Neue Krisentendenzen in der Weltwirtschaft

Zur aktuellen ökonomischen Situation in Deutschland und weltweit
 
Am kommenden Sonntag droht der SPD in dem bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen nach 39 Jahren ununterbrochener Regierungsherrschaft eine �historische Niederlage� (Der Spiegel 20/2005). Eine Woche vor dem Wahltermin liegt Schwarz-Gelb zehn Prozent vor Rot-Grün. Damit würde – zwanzig Jahre nach der ersten Koalition in Hessen unter SPD-Ministerpräsident Börner und dem Grünen-Umweltminister Fischer – die letzte rot-grüne Bastion auf Landesebene fallen.
Zehn Tage vor dem 22. Mai konnten die Spitzenpolitiker in der SPD und bei den Grünen ihre Nervosität nicht länger überspielen und befehdeten sich in aller Öffentlichkeit gegenseitig – und das mitten in der heißen Wahlkampfphase. Die Luft wird immer dünner. Für die heutige Öko-FDP findet ein Regierungsmodell, das ihnen jahrelang Ämter auf Regierungsebene zuschacherte, sein Ende. Für die durch und durch kapitalistische Schröder-SPD, die seit der Amtsübernahme im Bund 1998 beinahe ein Viertel ihrer Mitglieder verlor, könnten Austritte aus der Bundestagsfraktion und ein Verlust der Regierungsmehrheit im Bundestag die Folge sein.
Neben Ottmar Schreiner wird ein Bruch mit der SPD-Fraktion bei elf weiteren Abgeordneten für möglich gehalten, so rumort es jedenfalls in der Gerüchteküche. Zualledem hat Oskar Lafontaine einen Austritt aus der SPD nach den NRW-Wahlen angedroht. Nicht nur Lafontaine, sondern auch Schreiner spielt öffentlich mit dem Gedanken, zur neuen Partei �Arbeit und soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative� zu stoßen: �Niemand will eine Linksabspaltung. Wenn die SPD aber nach links immer mehr Freiraum lässt und eine wachsende Zahl von Menschen mangels Alternative nicht mehr wählen geht, dann drängt sich eine neue Partei nahezu auf� (so Schreiner gegenüber dem Spiegel eine Woche vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen).

Staatsfinanzen aus dem Ruder

Als ob ein Wahldebakel im Land von Rhein und Ruhr sowie mögliche SPD-Abspaltungen nicht reichen würden, die Regierung in eine tiefe Krise zu stürzen, (die auch zu vorgezogenen Neuwahlen führen könnte) – riss die ökonomische Dauerstagnation zum gleichen Zeitpunkt neue Löcher in den Bundeshaushalt. Die Schuldenprobleme haben inzwischen Ausmaße angenommen, dass selbst Finanzminister Eichel bei einer internen Zusammenkunft im Haus der Parlamentarischen Gesellschaft hinter dem Berliner Reichstag vierzehn Tage vor dem Wahlsonntag in NRW eingestehen musste: Die Staatsfinanzen sind �vollends aus dem Lot geraten�.
�Vor allem der Druck in den Sozialversicherungssystemen ist von einer solchen Kraft�, so der Spiegel, �dass alle Reformen ihn nur für kurze Zeit zu dämpfen vermochten.�

Bis zum Juni muss Hans Eichel einen verfassungsgemäßen Etatentwurf für das nächste Jahr präsentieren. Bislang heißt es nur, es werde eine �harte Veranstaltung� (O-Ton-Eichel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 13. Mai). Gegenüber der bisherigen Planung fehlen dem Finanzministerium nach den Berechnungen des Arbeitskreises Steuerschätzung zehn Milliarden Euro. Bis zum Jahr 2008 wird das Steueraufkommen in Deutschland insgesamt um 66,8 Milliarden Euro geringer ausfallen, als ursprünglich angenommen. Am härtesten trifft es den Bund, der sich auf Mindereinnahmen von 39 Milliarden gegenüber bisherigen Planungen einstellen muss. Der Ausfall der Länder liegt schätzungsweise bei 29 Milliarden Euro.
Zu den erwarteten Einnahmeausfällen kommen noch im Vergleich zu den bisher geschönten Angaben der Regierung drastische Mehrausgaben bei den sozialen Sicherungssystemen. Außer – neue Kürzungsprogramme werden aufgelegt. Und genau das ist zu befürchten. Schließlich will es sich Kanzler Schröder mit den Unternehmern, die sich mehrheitlich gerade von Rot-Grün abwenden, nicht verscherzen. Arbeitgeberpräsident Hundt, der zwei Tage vor dem Jobgipfel eine �Agenda 2005� forderte, und Horst Köhler, der 24 Stunden vor dem Gipfeltreffen von Schröder, Fischer, Merkel und Stoiber vor einem �Reformstau� warnte, haben deutlich zu verstehen gegeben, dass sie Wahlgeschenke und wahltaktische Manöver im Vorfeld der Bundestagswahlen nicht hinnehmen wollen. Es ist davon auszugehen, dass die Kapitalisten eine dermaßen angeschlagene Bundesregierung lieber kippen möchten und kippen könnten, als Zeuge eines langwierigen Zickzack-Kurses im Bundestag zu werden.

Arbeitende Bevölkerung unter Dauerbeschuss

Die neue Haushaltsnotlage, laut Spiegel eine Notlage �historischen Ausmaßes�, wird mit aller Sicherheit zu weiteren Mehrbelastungen für die arbeitende Bevölkerung führen. Gerhard Schröder schweben unmittelbar zusätzliche Vermögensverkäufe vor. Finanzminister Eichel erwägt, über die staatseigene Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) große Aktienpakete von Post und Telekom zu verkaufen. Zudem wird eine Mehrwertsteuererhöhung in einer Art und Weise dementiert, die einer Vorankündigung gleichkommt, wie der Tagesspiegel vom 9. Mai zutreffend kommentiert: �Ich will und wollte nie eine Erhöhung der Mehrwertsteuer�, sagte der Finanzminister. Übersetzt heißt das: Die Mehrwertsteuer wird definitiv erhöht.�

Für die Arbeiterklasse wird es in den kommenden Monaten keine Atempause geben. Erwerbslose und Beschäftigte sehen sich auf allen Ebenen den Angriffen von Politikern und Unternehmern ausgesetzt. Schon vor der, angesichts der Haushaltskrise, jetzt drohenden neuen Sparrunde signalisierte das bürgerliche Establishment in der Gesetzgebung verheerende Einschnitte in das �soziale Netz� mit einer angepeilten extremen Absenkung der Lohnnebenkosten, einem weiteren Ausbau des Niedriglohnsektors und einer Demontage der Mitbestimmung sowie anderer Rechte der Lohnabhängigen.
Keine Gelegenheit wird ausgelassen, die Renditen auf Kosten der Beschäftigten zu verbessern: So postulierten die Konzernchefs am Pfingstwochenende landauf landab, den Pfingstmontag als Feiertag zu streichen (damit orientierten sie sich an den französischen Bossen, die sich wiederum an der herrschenden Klasse in der Bundesrepublik und der Streichung des Buß- und Bettages für die Finanzierung der Pflegeversicherung orientierten).
Parallel dazu vollzieht sich die permanente Offensive des Kapitals in den Betrieben. Zurecht bezeichneten die Mettinger Rebellen bei DaimlerChrysler das in ihrer Betriebszeitung als eine �Verzichtslawine�, die um so schlimmere Auswirkungen hat, je weiter unten diese Lawine angelangt ist.
Gleichzeitig hält die Bourgeoisie an einer harten Gangart in den Tarifauseinandersetzungen fest. Aus ihrer Sicht erzwingt das der mörderische Konkurrenzdruck. Zudem wollen sie �die Gunst der Stunde nutzen� – die ihnen durch die auch im Bezug auf die neunziger Jahre beispiellose Bereitschaft der DGB-Führung und der Betriebsratsfürsten zur Aufgabe langjähriger Errungenschaften ermöglicht wird; außerdem kommt ihnen die noch nicht überwundene Schwäche der betrieblichen und gewerkschaftlichen Linken zu gute. So strebt die Unternehmerseite in der Druck-Tarifrunde Arbeitzeitverlängerungen und damit ein Ende der 1984 erstreikten 35-Stunden-Woche an.
Der Stahl-Abschluss stellt angesichts der vollen Auftragsbücher in dieser Branche (nicht zuletzt dank der Nachfrage Chinas) eine Ausnahme dar. Allerdings wäre es auch hier ohne Streikandrohung und Vorbereitung einer Urabstimmung nicht zu den letztlich von oben zugestandenen 3,5 Prozent sowie einer Einmalzahlung von 500 Euro Einkommenserhöhung gekommen.

Nach dem Abflauen der Montagsdemonstrationen im letzten Herbst � wofür die DGB-Führung die Verantwortung trägt � und dem Inkrafttreten von Hartz IV zum Jahresbeginn setzte eine vorübergehende Ebbe im Klassenkampf ein. Es ist zu früh, heute von einer neuen �Flutwelle� zu sprechen. Trotzdem gibt es seit geraumer Zeit eine bedeutende Zunahme von erbitterten Abwehrkämpfen: Streikvorbereitungen bei Bosch-Siemens in Berlin-Spandau, Protestaktionen von Charite-Beschäftigten in Berlin, ein fünf Tage andauernder Ausstand bei Alstom Power in Mannheim, Warnstreiks von LehrerInnen in Sachsen, Bildungsproteste in Stuttgart, Hamburg und anderswo, Arbeitskampf beim Hattinger Rolltreppenhersteller Kone, Arbeitsniederlegungen und anhaltende Konflikte beim Autozulieferer Dräxlmaier in Bremen…

Stagnation der deutschen Wirtschaft

Während Eichel in den Ländern verfassungswidrige Haushalte befürchtet, schwebt eine baldige Haushaltssperre wie ein Damoklesschwert über dem Bundeskabinett. Steuerausfälle und Mehrausgaben sollen sich zusammen genommen in diesem Jahr auf mindestens 15 Milliarden Euro belaufen. Dabei sind die in den letzten Wochen beschlossenen Steuersenkungen noch nicht berücksichtigt: Körperschaftssteuer-, Firmen-Erbschaftssteuer- und Gewerbesteuersenkung, die weitere Löcher in Milliardenhöhe aufreißen werden.
Die jüngsten Hiobsbotschaften in der Fiskalpolitik des Bundes sind das Resultat nach unten korrigierter Wachstumsprognosen für das laufende Jahr: Die sechs großen Forschungsinstitute reduzierten ihre Konjunkturerwartungen von 1,6 Prozent im vergangenen Herbst auf nunmehr 0,7 Prozent. Die Haushaltslage ist so brisant, dass die Rentenkassen bereits über massive Auszahlungsschwierigkeiten ab diesem Sommer klagen, die zusätzliche Zuwendungen seitens des Bundesetats erforderlich machen. Es ist gerade die Sorge vor einem Einbruch der BRD-Wirtschaft, was die Kapitaleigner auf den Plan rief und zu den angekündigten Steuererleichterungen für die Konzerne beitrug; aufgrund der stark eingetrübten Aussichten der BRD-Wirtschaft sollen diese erneuten Absenkungen der Unternehmenssteuern noch vor der Sommerpause umgesetzt werden.

Die deutsche Wirtschaft stagniert seit 2001. Lediglich der Exportmotor läuft, Konsum und Investitionen springen bis heute nicht an. Eine umfassende Erholung ist nicht in Sicht, machen Überkapazitäten, Euro-Aufwertungen und Ölpreisentwicklungen der ökonomischen Situationin der BRD doch nach wie vor zu schaffen.
Das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes im ersten Quartal 2005 fiel mit plus ein Prozent verglichen mit dem Vorquartal erheblich besser als erwartet aus. Trotzdem wollte an der deutschen Börse keine rechte Zuversicht aufkommen. �Ein Grund zum Jubeln ist das nicht. Die bislang zaghaften Andeutungen der Statistiker zur Zusammensetzung des hiesigen Wachstums lassen die ganze Misere der deutschen Wirtschaft erkennen. Nur der Außenhandel hat Deutschland am Jahresanfang vor der Schrumpfung bewahrt� (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 13. Mai). Die Binnennachfrage ging das zweite Quartal hintereinander zurück. Die Investitionstätigkeit bleibt schwach. Die Auftragseingänge gingen im Zweimonatsvergleich Februar/März gegenüber Dezember/Januar um 2,7 Prozent zurück (allerdings stiegen sie im März um 2,2 Prozent). Frühindikatoren wie der Ifo-Geschäftsklimaindex weisen auf eine weitere Verlangsamung hin.
Bundesbankpräsident Axel Weber musste konstatieren, es gebe keine Entwarnung auf der konjunkturellen Seite. Eine negative Überraschung sei nicht auszuschließen. Patrick Meier vom Kieler Institut für Weltwirtschaft hält eine neue Rezession jederzeit für möglich (nach einer Überprüfung ihrer Daten musste das Statistische Bundesamt für die sechs Monate zwischen Juli und Dezember 2004 nun schon die zweite Rezession innerhalb von drei Jahren bekanntgeben). �Die nächste erwarte ich im Sommer, wenn wir die langfristigen Auswirkungen des hohen Ölpreises zu spüren bekomen�, so Meier.

Im deutschen Bankensektor steht ein Hauen und Stechen an. Übernahmeschlachten und das Aus von einzelnen Finanzhäusern sind reale Möglichkeiten. Im internationalen Vergleich ist die Profitabilität äußerst schwach. Während der US-Riese Citigroup 40 Cent einsetzen muss, um einen Dollar plus zu machen, benötigt die Nummer 1 in der BRD, die Deutsche Bank, immerhin 80 Cent, um den gleichen Betrag zu erzielen. Im weltweiten Maßstab ist zudem der Marktanteil der Großbanken niedriger als in den USA und anderen führenden Industriestaaten: So dominiert die größte Bank der Vereinigten Staaten 20 Prozent des Marktes, in Deutschland kommen die fünf größten Banken nur zusammen auf den selben Anteil.

US-Lok vor der Entgleisung?

Nicht nur in der Bundesrepublik, sondern international hält das Kapital an seinem neoliberalen Kurs fest. Damit wird die kaufkräftige Nachfrage weiter geschmälert und die Konjunktur zusätzlich untergraben. Die Krise von Überproduktion und in der Ära der Just-in-time-Produktion vor allem die Krise von Überkapazitäten spitzt sich weiter zu und bedeutet eine gewaltige Hypothek für die kapitalistische Wirtschaft. Der schwache konjunkturelle Aufschwung seit Beginn des Jahrzehnts war weitgehend eine ökonomische Erholung auf Pump, die primär darauf basierte, dass sich die Schuldenberge in Schuldengebirge verwandelten. In den USA, dem wichtigsten Träger der Weltwirtschaft, steht heute der Mount Everest aufgetürmter Schulden.

Die Politik der Verschuldung hat unter US-Präsident George W. Bush nach dem 11. September 2001 ganz neue Dimensionen angenommen und eine großteils künstliche Aufschwungsphase eingeleitet. Erwirtschaftete die US-Regierung bis Anfang des 21. Jahrhunderts noch einen Überschuss, so ist der Haushalt Nordamerikas seit 2001 defizitär: Von 2002 bis 2004 wuchs die jährliche Verschuldung von 150 auf 500 Milliarden Dollar an. Das Leistungsbilanzdefizit erreichte im letzten Jahr ein Rekordminus und beträgt nun 5,7 Prozent des Bruttosozialproduktes (gegenüber den �Schwellenländern� kennzeichnet der IWF die Lage als �Krise�, wenn fünf Prozent erreicht sind).
Die astronomisch hohen Defizite sind nichts anderes als offene Rechnungen, die auf den internationalen Kapitalmärkten – vor allem durch den Verkauf von US-Staatsanleihen – gedeckt werden müssen. Es ist nicht zu prognostizieren, wann die aufgehäuften Schulden wie ein Kartenhaus in sich zusammen stürzen; schließlich existiert keine absolute Schulden-Obergrenze. Allerdings hat die Auslandsverschuldung der Vereinigten Staaten ein Niveau angenommen, das extrem bedrohlich ist: Mit einer Verschuldung gegenüber dem Ausland in Höhe von 3,1 Billionen Dollar, dem dreifachen Volumen des jährlichen US-Exportes, übertrifft die Verschuldung das Ausmaß, welches in der Vergangenheit für Länder der neokolonialen Welt als Grenze benannt wurde. Dort gilt als Faustregel, dass ein Absturz der Wirtschaft bevorsteht, wenn die Auslandsschulden das doppelte der jährlichen Exporte betragen.

Das gigantische US-Leistungsbilanzdefizit bedroht den Wert des Dollar. Weitere Abwertungen sind nur eine Frage der Zeit. Dabei hat der Dollar seit 2001 bereits ein Drittel seines Wertes eingebüßt – mit enormen Folgen: Der US-Konsum schwächte sich ab, die Notenbank sah sich zu einer Serie von Zinserhöhungen gezwungen (in den vergangenen zehn Monaten wurden die US-Zinsen schon achtmal erhöht), wodurch neue Investitionen abgewürgt werden und außerdem verteuerten sich die Immobilienzinsen – was zum Platzen dieser aufgeblähten Spekulationsblase führen kann. Zualledem gefährdet die Dollar-Schwäche nicht nur die US-Wirtschaft, sondern bedeutet auch ein Risiko für den Außenhandel gerade der in Euro gehandelten Waren.

Wie lange ist ein Abzug ausländischen Kapitals aus den USA noch aufzuhalten? Bis jetzt ist kein Abzug größeren Umfangs auszumachen. Allerdings könnten die Ankündigungen der südkoreanischen Notenbank so etwas sein, wie ein erstes Donnern vor dem anstehenden Gewittersturm: Die Bankenchefs Südkoreas planen, im Verlauf diesen Jahres aus dem Dollar auszusteigen (im Vorjahr hatten sie noch Dollarwerte in Höhe von 38 Milliarden angekauft).
Eine Schlüsselposition nimmt China ein. Seit langem ist die chinesische Währung um ungefähr 25 Prozent unterbewertet. Wenn China eine Aufwertung des Renminbi (Yuan) nicht länger aufhalten kann, dann wird aller Wahrscheinlichkeit nach mit einer massiven Verteuerung der chinesischen Exporte die Wirtschaft abschmieren und eine tiefe Rezession einsetzen – was wiederum mit einer dramatischen Abwertung chinesischer Devisenreserven einhergehen würde und die Flucht Chinas aus dem Dollar auslösen könnte.
Es ist nur eine Frage der Zeit, dass die Dollar-Schwäche in eine Dollar-Krise umschlägt. Parallelen zum Niedergang des britischen Pfunds als Leitwährung vor hundert Jahren tun sich auf (siehe den Gastbeitrag von Winfried Wolf in der aktuellen Ausgabe der Solidarität). Die historische Krise des Pfunds widerspiegelte damals den Anfang vom Ende der dominierenden Macht Großbritannien. Zum damaligen Zeitpunkt war der Aufstieg der USA zur neuen Führungskraft in der kapitalistischen Weltwirtschaft sichtbar. Heute lässt sich demgegenüber keine Kraft ausmachen, die auf internationaler Ebene in die Fußstapfen der USA treten könnte.

China – „Jungbrunnen“ der Weltwirtschaft?

China wird vielfach als kommende neue Supermacht gehandelt. Allerdings trägt die chinesische Wirtschaft nur mit vier Prozent zum weltweiten Bruttosozialprodukt bei, die Industrieproduktion Chinas hat einen sieben prozentigen Anteil an Fertigung und Herstellung im industriellen Bereich. Die Ökonomie Chinas macht nur ein Viertel der japanischen Wirtschaftsleistung aus. Damit ist das 1,4 Milliarden Menschen zählende China trotz jahrelanger Wachstumszahlen von knapp zehn Prozent nicht der �Jungbrunnen� der Weltwirtschaft. Trotzdem ist China ohne Zweifel eine bedeutende aufstrebende Kraft auf internationaler Ebene.

Der US-Imperialismus erkennt in China einen ernstzunehmendenKonkurrenten im Kampf um die Vorherrschaft Asiens. In der Tat melden die Herrschenden Chinas einen Führungsanspruch auf dem Kontinent an, kurbeln die Rüstungsproduktion an und intensivieren den Kapitalexport in der Region. Von 2002 bis 2003 konnten sie das Volumen der ausländischen Direktinvestitionen in Asien verdoppeln. Um die Ambitionen Chinas zu kontern, unterstützt das Weiße Haus die Militarisierung Japans (das aufgrund der Niederlage im Zweiten Weltkrieg genau wie Deutschland jahrzehntelang ökonomischer Riese war, aber militärischer Zwerg blieb).

Neben der US-Wirtschaft hat China gegenwärtig den größten Anteil an den Wachstumsraten des Weltmarktes. Beide verbindet jedoch auch eine tiefe gegenseitige ökonomische Abhängigkeit. Auf der einen Seite ist den US-Konzernen daran gelegen, den chinesischen Exportboom in die Schranken zu weisen, um sich gegenüber ihrer erstarkten Konkurrenz zu behaupten. Aus diesem Grund spekulieren sie auf ein Ende der Dollar-Bindung des Renminbi, um über eine dann einsetzende Aufwertung der chinesischen Währung eine Verteuerung der chinesischen Waren zu erreichen. Auf der anderen Seite �erkaufte� sich China den US-Absatzmarkt, indem es – maßgeblich durch den Ankauf von US-Staatsanleihen – den Dollar stützte. Eine Flucht chinesischer Banken aus dem Dollar würde nahezu unausweichlich eine Dollarkrise heraufbeschwören und das Ende des Aufschwungs der US-Wirtschaft bewirken – und damit die gesamte Weltwirtschaft in einen Abwärtsstrudel reißen.

Ein Vergleich der Entwicklung Chinas und der Ereignisse, die zur Südostasienkrise 1997/98 führten, zeigt wichtige Unterschiede, aber auch Parallelen auf. Auf der Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten wurde Ende der achtziger und verstärkt Anfang und Mitte der neunziger Jahre internationales Kapital in großen Mengen in den südostasiatischen Wirtschaftsraum gepumpt (in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre waren es noch fünf Milliarden Dollar im Jahr, vor dem Einbruch Indonesiens, Thailands, Malaysias und der anderen Staaten schon das Zehnfache jährlich). Das trug zum Aufbau riesiger Überkapazitäten und zum Wachstum einer Spekulationsblase bei. So wie der chinesische Renminbi heute waren auch Währungen in Südostasien an den Dollar gekoppelt. Als sich der Dollar verglichen mit den niedrigen Werten am Beginn der neunziger Jahre im weiteren Verlauf verteuerte und den südostasiatischen Außenhandel Absatzschwierigkeiten bescherte, führte die damalige Abkoppelung zum Abzug ausländischen Kapitals, zum Platzen der Spekulationsblase, zu Finanz- und Bankenkrisen und zum Einbruch der einzelnen Wirtschaftsleistungen. Während es damals zu einer Abwertungsspirale südostasiatischer Währungen kam, ist � wie oben ausgeführt � in China eine Aufwertung zu erwarten. Dazu kommt, dass ein Abzug ausländischen Kapitals aus China heute nicht so einfach ist. Dennoch drohen China ähnlich wie den Staaten Südostasiens in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre Währungsturbulenzen, Spekulationskrisen und gewaltige ökonomische Erschütterungen durch die aufgebauten Überkapazitäten. Auch der chinesische Bankensektor ist völlig marode; die Ratingagentur Standard & Poor‘s schätzt 50 Prozent aller Kredite als �faule Kredite� ein.
Übrigens haben sich die Finanzmärkte und Industrien im Osten Asiens bis heute nicht vollständig von der Krise vor acht Jahren erholt. Die Infrastruktur von 21 Staaten Ostasiens, inklusive Chinas, ist – als Folge der Privatisierungswelle – über einen langen Zeitraum enorm vernachlässigt worden. In diesen 21 Staaten werden Infrastrukturmaßnahmen von 200 Milliarden Dollar im Jahr für notwendig erachtet, um Straßen, Telekommunikation, Häfen, Kraftwerke und Eisenbahnen zu reparieren und auszubauen. Allerdings wurden in all diesen Ländern zusammen genommen im letzten Jahr nur 13 Milliarden Dollar getätigt.

Neben Überkapazitäten, Krisenanzeichen auf den Finanzmärkten und dem Aufwertungsdruck des Renminbi schlittert China auch noch in eine dramatische Rentenkrise: �Die Sollbruchstelle des Systems liegt in der Versorgung der Alten. Das Reich der Mitte steuert mit hoher Geschwindigkeit auf eine Krise ungeahnten Ausmaßes zu. Denn aufgrund der Einkindpolitik einerseits und des faktischen Endes der Staatsbetriebe mit ihrem Versorgungsmonopol andererseits haben immer mehr Chinesen keine Altersversorgung“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Mai).

Die nationalistischen Töne der Herrschenden in Japan und China sind die �Begleitmusik� zu ihrem Streben nach steigender Macht und stärkerem Einfluss im asiatischen Raum. Das geht nicht nur Hand in Hand mit Aufrüstungsprogrammen und neuen Ansprüchen auf politischer Ebene, sondern löste in den vergangenen Wochen bekanntlich auch davon beeinflusste Protestdemonstrationen gegenüber dem jeweiligen Nachbarstaat aus – die allerdings gerade für die chinesischen Machthaber ein zweischneidiges Schwert sind, da sie zu wachsender Instabilität und zu möglichen Protesten gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit im eigenen Land führen könnten.
Hinter den Spannungen zwischen den im asiatischen Raum konkurrierenden aufstrebenden Großmächten China und Japan stehen die zunehmenden zwischenimperialistischen Rivalitäten der USA und Teilen der Europäischen Union (mit Deutschland und Frankreich an der Spitze). Der Vorstoß Schröders und Chiracs, das seit der Niederschlagung des Aufstands auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 offiziell geltende Waffenembargo in Frage zu stellen, ist ein konkreter Ausdruck der schwelenden Konflikte unter den führenden imperialistischen Mächten.
Gleichzeitig macht der aktuelle Textilstreit zwischen China und der EU deutlich, dass auch �Bündnispartner� im gegenseitigen Konkurrenzkampf zu einander stehen und sich auf dem Weltmarkt generell neue Handelskonflikte und Handelskriege anbahnen.

Bremsspuren der Weltwirtschaft

Der Aufschwung der Weltwirtschaft hängt am seidenen Faden. De facto nur in den USA und in China waren in jüngster Zeit stärkere Wachstumsraten zu verzeichnen. Japan erlebte zwischenzeitlich einen erneuten Rückfall in die Rezession, die größeren Wirtschaftsnationen der EU verharren in der Stagnation.
Aber auch die Lokomotiven der Weltwirtschaft, die USA und China, könnten, wie oben ausgeführt, jederzeit entgleisen. Neben dem besorgniserregenden Aufbau von Überkapazitäten in China vollzieht sich in den USA nicht nur eine bedrohliche Entwicklung auf den Finanzmärkten und in der Haushaltspolitik, sondern zeichnen sich auch Schwächetendenzen im industriellen Sektor ab. Dass der Dow Jones im Jahr 2004 nur noch um magere drei Prozent zulegte, während er 2003 noch um kräftige 25 Prozent anstieg, ist auf die gegenüber den Erwartungen der Kapitalisten schwächer ausgefallenen Profitmargen zurückzuführen. Obgleich die jüngsten Arbeitsmarktzahlen besser als angekündigt ausfielen, (wenngleich für die Arbeiterklasse nichts positives daran zu finden ist, dass immer mehr zwei oder sogar drei Billigjobs annehmen müssen, um über die Runden zu kommen), so verlor die Industrieproduktion in letzter Zeit weiter an Fahrt (die Indikatoren für die Industriekonjunktur weisen seit Monaten nach unten).

Der Niedergang des Kapitalismus seit der ersten Weltwirtschaftskrise Mitte der siebziger Jahre hat Probleme aufgetürmt, welche die herkömmlichen Konjunkturzyklen außer Kraft gesetzt erscheinen lassen – wobei der konjunkturelle Verlauf heute mehr denn je beeinflusst ist von der fortgesetzten neoliberalen Linie, der Superausbeutung der Klasse der Lohnabhängigen und des maßlosen Schulden- und Spekulationskurses.
Die bürgerlichen Auguren des Euro-Raums können ein Lied davon singen. Nachdem die Wirtschaft der Euro-Staaten mehrere Jahre vor sich hindümpelte, setzte im Sommer letzten Jahres eine Wachstumsverlangsamung ein. Bis heute hat sich die Euro-Wirtschaft nicht wieder gefangen. Im Gegenteil. Im ersten Quartal 2005 blieb das �Wachstum� mit 0,5 Prozent nur knapp im Plus; besonders alarmiert zeigte sich die Europäische Zentralbank (EZB) von den Prozessen in Italien, wo die Wirtschaft mit minus 0,5 Prozent sogar schrumpfte.
Die Kapazitätsauslastung in der Euro-Zone ist auf 80,9 Prozent abgesackt. Die Auftragseingänge lagen im Januar bei minus 6,9 Prozent, im Februar bei minus 2,3 Prozent. Die Investitionstätigkeit bleibt verhalten. Die Hypo-Vereinsbank spricht schon von �High-Noon im Euro-Raum�. Damit meinen sie, dass Unternehmen konjunkturelle Wendepunkte häufig schneller erfassen als die VerbraucherInnen. Der Abschwung in der Produktion würde sich fortsetzen, eine Erholung der Binnennachfrage im zweiten Halbjahr ausschließen und auf diesem Weg in eine erneute Rezession münden (Monatlicher Konjunkturbericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 13. Mai).
Die Bundesrepublik wird 2005 zum vierten Mal in Folge die Maastricht-Kriterien verfehlen. Gleiches gilt für andere Euro-Staaten. Das belastet die Euro-Zone kurz- und mittelfristig weiter, langfristig ist das ganze Fortbestehen grundsätzlich in Frage gestellt. Falls sich bei dem Referendum zur EU-Verfassung in Frankreich am 29. Mai mehr als die Hälfte dagegen aussprechen sollten, drohen zusätzliche politische Verwerfungen.
Eine einheitliche Währung erfordert eine einheitliche Geld- und Zinspolitik. Da der Konjunkturverlauf der verschiedenen Euro-Staaten jedoch unterschiedlich bleibt und ökonomische Ungleichgewichte und Probleme in den einzelnen Ländern der Euro-Zone jeweils anders gelagert sind, nehmen die divergierenden Entwicklungen in rasantem Tempo zu. In dem Maß, in dem Verschuldung, Inflation und Absatzschwierigkeiten anwachsen, kommt es im Euro-Raum zu einer immer größeren Zerreißprobe.

Ölpreisschock�

Die konjunkturelle Erholung der Weltwirtschaft seit der internationalen Rezession am Beginn dieses Jahrzehntes bleibt schwach, ungleichmäßig und extrem fragil. Schon in den nächsten sechs bis zwölf Monaten könnte eine beschleunigte Dollar-Talfahrt oder eine Währungs- und Exportkrise Chinas eine tiefe Weltwirtschaftskrise lostreten. Der instabile Weltmarkt ist darüber hinaus aber noch mehr Belastungen ausgesetzt: Spekulationen und �Ölpreisschock� (so EZB-Chef Trichet) bedeuten weitere reale Gefahren für die kapitalistische Wirtschaft.

Die Ölpreise haben sich in den vergangenen fünf Jahren auf über 50 Dollar pro Barrel verdoppelt. Für einen Barrel Öl muss man inzwischen 70 Prozent mehr aufbringen als vor 24 Monaten. Auf den Weltfinanzmärkten geht man davon aus, dass ein dauerhafter Anstieg des Ölpreises um zehn Dollar pro Barrel das weltweite Wachstum um 0,5 Prozent schmälert, da entsprechend höhere Produktionskosten entsprechend kleinere Renditen bedeuten.
Mit den galoppierenden Ölpreisen (eine Folge von politischer Instabilität, Spekulationstätigkeit, wachsender Nachfrage, in erster Linie Chinas, und mangelnden Investitionen in Reparaturen und Erneuerungen der Ölanlagen und Pipelines) geht auch ein – aus den siebziger Jahren bekanntes – Gespenst um: das Gespenst der Stagflation. Durch die finanziellen Mehrbelastungen der Unternehmen aufgrund der steigenden Öl- und anderer Rohstoffpreise nimmt die Gefahr einer Stagnation zu, gleichzeitig wirkt die Ölpreisentwicklung generell preistreibend und gibt der Inflation Nahrung (dadurch bedingte Zinserhöhungen verschlechtern das eingetrübte Investitionsklima weiter).
Richtig ist, dass die weltweite Abhängigkeit vom �schwarzen Gold� seit der Krise vor dreißig Jahren geringer geworden ist. Richtig ist auch, dass der Ölpreisanstieg schwächer ausfällt als damals (seinerzeit verdreifachten und vervierfachten sich die Preise). Dennoch gilt ebenfalls: Die Weltwirtschaft ist heute viel stärker angeschlagen als in den siebziger Jahren. Damit ist sie erheblich anfälliger geworden, so dass kleinere Erschütterungen als in der Vergangenheit ähnliche Folgen haben können.

Spekulationsfieber

Gerade in den letzten zwei, drei Jahren hat der Trend zur Spekulation massiv zugenommen. Das ist Ausdruck der Krise in der realen Wirtschaft: Aus Mangel an vielversprechenden Aussichten in der Produktion werden immer größere Mengen Kapital in den Finanzsektor gesteckt. Da die Preise aufgrund der geschaffenen Überkapazitäten im produktiven Bereich tendenziell fallen und der Raubzug des Neoliberalismus die kaufkräftige Massennachfrage beschneidet, sehen viele Kapitalbesitzer Investitionen in der Warenproduktion als nicht lohnend an und suchen ihr Glück im globalen Casino-Kapitalismus.

In den vergangenen vier Jahren sind die Anlagen der sogenannten Hedge-Fonds mit ihren unregulierten Investmentvehikeln für reiche Privatanleger und Institutionen von circa 400 Milliarden Dollar auf mehr als eine Billion Dollar angewachsen. Innerhalb von fünf Jahren hat sich die Anzahl der Hedge-Fonds international verdoppelt. Sie sind in jüngster Zeit von besonderer Bedeutung für die Spekulationstätigkeit geworden.
Erst kürzlich haben solche Hedge-Fonds in Deutschland für Schlagzeilen gesorgt. Nachdem sich Werner Seifert, Chef der Deutschen Börse, und Aufsichtsratsvorsitzender Rolf Breuer mit der avisierten Übernahme der Börse Londons verhoben haben, erzwang ausgerechnet ein angelsächsischer Hedge-Fonds, The Children‘s Investment Fund (TCI), den Abgang Seiferts und den Rücktritt Breuers zum Jahresende (fünf Jahre, nach der feindlichen Übernahme der deutschen Industrie-Ikone Mannesmann durch den britischen Mobilfunkbetreiber Vodafone). Der Hedge-Fonds TCI mit Sitz auf den Cayman-Inseln waltet über ein Vermögen von 3,3 Milliarden Euro; der Name erklärt sich durch angebliche Spenden an Kinder der unterentwickelten Länder – abhängig von einer bestimmten Rendite. �Es ist das erste Mal, dass Hedge-Fonds – Geldanlagegesellschaften, die sich mit kurzfristigem Gewinnhorizont in Firmen einkaufen – in Deutschland die radikale Änderung der Firmenstrategie erzwingen, und im offenen Showdown den Abgang von zwei Topmanagern durchsetzen� (Der Tagesspiegel vom 10. März).
Ein paar Hedge-Fonds sollen mittlerweile vierzig Prozent der Aktien des Finanzplatzes Frankfurt kontrollieren. Hedge-Fonds haben nun mehr Einfluss auf die Deutsche Börse als die deutschen Großbanken, Sparkassen und Investmenthäuser. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es zur Zerschlagung der Deutschen Börse kommt. Schließlich steckt hinter dem Konflikt ein Wettstreit unter den führenden Börsenplätzen Europas um die Vorherrschaft. �Es ist mehr als Ironie der Geschichte, dass mit dem Börsenchef Seifert und seinem obersten Aufseher Breuer ausgerechnet diejenigen an den Regeln des Marktes gescheitert sind, die inbrünstiger als andere in Deutschland dem angelsächsischen Börsenkapitalismus gehuldigt haben. Die beiden Zauberlehrlinge der Börse wurden Opfer jener Geister, die sie selbst gerufen haben� (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Mai).

Nur fünf Prozent der weltweit investierten Vermögen sind in Händen von Hedge-Fonds. Trotzdem können die Folgen gewaltig sein: 1992 flog das Europäische Währungssystem auseinander, 1997 stürzte die südostasiatische Wirtschaft ab – in beiden Fällen hatte der Spekulant George Soros seine Finger im Spiel. 1998 stand der US-amerikanische Hedge-Fonds Long-Term Capital Investment vor dem Aus und machte eine konzertierte Aktion von Kapitalisten international erforderlich, um einen Schock für das globale Finanzsystem zu vereiteln.
�An der Wall Street wächst die Furcht vor Schieflagen in der starkgewachsenen Hedge-Fonds-Branche�, schrebt die Frankfurter Allgemeine Zeitung am 12. Mai. �Hedge-Fonds unterliegen bei ihren Anlagen keinen Beschränkungen und können im Gegensatz zu regulären Investmentfonds mit geliehenem Geld versuchen, ihre Rendite zu maximieren. Das führt zu erhöhtem Risiko und könnte die befürchteten Schockwellen durch die Finanzmärkte senden. Der amerikanische Notenbankchef Alan Greenspan hatte erst kürzlich gefordert, stärker auf den Verschuldungsgrad der Hedge-Fonds zu achten.�

Schätzungsweise 20 Prozent des jüngsten Ölpreisanstiegs sind auf die weit verbreiteten Spekulationsaktivitäten zurückzuführen. Zudem kam es in den letzten sechs Monaten zu einem dramatischen Anstieg an Fusionen – ebenfalls eine Folge spekulativen Engagements. Darüber hinaus wirkt das Spekulationsfieber seit geraumer Zeit auf den Immobilienmärkten.
Nicht nur in den USA und in Großbritannien schnellten die Immobilienpreise in die Höhe, auch im Euro-Raum setzten ähnliche Entwicklungen ein: In Spanien explodierten die Preise und führten zu einem Anstieg um 75 Prozent in den letzten vier Jahren, in Frankreich im gleichen Zeitabschnitt um mehr als 50 Prozent. Japan hat vor fast 15 Jahren aufgezeigt, wie der Verfall von völlig abgehobenen Immobilienpreisen eine gesamte Volkswirtschaft in die Krise ziehen kann, von der sich die zweitgrößte Wirtschaftskraft auf diesem Planeten bis heute nicht erholt hat.
Ein jüngerer, äußerst gefährlicher Trend sind die wachsenden Verflechtungen der Märkte für Vermögenswerte, ob Immobilien, Aktien oder Anleihen, mit der privaten Altersvorsorge. Die forcierte Liberalisierung des Kapitalverkehrs leistet brisanten Preisschwankungen Vorschub und kann in der Folge einigen Kollateralschaden in der Weltwirtschaft verursachen.

Autobranche ins Schlittern geraten

Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisentendenzen in Deutschland und international muss der Automobilbranche besonderes Augenmerk gelten. Weltweit gehören 16 der 25 größten Konzerne zum Öl- und Autosektor. In der Autoindustrie ist der Grad der Zentralisation überdurschnittlich weit fortgeschritten: 12 Unternehmen dominieren 90 Prozent des Weltmarktes.
In Deutschland ist die Autobranche nach dem Maschinenbau und der Elekroindustrie die drittgrößte Industriebranche mit 700.000 Beschäftigten. Die Kapazitätsauslastung beträgt nur 75 Prozent.
Die kommende Krise wird auch große Autobauer treffen und zur Überlebenskrise von Riesen der Branche werden – mit dramatischen Folgen für die Arbeiterklasse. Selbst mächtige Konzerne wie General Motors (GM) und Ford, aber sogar DaimlerChrysler drohen Erschütterungen. Rover hat erst vor wenigen Wochen Konkurs angemeldet, Fiat ist enorm angeschlagen.

Anfang des Monats hat die Ratingagentur Standard & Poor‘s die Bonität, sprich die Kreditwürdigkeit, von General Motors und Ford herabgestuft. An den Börsen kursierten schon Pleitegerüchte. Auch wenn das erstmal Gerüchte bleiben mögen, werden die Anleihen der beiden großen Autokonzerne bereits als Junk-Anleihen, also als Ramsch gehandelt. Basis dieser bedrohlichen Entwicklung sind die neuen Gewinnprogrnosen, die in beiden Fällen drastisch gesenkt, im Fall von General Motors gegenüber den bisherigen Prophezeihungen gar halbiert wurden.
Nachdem sich General Motors/Opel in Europa gerade �gesundgestoßen� hat, mit fatalen Folgen für die Lohnabhängigen, allen voran in der Bundesrepublik, stehen Massenentlassungen in den USA erst noch bevor. Auf dem US-Markt belaufen sich die Überkapazitäten von GM auf 20 Prozent. General Motors kann heute eine Million Wagen mehr produzieren, als das Unternehmen derzeit abzusetzen vermag. In der Marktwirtschaft führt dies unweigerlich zur Vernichtung von Kapital: Konkret wird davon ausgegangen, dass GM fünf Fabriken schließen und 20.000 Belegschaftsangehörige feuern könnte.
Die jüngsten Gerüchte um eine sich anbahnende Insolvenz bei General Motors könnten aber auch gezielt gestreut worden sein, damit sich die Aufsichtsratsmitglieder um die Kosten von Betriebsrenten und Krankenversicherungen herummogeln können. Bei zwei anderen Konzernen – in der Luftfahrtindustrie, US-Airways und United Airlines – haben Taschenspielertricks zu Insolvenz, Umbildung der Unternehmen und �Entlastungen� der Kapitaleigner von jeglichen Verpflichtungen bei den Sozialversicherungen geführt.

General Motors wirft ein grelles Licht auf die Folgen und Auswirkungen des real existierenden Kapitalismus am Beginn des neuen Jahrhunderts. Dieses kranke, kaputte System, das sich trotz atemberaubender neuer Technologien und modernstem wissenschaftlichen Know-how als unfähig erweist die Produktivkräfte weiterzuentwickeln, wird in den vor uns liegenden Jahren nicht nur kleine Unternehmen, sondern große Belegschaften in Existenzkrisen stürzen.
Die Streiks bei DaimlerChrysler und Opel im letzten Jahr waren Vorboten künftiger Abwehrkämpfe, in denen antikapitalistische und sozialistische Schlussfolgerungen gezogen werden müssen und in denen sich eine neue Schicht klassenkämpferischer AktivistInnen herausbilden wird. Die anhaltende Offensive des Kapitals, der Wettbewerbsdruck und die jüngsten Krisensignale in der Weltwirtschaft und in der Bundesrepublik lassen darauf schließen, dass diese Ereignisse nicht in ferner Zukunft, sondern schon in den nächsten sechs bis zwölf Monaten ihren Anfang nehmen können.

Aron Amm. 14. Mai, Berlin