Peter Hadden berichtet von seinem Besuch in Nigeria, den er im letzten Herbst unternahm, um die Arbeit Demokratische Sozialistische Bewegung (Democratic Socialist Movement DSM) zu unterstützen. Die DSM ist die nigerianische Schwesterpartei der SAV.
Nach ein paar Tagen in Lagos traf ich Joseph, einen sozialistischen Aktivisten aus Ghana, der wie ich gekommen war, um an der Konferenz der Democratic Socialist Movement of Nigeria teilzunehmen.
Wir trafen uns in den wild wuchernden Arbeiterbezirken und Slumvorstädten die Lagos West ausmachen. Joseph war in der Nacht zuvor angekommen, nach einer schwierigen Reise über Land durch Togo und Benin und nachdem er die unvermeidliche Schikane der nigerianischen Grenzbeamten ertragen hatte, die ihm den größten Teil seines Geldes für die üblichen Bestechungsgelder abgepresst hatten.
Als er mir erzählte, dass dies sein erster Besuch in Nigeria war, fragte ich ihn was er über das denke, was er von Lagos gesehen hatte. Er antworte mir nur, dass er geschockt sei. Ghana ist, wie der Rest von Westafrika, ein Land in dem drückende Armut die Norm ist. Der Mindestlohn liegt bei $ 1 am Tag, aber viele arbeiten für sehr viel weniger. 70Prozent der Menschen sind Analphabeten. Selbst afrikanische Augen, die an diese Zustände gewöhnt sind, waren nicht vorbereitet auf die Armut, das Chaos und die Korruption, welche die wesentlichen Merkmale der größten Stadt Afrikas sind.
Joseph dachte an die Schmutzpfade, die sich, breit wie Flussbetten, über die Strassen ziehen und während der tropischen Wolkenbrüche in der Regenzeit innerhalb von Minuten in Seen verwandeln können. Er dachte an die Stromversorgung, oder vielmehr das Nichtvorhandensein davon. In Ghana ist die Versorgung unregelmäßig, aber die Leute nehmen die Ausfälle wahr. In Lagos gibt es nur eine einzige Garantie in den kurzen Perioden, in denen die Lichter mal angehen: dass sie bald wieder aus sein werden.
Joseph meinte vielleicht auch die schweißtreibenden Staus in einem Verkehrssystem, dass meistens stillsteht und diejenigen, die Arbeit haben, dazu verdammt, stundenlang im Qualm kaputter Auspuffe zu ersticken. Die Menschen quetschen sich in Busse oder riskieren Leib und Leben, wenn sie die Okada fahren – Motorräder, die einzige Transportform, die sich viele Menschen leisten können und auf denen sich manchmal ganze Familien plus ihren Besitztümern unsicher festklammern.
Er mag sich auch auf die verknoteten Netze der Telefondrähte bezogen haben, die von den Masten an den Straßenseiten herabhängen und sicherstellen, dass das Telefonsystem, so wie alles andere, nicht funktioniert. Um die drei Millionen der 120-Millionen-köpfigen Bevölkerung haben Handys und müssen westliche Preise zahlen für die einzigen Kommunikationsmittel, die funktionieren.
Oder auf die Straßenkontrollen der Polizei, die wie Mautstationen aufgestellt sind und wo die Fahrer so lange aufgehalten werden, bis sie ein paar Naira Schmiergelder bezahlen. Die Polizei wird, wie der Rest der Gesellschaft, kaum bezahlt und bewusst gezwungen, in brutalisierenden Umständen zu leben. Dann werden sie mit ihren Maschinenpistolen nach draußen geschickt, um ihre Löhne aus der Bevölkerung zu pressen.
Ich hatte eine etwas direktere Erfahrung mit den Bedingungen, denen sich die Polizei gegenüber sieht, und mit der klapprigen aber brutalen Natur des Staates, als ich zusammen mit einem DSM- Mitglied kurzzeitig verhaftet und zu einer Polizeiwache gebracht wurde. Angeblich ging es um ein Verkehrsdelikt – und das in einer Stadt, in der wenig Regeln auf den Strassen herrschen und noch weniger befolgt werden. In Wirklichkeit war es, weil ein weißes Gesicht in einem solchen Stadtteil, wo keine Weißen leben, die Aussicht auf ein höheres Schmiergeld bedeutet. Der Parkplatz in dem schlammigen Hinterhof war vom Regen in kleine Hügel und Schluchten zerfurcht worden. Drinnen war es dunkel, schwer bewaffnete Polizei musste sich den Weg um ihren Baracken herum ertasten da sie nicht mit einem Generator ausgerüstet waren und mussten deshalb mit der stockenden staatlichen Elektrizitätsversorgung zurechtkommen. Wir wurden in einem großen Raum befragt, mit einem leeren Tisch, ein paar Gefangenen und einem bewaffneten, verschwommen sichtbaren Wächter am anderen Ende. Schließlich brachte ein Offizier einen Kerzenstummel mit und erledigte unter dessen flackernden Licht einigen Papierkram.
Das sind die Zustände in Lagos, das – mit der Ausnahme der Hauptstadt Abuja, dem Vorzeigestück – der am weitesten entwickelte Teil des Landes ist. Für die Masse der EinwohnerInnen in den ländlichen Gebieten und im Norden ist alles noch schlimmer. Dort gibt es keine Straßen, keine Elektrizität und nicht mal die Krümel des Schattens einer Infrastruktur wie sie in Lagos existiert.
Eine verfallende Gesellschaft
Das ist keine Gesellschaft, die sich entwickelt, sondern mehr ein Land, das sich mit immer größerer Geschwindigkeit auflöst. Der Prozess des Niedergangs ist von der neoliberalen Privatisierungsagenda beschleunigt worden, die von der gegenwärtigen Zivil- Behörde des ehemaligen Militärdiktators Obasanjo enthusiastisch begrüßt worden war. Staatliche Leistungen sind zurückgefahren worden. Es hat massive Stellenstreichungen im öffentlichen und privaten Sektor gegeben.
Das Pro-Kopf-Einkommen, das im Jahr 1980 1000 Dollar betragen hatte, ist heute auf 250 Dollar gefallen. 1998 lebten 48 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, heute ist ihr Anteil auf 70 Prozent angestiegen. Weniger als 10 Millionen Menschen haben Zugang zur Gesundheitsversorgung. In Lagos West gibt es z. B nur ein Krankenhaus für ca. drei Millionen Menschen. 24 Millionen hungern. 89 Millionen leben von weniger als einem Dollar am Tag. Die Lebenserwartung von Männern liegt zur Zeit bei 47, die von Frauen bei 52 Jahren; durch das auffällige Fehlen von alten Gesichtern auf den Straßen eine beunruhigend offensichtliche Tatsache. Statistiken wie diese sind der Grund dafür, dass die Weltbank Nigeria jetzt als das 13. ärmste Land der Welt führt.
Aber Nigeria ist nicht arm. Wie die umliegenden Länder, einschließlich und vielleicht vor allem Ghana, ist es fruchtbar und reich an Bodenschätzen. Öl ist der Schlüssel- Rohstoff. Nigeria hat zwischen 24 und 31,5 Milliarden Barrel erwiesene Reserven und zur Zeit produziert es über 2 Millionen Barrel am Tag. Das macht 98 Prozent seiner Exporteinkünfte aus. Es hat auch die zehntgrößten erforschten Gasreserven der Welt, ungefähr 300 Billionen Fuß Gas sind entdeckt worden.
Dieser Reichtum, vernünftig genutzt, würde ausreichen, um das Leben der nigerianischen Menschen umzuwälzen. Jetzt könnte für die Masse der NigerianerInnen, die nur Armut und den täglichen Kampf um Nahrung kennen, das Öl genauso gut auf dem Mond oder Mars liegen wie im Niger Delta. Das ist so besonders für die ethnischen Minderheiten wie die Ogoni, Ijaw, Itsekiri und viele andere, die die Bevölkerung des Deltas ausmachen.
Trotz des Ölsees unter ihrer Erde und an ihren Ufern ist die Delta-Region eine der strukturschwächsten und seine EinwohnerInnen gehören zu den ärmsten im Land. Es gibt keine ordentlichen Straßen. Die Gebiet erzeugt 80Prozent der Elektrizität des Landes und 70 Prozent seiner 3000 Gemeinden haben noch nicht mal die periodische Versorgung von Lagos, sie haben überhaupt keine Versorgung.
Alles was Öl für diese Menschen bedeutet ist Dreck und Umweltzerstörung.
Wie ein BBC-Reporter 2002 es ausdrückte: Der Ölreichtum aus Cabinda verkörpert mehr als 100 000 Dollar jedes Jahr für jeden Einwohner der Provinz. Es führt zu einer Art psychologischem Hunger wenn dein Haus Blick auf die Ölbohrinsel hat und du immer noch jeden Tag kämpfen musst um deine Familie zu ernähren.
Ölmultis
Nigeria ist reich und das Delta ist sicher verschwenderisch mit Rohstoffen und Naturressourcen ausgestattet. Trotzdem hat dies noch nicht mal minimale Auswirkungen, um die Armut der Menschen zu lindern, weil dieser Reichtum gestohlen wurde. Er wurde und wird gestohlen von Ölkonzernen durch ihr systematisches Ausplündern dieses Teils von Afrika. Seit der Unabhängigkeit wurde und wird es im Mobutu-Stil von korrupten Eliten, welche die Länder regiert haben, gestohlen.
Anglo-Dutch Shell treibt sich im Niger Delta seit 1927 rum und stellt immer noch 50 Prozent der Produktion nigerianischen Rohöls. Seit der Entdeckung großer Vorkommen in den Fünfzigern bekamen sie bei ihren Raubzügen Gesellschaft von ChevronTexaco, ExxonMobil, Haliburton, William Brothers, LitwinAgig, Total Fina, Elf Aquitaine, Bamboil, Statoil, Dietsman Comerint und SASOL.
Obwohl die Föderalregierung einen 55-prozentigen Anteil in den Joint Ventures hält blieb die wahre Macht bei den ausländischen Konzernen als die stärksten Partner. Vereinbarungen auf dem Papier über Ziele für die Einstellung einheimischer ArbeiterInnen werden systematisch ignoriert. Die technischen Arbeitsplätze gehen an ausländische ArbeiterInnen, so dass die Fähigkeiten, die gebraucht werden, um die Industrie am Laufen zu halten, außerhalb des Landes bleiben, ein Schutzwall gegen jede zukünftige Bedrohung von Verstaatlichung.
Die Ölgiganten haben ihre eigenen Gesetze. Sie stellen ihre eigene Polizei und Sicherheitsorganisationen ein, um Proteste zu unterdrücken und ihre Anlagen zu schützen.
Die Entdeckung von Ölvorkommen im Golf von Guinea und benachbarten Ländern heißt, dass diese ganze Region eine wachsende strategische Bedeutung für den Imperialismus bekommt, vor allem durch den Aufruhr im Irak und die Instabilität des Regimes in Saudi Arabien. Es wird erwartet, dass bis nächstes Jahr schätzungsweise 20 Prozent der US Ölimporte aus Afrika kommen werden.
Außer Nigeria, was schon jetzt ungefähr die Hälfte seines Öls an die USA liefert, gab es Entdeckungen im äquatorialen Guinea, Sao Tomé und dem Tschad. Die größte kommerzielle Investition in ganz Afrika ist ein 3,7 Milliarden-Dollar-Projekt von Exxon Mobil, um eine 1000 Kilometer lange Pipeline vom Tschad durch Kamerun bis an die Küste zu bauen. Es ist so als hätte der Imperialismus eine gigantische Spritze ins Herz des Kontinents gejagt um seinen Wohlstand auszusaugen.
Öl war der wahre Grund für George Bushs Besuch verschiedener afrikanischer Länder, inklusive Nigeria, im letzte Sommer. Die USA haben bereits eine kleine militärische Präsenz im Golf von Guinea mit einer Basis in Sao Tomé, aber aufgrund der Verzettelung ihrer Truppen im Irak und der Erinnerungen an ihren hastigen Abzug aus Somalia ein Jahrzehnt zuvor, werden sie sich eine direkte militärische Intervention in Westafrika zweimal überlegen.
Sie ziehen es zum jetzigen Zeitpunkt eher vor, das nigerianische Regime zu hofieren und sich darauf zu stützen, als eine regionale Supermacht um die Interessen des westlichen Kapitalismus in der Region zu sichern. Nigeria mag verrottete wirtschaftliche und politische Grundlagen haben ( seine spärlich ausgerüsteten, gering bezahlten Soldaten in Liberia werden mehr Zeit damit verbracht haben, Schmiergelder bei Straßensperren zu sammeln und zu plündern als mit friedenssichernden Maßnahmen ) aber verglichen mit seinen Nachbarn ist es ein militärischer und ökonomischer Koloss und ist das beste Mittel das Bush zur Verfügung steht, um die Interessen seiner Geldgeber aus der Wirtschaft zu schützen.
Die USA haben der Nigerianischen Marine Schiffe zur Verfügung gestellt um seine Küstengewässer und natürlich die Ölanlagen zu schützen. Sie sind bereit, Geld aufzubringen und Druck für UN- Hilfe zu machen um Nigeria zu helfen, Truppen an Brennpunkte wie Sierra Leone und Liberia zu schicken. Bei all dem ignorieren sie bewusst die wahre Natur des nigerianischen Regimes.
Korruption
Die herrschende Elite wird nur zu den Good Guys der Welt gezählt, weil sie bereit sind die Interessen des Westens zu verteidigen und als regionaler Polizist zu agieren. Die Korruption, die Unterdrückung und das Niederhalten demokratischer Rechte, ist vergessen und Nigeria wird zu den weltweiten Demokratien gezählt oder zumindest als eine Nation im Übergang zur Demokratie .
Faktisch ist das Hauptgeschäft der derzeitigen demokratischen Regierung, wie das der Militärjuntas die bis 1999 mit Ausnahme von zehn Jahren seit der Unabhängigkeit an der Macht gewesen waren, die Korruption. Die wichtigsten Ministerien die in Abuja arbeiten sind die Ministerien für Betrug, Erpressung und Diebstahl. Die Hauptaufgabe der Verantwortlichen ist es ihre Bezirke auszunehmen in dem sie das Geld, bestimmt für Straßen, Elektrizität, Schulen, und Krankenhäuser, auf ihre Auslandskonto verschieben.
Bei diesem heiklen Thema ist es schwierig, an präzise Daten für Korruption und Diebstahl zu kommen. Aber das Ausmaß ist kolossal. Paul Collier von der Oxford Universität hat geschätzt, dass sich bis 1998 70 Prozent des nigerianischen Privatvermögens – um die 107 Milliarden Dollar – außerhalb des Landes befand. Der Demokrat Obasanjo hat sich gegenüber seinen ehemaligen Militärkollegen gnädig erwiesen. Er hat festgelegt, dass dem verhassten ehemaligen Diktator Abacha erlaubt wird, 100 Millionen Dollar seines erbeuteten Geldes zu behalten. Babangida, ein anderes ehemaliges militärisches Staatesoberhaupt, besitzt immer noch seine 50 Zimmer-Villa im Staat Niger. Und für die Elite, die nun an der Macht unter Obasanjo ist, bedeutet Demokratie eine Lizenz um mit ihren Beutezügen fortzufahren wie immer.
Es ist kaum ein Wunder, dass nichts in Nigeria funktioniert. Nehmen wir das Öl als ein Beispiel. 400,000 Barrel am Tag dessen was produziert wird, ist für den Inlandsverbrauch bestimmt. Trotzdem muss Nigeria, der sechstgrößte Ölproduzent der Welt, sein Öl importieren. Für die meisten Nigerianer ist Öl nur auf dem Schwarzmarkt erhältlich, zu hohen inflationären Preisen.
Das Land hat vier Ölraffinerien gebaut, aber wegen Nachlässigkeit und Versäumnissen funktionieren sie nicht. Ein großer Teil des für den Inlandskonsum bestimmten Öls endet auf dem Schwarzmarkt. Einiges wird in benachbarte afrikanische Staaten geschmuggelt, wo es raffiniert und wieder zurück nach Nigeria verkauft wird.
Jeder, der versucht herauszufinden, wohin das Öl und die Öleinkünfte gegangen sind, wird einen schweren Job haben, die Wahrheit auszugraben. Einer der wenigen modernen Wolkenkratzer auf Lagos Island, dem kommerziellen Kern der Stadt, ist nun ein schwarzes ausgebranntes Gerippe. Bevor er plötzlich in Rauch aufging war er das Hauptquartier des Ölministeriums. Büros, Ausstattung und natürlich Aufnahmen wurden praktischerweise oder vielleicht absichtlich, von den Flammen aufgefressen.
Die derzeitige korrupte und autokratische Regierung gibt dem Begriff Demokratie ein dehnbare Bedeutung. Es ist wahr, dass zum ersten Mal in Nigeria eine Zivilregierung eine gesamte Amtsperiode überlebt, eine Wahl abgehalten hat und eine zweite Amtszeit eingegangen ist. Trotzdem sind die demokratischen Referenzen hauchdünn.
Wahlmanipulation
Die bundesweiten Wahlen im April 2003 waren alles andere als demokratisch. Es gab massiven Stimmenbetrug. Die 99,92 Prozent Stimmen für Obasanjo in seinem eigenen Bundesstaat Ogun, ein Ergebnis das ein Lächeln auf Stalins Lippen gezaubert hätte, gibt einen Eindruck davon wie die Befragung durchgeführt wurde.
In Lagos und im Bundesstaat Lagos traten Mitglieder der Democratic Socialist Movement (der Schwesterpartei der Socialist Party und der SAV) als KandidatInnen für die National Conscience Party (NCP) an. Die NCP ist eine radikal-populistische Partei, die gegen Korruption und auch gegen Privatisierung und andere Aspekte des neoliberalen Einheitsbreis auftritt. Sie genoss große Unterstützung unter der Arbeiterklasse, besonders in Lagos. Während der Wahlen sind 6000 Menschen, vor allem Arbeiterjugendliche, mobilisiert worden um für ihre KandidatInnen zu arbeiten.
Niemand mit dem ich gesprochen habe hatte irgendeinen Zweifel daran, dass die NCP mehrere Sitze im Senat in Lagos gewonnen hat, unter ihnen der Sitz in Lagos West wo das DSM- Mitglied Lanre Arogundade kandidiert hatte. Die meisten Leute waren auch davon überzeugt, dass die NCP zur stärksten Partei im ganzen Bundesland Lagos aufgestiegen war.
Nichts von dem hatte sich in dem offiziellen Ergebnis widergespiegelt. Die NCP hat eine beweiskräftige Dokumentation über den massiven Wahlbetrug erstellt. Die angewendete Methode war nicht besonders kompliziert. Die Zettel mit den echten Ergebnissen wurden schlicht durch die Zettel mit neuen ersetzt, die ganz andere Resultate angaben. Die Stimmen für die NCP wurden einfach weggewischt. Anstatt einen Sitz zu gewinnen bekam Lanre immerhin noch bedeutende 7763 Stimmen angerechnet – 9,6 Prozent der gesamten Stimmen in Lagos West – und er wurde Dritter.
Das ist Demokratie in Obasanjos Art und Weise. Obasanjo hat seine Ansichten und Vorbehalte über eine Mehrparteiendemokratie kundgetan: Was die Existenz mehrerer Parteien hervorgerufen hat ist größere Verwirrung Ich denke, dass sobald wir eine Wahl hätten zwischen einer oder zwei Parteien, besonders Parteien die keine ideologischen Differenzen haben, wäre das besser für das Land. Diese Meinung wurde bei den Wahlen in die Praxis umgesetzt indem die Stimmen für Parteien wie die NCP, die die demokratischen Regeln gebrochen haben indem sie ideologische Differenzen hatten, hinterhältig von den Listen gelöscht wurden.
Nigerias Demokratie bedeutet, dass die Regierung sich ein ziviles Gewand gibt, aber Militärmethoden anwendet. Diese Regierung wird wie ihre militärischen Vorläufer von einem Ex-Diktator, Angebern und Wichtigtuern geführt. Alle Militärregimes bauen sich gerne Denkmäler. So ist das Nationaltheater auf einem Hügel nahe des Zentrums von Lagos plaziert, wo es sich von der Skyline absetzt. Es wurde unter Militärherrschaft gebaut und absurderweise in der Form des Hutes eines Armeeoffiziers konstruiert!
Das Obasanjo-Regime hat genauso seine Prestige-Objekte. Ein 330 Millionen Dollar- Nationalstadion wird gerade in Abuja gebaut. Kurz nach ihrer Machtübernahme 1999 startete diese Regierung das Nigeriasati-Projekt, Nigerias eigenes 94 Millionen Dollar- teures Raumfahrtprogramm. Während ich dort war, wurde der erste Satellit des Landes gerade für den Abschuss fertiggestellt. Sein Zweck, abgesehen von militärischer Nutzung, ist angeblich das „disaster monitoring“. Wenn man in Nigeria lebt braucht man nicht den Weltraum zu erobern um Katastrophen aufzudecken. Ich musste daran denken, dass es billiger für die Regierung gewesen wäre ihre Augen für das irdische Chaos um sie herum zu öffnen!
Militärregierung hinter ziviler Fassade
In einem Land wie Nigeria, wo die Mehrheit der Bevölkerung am Existenzminimum lebt und alles immer schlechter statt besser wird, ist eine stabile und beständige Demokratie auf kapitalistischer Basis unmöglich. Ob eine Regierung vom Militär oder aus rechten Parteien gebildet wird, sie kann keine wirkliche Verankerung oder Basis innerhalb der Gesellschaft haben, außer durch ihre Stammeswurzeln. Sie kann nur das Land zusammenhalten und weiter durch Zwang herrschen.
In den ersten vier Jahren der Obasanjo-Regierung tötete die Polizei über 4000 Menschen und die Armee noch viel mehr. Im Oktober 2001 kamen neunzehn Soldaten bei Zusammenstößen im Bundesstaat Benue um. Die Armee antwortete mit einem Massaker an 200 DorfbewohnerInnen. Obasanjo wurde später in einem Interview für ein Special der Financial Times gefragt, ob dies gerechtfertigt werden könne.
Er antwortete: Sie erwarten doch nicht von mir, dass ich meine Hände in den Schoß lege und nichts tue, denn sonst werden morgen weder Soldaten noch die Polizei irgendwo hingehen wenn ich sie losschicke. Ich habe Soldaten eingesetzt. Wenn Sie Soldaten entsenden gehen die nicht zu einem Picknick. Auf die Frage, ob die Soldaten nichts desto trotz überreagiert hätten führte er aus: Aktion und Reaktion sind nicht immer gleich und entgegengesetzt. Es gibt Übereinstimmungen und Widersprüche in der Physik. In der menschlichen Natur ist die Reaktion immer mehr als die Aktion.
Die Militärintervention ist immer öfter die einzige Option, die der Regierung bleibt wenn nationale Spannungen und Konflikte ausbrechen. Nigeria ist ein Kessel von mindestens 240 nationalen und ethnischen Gruppen. Es nicht überraschend, dass sich unter den Bedingungen der wachsenden Verarmung der Masse der Bevölkerung die blutigen zwischenethnischen Konflikte verschärft haben.
Von den 10 000 Menschen, die während Obasanjos erster Amtszeit ums Leben kamen, starb die Mehrheit in solchen Konflikten. Die Auseinandersetzungen zwischen Christen und Moslems, entbrannt durch die Einführung der Scharia in einer Reihe von Bundesstaaten im Norden, hat zu Tausenden Toten geführt. Es gab Pogrome gegen Angehörige von Minderheitenstämmen, die nach Lagos umgezogen waren. Vor kurzem gab es eine fast bürgerkriegsähnliche Situation in der ölerzeugenden Warri-Region im westlichen Delta. 400 wurden dort in Kämpfen zwischen den drei ansässigen ethnischen Gruppen gegen Ende des letzten Sommers umgebracht.
Die militärische Strategie der harten Hand die reflexartige Reaktion des Bundessstaates- sind keine Antwort. Interventionen der Marine und der Armee in Warri haben keine Lösung gebracht. Chevron und Shell sahen sich gezwungen, das Gebiet zu evakuieren und die Ölförderungen im westlichen Delta wurden um 40 Prozent zurückgefahren.
Überraschend ist nicht, dass Tausende in blutigen ethnischen Zusammenstößen sterben, sondern dass Nigeria, ursprünglich eine künstliche Schöpfung des britischen Imperialismus, die letzten 44 Jahre nach der Unabhängigkeit zusammengehalten hat. Obwohl es Hunderte von nationalen Gruppen gibt, dominieren drei: die Yoruba im Südwesten, die Igbo in der östlichen Region und die Hausa-Fulani im Norden. Es gab und gibt mächtige sezessionistische Bewegungen, vor allem der blutige Biafran – Bürgerkrieg in den Sechzigern als die Igbo-Militärelite versuchte, die östliche Region abzuspalten und einen Konflikt anstieß, in welchem bis zu einer Million Menschen starben.
Immer noch hält das Land zusammen, wenn auch so gerade eben. Das Militär, dass die Rechte der Nationalitäten und der Minderheiten beschränkt und knebelt, ist ein Faktor. So ist es paradoxerweise das Öl, sowohl die Quelle großer Konflikte, besonders unter den Stämmen im Delta, als auch eine Barriere dafür, wie weit die Bewegungen der Hauptgruppen in Richtung Unabhängigkeit gehen konnten.
Das gemeinsame Problem der Yoruba, Hausa oder Igbo sind die Ambitionen auf einen eigenen Staat und dass ihre traditionellen Gebiete nicht die Delta- Region und das Öl beinhalten. Ohne dass eine Bewegung für eine Abtrennung irgendwie auch zu einem Krieg zur Eroberung des Deltas wird, würde jeder abgespaltenen Staat ein Staat ohne Öl sein. Das Igbo-Territorium liegt dem Delta am nächsten, aber während des Biafran-Konfliktes neigten die Minderheiten dort dazu der Bundesregierung beizustehen weil sie sich nicht unter der Knute eines Igbo Staates stellen wollten.
Nigeria ist wie eine gewaltige instabile Masse, die die ganze Zeit am Rand einer Explosion pendelt, die sie hinwegfegen würde, aber durch einen Balanceakt zwischen den Eliten der größten drei Nationalitäten in einem wackligen Gleichgewicht zusammengehalten wird. Das kann so in der derzeitigen chaotischen Form eine zeitlang weitergehen, aber auf der Basis einer sich vertiefenden wirtschaftlichen Krise kann das Gleichgewicht schnell zusammenbrechen.
Ein Auseinanderbrechen des Landes auf kapitalistischer Basis wäre eine blutige Angelegenheit. Ernsthafte Versuche einer der drei Hauptgruppen könnte nicht einen, sondern eine Serie von Bürgerkriegen auslösen. Der Zusammenbruch Jugoslawiens könnte ein politischer Bezugspunkt sein, aber wegen der verzweifelten sozialen Situation käme der Völkermord in Ruanda dem Ausmaß dessen, was passieren würde, näher.
Kapitalismus bedeutet Horror ohne Ende. Nigeria ist ein lebendiger Beweis dieser Tatsache. Aber es gibt auch eine andere, positive Seite. Abgesehen von seiner Rolle beim Misshandeln, Bedrohen und Terrorisieren der Menschen gibt es im Grunde keinen Staat in Nigeria.
Die Menschen sind weitestgehend auf sich selbst gestellt um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen. Wenn sie Wasser wollen müssen sie einen Brunnen bis zum Grundwasserspiegel bohren. Wenn sie dauernde Stromversorgung wollen müssen sie sich einen Generator besorgen. Und so weiter.
Wie auch immer kommen die Leute irgendwie zurecht. Das einzig Positive in Nigeria ist die pulsierende Energie und der Einfallsreichtum seiner EinwohnerInnen. Wenn ein Ausweg gefunden werden soll aus dem Desaster dass der Imperialismus und einheimische Kapitalismus in diesem Land geschaffen haben, können nur die unterdrückten Massen, geführt von der Arbeiterklasse, dafür sorgen.
Gewerkschaftsbewegung
Trotz des Stellenabbaus gibt es eine starke Arbeiterklasse und eine nach wie vor starke Gewerkschaftsbewegung Der Nationale Arbeits-Kongress (NLC), das Koordinierungs-Gremium der Gewerkschaften, spricht von eine Mitgliedschaftszahl von ca. 4 Millionen. Obwohl das nur 10 Prozent der Arbeiterschaft sind, ist es immer noch eine Errungenschaft angesichts der sozialen Bedingungen und dem Mangel an Infrastruktur, der jede Art von Organisation schwierig macht.
Wenn die organisierte Arbeiterklasse in Aktion tritt vereinigt sie alle unorganisierten und alle anderen unterdrückten Schichten hinter sich. Die Kampfkraft der Arbeiterklasse hat sich wiederholt im Widerstand gegen die neo-liberalen Angriffe der Regierung gezeigt.
Es hat Streiks in den meisten Wirtschaftbereichen gegeben. Letztes Jahr hatten die UniverstitätsdozentInnen für fast sieben Monate gestreikt und einige haben in diesem Akademischen Jahr weitergemacht. Während meines Besuchs gab es eine bittere und gewalttätige Auseinandersetzung mit ÖlarbeiterInnen, die sich mit den ausländischen Konzernen angelegt hatten mit der Forderung nach Einstellung einheimischer ArbeiterInnen.
Am bedeutendsten waren die drei Generalstreiks in einem Zeitraum von drei Jahren, die in den größten, stabilsten und erfolgreichsten Streik gegen den Anstieg der Ölpreise im Vorfeld von Bushs Besuch im letzten Juli mündeten. Der Streik wurde im ganzen Land strikt befolgt: Fabriken und Büros waren geschlossen, der Transport ist zum Stillstand gekommen, Geschäfte geschlossen, sogar die Markthändler und zahllosen Straßenverkäufer machten mit. Er vereinigte arbeitende und unterdrückte Menschen aller Nationalitäten und ethnischen Gruppen und demonstrierte die einzigartige Fähigkeit der Arbeiterklasse die sonst unlösbaren nationalen Probleme in den Hintergrund zu drängen und vielleicht sogar zu überwinden.
Seitdem hat die Regierung einige Versprechungen bezüglich der Ölpreise gebrochen und die NLC-Führung musste auf den wütenden Druck von unten etwas tun und zwei weitere Generalstreiks ankündigen, einen im Oktober letzten Jahres und im Januar diesen Jahres. Beide sind von den NLC- Führern im letzten Moment abgesagt worden. Sie strichen den Oktoberstreik wegen der Versprechung von Zugeständnissen, die nicht eingeräumt wurden. Der letzte Streik wurde abgesagt nachdem die Regierung ein sehr begrenztes Zugeständnis bezüglich der Benzinsteuern gemacht hatte, was aber das Hauptproblem, den in die Höhe schnellenden Benzinpreis, nicht beseitigte.
Die ArbeiterInnen haben ihre Kampfkraft entgegen allen Hindernissen gezeigt. Was sie brauchen ist eine entschlossene, kämpfende Führung. Sie brauchen auch eine politische Organisation die eine Alternative zu der rechten Politik nicht nur Obasanjos, sondern aller seiner Hauptfeinde, anbieten kann.
Demokratische Sozialistische Bewegung – Democratic Socialist Movement
Die Democratic Socialist Movement (DSM) kämpft für ein sozialistisches Nigeria als einzigen Ausweg aus dem gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Albtraum. In Nigeria ist der Kampf um Wasser, Elektrizität, für sanitäre Einrichtungen und genug Nahrung der Kampf um Sozialismus. Der einzige Weg, diese Dinge zur Verfügung zu stellen, wäre, den Reichtum dieses Landes aus den Händen der Diebe zu nehmen, ob in- oder ausländisch, und in die Hände des Volkes zu legen. Wären die Ressourcen, der öffentlichen Dienst, die Hauptindustrien und Banken in öffentlichem Eigentum und würden demokratisch von der Arbeiterklasse betrieben, würde man leicht sehen wie dramatische Verbesserungen der sozialen Bedingungen und Lebensstandards sehr schnell bewerkstelligt werden könnten.
Die DSM konnte beachtliche Unterstützung für die Idee des Sozialismus aufbauen. Ihre Verankerung in den Gewerkschaften, Betrieben und Gemeinden wurde sogar von der NLC-Führung anerkannt, die Lagos zur Vorbereitung des für Oktober geplanten Generalstreiks in vier verschiedene Gebiete eingeteilt hatte und DSM- Mitglieder in die Verantwortung für zwei dieser Gebiete einsetzte.
DSM Mitglieder sind auch in der Führung der National Conscience Party in Lagos, sehr wichtige Positionen angesichts der Basis die diese Partei in der Arbeiterklasse und der Jugend hat. Diese ganze Arbeit spiegelte sich bei der DSM Konferenz wieder, an der ich teilnahm. Um die 120 Delegierte und Besucher nahmen teil, ein bedeutende Errungenschaft wenn man die Transport- und Kommunikationsprobleme bedenkt. Es waren Arbeiter, Jugendliche, Menschen verschiedener Nationalitäten und ethnischen Hintergründen und eine Anzahl von Arbeiterfrauen, was bedeutsam ist in einem Land wo Frauen zweifach unterdrückt sind.
Abgesehen von der Konferenz war es mir möglich zu reisen und die Arbeit der DSM vor Ort zu sehen. Die öffentliche Veranstaltung im Ajegunle-Bezirk, eines der verarmtesten Slum-Viertel Lagos`, wo ich sprach, war unvergesslich.
Das Treffen wurde im Freien abgehalten, an einer Straßenecke direkt an einer der unpassierbaren dreckigen Straßen, die durch das Zentrum dieses belebten Viertels führen. Auf der anderen Seite war ein verwahrlostes Grundstück mit Häusern, die vor kurzem in den letzten ethnischen Auseinandersetzungen zerstört worden und noch nicht wieder aufgebaut worden waren. Zwischen zwei Holzhütten, die als Läden dienten, war ein Draht mit einer einzige Glühbirne gespannt. Menschen auf Motorrädern, barfüßige Kinder, Frauen die Essen und Wasser trugen liefen aus beiden Richtungen vorbei.
Trotzdem hörten mehr als 40 Menschen aus dem Viertel dem Sprecher und der folgenden Diskussion in gespannter Aufmerksamkeit zu. Das Treffen fand am Vorabend der Müllsteuerschlacht in Dublin statt und als ich diese Kampagne erwähnte gab es ein plötzliches und spontanes Aufbranden von Applaus. Die Idee dass ArbeiterInnen im privilegierten Westen bereit waren zu kämpfen war sehr inspirierend für dieses Publikum. Die Tatsache, dass BewohnerInnen in einem der ärmsten Stadtteile von Lagos, deren meiste Energie für den Überlebenskampf aufgezehrt wird, nach sozialistischen Ideen dürsten, sollte für die Arbeiterklasse und die Jugend hier noch inspirierender sein.
Aus Socialist Review No.12, Magazin der Socialist Party, der Sektion des CWI in Irland
Übersetzung: Conny Dahmen