Mit Abwanderungsdrohungen und -plänen werden Arbeitsbedingungen und Arbeitsplätze angegriffen
Die Drohung, Arbeitsplätze ins Ausland zu verlagern, wenn Beschäftigte nicht bereit sind, auf Einkommen zu verzichten oder unbezahlte Mehrarbeit zu akzeptieren, wird lauter. Was ist dran an der Drohung, die Arbeitsplätze zu verlagern – rettet Lohnverzicht Arbeitsplätze?
Seit Anfang der 80er stagnieren die Reallöhne. Steuern, Abgaben und Beiträge zur Sozialversicherung sind angestiegen. Mit der Ausdehnung der Leiharbeit, den verschärften Zumutbarkeitsregelungen für Erwerbslose, mit den „Ich-AGen“ und den Personal-Service-Agenturen (Leiharbeitsfirmen im Auftrag des Arbeitsamtes) sind ganze Niedriglohn-Sektoren geschaffen worden. Die Einkommen der Unternehmer und Aktionäre stiegen, der Anteil der abhängig Beschäftigten am Volkseinkommen, die sogenannte Lohnquote, ist zwischen 1982 und 2002 von etwa 72 Prozent auf 62 Prozent gefallen. Mindestens 15 Jahre wird schon Lohnverzicht geübt. In dieser Zeit ist die Arbeitslosigkeit auf Rekordhöhe gestiegen. Lohnverzicht hat weder neue Jobs geschaffen noch eine einzige Pleite verhindert.
Wo sind sie geblieben?
Auch wenn die Unternehmer oft nur mit Abwanderung drohen, um Belegschaften einzuschüchtern: Verlagerungen von Betrieben zum Beispiel in die Nachbarländer Polen oder Tschechische Republik nehmen zu. Hierbei spielt neben Faktoren wie Marktnähe oder günstigen Mieten auch die Löhnhöhe eine große Rolle.
Gäbe es allerdings eine Verlagerung weil deutsche – oder wahlweise französische, belgische, japanische – ArbeitnehmerInnen zu teuer sind, dann müsste es in anderen, billigeren Ländern einen Zuwachs an Arbeitsplätzen geben. Das ist nicht der Fall. Die Arbeitslosigkeit steigt auch in Ländern, in denen das Lohnniveau wesentlich niedriger liegt.
Denn die kapitalistische Marktwirtschaft befindet sich in einer tiefen strukturellen Krise. Die Konkurrenz zwischen den Unternehmen ist schärfer geworden, die Zahl der Pleiten nimmt zu – ungeachtet der Lohnhöhe. Es existieren gewaltige Überkapazitäten, nicht weil die Produkte nicht gebraucht würden, sondern weil sie nicht verkauft werden können. Die Absatzmärkte wachsen nicht oder zu langsam, neue werden nicht erschlossen. Diese Krise wirkt sich in allen Ländern aus, in den verarmten Ländern und den inzwischen abgestürzten Schwellenländern noch viel schärfer als in den „Hochlohnländern“.
Nur eine geplante Wirtschaft, in der die Bedürfnisse der Menschen die Grundlage bilden und in der gemäß den ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen demokratisch entschieden wird, kann hier einen Ausweg anbieten: Befreit von der Diktatur des Profits können Arbeitsplätze erhalten und neue geschaffen werden – denn Bedarf an Krankenhäusern, an Wohnungen, an sozialen Einrichtungen, an Straßenbahnen und so weiter gibt es mehr als genug.
Doch dazu ist die kapitalistische Wirtschaft nicht in der Lage. Und in dieser Misere ist die Angst vieler ArbeitnehmerInnen verständlich, ebenso ihr Wunsch, alles zu tun, um den Arbeitsplatz zu retten. Aber Lohnverzicht ist keine Lösung dieses Problems. Dadurch wird ein Unterbietungswettlauf in Gang gesetzt: wenn heute die Beschäftigten hier Teile ihres Einkommens dem Chef schenken, können morgen die Bosse in Polen oder der Tschechischen Republik argumentieren: „Ihr seid nicht mehr günstig genug, die Deutschen holen auf, wir müssen leider die Löhne senken um konkurrenzfähig zu bleiben.“ Konsequent zu Ende gedacht hätten wir weltweit ostasiatische Löhne und Arbeitsbedingungen: Ein Dollar am Tag und abgeschlossene Türen, damit keine/r vor der Arbeit flieht. Das würde die Krise des Kapitalismus nicht ent-, sondern gewaltig verschärfen.
Geschäftsbücher öffnen!
Erste Gegenmaßnahme der Gewerkschaften muss eine Aufklärungskampagne sein, um die Beschäftigen mit Gegenargumenten auszustatten. Wenn ein Unternehmer mit Verlagerung droht, dann müssen die Beschäftigten die Möglichkeit haben, die Lage des Unternehmens zu prüfen – droht tatsächlich die Pleite, wenn das Weihnachtsgeld ausgezahlt wird? Was ist mit den Gewinnen der letzten Jahre passiert? In kleineren Unternehmen ahnen Beschäftigte schon, wie es läuft, wenn von „Gürtel enger schnallen“ die Rede ist und der neue Porsche vom Chef vor der Tür steht.
Die „Ford Post“, Zeitung kritischer Ford-Arbeiter aus Köln, schreibt in einem Kommentar zu den jüngsten vom Betriebsrat mitbeschlossenen Kürzungen beim Autobauer: „In einem Flugblatt, das von Betriebsrats-Kollegen verfasst wurde, steht: ‚die Arbeitnehmer wissen, dass die Situation bei Ford nicht rosig aussieht.‘ Kollegen, wir wissen das nicht. Die Betriebsleitung sagt euch, dass die Situation schlecht ist und ihr gebt das ungefragt weiter … Es heißt, Ford hat 1,2 Milliarden Euro Verluste gemacht. Man verlangte von uns Überstunden, die haben wir geleistet; Wochenendarbeit wurde verlangt, wir haben am Wochenende gearbeitet … Seit Jahren haben wir ständig abgegeben, gedankt wurde es uns nicht … Für die Fehlplanung des Vorstands und seine angeblichen Verluste bekommen wir die Quittung.“ (Ford-Post, Nr. 4, März 04).
Die Fakten müssen auf den Tisch, die Geschäftsbücher müssen vollständig offen gelegt werden, damit die ArbeiterInnen die Chance haben, die Angaben zu überprüfen.
Wenn ein Betrieb mit Verlagerung der Produktion droht, dann muss im Gegenzug mit Enteignung gedroht werden: Solche Betriebe in öffentliches Eigentum zu überführen und dafür Druck zu entfalten. Ein Mittel, um diesen Druck zu erreichen, ist die Betriebsbesetzung. Sie versetzt die Beschäftigten in die Lage, die Produktion unter eigener Kontrolle fortzuführen.
Internationale Solidarität
Die Unternehmer versuchen uns damit zu erpressen, dass in anderen Ländern angeblich oder tatsächlich günstiger produziert wird. Dieser Unterbietungswettlauf zwischen den Beschäftigten in verschiedenen Ländern muss beendet werden. Die Gewerkschaften wurden gegründet, um die Konkurrenz unter den Beschäftigten abzuschaffen. Der Kampf gegen international operierende Konzerne kann heute nur erfolgreich sein, wenn er international geführt wird. Wenn ein Werk verlagert werden soll, muss der Kontakt zu den KollegInnen im „Zielland“ hergestellt werden, um einen gemeinsamen Kampf zu führen. Statt Spirale nach unten brauchen wir den gemeinsamen Kampf für die Anhebung der Löhne.
Weltweit ist die Produktivität gewachsen. Davon haben alleine die Kapitalbesitzer profitiert. Für uns hat sich diese Vermehrung von gesellschaftlichen Reichtum in Massenarbeitslosigkeit ausgedrückt, weil weniger ArbeiterInnen gebraucht werden. Darauf kann es nur eine Antwort geben: Verteilung der vorhandenen Arbeit auf alle, bei vollem Lohnausgleich.
Die derzeitigen Gewerkschaftsspitzen sehen sich oftmals als „Co-Manager“, die mit den Banken und Konzernen „ihres“ Landes übereinstimmen, den „Standort Deutschland“ durch Lohnzurückhaltung zu sichern. Sie haben die Internationalisierung von Kämpfen nicht gefördert, sondern behindert. Daher ist es nötig, Initiativen im Betrieb selbst zu ergreifen und die KollegInnen in den Nachbarländern zu kontaktieren. Dass dies möglich ist, haben die länderübergreifenden Streiks der Renault-Beschäftigten in Frankreich, Belgien und Spanien Ende der 90er Jahre gezeigt.
Internationale Solidarität ist keine nette Parole für Sonntagsreden, sondern praktische Notwendigkeit im globalisierten Kapitalismus.
von Claus Ludwig, Köln