London nach den Anschlägen

zenaInterview mit Zena Awad, Mitglied der Socialist Party, Schwesterorganisation der SAV in England und Wales.
 
Was war die umittelbare Reaktion auf die Bombenanschläge vom 7.7. 2005?

Schon seit dem 11. September ist in Großbrittanien immer wieder vor der Gefahr terroristischer Anschläge gewarnt worden. Blair hat diese Angst auch geschürt, um die Beteiligung am Irak-Krieg zu rechtfertigen und dabei bewusst übertrieben. Nach den Anschläge herrschte unter der Londoner Bevölkerung ein Gefühl von Schock. Die vier Bomben, drei in der U-Bahn und eine im Bus, trafen Beschäftigte aller Nationalitäten, die aus den Vororten zur Arbeit fuhren, auch Moslems. Die Anschläge richteten sich nicht gegen die reiche Innenstadt, sondern vor allem gegen Menschen aus den typischen Arbeiterstadtteilen. Der zweite Schock war, dass die Attentäter in England geboren waren. Die Leute hatten Angst vor Al Qaida gehabt und mit möglichen Attentätern aus dem Ausland gerechnet. Die Leute haben sich die Fragen gestellt: Wird das wieder passieren? Und was bringt einen jungen Briten dazu, so etwas zu tun?

Wie reagierte die Blair-Regierung auf die Anschläge?

Blair hat genau diese Fragen nicht beantwortet. In seiner ersten Ansprache hat er gesagt: die Anschläge haben nichts mit dem Irak zu tun, sondern mit einer feindlichen Ideologie, dem islamischen Terrorismus. Schließlich habe der 11. September vor dem Irak-Krieg stattgefunden. Der 7.7. sei ein Angriff auf den britischen Lebensstil und ein Kampf der Barbarei gegen die Zivilisation. Damit versucht die Regierung der wachsenden Antikriegsstimmung den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zwei Tage nach dieser Ansprache veröffentlichte allerdings der Guardian eine Umfrage in der 66 Prozent auf die Frage ’Glaubst Du die Anschläge stehen in einem Zusammenhang mit dem Irak?‘ mit ’ja‘ antworteten. Gleichzeitig gibt es in London ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit durch das Gefühl, dass jeder der eine U-Bahn besteigt ein mögliches Ziel für Anschläge ist. Aber anders als nach anderen Anschlägen ist die Unterstützung für Blair nur leicht gestiegen.

Haben die Anschläge und die Rethorik der Blair-Regierung zu einer Zunahme rassistischer Übergriffe geführt?

Es gab in der Bevölkerung keine rassistische Welle wie in New York nach den Anschlägen vom 11. September. Aber es gibt eine Zunahme von Rassismus für die ganz klar die Regierung verantwortlich ist, die den Islam zum Sündenbock erklärt. In einem nördlichen Außenbezirk von London gab es mehrere rassistische Angriffe und Überfalle bei denen auch ein junger Moslem getötet wurde. Wir, die Socialist Party, sind direkt nach den Anschlägen mit einer Unterschriftenliste ’ Nein zum Terrorismus, nein zum Krieg, nein zum Rassismus‘ auf die Straße gegangen. In den ersten Tagen war die Stimmung auf den Straßen sehr ruhig und gedrückt. Zwei Wochen später, vor den zweiten Anschlägen, haben wir dann eine sehr gute Reaktion auf unsere Unterschriftenliste und Infotische bekommen. Die Leute waren froh, dass jemand etwas macht und wir waren die einzigen. Die Mehrheit der Leute ist gegen den Krieg und viele machen Blair für die Anschläge verantwortlich.

Was passierte nach den zweiten Anschlägen?

Am 21. Juli, auf den Tag genau zwei Wochen nach den ersten Anschlägen, wurden vier weitere Bomben gezündet, die aber nicht explodierten. Drei davon waren in der U-Bahn und eine in einem Bus platziert, genau nach dem Muster des ersten Anschlags. An diesem Tag wurde der ganze öffentliche Nahverkehr dicht gemacht und die Arbeiter weigerten sich die Arbeit wieder aufzunehmen. Die Gewerkschaft RMT (Rail Maritime Transport) stellte Forderungen für mehr Sicherheitsmaßnahmen für die Beschäftigten und der Passagiere und trat für das Recht ein, das ganze Transportsystem still zu legen. Die Regierung dachte mehr an den finanziellen Verlust und forderte die Beschäftigten auf, ihre Arbeit wieder aufzunehmen. Auch die Kürzungen bei der Feuerwehr in den letzten Monaten stellen ein Sicherheitsrisiko für die Bevölkerung dar. Nachdem Feuerwachen geschlossen wurden, braucht die Feuerwehr länger um zu ihrem Einsatzort zu gelangen.

Nach den Anschlägen wurde ein junger Brasilianer durch die Polizei erschossen…

Noch am Tag der zweiten Anschläge fanden überall in der Stadt Razzien von bewaffneten Polizisten statt. Vor allem junge, asiatische Männer wurden ständig von der Polizei kontrolliert und durchsucht. Als bekannt wurde dass alle vier Attentäter aus Afrika stammen sollen, begannen Politiker und Medien sofort eine Diskussion über Immigranten. Ein Vorschlag war, straffällige Immigranten überhaupt nicht mehr ins Land zu lassen. Einige Zeitungen veröffentlichten die detaillierten Angaben über Staatszuschüsse, die einer der Beschuldigten erhalten hatte. Am Tag nach den zweiten Anschlägen wurde ein junger brasilianischer Arbeiter von Polizisten erschossen. Die erste Meldung lautete: er habe einen verdächtigen Wintermantel getragen, sich den Anweisungen der Polizei widersetzt, sei losgerannt und über die U-Bahnabsperrung gesprungen. Auf dem Bahnsteig schossen ihm die Beamten sieben Mal in den Kopf und einmal in die Schulter. Als die ersten Berichte von Augenzeugen auftauchten, wurde bekannt, dass er ganz normal ein Ticket gelöst hatte, nicht gewarnt wurde und von den Polizisten zu Boden gedrückt wurde als sie ihn erschossen. Zudem trug er eine leichte Sommerjacke, nicht mal einen Rucksack und war auch kein Moslem. Hinter dieser Erschießung steht die ’shoot to kill policy‘ (schieße um zu töten) mit der die Polizei angehalten ist, zu schießen sobald sie einen Verdächtigen sieht. Diese wird noch viele unschuldige Opfer kosten. Diese Taktik wurde bereits in den 70ern gegen die IRA (Irisch Republikanische Armee) eingesetzt und auch damals starben viele Unschuldige, ohne dass der Terrorismus gestoppt worden wäre. Die Brasilianische Gemeinschaft organisierte eine Demonstration gegen diesen Mord, auf der auch Mitglieder der Socialist Party gesprochen haben.

Was ist von den neuen neuen Antiterrorgesetzen zu halten?

Eine andere sogenannte Antiterrormaßnahme ist, dass Universitätsleitungen das Recht bekommen ’politischen Extremismus‘ vom Campus zu verbannen. Der Hintergund ist, dass einer der Bomber einen Chemieabschluss an der Uni gemacht hatte und Universitäten jetzt als Nährboden für den Terrorismus dargestellt weden. Dieses Verbot politischer Aktivität trifft genauso linke AktivistInnen und AntikriegsaktivistInnen. Die Studierendengruppe Socialist Students ist dagegen aktiv. Auch auf Festivals und anderen öffentlichen Ereignissen werden im Namen der Sicherheit Infotische und Flugblätter verboten. Das ist längerfristig ein Angriff auf die ganze Linke, in Zukunft auch auf Kämpfe von Beschäftigten und das Recht sich zu organisieren. Die Terroristen werden von der Regierung als ’Innerer Feind‘ bezeichnet, das ist genau die Formulierung die Thatcher in den 80ern gegen die streikenden Bergarbeiter verwendete. Das unterstreicht wohin die Reise gehen soll: unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung werden Gesetze erlassen, die dann gegen Proteste und Streiks von KollegInnen genutzt werden können. Nach den Anschlägen sollen jetzt in England auch Personalausweise (ID-Cards) eingeführt werden, was die Regierung schon lange wollte, aber sich bisher nicht getraut hatte. Diese ID-Cards werden benutzt werden um den Zugang zu Staatsleistungen zu beschränken. Zum Beispiel kann heute noch jeder das staatliche Gesundheitswesen (NHS) nutzen ohne sich auszuweisen. In Zukunft werden Menschen ohne Ausweis, zum Beispiel ImmigrantInnen diese Leistungen nicht mehr in Anspruch nehmen können.

Wir treten ein für den gemeinsamen Kampf aller Beschäftigten und fordern die Gewerkschaften auf, diese Angriffe aufzugreifen was sie bisher nicht getan haben. Auch die Stop-the-War-Coalition hat erst jetzt, unter Druck, eine Demo für September geplant. Das ist zu spät. In den Gewerkschaften bringen wir Anträge ein und kämpfen für eine sofortige Demonstration. Nein zu den Angriffen auf demokratische Rechte, Nein zu Terrorismus, Nein zu Krieg und Nein zu Rassismus!

Interview: Tinette Schnatterer