„Wir streiken weiter!“

„Politischer (Streik-)Aschermittwoch“ in Stuttgart
 

Am dritten Tag der vierten Streikwoche fand wieder eine größere Streikversammlung im Stuttgarter Gewerkschaftshaus statt. Die Beteiligung war so gut, dass der große Saal nicht ausreichte und die Zwischenwand zum benachbarten kleinen Saal entfernt wurde.

von Wolfram Klein, Weil der Stadt

Ver.di-Geschäftsführer Bernd Riexinger berichtete, dass die Drohung der Stadt Stuttgart, private Müllentsorger als Streikbrecher einzusetzen vorläufig vom Tisch sei. Nachdem ver.di gedroht hatte, die Notdienstvereinbarung zu kündigen und auch den Winterdienst zu bestreiken habe man sich geeinigt, den Notdienst um zwei Fahrzeuge für „seuchenhygienisch kritische Stellen“ zu erweitern.

Riexinger räumte ein, dass die Notdienstvereinbarungen großzügiger seien, als viele KollegInnen für richtig hielten. Er gab zu, dass das Durchlassen der Fahrzeuge für den Notdienst die Streikmoral untergrabe. Auf der anderen Seite sei so eine Eskalation und der Einsatz Privater verhindert worden. Wenn die Stadt Notdienste missbrauche, um normalen Müll einzusammeln, werde die Vereinbarung wieder gekündigt werden. Heute morgen hätten sich die Streikenden geweigert, den zusätzlichen Notdienst zu machen und gemeint, die zusätzlichen Fahrzeuge sollten die „Kapos“ selber fahren.

Riexinger verwahrte sich gegen Kritik an der Streikführung, mahnte zur Geschlossenheit – und erklärte, dass man den Streik auswerten müsse. Im ersten Streik nach 14 Jahren hätten sich natürlich Schwächen gezeigt, bis zum nächsten Streik dürfe es nicht wieder 14 Jahre dauern.

Den Tarifabschluss in Hamburg bewertete Bernd Riexinger als gut. Später kritisierte eine Kollegin, dass Hamburg aus der Streikfront ausgeschert sei und damit den Streik geschwächt habe. Riexinger meinte, dass ein guter Abschluss keine Schwächung sondern eine Stärkung für die anderen Bundesländer sei. An diesem Punkt hielt sich der Beifall in Grenzen.

Es scheint unter den Beschäftigten eine beträchtliche Skepsis gegenüber den gestaffelten Arbeitszeiten zu geben.

Bern Riexinger berichtete außerdem noch über die Verhandlungen. Die Arbeitgeberv hätten bis gestern an der 40-Stunden-Woche festgehalten. Ver.di hatte den Arbeitgebern ein Ultimatum gestellt, sich bei den Verhandlungen am Mittwoch zu bewegen oder sie werden abgebrochen (was im Verlauf des Mittwochs dann passierte). Um den Druck zu verstärken, rief er dazu auf, mittags vom Gewerkschaftshaus zum Hotel Maritim zu gehen, um beim Beginn der Verhandlungen Druck zu machen.

Riexinger ging nicht davon aus, dass es so schnell ein Ergebnis geben werde. Auf jeden Fall werde der Streik auch bei einem Ergebnis bis zur Urabstimmung weitergehen. Deshalb müsse man auch eine Ausweitung des Streiks nächste Woche vorbereiten. Am Montag, 6.3., werde es auf jeden Fall wieder eine Großdemo in Stuttgart geben, diesmal auch mit KollegInnen aus Heilbronn, Karlsruhe, Mannheim etc., zu der 10.000 TeilnehmerInnen erwartet würden.

KollegInnen würden gerade in Feuerbach warnstreikenden KollegInnen bei Bosch eine Solidaritätserklärung überbringen, so wie es umgekehrt Solidaritätserklärungen von MetallerInnen aus Mettingen, Untertürkheim und Sindelfingen gegeben habe. Es laufen Gespräche mit der IG Metall, ob am Montag ein gemeinsamer Streik möglich ist – es sei aber nicht sicher, ob sich das mit der IGM-internen Planung vereinbaren lasse. Bei diesem Teil der Rede gab es den meisten Beifall. Bei der Ankündigung, den Streik wieder auszuweiten, kam zum ersten Mal richtig Stimmung auf!

Danach sprachen noch mehrere KollegInnen aus verschiedenen Bereichen: Ein Kollege vom Staatstheater, wo die Beschäftigten heute morgen spontan beschlossen, ihren 12. Streiktag zu machen, schlug unter großem Beifall vor, die im Streik entstandenen Müllberge bestehen zu lassen und zum Gesamtkunstwerk zu erklären…

Ein Kollege von der AWS kritisierte, dass die Streikposten bei der Müllabfuhr nur morgens bis 9.00 oder 10.00, aber nicht ganztägig gut besetzt sind. Das soll die nächsten Tage besser organisiert werden.

Eingerahmt wurde die Veranstaltung von einem Kulturprogramm. Danach wollten sich die Beschäftigten der verschiedenen Bereiche separat treffen und den weiteren Streik planen.

Etwa gegen 12.15 zogen dann alle gemeinsam in einer spontanen Demonstration vom Gewerkschaftshaus zum Hotel Maritim, wo sie von Mitgliedern der ver.di-Verhandlungskommission erwartet wurden. Landesleiterin Sibylle Stamm sagte: „Ich freue mich, dass weiter gestreikt wird, und es ist nötig, denn am Verhandlungstisch bewegt sich leider nichts.“ Sie protestierte gegen die Demagogie der Arbeitgeber, die mehr Ausbildungsplätze versprechen, aber gleichzeitig mit ihrer Arbeitszeitverlängerung die Stellen streichen wollen, in die sie danach übernommen werden könnten. Sie versicherte: „Wir streiken für die Sicherung von 10.000 gefährdeten Arbeitsplätzen, für die 38,5-Stunden-Woche.“ Danach sprach ver.di-Verhandlungsführer Wohlfart und griff die starre Haltung der Arbeitgeber an und versicherte den Streikenden, sie würden genug Sitzfleisch haben und so lange verhandeln, bis ein Ergebnis in ihrem Sinne herauskomme. Im Anschluss sprach noch ein Vertreter der ver.di-Jugend, der ebenfalls den Versuch der Arbeitgeber anprangerte, Auszubildende gegen Beschäftigte auszuspielen.

Die Kundgebung war sehr lebhaft mit Pfeifkonzerten für die Arbeitgeber und immer wieder neuen Sprechchören. Der Sprechchor, der mit der größten Begeisterung gerufen wurde, lautete einfach: „Wir streiken weiter!“

Dann kam die Meldung, dass die Arbeitgebervertreter schon durch einen Hintereingang ins Hotel geschlichen seien. Daraufhin zogen die Streikenden zum Gewerkschaftshaus zurück, mit dem festen Vorsatz bei weiteren Verhandlungen wiederzukommen.