Kino: Bamako – „Optimistischer als der Teufel“

„Bamako“, der neue Film des afrikanischen Regisseurs Sissako, ist eine flammende Anklage gegen Weltbank, IWF und G8
Vergesst „Blood Diamand“. Vergesst den „ewigen Gärtner“. Vergesst „In My Country“. Alles aufgeblasene Popcorn-Unterhaltung, in der das Elend der afrikanischen Massen Hollywood-Stars wie Leonardo DiCaprio lediglich als Kulisse dient. Ohne Risiken und Nebenwirkungen. Ganz anders „Bamako“. Dieses Stück Kino, seit Februar in Deutschland auf der Leinwand, geht einem noch lange nach.
 

von Aron Amm

Der Film von Abderrahmane Sissako spielt in der Hauptstadt Malis, die dem Streifen auch seinen Titel gibt. Gezeigt wird ein Gerichtsprozess mit Richtern und Anwälten in Roben, mit Zeugenaussagen und Angestellten. Angeklagt ist jedoch kein Individuum, sondern die Weltbank – „sprich der globale Kapitalismus selber“, so A. O. Scott in der New York Times. Sissako inszeniert die Verhandlungen im väterlichen Innenhof eines Stadtviertels von Bamako. Während der Prozess seinen Verlauf nimmt, laufen Hühner zwischen den Beinen der Anwälte herum, werden Ziegen gefüttert, wird Wäsche gewaschen. Zwischendurch taucht eine Hochzeitgesellschaft auf, die das Gerichtsverfahren kurz unterbricht. Man geht den Dingen des Alltags nach, während Reden geschwungen und Zeugen befragt werden. In einer Verhandlungspause streitet der Hauptverteidiger der Weltbank mit einem Straßenverkäufer darüber, ob die angebotenen Sonnenbrillen auch originale Gucci-Brillen sind.

Zeugen der Anklage

Als Zeugen geladen sind Lehrer, Staatsbeamte, Künstler. Eine Schriftstellerin zeigt auf, wie Afrika in der Schuldenfalle gefangen gehalten wird und Länder wie Mali längst mehr zurückzahlen mussten, als ihnen an Krediten zugestanden worden war. In anderen Schilderungen wird nachgewiesen, wie imperialistische Staaten mit Subventionen für die eigene Wirtschaft AfrikanerInnen das Wasser abtragen. Zur Sprache gebracht wird, dass Weltbank, IWF (Internationaler Währungsfonds) und die G8-Staaten sich für eine stetig wachsende Abhängigkeit verantwortlich zeichnen, in dem sie den Kontinent in „strukturelle Anpassungen“ getrieben haben. Ein Jugendlicher beschreibt einen Versuch von Freunden und Bekannten, über die nördlichen Nachbarländer nach Südeuropa zu gelangen, und er spricht davon, wie dieses verzweifelte Unternehmen mehreren Flüchtlingen das Leben kostete. Ein Greis, der von den Richtern mehrfach auf eine spätere Befragung vertröstet wird, hebt die Stimme, es bricht aus ihm heraus, einen wütenden Klagegesang lässt er einsetzen. Ein anderer Zeuge muss nach Worten ringen für das unfassbare Leiden, um sich dann stumm, trauernd abzuwenden.

Immer wieder mischt sich in den Gerichtsprozess das Leben der BewohnerInnen, die Verhandlung ist eingebettet in das alltägliche Treiben. Damit erschließt „Bamako“ eine zweite Ebene. Einzelne Schicksale werden gezeigt, von Nachbarn, die dem Prozess über Lautsprecher verfolgen können, von einem Polizisten, einem Kameramann, einer Sängerin, ihrem an Depressionen leidenden Mann, einer gemeinsamen Tochter. Aissa Maiga brilliert als Sängerin Mele, die auf Grund des Scheiterns ihrer Ehe mit Chaka (Tiecoura Traore) und der Perspektivlosigkeit ihrer Situation die Stadt verlassen will.

Der Filmemacher Sissako, in Mauretanien geboren, in Mali aufgewachsen, hat in Russland studiert, lebt in Frankreich und macht in Afrika Filme. Er schlägt einen leisen Ton an. Im wahrsten Wortsinn. Ist es doch die Musik, die sich immer wieder Geltung verschafft, die Auftritte von Mele, die Lieder der BewohnerInnen, die Litanei des greisen Zeugen. Die Musik hilft den Akteuren, sich zu artikulieren. Einmal wird es lauter – nur um den leise, aber entschlossen und aufrichtig vorgetragenen Ton, in dem die Anklage gehalten ist, zu verstärken. An einem der Abende sitzen Nachbarn zusammen, um sich einen Spaghetti-Western, „Death in Timbuktu“, anzusehen, mit dem Schauspieler Danny Glover (der auch als Koproduzent von „Bamako“ tätig war) und dem palästinensischen Filmemacher Elia Suleiman (dem Regisseur von „Göttliche Intervention – eine Chronik von Liebe und Schmerz“, über den Alltag des Grenzkonflikts zwischen Israelis und Palästinensern) als Scharfschützen. Frauen und Kinder werden auf offener Straße gemeuchelt, LehrerInnen werden mit der Begründung exekutiert, dass sie zu viele seien. Eine blutige Allegorie.

Tribunal gegen kapitalistische Institutionen

Mali war früher französische Kolonie. Der Hauptverteidiger flüchtet sich in seinem Schlussplädoyer in die These, dass eine Kritik gegen IWF und Weltbank zu einfach sei, da doch niemand das Leid Afrikas ernsthaft wollen kann. Schwer zu ertragen ist auch die Rede des Chefanklägers, ebenfalls ein Franzose (wobei auf beiden Seiten Franzosen und AfrikanerInnen agieren). Dieser moralisiert vor allem und nennt die Reform von Weltbank und IWF einen Ausweg.

Politisch klarer und radikaler ist die Zeugenaussage der Schriftstellerin, deren Vortrag das Herzstück der Anklage ausmacht. Sie führt aus, dass man angesichts der Ressourcen des Kontinents nicht von Armut sondern von Verarmung sprechen muss. Ihr Appell mündet in einen Aufruf, sich zu organisieren. Trotzig spricht sie davon, „optimistischer als der Teufel zu sein“. So kraftvoll in diesem Film Ablehnung und Wut zum Ausdruck gebracht werden, so wenig wird allerdings auf Formen von Gegenwehr hingewiesen.

„Bamako“ zeigt nur einen kleinen Ausschnitt. Eigentlich gibt es keine Erzählung, keine Entwicklung, es handelt sich lediglich um eine Momentaufnahme. Ungemein stimmungsvoll und wirksam jedoch. Wie auf einem Foto werden die Figuren betrachtet, so intensiv, dass sich Indizien finden lassen, die eine Ahnung davon geben, wo die Einzelnen herkommen, wo sie hingehen.

Gedreht hat Sissako weitgehend mit LaiendarstellerInnen. Auch die Richter und Anwälte sind im realen Leben Anwälte und Richter. Am Vorabend der nächsten Szene wurde der Inhalt des folgenden Drehtages durchgesprochen und geprobt. Beim Dreh war es an den DarstellerInnen, eigene Worte und Gesten zu finden. Vier Kameras wurden postiert, die gleichzeitig liefen, um das Spiel einzufangen.

Sissako, der auch „La vie sur terre“ machte, formulierte seinen Anspruch folgendermaßen: „Ich wollte Afrika das Wort erteilen, so dass die Leute dort, wenn sie den Film sehen, das Gefühl haben, sie werden repräsentiert.“

Ein sehenswerter Film

Über seine Beweggründe für „Bamako“ wird Sissako von Michael Althen in der FAZ zitiert: „In meinem Kopf herrscht ein Zwiespalt: die Lust, der Weltbank den Prozess zu machen, aber auch einen Film zu drehen. Das ist natürlich ein Widerspruch, denn einerseits will ich die Gerechtigkeit, andererseits bin ich auch ein Filmemacher. Und als solcher weiß ich natürlich, dass der Prozess allein nichts Neues bietet. Was dort vorgebracht wird, sind Sachen, die von Journalisten und Wirtschaftsfachleuten schon viel besser zum Ausdruck gebracht worden sind. Aber der Filmset, die Dekoration und die Form, das ist etwas wirklich Neues, was ich als Filmemacher beitragen kann“ (1. Februar).

In Deutschland ist „Bamako“ leider mit wenig Kopien gestartet. In Frankreich fand er größere Beachtung, immerhin 200.000 Zuschauer sahen ihn.

In Bamako selber gibt es nur ein Kino. Bei der Premiere war das Lichtspielhaus bis auf den letzten Platz besetzt. Die Menschen waren bewegt, zu Tränen gerührt. Anderntags wurden Zusatzvorstellungen unter freiem Himmel organisiert.

Sissako gibt Opfern der G8 eine eigene Sprache. Dieser berührende Film ist für alle, die in diesem Sommer in Heiligendamm gegen die acht mächtigsten kapitalistischen Regierungen und Staaten demonstrieren wollen, ein Muss.