Droht eine neue Ölkrise?

Welche Folgen hat der deutliche Anstieg der Ölpreise?
In Europa wurde der Anstieg durch den fallenden Dollarkurs etwas abgefedert, in anderen Ländern ist er noch stärker. Gründe für ihn sind wachsende Nachfrage, ein begrenztes Angebot und Spekulation.
von Wolfram Klein, Stuttgart
 
US-Regierung und US-Notenbank haben massiv Geld in die Wirtschaft gepumpt und so einen ganz ansehnlichen Aufschwung zuwege gebracht. Sie haben dadurch zwar das Kartenhaus von aufgeblähten Aktienkursen und Verschuldung nur noch höher gebaut und es ist nur eine Frage der Zeit, wann es einstürzen wird. Aber kurzfristig bedeutet es eine steigende Nachfrage nach Öl und Ölprodukten.
Ähnlich sieht es in China aus, wo es einen Investitions- und Bauboom gibt, der die Nachfrage nach Öl in die Höhe treibt.
In ihrem Schlepptau ist auch Japan vorläufig aus seiner Dauerdepression der neunziger Jahre herausgekommen. Dieses Wirtschaftswachstum bringt auch ein Wachstum des Handels und Transports mit sich.
Da die Macht der Öl- und Autokonzerne verhindert hat, dass seit den letzten Ölkrisen umweltfreundlichere Energiequellen in größerem Umfang genutzt worden wären, führt dieses Wachstum zu einer deutlichen Zunahme des Ölverbrauchs – laut Financial Times vom 23. Juni die größte jährliche Zunahme seit 24 Jahren.

Unsichere Versorgung
Die steigende Nachfrage stößt auf ein begrenztes Angebot. Beim Irak-Krieg ging es den USA um die Kontrolle über die großen irakischen Ölvorkommen, um die Profitmöglichkeiten der US-Ölkonzerne weiter zu steigern und die Macht des OPEC-Ölkartells völlig zu brechen. Er hat das Gegenteil bewirkt.
Die Unfähigkeit von profitgierigen US-Konzernen wie Halliburton, die irakische Infrastruktur zu reparieren plus häufige Sabotageakte von Widerstandsgruppen, führen zu Unterbrechungen der Öllieferung.
Die anderen OPEC-Länder haben die Gründe für den Irak-Krieg verstanden. Sie warteten relativ lange, bis sie auf den steigenden Ölpreis mit der Erhöhung der Fördermengen reagierten. Dazu kommt, dass der US-Imperialismus bei ihren eigenen Bevölkerungen zutiefst verhasst ist.
Nach den Angriffen auf Mitarbeiter von westlichen Ölfirmen in Saudi-Arabien können auch Angriffe auf die Ölinfrastruktur kommen.
In Nigeria bedrohen ethnische Konflikte im Niger-Delta die Ölförderung. In Venezuela setzt sich Präsident Chávez für hohe Ölpreise ein. Auch in anderen Ländern hat die verschärfte Ausplünderung durch den Imperialismus in den letzten Jahrzehnten so viel Hass und Instabilität erzeugt, dass die Ölförderung davon in Mitleidenschaft gezogen werden kann.
Dazu kommt, dass die Ölförderung auch technisch nicht so einfach gesteigert werden kann. In Ländern wie Indonesien gehen die Ölreserven zur Neige. In Russland verhindert der Zustand der Infrastruktur die Steigerung der Förderung. Westliche Ölkonzerne waren mehr an schnellen Profiten als an der langfristigen Erschließung von Ölfeldern interessiert. Bei der Konferenz in Beirut am 3. Juni musste die OPEC zum ersten Mal seit langem über Mangel an Reservekapazitäten debattieren.
Diese Instabilitäten und Risiken sind ein gefundenes Fressen für Spekulanten. Natürlich spekulieren sie vor allem auf steigende Ölpreise – und treiben damit die Preise noch weiter hoch.

Wirtschaftliche Folgen
Hohe Ölpreise bedeuten, dass Verbraucher und Unternehmen mehr Geld für Öl und Ölprodukte ausgeben müssen und weniger Geld für anderes übrig haben. Dadurch sinkt die Nachfrage und sinken die Profite (abgesehen von den Profiten der direkt vom Preisanstieg Profitierenden). Beides bremst das Wirtschaftswachstum. In den USA wird geschätzt, dass ein Ölpreisanstieg von zehn Dollar pro Barrel die gleiche Wirkung hat wie eine Erhöhung der Verbrauchssteuern um 70 Milliarden Dollar. Weltweit soll ein solcher Anstieg das Wirtschaftswachstum um 0,5 Prozent verringern. Besonders schlimm sind die Folgen in rückständigeren Wirtschaften mit energieintensiverer Produktion (Indien, China und so weiter).
Dazu kommt, dass der Ölpreisanstieg kurzfristig höhere Inflationsraten bedeutet und die Notenbanken zur Inflationsbekämpfung die Zinsen hoch halten (beziehungsweise in den USA schneller erhöhen) werden, was das Wirtschaftswachstum weiter bremst und die Spekulationsseifenblasen in den USA und anderswo zum Platzen bringen kann. Dann würden die weltwirtschaftlichen Folgen noch verheerender.
Man versucht uns damit zu trösten, dass die Ölpreise real viel niedriger sind und wohl auch bleiben werden, als in den Ölkrisen der siebziger Jahre. Außerdem ist die Abhängigkeit vom Öl verringert. Das ist aber eine einseitige Betrachtung. Die Kehrseite ist, dass die Widersprüche des Kapitalismus sich so weit zugespitzt haben, dass selbst bei unseren niedrigen Ölpreisen das Wachstum nicht so hoch ist wie vor 1973, sondern entweder so schwächlich wie in Europa oder auf Sand gebaut wie in den USA und anderswo. Die genaue Entwicklung der Weltwirtschaft ist nicht vorherzusagen (hier spielen neben den Ölpreisen verschiedene Faktoren rein). Wahrscheinlich wird die Wirtschaft durch die Ölkrise keinen so starken Schlag erhalten wie 1973 oder 1979. Aber sie ist inzwischen schon so angeschlagen, dass sie auch bei einem schwächeren Schlag „zu Boden gehen“ könnte.

Politische Folgen
Die Folgen der letzten „Ölkrisen“ und der durch sie ausgelösten Weltwirtschaftskrisen waren enorm. Sie führten zu Massenstreiks und einer Radikalisierung in vielen Ländern und zu Revolutionen wie in Portugal 1974.
Auch wenn das Klassenbewusstsein und die Unterstützung für sozialistische Ideen in den neunziger Jahren international stark abgenommen haben, würde eine neue Öl- und Weltwirtschaftskrise auch jetzt massive Folgen haben. Die Gefahr besteht, dass Protest- und Widerstandsbewegungen in einigen Ländern erstmal in reaktionäre Sackgassen (wie den islamischen Fundamentalismus) gehen werden. Aber insgesamt wird auch die Diskussion über eine Alternative zum Kapitalismus zunehmen.