Abfuhr für Sozialabbau

extraWahlerfolg der Linken nutzen – Widerstand organisieren

Extrablatt der Solidarität – Sozialistische Zeitung zum Ausgang der Bundestagswahlen
(als pdf zum Download hier)

 

„Für die Wirtschaft ist der Wahlausgang ein Desaster“, so der Vorstandsvorsitzende der Altana AG Nikolaus Schweickart. Der DAX zeigt nach unten und der Euro verliert an Wert. Warum? Die Hoffnungen der Kapitalisten, mit einer schwarz-gelben Regierung einen weiteren Generalangriff auf die Rechte der abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen zu starten, sind vorerst im politischen Chaos untergegangen. Die einzige Siegerin der Wahlen ist die Linke und damit die Protestbewegung gegen Agenda 2010 und Hartz IV der Jahre 2003 und 2004. Ihr langer Arm hat Schröders rot-grüne Mehrheit gekippt und blockiert erst einmal Angela Merkels Zugriff auf die Kanzlerschaft.

von Sascha Stanicic, SAV-Bundessprecher

Das Wahlergebnis spricht eine deutliche Sprache: es gibt keine Mehrheit für die Agenda 2010 von Schröder und Fischer, aber auch keine Mehrheit für die Verschärfung des Sozialkahlschlags durch Merkel und Westerwelle. Die Aufholjagd der SPD in den letzten Wochen basiert auf der Angst vor letzterem in breiten Teilen der arbeitenden Bevölkerung. Diese hat viele Menschen dazu gebracht, noch einmal das „kleinere Übel“ zu wählen, um Merkel zu verhindern. Doch ohne den verlogenen und heuchlerischen „Linksschwenk“ im Wahlkampf der SPD, ohne das plakative Bekenntnis zu Kündigungsschutz und Flächentarif, ohne die Ankündigung die Reichen zu besteuern und eine Kopfpauschale im Gesundheitswesen zu verhindern, ohne die Absage an eine Große Koalition wäre die SPD bei den 25 Prozent gelandet, die sie zu Beginn des Jahres in Meinungsumfragen erreichte.

Entfremdung

Der 18. September 2005 stellt eine Abfuhr für Sozialabbau und neoliberale Politik dar.

Doch auch wenn Schröder wie ein gedopter Boxer auftritt, der nachdem er drei Mal auf die Bretter gegangen ist, doch noch einen Punktsieg erreicht hat: die SPD hat das zweitschlechteste Ergebnis seit 40 Jahren eingefahren. Der Ablösungsprozess der traditionellen SPD-WählerInnen von der Sozialdemokratie setzt sich fort. Die beiden großen sogenannten „Volksparteien“ bleiben zum ersten Mal seit 1949 unter 70 Prozent, die Wahlbeteiligung ist weiter gesunken: die Entfremdung von den bürgerlichen Parteien und Institutionen wächst weiter. Und über den Wahlerfolg der FDP, der kleinen Partei des großen Kapitals, können sich die Kapitalisten nicht so recht freuen, denn die FDP-Gewinne machen nicht einmal die CDU/CSU-Verluste wett. Der Versuch von CDU/CSU-WählerInnen durch eine Zweitstimmenabgabe für die FDP eine große Koalition zu verhindern, ist fehlgeschlagen. Zum dritten Mal in Folge gibt es eine Mehrheit links von den traditionellen bürgerlichen Parteien CDU, CSU und FDP.

Nazis gebremst

Die Faschisten von der NPD konnten ihr Wahlergebnis zwar verbessern, blieben aber unter den Erwartungen bzw. Befürchtungen, die es nach ihrem Wahlerfolg in Sachsen im letzten Jahr gab. Ihr Vormarsch wurde vorerst gestoppt. Auch dies ist vor allem das Verdienst der Kandidatur von WASG und Linkspartei/PDS. Diese haben dazu beigetragen, dass in der öffentliche Debatte weniger ImmigrantInnen für Arbeitslosigkeit und soziale Probleme verantwortlich gemacht wurden, sondern Regierung und Kapital. So wurden die Rassisten und Faschisten weitgehend in die Defensive gedrängt. Der Wahlerfolg der NPD in Sachsen, wo sie 4,9 Prozent erreichte, weist jedoch darauf hin, dass die braune Gefahr nicht gebannt ist. Wenn die Linkspartei und WASG die in sie gesetzten Hoffnungen enttäuschen sollte, ist ein weiterer Aufstieg der Faschisten zu erwarten.

Instabilität

Das Wahlergebnis vertieft die politische Instabilität und Krise in der Bundesrepublik. Der  Wahlerfolg der Linkspartei ist Ausdruck der wachsenden Polarisierung zwischen den Kapitalisten und der arbeitenden Bevölkerung. Steigende Massenarbeitslosigkeit, Agenda 2010, wachsende Armut haben den Hass und die Wut auf die Reichen und Mächtigen enorm gesteigert. Und immer weniger sind bereit zu glauben, dass all dies nötig ist, um in Zukunft Arbeitsplätze zu schaffen.

Das Wahlergebnis ist gleichzeitig eine Motivation für alle diejenigen, die sich in den letzten Jahren gegen Agenda 2010, Hartz IV, Massenentlassungen und Privatisierungen zur Wehr gesetzt haben. Jetzt kommt es darauf an diesen Wahlerfolg in sozialen Widerstand und den Aufbau einer Partei, die konsequent Arbeitnehmerinteressen vertritt zu übersetzen.

8,7 Prozent für die Linke – wie weiter?

Das faktische Wahlbündnis aus Linkspartei/PDS und WASG ist der Sieger der Bundestagswahl. Zum ersten Mal seit der unmittelbaren Nachkriegszeit (als die KPD im Bundestag vertreten war) gibt es eine starke Bundestagsfraktion links von der SPD. 54 Bundestagsabgeordnete der Linken werden in Zukunft ihre Stimme gegen Sozialkahlschlag, Krieg und Umweltzerstörung erheben können. Das Ergebnis von 8,7 Prozent ist zweifellos ein Erfolg. Die Unterstützung der WASG für die offenen Listen der Linkspartei/PDS und die Kandidatur von Oskar Lafontaine als Führungsfigur mit bundesweiter Ausstrahlung und Massenwirkung waren dafür die entscheidenden Faktoren. Die politische Landkarte in der Bundesrepublik hat sich durch diesen Erfolg verändert und die Leier von der Alternativlosigkeit der vorherrschenden neoliberalen Politik kann nicht mehr unwidersprochen gesungen werden.

Wahlerfolg nutzen

Jetzt kommt es darauf an, den Wahlerfolg zu nutzen, um den Widerstand gegen Sozialabbau, Entlassungen und Krieg zu stärken und eine starke politische Interessenvertretung für ArbeitnehmerInnen, Erwerbslose, Jugendliche und RentnerInnen aufzubauen. Dies bleibt dringend nötig, denn eine zukünftige Regierung – egal, wie sie aussehen mag – wird den Auftrag der Arbeitgeberverbände umsetzen und „Reformen“ anpacken, also den Sozialkahlschlag und Abbau von Arbeitnehmerrechten weiter treiben. Dies kann nur durch massenhaften Widerstand auf den Straßen als auch den Betrieben und den Aufbau einer starken politischen Partei der ArbeitnehmerInnen und Erwerbslosen verhindert werden. Deshalb ist es zu begrüßen, wenn Oskar Lafontaine am Wahlabend in Fernsehinterviews dazu aufrief, sich zu organisieren und aktiv zu werden.

Die Bundestagsfraktion und ihre Abgeordneten können eine wichtige Rolle bei der Organisierung von Widerstand gegen die Fortsetzung neoliberaler Politik spielen. Sie können das Parlament als Bühne zur Verbreitung von Argumenten und Gegenvorschlägen nutzen. Sie können ihre Autorität dazu nutzen zu Demonstrationen und Streiks mit aufzurufen. Sie können ihren Apparat zur Verfügung stellen, um Proteste praktisch zu organisieren. Unmittelbar  schlagen wir der neuen Bundestagsfraktion drei Schritte vor:

1. In der ersten Bundestagssitzung einen Antrag für die sofortige Rücknahme von Hartz IV einbringen und dies mit einem Aufruf zu einer bundesweiten Demonstration zur Unterstützung dieser Forderung verbinden.

2. Ebenfalls einen Antrag für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 1500 Euro einbringen und die Gewerkschaften auffordern zur Unterstützung dieses Antrags Aktionen in den Betrieben durchzuführen.

3. Teilnahme bei und praktische Unterstützung für die geplante Aktionskonferenz der sozialen Bewegungen am 19. und 20. November und für die Konferenz der Gewerkschaftslinken am 1. Oktober.

Tolerieren?

Ein Teil der arbeitenden Bevölkerung hat SPD gewählt, um eine Merkel-Regierung zu verhindern und manche werden die Frage aufwerfen, ob die Linke nicht eine SPD-Grünen-Regierung tolerieren sollte, um eine noch rechtere Regierung zu stoppen. Dies könnte nur eine Option sein, wenn die SPD einen Kurswechsel vollzieht und mit ihrer Agenda-Politik bricht. Doch sie hält an Schröder fest und ist fest entschlossen mit der Umverteilung von unten nach oben weiter zu machen. Gysi und Lafontaine haben richtigerweise erklärt, dass sie eine rot-grüne Koalition, die an der Agenda 2010 festhalten wird, nicht tolerieren werden und Schröder auf dieser Grundlage nicht zur Kanzlerschaft verhelfen werden. Gleichzeitig ist es falsch, dass sie den Eindruck erwecken, eine Große Koalition sei das kleinere Übel. Es mag sein, dass das Tempo von arbeitnehmerfeindlichen Maßnahmen unter einer schwarz-gelben Regierung beschleunigt worden wäre. Eine Große Koalition jedoch wird erstens ebenfalls weitere Angriffe auf ArbeitnehmerInnen und Erwerbslose durchführen und zweitens wird die SPD weiterhin versuchen, ihre Verbindungen zu den Gewerkschaftsführungen dazu zu nutzen, um den betrieblichen und gewerkschaftlichen Widerstand zu bremsen.

Potenzial nicht ausgeschöpft

Noch vor einigen Wochen lag die Linkspartei in Meinungsumfragen bei bis zu zwölf Prozent. Mit den 8,7 Prozent wurde nun nur ein Teil des Potenzials mobilisiert. Es ist zwar gelungen 360.000 NichtwählerInnen von der Wahl der Linken zu überzeugen. Der Rückgang der Wahlbeteiligung insgesamt und die Zunahme ungültiger Stimmen auf 760.000 weisen aber darauf hin, dass auch hier viel vorhandenes Potenzial nicht ausgeschöpft wurde. In Westdeutschland hat die Linkspartei keine fünf Prozent erreicht. Im Osten ist sie nur drittstärkste Kraft geworden. Warum?

Die WASG war und ist der dynamische Teil des Bündnisses, ohne sie wäre die Entwicklung der PDS zur ostdeutschen Regionalpartei wahrscheinlich weiter gegangen. Drei Eigenschaften der WASG sind dafür entscheidend: erstens ist sie ein tatsächlich neue und unverbrauchte politische Kraft, zweitens beteiligt sie sich auf keiner Ebene an Sozialabbau in Regierungen und drittens hat sie eine enge Verbindung zu GewerkschaftsaktivistInnen und sozialen Bewegungen. Diese drei Eigenschaften fehlen der Linkspartei/PDS. Hinzu kommt die Ablehnung der Linkspartei/PDS in Teilen der Bevölkerung (vor allem, aber nicht nur, in Westdeutschland) aufgrund ihrer SED-Vergangenheit. Diese Ablehnung konnte sie bisher nicht überwinden, weil sie nach wie vor die DDR als eine Form des Sozialismus bezeichnet und keine eindeutige und unmissverständliche Ablehnung der SED-Diktatur als anti-sozialistischer Regierungsform bezogen hat.

Die SAV, die sich aktiv am Aufbau der WASG beteiligt, hat in den letzten Monaten erklärt, dass eine eigenständige Kandidatur der WASG in Westdeutschland mehr Stimmen mobilisieren kann, als eine Bündniskandidatur unter dem Banner der Linkspartei/PDS. Bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen erreichte die WASG im Mai 2,2 Prozent. Damals war sie unbekannt, hatte kaum finanzielle Mittel und deutlich weniger Mitglieder und Oskar Lafontaine war ihr noch nicht beigetreten. Viele Menschen haben an den WASG-Infoständen erklärt, dass sie WASG gewählt hätten, aber nicht bereit sind PDS zu wählen.

Hinzu kommt ein Plakatwahlkampf der Linkspartei, der keine klaren Inhalte vermittelte. Forderungen nach der Rücknahme von Hartz IV und Agenda 2010, der Verteidigung von Kündigungsschutz und Flächentarif, für eine stärkere Besteuerung der Banken und Konzerne oder für die Verteidigung von Arbeitsplätzen suchte man auf den Wahlplakaten vergeblich. Zusätzlich wurden Signale ausgesendet, die nicht zur Mobilisierung von AktivistInnen beigetragen haben: die von Lafontaine vorgeschlagene Senkung der Höhe des zu fordernden Mindestlohns und das Fallenlassen der Forderung nach der kompletten Rücknahme von Hartz IV vermittelten nicht den Eindruck, dass hier eine neue und radikal andere Kraft den Kampf gegen die etablierten Parteien aufnehmen will, sondern gaben eher der Sorge Nahrung, dass sich hier die nächste Partei in die Startlöcher zur Anpassung an das Establishment begibt. Deshalb wurde die Dynamik und Begeisterung, die sich im Juni und Juli entwickelte und zu tausenden Eintritten in die WASG führte, wieder verloren.

Vor allem aber die Mitverantwortung für Sozialabbau, Arbeitsplatzvernichtung und Privatisierungen in den Landesregierungen von Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sind ein offensichtlicher Widerspruch zum proklamierten Widerstand gegen genau solche Maßnahmen auf Bundesebene und machen die Linkspartei/PDS wenig glaubwürdig.

Was tun?

Linkspartei-Vorsitzender Lothar Bisky hat erklärt, dass er nun eine schnelle Vereinigung seiner Partei mit der WASG erreichen will. Im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen wird die Frage der Berliner Abgeordnetenhauswahlen im Herbst 2006 stehen. Die Berliner WASG hat zurecht entschieden eigenständig gegen den SPD-Linkspartei/PDS-Senat des Sozialabbaus und der Untergrabung gewerkschaftlicher Rechte anzutreten. Solange die PDS bei Lohnkürzungen und Arbeitsplatzvernichtung im öffentlichen Dienst, bei Sozialabbau und Privatisierungen mitmacht, verhindert sie eine gemeinsame Kandidatur der Linken. Es handelt sich hierbei jedoch nicht um ein Berliner Problem, sondern darin enthalten ist die Frage: was für eine Partei soll geschaffen werden?

Die SAV fordert alle AktivistInnen in WASG, Linkspartei/PDS, Gewerkschaften und sozialen Bewegungen auf, sich aktiv und auf allen Ebenen in den Diskussionsprozess über die Bildung einer neuen linken Partei in der Bundesrepublik einzubringen und sich mit uns dafür einzusetzen, dass diese Partei sich nirgendwo an Sozialabbau, Arbeitsplatzvernichtung und Privatisierung beteiligt, sondern überall an der Seite der Lohnabhängigen, Erwerbslosen und Jugendlichen steht. In der Konsequenz bedeutet das, von der Linkspartei/PDS einen Kurswechsel und den Bruch der Regierungskoalitionen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin zu fordern. Wir brauchen eine Partei, die aktiver Teil des Widerstandes gegen neoliberale Politik und das kapitalistische Profitsystem ist. Und wir brauchen eine Partei, die wirkliche Alternativen aufzeigt. Deshalb tritt die SAV für die Bildung einer sozialistischen Arbeiterpartei ein.

Ein politisches Erdbeben

Das gab es noch nie: am Abend einer Bundestagswahl nehmen beide SpitzenkandidatInnen von CDU/CSU und SPD – trotz der offensichtlichen Tatsache, dass sie die VerliererInnen des Abends sind – für sich in Anspruch, Kanzler/in zu werden.

Schröder präsentiert sich als Wahlsieger, wie ein Fußballtrainer, der nach einer 0:3-Niederlage seiner Mannschaft darauf hinweist, dass viele Zuschauer auf ein 0:6 getippt haben. Merkel präsentiert sich als Wahlsiegerin, obwohl sie weiß, dass sie die eigentliche Verliererin des Tages ist. Stoiber gibt Jamaika eine völlig neue Bedeutung: in diesen Tagen denkt man nicht mehr an Reggae und Karibik, sondern an die schwarz-gelb-grüne Nationalflagge des Inselstaates, die Namensgeberin für eine bis vor kurzem noch undenkbare Regierungskoalition ist. Nur über eine Ampelkoalition wird nicht wirklich spekuliert, weil die FDP offensichtlich das Image der prinzipienlosen Regierungsbeteiligungs-Geilheit loswerden will und eine solche (noch) ausschließt. Deutschland im politischen Chaos und keiner weiß, wie dieses aufgelöst werden soll.

Druck der Bosse

Das US-amerikanische „Wall Street Journal“ schreibt: „Der „kranke Mann Europas“ wird wahrscheinlich noch einige Zeit bettlägerig bleiben“ und spielt damit auf die wirtschaftliche Krisen- und Stagnationsphase an, in der sich die Bundesrepublik seit Jahren befindet. Nun scheinen die politischen Verhältnisse sich den wirtschaftlichen anzugleichen. Ein Konzernboss nach dem anderen drückt seine „bittere Enttäuschung“ über das Wahlergebnis aus. Kein Wunder, ist doch das Kalkül der Reichen und Mächtigen nicht aufgegangen: durch Neuwahlen eine Regierung zu bekommen, die in Sachen Sozialkahlschlag und Abbau von Arbeitnehmerrechten den Hammer rausholt und die Gewerkschaften zum „letzten Gefecht“ herausfordert. Stattdessen wird nun von den Kapitalisten das Gespenst des durch eine Große Koalition hervorgerufenen „Stillstands“ an die Wand gemalt und dieses Gemälde sogleich mit der Forderung nach einer Fortsetzung der sogenannten „Reformen“ verschönert. Keine Frage: die Bosse und Bänker wollen nicht warten, bis sie uns weiter an die Tasche gehen können. Und sie werden zweifelsfrei auf jede neue Regierung, egal wie diese zusammengesetzt sein wird, erheblichen Druck ausüben die Rechte und den Lebensstandard der Masse der Bevölkerung weiter einzuschränken.

Neue Instabilität

Das Wahlergebnis unterstreicht die Unfähigkeit des Kapitalismus in Zeiten struktureller Krisen politische Stabilität aufrecht zu erhalten. Deutschland nähert sich Verhältnissen, wie wir sie früher in Italien kannten – unberechenbares Wählerverhalten, häufigere Regierungswechsel, politische Instabilität. Diese ist letztlich nur Ausdruck einer zunehmenden Polarisierung zwischen den Klassen, also zwischen Unternehmern und lohnabhängiger bzw. erwerbsloser Bevölkerung. Erstere können ihre Profitraten nur steigern, wenn sie die Lohnkosten drastisch senken, letztere glauben nicht mehr, dass es sich irgendwann auszahlen wird, heute den Gürtel enger zu schnallen.

Welche Regierung?

Es ist zwei Tage nach dem Wahltag unmöglich sicher vorher zu sagen, zu welcher Regierungskonstellation es kommen wird.

Schröder und Merkel pokern hoch und geben sich unnachgiebig. Das geht möglicherweise bis zur Nachwahl in Dresden am 2. Oktober so weiter. Aber irgendwann wird sich der Druck der Banken und Konzerne, eine schnelle Regierungsfähigkeit zu erreichen, durchsetzen.

Nur wenn sich persönliche und parteipolitische Interessen als unüberwindbar herausstellen, wären selbst neuerliche Neuwahlen nicht auszuschließen. Vom Standpunkt der Kapitalisten, die ja in dieser Gesellschaft letztlich über die Macht verfügen, würde dies aber die Gefahr beinhalten, eine weitere Destabilisierung der Verhältnisse und ein weiteres Wachstum der Linkspartei zu riskieren. Eine Jamaika-Koalition ist ebenfalls nicht auszuschließen, da sich Grüne, FDP und CDU/CSU und wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen gar nicht so sehr unterscheiden. Ob die Grünen allerdings diese innerparteiliche Zerreißprobe eingehen können, ist fraglich.

Zur Zeit spricht am meisten für eine Große Koalition – mit wem auch immer als Kanzler oder Kanzlerin. Schließlich sind die politischen Unterschiede zwischen SPD und CDU/CSU begrenzt und gab es in den letzten Jahren eine faktische Große Koalition bei der Umsetzung der Agenda 2010 und bei Hartz IV. Eine solche würde aus Sicht des Kapitals den Weg frei machen, die nächsten „Reformen“ anzupacken.

Kommende Kämpfe

Das bedeutet, dass die Pläne des Kapitals verzögert, aber nicht wirklich durchkreuzt wurden und sich die arbeitende Bevölkerung auf große Auseinandersetzungen einstellen muss. Die Vorbereitung auf diese muss jetzt beginnen.

Dies gilt sowohl für weitere Angriffe durch eine zukünftige Bundesregierung als auch für die Attacken der Bosse in den Betrieben. Die Ankündigung von Stellenabbau bei Siemens, Volkswagen und DaimlerChrysler zeigen, wo es lang gehen soll. In den Gewerkschaften muss sich auf Massenmobilisierungen gegen die künftige Regierung und gegen  Entlassungen und Arbeitsplatzvernichtung in den Betrieben vorbereitet werden. Dabei müssen auch die Lehren aus den Protesten gegen die Agenda 2010 und Hartz IV gezogen werden – ohne Streiks sind Regierung und Kapital nicht aufzuhalten.

Auch die IG Metall steht in der Pflicht für die kommende Tarifrunde im Frühjahr des nächsten Jahres Lohnforderungen aufzustellen, deren Durchsetzung zu spürbaren Reallohnsteigerungen führen würde und die dementsprechend mobilisierbare Wirkung unter den KollegInnen entfalten können.

Die Bundestagsfraktion der Linken muss unmissverständlich an der Seite des Widerstands stehen und diesen unterstützen und mit aufbauen. Nicht nur gegen Gesetze der nächsten Regierung. Sie hat auch die Verpflichtung eine Alternative zur Arbeitsplatzvernichtung aufzuzeigen und einen Beitrag dazu zu leisten, die Kämpfe der KollegInnen bei Siemens, VW und Daimler zu verbinden.