auf den Klassenkampf, denn einerseits steigert es das Selbstbewusstsein von ArbeiterInnen gegen das Kapital, andererseits müssen die Kapitalisten nun befürchten, dass ihre Angriffe gegen die Arbeiterklasse politische Folgen haben und DIE LINKE stärken.
Nicht zu unterschätzen ist auch die Wirkung, die die Existenz der Partei DIE LINKE auf die Entwicklung des Rechtsextremismus hat. Zweifellos sind die Faschisten der NPD und der freien Kameradschaften weiterhin ein großes und auch wachsendes Problem, genauso wie ausländerfeindliche Vorurteile weiterhin verbreitet sind und die Spaltung zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen weiter wächst. Aber die Entwicklung der Nazi-Organisationen, vor allem auf der Ebene von Wahlen, wurde durch den Aufstieg der LINKEN deutlich gehemmt. Angesichts der zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung hätten rechtsextreme Parteien ganz sicher bei den Wahlen der letzten Jahre weitaus besser abgeschnitten, wenn es keine starke linke Alternative gegeben hätte, die das soziale Thema besetzt hat. Eine Bestätigung dieser These sieht man auch in den Wahlerfolgen der NPD in solchen Bundesländern Ostdeutschlands, wo die damalige PDS von vielen als Teil des Establishments und nicht als Oppositionspartei gesehen wurde, wobei die bundesweite Wirkung der neuen Partei auch in diesen Bundesländern bei Meinungsumfragen dazu geführt hat, dass die NPD deutlich an Unterstützung verloren hat.
DIE LINKE hat Themen und Forderungen auf die gesellschaftliche Tagesordnung gebracht, die viele Jahre – auch von den Gewerkschaften – nicht offensiv besetzt wurden: Mindestlohn, Generalstreik, staatliche Investitionsprogramme, Rückführung privatisierter Bereiche in öffentliches Eigentum und einige mehr. Das ist gut und hilft der Arbeiterklasse dabei, wieder ein politisches Klassenbewusstsein zu entwickeln. Millionen schauen mit Erwartungen und auch gewissen Hoffnungen auf die Partei und sicher orientiert sich die große Mehrheit der ArbeiterInnen und Jugendlichen, die mit dem Gedanken spielen, sich politisch zu engagieren an der LINKEN. Aber gleichzeitig ist DIE LINKE weit davon entfernt eine kämpferische Massenpartei zu sein, die ArbeiterInnen und Jugendliche begeistert und aktiviert. Aber sie gibt eine Vorstellung davon, was eine sozialistische Arbeiterpartei mit Massenbasis und hunderttausenden Mitgliedern erreichen könnte und mit ihr stellt sich die Frage, wie eine solche Partei aufgebaut werden kann, in aller Schärfe.
Aber sie schöpft das gesellschaftliche Potenzial bei weitem nicht aus.Und sie hat einen Kurs eingeschlagen, der ihren Erfolg gefährdet.
Bilanz der Wahlen
Der Einzug in die Landesparlamente von Hessen, Hamburg und Niedersachsen in diesem Jahr wird von der Parteiführung als großer Erfolg dargestellt. Zweifellos ist es ein Erfolg, dass DIE LINKE in jedes westdeutsche Landsparlament eingezogen ist, für das sie kandidierte. Doch eine genauere Betrachtung der Wahlergebnisse relativiert das Ausmaß dieses Erfolges, vor allem in Hessen und Hamburg.
Erstens ist DIE LINKE offensichtlich nicht in der Lage den Trend zum weiteren Rückgang in der Wahlbeteiligung aufzuhalten oder umzukehren. Dabei müsste es gerade die Aufgabe einer linken Partei sein, diejenigen zu erreichen, die in den letzten Jahren das Vertrauen in die etablierten Parteien verloren haben und die Schlussfolgerung gezogen haben, dass es keinen großen Unterschied macht, ob man von rot-grün, schwarz-gelb oder schwarz-rot regiert wird. Dass DIE LINKE diese Menschen nicht bzw. kaum erreicht deutet darauf hin, dass auch ihr von breiten Teilen in der Arbeiterklasse Skepsis entgegen gebracht wird. Aus verschiedenen Gründen: aufgrund der stalinistischen Vergangenheit der PDS; aufgrund der Erfahrungen mit Oskar Lafontaine als Ministerpräsident im Saarland und als SPD-Vorsitzender zu einer Zeit, in der die SPD schon Sozialabbau zustimmte; aufgrund der Regierungsbeteiligungen der LINKEN im Berliner Senat und vielen ostdeutschen Kommunen, wo sie Sozialkürzungen und Privatisierungen mit trägt; aufgrund der Abgehobenheit von Politikern wie Lafontaine und Gysi, die gerne heraushängen lassen, dass sie zu den Besserverdienern im Land gehören, was es einfachen ArbeiterInnen sehr schwer macht, sich mit ihnen zu identifizieren.
In Hamburg und Hessen hat sie nicht einmal all die WählerInnen mobilisieren können, die bei der Bundestagwahl 2005 die Partei gewählt haben, in Hessen hat sie sogar prozentual verloren. Dies hing sicher auch damit zusammen, dass es aus der Parteiführung unterschiedliche Aussagen hinsichtlich einer möglichen Tolerierung einer Ypsilanti-Regierung gab, was dazu führte, dass die einen lieber direkt die SPD wählten und andere ganz zu Hause blieben, weil sie eben keinen Steigbügelhalter für eine rot-grüne Landesregierung wählen wollten. Vor allem aber war DIE LINKE in Hessen aufgrund ihrer reformistischen Beschränktheit unfähig, sich von der linken Rethorik einer Andrea Ypsilanti durch ein kämpferisches und sozialistisches Profil deutlich abzuheben.
Die Wahlerfolge der LINKEN drücken also bei weitem keine Stabilität aus und es gibt keine geradlinige Entwicklung einer stetigen Zunahme von Wählerstimmen.
Bilanz der Mitgliederentwicklung
DIE LINKE ist die einzige Partei mit Mitgliederzuwachs. Auch das ist ein Erfolg. Seit der Fusion von WASG und Linkspartei.PDS ist die neue Partei um ca. 5.000 Mitglieder gewachsen, allein im ersten Quartal des Jahres 2008 traten 1.500 neue Mitglieder ein. Das zeigt, dass es eine Schicht von Menschen gibt, die sich der LINKEN zuwenden und in ihr aktiv werden oder sie zumindest praktisch unterstützen wollen. Das sind teilweise ArbeiterInnen und Erwerbslose, die zum ersten Mal in eine Partei eintreten. Es sind wenig Jugendliche und mehr Männer als Frauen. Darunter sind aber auch viele ehemalige SPD- oder Grünen-Mitglieder und Gewerkschaftsfunktionäre.
Allerdings findet der Mitgliederzuwachs nur im Westen statt, im Osten gibt es deutlich weniger Beitritte und sinkt die Mitgliederzahl aufgrund des altersbedingten Versterbens vieler Mitglieder.
Vergleicht man das Mitgliederwachstum mit dem Zulauf, den andere linke Parteien in der Vergangenheit hatten, so wird deutlich, dass die neue Partei auch hier hinter ihren Möglichkeiten zurück bleibt.
Als es Anfang der 70er Jahre, auch als eine Folge der 68er-Bewegung, zu einem Zulauf in die SPD kam, traten über 250.000 neue Mitglieder ein, vor allem Lohnabhängige und Jugendliche. Nach der Amtsübernahme Helmut Kohls als Bundeskanzler 1982, traten 100.000 neue Mitglieder in die SPD ein, viele mit dem Ziel die Partei in der Opposition nach links zu drücken und zu einem Zeitraum als ebenfalls zehntausende in die Grünen eintraten.
Die Mitgliedsentwicklung wirkt umso ernüchternder wenn man bedenkt, dass DIE LINKE im selben Zeitraum in Meinungsumfragen auf Bundesebene deutlich zulegen konnte und es viele Streiks und Arbeiterproteste gegeben hat, sich potenzielle Mitglieder also begonnen haben zur Wehr zu setzen, was in der Regel auch Politisierungsprozesse anstößt.
Warum schöpft DIE LINKE ihr Potenzial nicht aus? Es gibt sicher objektive Gründe, die in der Stimmung der Arbeiterklasse zu suchen sind. Bei vielen Menschen gibt es noch eine Haltung der passiven Unterstützung – man findet gut, was die linken AktivistInnen machen, ist aber (noch) nicht bereit, selber aktiv zu werden. Aber die Hauptgründe sind im Zustand, der praktischen Politik, der inneren Struktur und Ausstrahlung der LINKEN zu finden.
Parlamentsfixierung und Bürokratismus
„DIE LINKE wirkt qua existenz“, sagt Lothar Bisky. Doch sie wirkt bisher vor allem in der politischen Debatte, bei Wahlen und in den Medien. Die Lebensverhältnisse der arbeitenden und erwerbslosen Bevölkerung haben sich durch die Existenz der neuen Linkspartei nicht grundlegend verbessert. Doch nur daran lässt sich der Erfolg einer sozialistischen Partei messen.
Um dies zu erreichen wird eine Partei benötig, die nicht nur deutlich mehr Mitglieder und Wählerstimmen als DIE LINKE hat, sondern die vor allem ein politisches Programm zur Lösung der kapitalistischen Widersprüche anbietet und in der Lage ist, dieses Programm in den betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfen und in sozialen Bewegungen zu einem mobilisierenden und vorwärtstreibenden Faktor zu machen. Soziale Verbesserungen können nur erreicht werden, wenn Massen auf die Straße und in den Streik mobilisiert werden. Dauerhafte gesellschaftliche Veränderungen sind nur möglich, wenn aus solchen Kämpfen heraus eine massenhafte politische Alternative ensteht, die ein Konzept für eine andere gesellschaftliche Organisierung vertritt. Ein Beispiel für den Aufbau einer sozialistischen Massenpartei ist, trotz aller Schwächen und Anpassungstendenzen, die SPD des 19. Jahrhunderts, nicht die SPD der 1970er Jahre!
Die strategische Orientierung der LINKEN ist ein Hindernis dafür, eine solche sozialistische Massenpartei aufzubauen. Ihre Parlamentsfixierung von der Kommune bis zum Bundestag nimmt der Partei Dynamik und führt zu Anpassung an die kapitalistischen Institutionen. Innerparteiliche Entpolitisierung und Bürokratismus ersticken Initiative und kämpferische Aktivitäten. Ein Blick auf den Landesverband Bremen unterstreicht das. Hier zog DIE LINKE mit großen Hoffnungen und Erwartungen vor einem Jahr in das Landesparlament. Seitdem gab es kaum politische Initiativen, keine aktive und mobilisierende Unterstüzung für den Widerstand gegen Sozialabbau und das innerparteiliche Leben wurde so sehr erstickt, dass zum letzten Landesparteitag nur noch 40 von 76 Delegierten erschienen.
DIE LINKE und die Gewerkschaften
Ein entscheidender Test für eine Partei, die Arbeitnehmerinteressen vertreten will, ist ihre Politik in betrieblichen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen. DIE LINKE tritt für Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzung und gegen Stellenvernichtung ein. Doch den Praxistext hat sie in vielerlei Hinsicht nicht bestanden.
Dem Kampf der Lokführer und ihrer Gewerkschaft GDL kam im letzten Jahr eine Schlüsselfunktion für die gesamte Arbeiterklasse zu. Die Lokführer wirkten wie Eisbrecher. Sie kämpften gegen eine breite Front aus Bahnvorstand, Parteien, Medien und DGB-Gewerkschaften für deutliche Lohnerhöhungen und eine Arbeitszeitverkürzung. Sie waren bereit, das Land lahm zu legen, um ihre berechtigten Forderungen durchzusetzen. Mit ihrer Offensivität und Entschlossenheit gaben sie Beschäftigten anderer Branchen Mut. Der GDL-Streik hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Tarifrunde im öffentlichen Dienst, für die ver.di ihre Forderungen hochschrauben musste, weil die eigene Basis sich mehr und mehr an dem Kampf der Lokführer orientierte.
DIE LINKE brauchte ein halbes Jahr, bis sie sich entschloss den Streik der GDL zu unterstützen! Und dieser Vorstandsbeschluss kam auch nur zustande, weil der Druck aus der Basis der Partei zunahm, Parteimitglieder – darunter viele SAV-Mitglieder – eigenständige Solidaritätsaktionen vor Ort durchführten und vor allem die große Mehrheit der Bevölkerung solidarisch mit dem Streik war. Bis dahin war die größte Sorge der Führung der LINKEN, den rechten Führungen der DGB-Gewerkschaften nicht auf die Füße zu treten. Aber auch nach dem Beschluss gab es keine praktische Kampagne zur Unterstützung der Lokführer, genauso wie es keine aktive Kampagne zur Unterstüzung der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in diesem Jahr gab. Wo waren die Plakataktionen, Massenflugblätter oder der Protest im Bundestag?
Die Glaubwürdigkeit vollends untergraben wird dadurch, dass DIE LINKE im Berliner Senat gleichzeitig die Forderungen der Landesbeschäftigten der Hauptstadt und der KollegInnen der Berliner Verkehrsbetriebe zurück weist und an ihrem Kurs der Haushaltskonsolidierung gegen die Arbeiterklasse fest hält. Und nicht nur dort: als die Rostocker Bürgerschaftsabgeordnete der SAV, Christine Lehnert, während der Tarifrunde einen Antrag einbrachte, der die Stadt Rostock aufforderte, einseitig die Forderungen von ver.di umzusetzen, kam der lauteste Protest von den Abgeordneten der LINKEN und der Antrag erhielt nur Lehnerts Stimme.
Zwei Dinge sind entscheidend hinsichtlich der Politik einer linken Partei gegenüber den Gewerkschaften. Erstens muss sie die Kämpfe der ArbeiterInnen unterstützen und im Zweifelsfall auch gegen die rechte Gewerkschaftsbürokratie, die Kämpfe in der Regel zurück hält, Position beziehen. Kritische und oppositionelle Kräfte in den DGB-Gewerkschaften müssen Unterstützung durch DIE LINKE finden. Eine weiche Kritik an der „Selbsteinbindung der Gewerkschaften in die sozialdemokratisch-grüne Regierungspolitik“, wie sie im aktuellen Leitantrag zum Bundesparteitag der LINKEN formuliert wird, greift da zu kurz. Es ist die marktwirtschaftliche Logik, die die Gewerkschaftsführungen übernommen haben, die in Frage gestellt werden muss.
Zweitens muss sie aktiv und mit eigenen Forderungen und Vorschlägen in die betrieblichen und gewerkschaftlichen Kämpfe eingreifen. Beispiel Schließung des NOKIA-Werks in Bochum: hier hätte DIE LINKE eine offensive Kampagne für die Verstaatlichung des Werks unter Arbeiterkontrolle durchführen sollen und hätte damit dem Widerstand der Belegschaft eine Perspektive bieten können.
Regierungsbeteiligungen
Lafontaine möchte Ministerpräsident im Saarland werden, Ramelow in Thüringen und auch in Sachsen orientiert DIE LINKE auf Neuwahlen mit dem Ziel, eine Koalition mit der SPD zu bilden. Die Debatte um die Wahl von Andrea Ypsilanti zur Ministerpräsidentin in Hessen hat die Frage von Regierungsbeteiligungen auch im Westen schneller aufkommen lassen, als viele das erwartet hätten. Dies bleibt eine zentrale Frage, die über die Zukunft der Partei entscheiden wird.
MarxistInnen sind grundsätzlich gegen die Beteiligung einer linken Partei an kapitalistischen Koalitionsregierungen. Unter kapitalistischen Verhältnissen dient jede Regierung den Interessen der Banken und Konzerne. Diese ziehen die Strippen, bestechen, drohen mit Abwanderung und Investitionsboykott und setzen den Ton. Deshalb kann in Regierungen mit pro-kapitalistischen Parteien, wie der SPD, keine Politik im Interesse der Mehrheit der Bevölkerung gemacht werden. Das gilt umso mehr in Zeiten wirtschaftlicher Krise. Eine Politik im Interesse der Arbeiterklasse hätte zur Voraussetzung, diese gegen das Kapital zu mobilisieren, um auf dieser Basis den Konflikt mit den Banken und Konzernen einzugehen – als Ausgangspunkt den Kapitalismus abzuschaffen und eine sozialistische Veränderung der Gesellschaft einzuleiten.
Das bedeutet nicht, dass SozialistInnen immer in gesellschaftlicher Opposition bleiben wollen – im Gegenteil. Ziel ist die grundlegende Veränderung der Machtverhältnisse. Eine Regierungsübernahme kann aber nur in Frage kommen, wenn eine solche Regierung die Interessen der Arbeiterklasse vertritt und die Machtverhältnisse ändert – also nicht mit Parteien, die den Kapitalismus verteidigen.
Dabei geht es nicht um abstrakte oder ideologische Überlegungen. Regierungsbeteiligungen in pro-kapitalistischen Koalitionen, mit dem Ziel einer „Politik des kleineren Übels“ führen in die politische Katastrophe für linke Parteien, da sie darin gezwungen werden eine Politik gegen die Arbeiterklasse durchzuführen. Die Folge ist immer Diskreditierung in den Augen der Massen, Stimmenverluste und Schwächung nicht nur der Partei, sondern auch der Bewegungen und Kämpfe der Arbeiterklasse. Dies gilt, auch wenn es anfangs Unterstützung in Teilen der Arbeiterklasse für solche Regierungsbildungen geben kann. Solche Illusionen in das „kleinere Übel“ werden schnell zerschlagen, wenn diese Regierungen sich an Sozialabbau und Angriffe gegen die Arbeiterklasse begeben.
Die Erfahrungen in Berlin und in Italien zeigen das. Die Beteiligung am Berliner Senat hat der LINKEN bei den letzten Abgeordnetenhauswahlen (noch als Linkspartei.PDS) die Hälfte ihrer Simmen gekostet. Beschäftigte und GewerkschafterInnen (vor allem des öffentlichen Dienstes), Erwerbslose, aktive SchülerInnen und Studierende erfahren DIE LINKE als Gegnerin und nicht als Partnerin in ihren Kämpfen.
In Italien sind die linken Parteien aus dem Parlament geflogen, weil sie die neoliberale und pro-kapitalistische Prodi-Regierung mitgetragen hatten, statt eindeutig und konsequent auf der Seite der abhängig Beschäftigten, der sozialen Bewegungen und der Anti-Kriegs-Proteste zu stehen.
Das Problem Italiens war nicht, wie das Vorstandsmitglied der LINKEN Helmut Scholz in einem Artikel schreibt, dass die Prodi-Regierung keine Zeit und Kraft hatte, um ihre Vorhaben umzusetzen. Das Problem war, dass das zentrale Vorhaben Prodis die Verteidigung der Interessen der italienischen Kapitalistenklasse war und die radikale Linke sich an dieser Regierung beteiligt hat, statt eine unabhängige Alternative aufzubauen. Die Quittung folgte bei den Wahlen und die italienische Arbeiterklasse ist zum ersten Mal seit Ende des Zweiten Weltkriegs ohne kommunistische oder sozialistische Abgeordnete im Parlament!
Ein Gegenbeispiel ist die Entwicklung des Linksbündnisses SIRIZA in Griechenland. Diese Koalition, deren Kern die Partei SYNASPISMOS ist, erhielt bei den letzten Wahlen im September 2007 über fünf Prozent und liegt in Meinungsumfragen mittlerweile bei bis zu 18 Prozent! 5.000 bis 10.000 neue Miglieder sind allein in diesem Jahr SYNASPISMOS beigetreten. Was ist der Unterschied zur Rifondazione Comunista in Italien?
SIRIZA und SYNASPISMOS haben in den letzten Jahren eine Linkswendung durchgemacht und greifen offensiv die sozialen Fragen auf. Vor allem aber stehen sie in deutlicher Opposition nicht nur gegen die Regierung der konservativen Nea Demokratia, sondern auch gegen die sozialdemokratische PASOK, die eine ebenso pro-kapitalistische Politik betreibt, wie Prodi oder die SPD. SIRIZA hat Angebote der PASOK zur Zusammenarbeit mit dem Ziel der Bildung einer gemeinsamen Regierung richigerweise zurück gewiesen und konnte so Vertrauen in wachsenden Teilen der Bevölkerung gewinnen.
Sozialismus oder Keynesianismus?
Die wichtigste Frage, die allen anderen Erwägungen zu Grunde liegen muss, ist aber die nach der politisch-programmatischen Ausrichtung der Partei. Dies gilt umso mehr angesichts der sich entwickelnden größten Weltwirtschaftskrise seit der Depression der 1920er und 1930er Jahre. Mehr noch als in anderen Zeiten wirft diese Krise die Frage nach ökonomischen und gesellschaftlichen Gegenkonzepten zum Kapitalismus auf.
Die Führung der LINKEN, insbesondere Lafontaine, agiert in dieser Frage mit zwei Gesichtern.
Einerseits benutzt er eine radikale und oftmals sozialistische Rethorik. Erst kürzlich sprach er sich dafür aus, Zitate aus dem Kommunistischen Manifest in das zukünftige Programm der Partei DIE LINKE aufzunehmen, da diese hochaktuell seien. Lafontaine hat verstanden, dass die Partei ein radikales Image braucht, um weiter Unterstützung zu gewinnen.
Doch seine Politik ist weit davon entfernt sozialistisch zu sein. Das wird zum Beispiel in seiner Reaktion auf die Finanzkrise deutlich. In einem Interview mit dem Deutschlandradion sprach er sich für Solidarität mit dem Kapital aus, da dieses nicht mehr weiter wisse. Sein Programm kann man mit „Rettung des Kapitalismus durch Regulierung der Märkte“ zusammen fassen. In diesem Interview und anderen aktuellen Stellungnahmen sucht man vergeblich nach Aussagen über die Notwendigkeit den Kapitalismus zu überwinden und eine sozialistische Demokratie zu errichten.
Schon die Debatte um die Äußerungen der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Christel Wegner zu DDR und Stasi wurden von Teilen der Führung der LINKEN zu anti-sozialistischen Statements genutzt. Dies muss von der Parteilinken zurück gewiesen werden. Wegner hat nicht den Sozialismus, sondern seine stalinistische Karikatur in der DDR verteidigt. Wirkliche SozialistInnen waren und sind schärfste GegnerInnen der bürokratischen Diktaturen, die in Osteuropa herrschten. Dies muss offensiv vertreten werden, um den Bürgerlichen und der Partei-Rechten nicht die Möglichkeit zu geben, sozialistische Forderungen nach gesellschaftlichem Eigentum an den Produktionsmitteln bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung zu diskreditieren.
In den nächsten Monaten wird die Debatte um das Wahlprogramm für die Bundestagswahl und dann auch um das Parteiprogramm stattfinden. Die Parteiführung wird ein Programm vorlegen, das keynesianistisch argumentieren wird, der Kapitalismus müsse durch Regulierung und Staatsintervention an die Kette gelegt werden. Sozialismus wird, wenn überhaupt, als eine Aufgabe der fernen Zukunft beschrieben werden (wie es auch die Stellungnahme des Ältestenrats zur Programmdebatte macht).
So enthält auch der Leitantrag zum Cottbusser Bundesparteitag viele richtige Reformforderungen und spricht davon, dass der Kapitalismus nicht das Ende der Geschichte sein wird. Aber – abgesehen davon, dass der Leitantrag sich zu einer klaren Aussage um Regierungsbeteiligungen mit der SPD herum drückt – vermittelt er den Eindruck, die aufgestellten Forderungen könnten im Rahmen des Kapitalismus dauerhaft erreicht werden.
Notwendig wird sein, in dieser Debatte zu erklären, dass der Kapitalismus sich in einer Niedergangsphase befindet, in der keine dauerhaften Verbesserungen im Interesse der Arbeiterklasse, keine Überwindung der Krisenhaftigkeit, kein Ende von Kriegen und Umweltzerstörung möglich ist. Um solche zu erreichen, müssen die Grenzen der kapitalistischen Wirtschaftsweise überwunden werden. Der Kampf um Tagesforderungen muss verbunden werden mit dem Kampf um Übergangsforderungen, die den Weg zu einer sozialistischen Veränderung der Gesellschaft weisen. Dies ist nicht voneinander zu trennen. Alles andere ist die programmatische Rechtfertigung der Politik des kleineren Übels und von Regierungsbeteiligungen mit pro-kapitalistischen Parteien.
Aussichten
Es muss verhindert werden, dass DIE LINKE den Weg der Rifondazione Comunista geht. Anstatt in weitere Koalitionen mit der SPD zu gehen, muss DIE LINKE aus dem Berliner Senat austreten. Anstatt den Kapitalismus vor seinen eigenen Krisen retten zu wollen, muss DIE LINKE ein eindeutiges Programm zur sozialistischen Umgestaltung der Welt vertreten. Anstatt sich auf Parlamentsarbeit zu konzentrieren, muss die Partei vor allem den Kampf von Lohnabhängigen, Erwerbslosen und Jugendlichen auf der Straße und in den Betrieben unterstützen, voran treiben und ihm eine politische Perspektive geben.
Diese Fragen werden in den nächsten ein, zwei Jahren im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen in der Partei stehen. Daran müssen MarxistInnen sich beteiligen. Ob der Weg der Partei in eine pro-kapitalistische Bundesregierung mit der SPD verhindert werden kann, mag fraglich sein. Aber in der Auseinandersetzung dagegen können Kräfte gesammelt werden, die den Aufbau einer sozialistischen Massenpartei in der Zukunft angehen können.
Dies gilt umso mehr, da DIE LINKE zur Zeit der einzige politische Bezugspunkt für ArbeiterInnen und Jugendliche ist, die sich politisieren. Die übergroße Mehrheit derjenigen, die überlegen, politisch aktiv zu werden, schauen zur Zeit in Richtung LINKE. Wenn die Partei sich unter den Bedingungen von Weltwirtschaftskrise und weiteren Klassenkämpfen weiterhin links und oppositionell präsentiert, kann dies auch zum Eintritt von tausenden neuen Mitgliedern führen. Das ist alles andere als sicher, kann aber nicht ausgeschlossen werden.
Auch in Ostdeutschland ist DIE LINKE der einzige politische Bezugspunkt für die Abeiterklasse. Das gilt, obwohl die Partei hier eine reine Fortsetzung der alten PDS ist und weiterhin im Berliner Senat sitzt und in vielen Kommunen an Sozialabbau und Privatisierungen teilnimmt. Das macht sie noch weniger attraktiv für aktive Mitarbeit. Aber auch im Osten wirkt der „Lafontaine-Effekt“ und die Partei wird als die einzige bundesweite Oppositionskraft gegen die Koalition der Hartz IV-Parteien gesehen. Das drückt sich nicht zuletzt darin aus, dass DIE LINKE bei Meinungsumfragen zu den Bundestagswahlen mittlerweile die stärkste Kraft in Ostdeutschland ist. Und selbst in Berlin differenzieren viele WählerInnen: sie würde bei Bundestagswahlen vier Prozentpunkte mehr erhalten, als bei Berliner Abgeordnetenhauswahlen – 21 im Vergleich zu 17.
Dieser Trend wird sich im nächsten Jahr noch verstärken, da durch die Bundestagswahlen und die dann eintretende Rezession bundesweite und grundlegende Fragen im Mittelpunkt der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen stehen werden.
Und auch im Osten haben einige Kreisverbände der LINKEN verstanden, dass sie sich oppositionell aufstellen müssen, um Unterstützung zu gewinnen.So hat DIE LINKE in Rostock und Leipzig Bürgerbegehren gegen weitere Privatisierungen öffentlicher Einrichtungen unterstützt. In Dresden hat sich die Ratsfraktion sogar gespalten, weil der rechte Flügel die Privatisierungen des öffentlichen Wohnraums mit beschlossen hatte.
So kann das Jahr 2009 ein weiteres Erfolgsjahr für DIE LINKE werden, wenn sich der rechte Flügel in der Parteispitze nicht durchsetzt und die Wahlkämpfe auf Koalitionen mit der SPD und Haushaltskonsolidierung ausrichtet. Wie weit rechts diese Kräfte, die hauptsächlich in den ostdeutschen Landesverbänden vertreten sind, stehen, wurde in der Auseinandersetzung um die finanzpolitische Linie der Partei im Vorfeld des Cottbusser Parteitags deutlich. Ostdeutsche Funktionäre, wie die finanzpolitische Sprecherin der Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern, Angelika Gramkow, machten Front gegen einen Antrag aus der Feder des, nun wahrhaftig nicht als radikalen Sozialisten bekannten, Axel Troost, in dem ein Investitionsprogramm von 50 Milliarden Euro gefordert wurde. Dafür seien nach Ansicht von Gramkow und anderen keine ausreichenden Einnahmequellen da. In einer solchen Frage, müssen MarxistInnen den Troostschen Ansatz kritisch gegen die Parteirechte unterstützen und gleichzeitig darauf hinweisen, dass eine radikale Besteuerung der Banken und Konzerne von diesen nicht einfach kampflos hingenommen werden wird und sich aus einer solchen, dann anstehenden, Auseinandersetzung die Notwendigkeit der Überführung von Banken und Konzernen in öffentliches Eigentum ergibt.
Aufgaben der Linken in der LINKEN
DIE LINKE braucht dringend einen starken, organisierten, sozialistischen Flügel. Bisherige Versuche einen solchen zu bilden sind nicht geglückt.
Die Antikapitalistische Linke (AKL) ist nicht mehr als eine Pressure Group von Funktionären und Abgeordneten ohne den Anspruch Basismitglieder zu organisieren. Sie unterscheidet sich programmatisch nicht ausreichend vom Lafontaine-Flügel, weil sie auf die Propagierung eines sozialistischen Übergangsprogramms verzichtet und verklärt den Charakter der DDR, weil sie auf eine klare Distanzierung vom Stalinismus verzichtet. Die Kommunistische Plattform vertritt noch weniger ein klares Programm und erscheint vor allem als Vereingung der DDR-Nostalgiker.
Der Versuch mit Kräften, die innerhalb und außerhalb der LINKEN agieren, eine Sozialistische Koordination zu bilden, scheiterte an der Weigerung der Mehrheit der an diesen Diskussionen beteiligten Personen, eine solche Koordination auch als innerparteiliche Oppositionsstruktur zu verstehen. Sie zogen einen unverbindlichen Debattiercharakter vor, was dazu führte, dass die SAV sich aus diesem Projekt zurückzog.
Leider führte das auch dazu, dass die BASG (Berliner Alternative für Solidarität und Gegenwehr – Nachfolgeorganisation des Berliner Landesverbandes der WASG, der sich nicht der Partei DIE LINKE angeschlossen hatte) in keinen bundesweiten Rahmen integriert werden konnte. Die BASG selber konnte nur einen relativ kleinen Teil der früheren WASG-Mitglieder sammeln. Sie ist in der Stadt zwar aktiv, vor allem bei der Unterstützung der Streiks im öffentlichen Dienst, konnte aber bisher keine substanzielle politische Kraft aufbauen, die DIE LINKE von außen wirksam unter Druck setzen und auch in die bundesweiten Diskussionsprozesse in und um DIE LINKE eingreifen konnte.
Die Linksjugend[‚solid] hat bei ihrem Bundeskongress zwar eine Reihe von deutlich linken und pro-sozialistischen Positionen beschlossen, wirkt aber auch noch nicht als ein organisierendes Zentrum für eine innerparteiliche sozialistische Opposition. SAV-Mitglieder haben ihr Engagement in der Linksjugend[‚solid] verstärkt, um einen Beitrag dazu zu leisten, den Jugendverband zu einem starken, kämpferischen und sozialistischen Flügel in der Partei aufzubauen.
SAV-Miglieder haben sich vor diesem Hintergrund in den letzten Monaten darauf konzentriert mit eigenen Vorschlägen in die Partei hinein zu wirken, gleichzeitig selbständig Streiks und andere Kämpfe zu unterstützen und die Kräfte des Marxismus zu stärken. Denn ohne eine starke marxistische Kraft in der LINKEN wird der sich abzeichnende Anpassungsprozess nicht zu bremsen oder gar zu stoppen sein.
Sascha Stanicic ist Bundessprecher der SAV und verantwortlicher Redakteur von sozialismus.info. Er lebt in Berlin.