Am Osterwochenende trafen sich etwa 400 TeilnehmerInnen bei den Sozialismustagen der Sozialistischen Alternative (SAV) in Berlin, um über den weltweiten Widerstand gegen Sozialabbau, Krieg und Kapitalismus zu diskutieren.
Vom 25. bis zum 27. März debattierten AktivistInnen aus der neuen Partei für Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), aus Betrieben und Gewerkschaften, aus sozialen Bewegungen und dem Widerstand gegen die kapitalistische Globalisierung in einer solidarischen und motivierenden Atmosphäre über die aktuellen Herausforderungen und Möglichkeiten zur Gegenwehr: Sozialabbau und Angriffe auf betrieblicher Ebene bestimmen das Bild der letzten Jahre in Deutschland. Insbesondere von dem Auftritt des Bundespräsident Horst Köhler auf dem Arbeitgeberforum in Berlin aber auch vom sogenannten „Job-Gipfel“ von Kanzler und Opposition ging ein eindeutiges Signal aus: Den Banken und Konzernen gehen die bisherigen Kürzungen nicht weit genug; die Umverteilung von unten nach oben soll fortgesetzt werden, eine Verlangsamung der Angriffe im Vorfeld der voraussichtlich 2006 stattfindenden Bundestagswahl soll es aus ihrer Sicht nicht geben. Diese Punkte wurden in der abschließenden Rede von Lucy Redler am Freitag abend betont.
Die kapitalistische Wirtschaft schleppt sich weltweit dahin, die deutsche Ökonomie verharrt in Stagnation und Rezessionsgefahr. Beschäftigte, Erwerbslose, Jugendliche und RentnerInnen sollen weiterhin durch Sozialabbau und Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen für die Krise bezahlen. Auf internationaler Ebene wird sich die Krise des Kapitalismus in einer Verschärfung der Spannungen zwichen den imperialistischen Ländern und in einer Zunahme von Kriegen wiederspiegeln.
Gleichzeitig flammt Widerstand gegen die Politik der Herrschenden auf. Dies wird and der großartigen Beteiligung von ArbeiterInnen und Jugendlichen an den Streiks und Protesten deutlich, die in den vergangenen Wochen unter anderem in Frankreich und Griechenland stattgefunden haben.
Aber auch in Deutschland gingen auf dem Höhepunkt der Montagsdemonstartionen gegen Hartz IV 500.000 Menschen auf die Straße. Zudem fanden und finden nach wie vor eine Reihe von betrieblichen Auseinandersetzungen statt. Der siebentägige, wilde Streik bei Opel Bochum im Herbst 2004 war dabei der vorläufige Höhepunkt.
Der Blockadehaltung der Gewerkschaftsspitzen ist es zu verdanken, dass bislang diese einzelnen Proteste nicht vereint wurden und es nach großen Mobilisierungen keine Vorschläge für eine weitere Ausweitung des Widerstandes gegeben hat.
Der rote Faden: Opel Bochum und die Rolle der Gewerkschaftsführungen
Wie ein roter Faden durchzog der Streik bei Opel Bochum die Diskussionen am Wochenende. Jürgen Kreuz, einer der Streikaktivisten berichtete sehr lebhaft und ergreifend über die sieben Streiktage: Von der sabotierende Haltung der IGM Führung aber auch von der fantastischen Solidarität der örtlichen Bevölkerung und den KollegInnen aus anderen Betrieben.
Gemeinsam mit Winfried Wolf dokumentierte er die Krise der Autoindustrie. Hier findet die Misere des Kapitalismus in zugespitzter Form ihren Ausdruck. Wegen der riesigen Überkapazitäten drohen die Konzerne mit Betriebsverlagerungen und Massenentlassungen. Die Gewerkschaftsspitzen akzeptieren das, nehmen kampflos Angriffe hin oder sabotieren wie im Fall Opel Bochum Kämpfe. Hintergrund davon: Diese Spitzen-(Gehalts-)Funktionäre akzeptieren die kapitalistische Logik und argumentieren mittlerweile sogar selbst damit, Wettbewerbsfähigkeit einzelner Betriebe mit Öffnungsklauseln auf Kosten der Beschäftigten herzustellen, anstatt das zu tun, wofür die Gewerkschaften gegründet wurden: Die Konkurrenz zwischen Beschäftigten aufzuheben und so zu beginnen, die Interessen von ArbeitnehmerInnen gegen die Unternehmer zu verteidigen.
Immer wieder wurde der Streik der Opelaner zum beispielhaften Bezugspunkt. Auch für eine Reihe von betrieblichen AktivistInnen aus anderen Bereichen, zum Beispiel dem Öffentlichen Dienst. Nicht zuletzt durch den Ausverkauf durch die ver.di-Spitzen in der vergangenen Tarifrunde im Öffentlichen Dienst wurde deutlich, dass man gewerkschaftliche Oppositionsarbeit organisieren muss, um für kämpferische und demokratische Gewerkschaften zu kämpfen.
Welche Zukunft für die WASG?
Auf den Sozialismustagen argumentierten Christine Lehnert, Marc Treude und Claus Ludwig, alle drei Stadträte und Mitglieder der SAV, dafür, dass künftige WASG-Kommunalpolitik den Widerstand von Beschäftigten und Betroffenen in den Mittelpunkt stellen muss: Zentral in ihrer Arbeit in den Stadträten beziehungsweise der Bürgerschaft ist die Gegenwehr von Beschäftigten im öffentlichen Dienst gegen Lohnraub und Privatisierungen, von Erwerbslosen gegen Hartz, von NutzerInnen von Schwimmbädern, Büchereien und so weiter. Sie sehen ihre Arbeit als wichtiges Hilfsmittel, Beschäftigte und Betroffene zu mobilisieren und so für Verbesserungen zu kämpfen.
Auch bei den zahlreichen Debatten um die WASG tauchte der Opel-Streik auf und wurde schließlich zum Streitpunkt. Joachim Bischoff, Mitglied des WASG-Bundesvorstands, verteidigte, bei allen Schwierigkeiten, die er einräumte, das Vorgehen der WASG-Führung, 16 Opel-KollegInnen die Gründung einer WASG-Betriebsgruppe zu untersagen. Er stieß dabei auf den Widerstand der Anwesenden. Bischoff unterstellte außerdem der SAV, dass sie ein „verstaubtes, doktrinäres staatssozialistisches Konzept“ verfolge. In der Debatte am Samstag Abend drohte er, dass die Kooperation von SAV und WASG zu Ende sei, wenn klar würde, dass die SAV die WASG für eigene Zwecke instrumentalisiere. Er betonte, dass die WASG keine „Gewerkschaftspartei“ werden dürfe. Gemeint hat er damit, dass die WASG sich aus betrieblichen und gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen heraushalten solle. Sascha Stanicic, Bundessprecher der SAV, erklärte hingegen, dass es mit der WASG auch gerade darum gehen müsse, Standpunkt zu beziehen für sich im Streik befindene KollegInnen.
In den beiden zum Teil sehr hitzigen und kontroversen Debatten blieben leider viele Fragen an Joachim Bischoff unbeantwortet. Zum Beispiel, wie man weiter mit der Ausgrenzungspolitik des Bundesvorstands gegen die SAV umgehen wird. Mittlerweile wird sechs SAV- Mitgliedern aus Rostock die Mitgliedschaft in der WASG verwehrt. Auch auf die Beschwerden von AktivistInnen und KandidatInnen aus dem WASG-Wahlkampf in Nordrhein-Westfalen, dass immer noch nicht genug Material wie Flugblätter, Plakate, Infotische vorhanden sei, um einen aktiven NRW Landtagswahlkampf zu führen, gab er keine zufriedenstellende Antwort.
Alle Mitglieder der SAV machten in ihren Beiträgen deutlich, dass sie sich aktiv am Aufbau der WASG beteiligen wollen. Sie und viele Gäste machten deutlich, dass die Möglichkeiten und das Potential für die WASG riesig seien. Es sei endlich nötig, dass die neue Partei auf der Straße, in Stadtteilen oder Betrieben konkrete Arbeit beginnt und dadurch ihren Bekanntheitsgrad erhöht. Ausgrenzungsversuche seien dabei hinderlich und führen dazu, dass sich die Partei weiter mit sich selbst beschäftige.
Klaus-Dieter Heiser, Mitglied des Berliner WASG-Landesvorstands, meinte, alles habe seine Zeit und charakterisierte die jetzige Zeit als eine der Reformen, des Aufbrechens des neoliberalen Mainstreams. Wie diese Reformen allerdings durchgesetzt werden sollen, konnten weder er noch Bischoff beantworten.
Von zahlreichen TeilnehmerInnen wurde argumentiert, dass Verbesserungen nur mit einer starken Bewegung möglich werden, die sich nicht den kapitalistischen Sachzwängen unterwirft. Die Ackermänner werden nicht freiwillig ihre Profite und ihren Reichtum preis geben. Der Kampf um jeden Betrieb und jeden Arbeitsplatz erfordert, auch gegen die Profitinteressen einiger weniger vorzugehen. Statt zu akzeptieren, dass Fabriken, Büros und Kaufhäuser dicht gemacht werden, muss der Kampf geführt werden, sie der Kontrolle der Profite zu entziehen und im Interesse der arbeitenden Bevölkerung – auf Kosten der Banken und Konzerne – weiterzuführen.
Das wird nur gelingen, wenn man vor den heutigen Eigentumsverhältnissen nicht halt macht, sondern auch die Überführung dieser Betriebe in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung einfordert.
Nazis Stoppen
Einen wichtigen Platz nahm auch die Diskussion um den Aufstieg der Rechtsextremen in Deutschland ein. Mit Wahlerfolgen und neuen Bündnissen gingen sie gestärkt in das neue Jahr. Jörg Fischer (NPD-Aussteiger, Antifaschist und Mitglied der SAV) berichtete über das Konzept und die Gefahr, die von der NPD ausgeht. Bart Vandersteene, stellte die Erfahrungen der LinkseSocialistischePartij/Mouvement pour une Alternative Socialsite (LSP/MAS) im Kampf gegen den Vlaams Blok in Belgien dar und bereicherte so die Diskussionen, um die Frage wie effektiver Widerstand gegen die Nazis geleistet werden kann.
Internationale Gäste
Spannend waren die Beiträge und Erfahrungen der internationalen Gäste. Upul Siriwardana von der United Socialist Party (Sri Lanka) berichtete von den grauenhaften Folgen der Tsunami Katastrophe und der Unfähigkeit des Kapiatalismus das Leid der Massen zu mindern. Er erzählte von den Anstrengungen der Mitglieder der USP, gegenseitige Hilfe zu organisieren, und dem politischen Kampf für die demokratische Kontrolle über den Wiederaufbau. Andros Paiyatsos (Mitglied im internationalen Vorstand des CWI aus Griechenland) und Clare Doyle (Mitglied des Internationalen Sekretariats des CWI) warfen einen Blick auf die weltweiten Perspektiven der Krise des Kapiatalismus, dem internationalen Kahlschlag, der Unternehmeroffensive und den Widerstand dagegen. Gäste von den Schwesterparteien und -organisationen der SAV aus Österreich (von der Sozialistischen Linkspartei) und Polen sorgten mit ihren Erfahrungen und Beiträgen mit dafür, dass deutlich wurde: Internationale, sozialistische Ideen können einen Alternativen bieten zu Massenarbeitslosigkeit und Perspektivlosigkeit, gegen Neofaschisten und Rassismus, für eine Welt ohne Ausbeutung und Krieg.
Aufbruchstimmung nutzen
Auch wenn vielen TeilnehmerInnen auf der Abschlussveranstaltung die Müdigkeit anzusehen war, überwog die Begeisterung und Inspiration. Ingmar aus Leipzig, der schon lange in der SAV aktiv ist, betonte, dass ihm dieses Wochenende neuen Antrieb für den Aufbau vor Ort gegeben habe und dass er nur von Glück sprechen können, die SAV vor vielen Jahren kennengelernt zu haben.
Ähnlich ging es auch denjenigen, die noch auf den Sozialismustagen in die SAV eingetreten sind.
Die Entschlossenheit, die SAV und das Komitee für eine Arbeiterinternationale (CWI) aufzubauen, spiegelte sich ebenfalls im guten Spendenergebnis von über 4000 Euro wieder.
von Nico Weinmann, Kassel