In den Worten der US-Wissenschaftlerin Rani Masri ist der Krieg nicht vorbei: „Der Krieg ist nur in eine andere Phase getreten – die Besatzung des Irak und die Invasion der Konzerne“ (Joachim Guilliard in „zeitung gegen den krieg“, Nr.16). Und tatsächlich hat sich die Lebenssituation der irakischen Bevölkerung seit dem Regimewechsel im Frühjahr 2003 nicht verbessert, sondern verschlechtert. Die Entwicklungen im Irak zeigen, dass das kapitalistische System Krieg, Elend und Horror ohne Ende bedeutet.
„Wenn Sie heute durch den Irak reisen, werden Sie fast vor jeder Tankstelle kilometerlange Autoschlangen sehen. Und das in einem Land, das über die zweitgrößten Ölreserven weltweit verfügt, und das derzeit Treibstoff importieren muss. Sie werden ein Land sehen, dass trotz dieses Reichtums keinen Strom und kein fließendes Wasser hat. Sie werden ein Land sehen, in dem in die Leichenhallen der Hauptstadt jeden Morgen zwanzig bis dreißig neue Mordopfer eingeliefert werden.“ (Robert Fisk, Korrespondent der britischen Tageszeitung „Independent“ im junge Welt-Interview, 3. Februar 2004)
60 Prozent der irakischen Familien sind von den UNO-Lebensmittelprogrammen abhängig. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 70 Prozent. In Bagdad funktionieren die Telefone weiterhin nicht. Oft gibt es tagelange Unterbrechungen der Strom- und Wasserversorgung. Der Durchschnittslohn für diejenigen, die Arbeit haben, liegt unverändert seit Kriegsbeginn bei 60 Dollar monatlich. Heute gibt es aber höhere Preise, weil zum Beispiel Nahrungsmittel- und Mietsubventionen vom Besatzungsregime gestrichen wurden. So liegt der Brotpreis vier mal höher als vor Kriegsbeginn.
Die Besatzungsmächte haben ein drastisches Privatisierungs- und wirtschaftliches Liberalisierungsprogramm durchgesetzt. Kapitalsteuern und Zölle wurden erheblich gesenkt. Mit der Verfügung Nummer 39 erlaubte die Besatzungsbehörde, irakische Unternehmen zu 100 Prozent an ausländische Eigentümer zu verkaufen und den Transfer der Profite ins Ausland vorzunehmen. Davon ist nur die Öl- und Gaswirtschaft ausgeschlossen. 200 Staatsunternehmen aus anderen Bereichen wurden schon für diese Privatisierung ausgewählt, darunter Schwefelminen, Arzneimittelfabriken und die irakische Luftfahrtgesellschaft.
Dieses imperialistische Wirtschaftsprogramm der Besatzer veranlasste die globalisierungskritische Autorin Naomi Klein zu der Aussage: „Selbst wenn morgen der letzte Soldat aus dem Golf verschwindet und eine souveräne Regierung an die Macht kommt, wird der Irak besetzt bleiben. Durch Gesetze, die im Interesse eines anderen Landes gemacht wurden, durch ausländische Konzerne, die entscheidende Dienstleistungen des Landes kontrollieren.” (zitiert nach Joachim Guilliard in „zeitung gegen den krieg“, Nr.16)
Gewerkschaftlicher Protest wird unterdrückt
In Reaktion auf diese soziale Verelendung der irakischen Bevölkerung gibt es viele, von den westlichen Medien meist totgeschwiegene, soziale Proteste und Streiks von ArbeiterInnen. Gewerkschaften werden ebenfalls gebildet.
Doch auch diese sind Opfer von Unterdrückungsmaßnahmen der Besatzungsmächte. So gab es Razzien und Verhaftungen durch britische und amerikanische Soldaten gegen die Irakische Föderation der Gewerkschaften und gegen die Union der Arbeitslosen im Irak. Die Besatzer nutzen bei der Unterdrückung von gewerkschaftlichem Widerstand Gesetze aus der Saddam-Diktatur, so zum Beispiel ein Verbot von Gewerkschaften in der Erdölindustrie.
Im Juni letzten Jahres erließ der Besatzungschef Paul Bremer eine Verordnung, in der Streiks und andere, die Produktion störende Aktivitäten in wirtschaftlich relevanten Betrieben illegalisiert werden. Zuwiderhandlungen sollen mit Verhaftungen geahndet – und die Verhafteten als Kriegsgefangene behandelt werden! (Quelle: „Keine Demokratie für Gewerkschaften“ von Anton Holberg in SoZ, Februar 2004)
Dilemma für die USA
Während die irakische Bevölkerung unter der Besatzung leidet, stehen die Besatzer vor einem Dilemma anderer Art. Bush und Blair haben die Ziele, die sie mit dem Überfall auf den Irak verbanden, nicht erreicht. Im Gegenteil: sie geraten mehr und mehr in einen Sumpf von militärischem Widerstand und Opfern, Verlust an Glaubwürdigkeit, steigenden Besatzungskosten und Destabilisierung des Irak, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint.
Peter Taaffe, Generalsekretär der Socialist Party in England und Wales zitierte in diesem Zusammenhang den König Pyrrhus aus der griechischen Mythologie: „Noch so ein Sieg und wir sind am Ende.”
Tatsächlich hat der Sieg über Saddam keinen Domino-Effekt im Nahen und Mittleren Osten ausgelöst und zu Regimewechseln in anderen Ländern geführt. Ebenso wenig hat die Kontrolle über die irakischen Ölquellen bisher den Ölpreis fallen lassen. Und die USA konnten ihre Dominanz und ihren Führungsanspruch nicht gegen ihre imperialistischen Konkurrenten Deutschland, Frankreich, Russland ausbauen. Stattdessen sind die Kriegstreiber mit wachsender Opposition in ihren Heimatländern und mit wachsendem Widerstand im Irak konfrontiert.
Lügenbarone Bush & Blair
Das erste Opfer des Krieges ist die Wahrheit – dieses Sprichwort ist so alt, wie es wahr ist. Doch in kaum einem Krieg zuvor wurden die offiziellen Kriegsgründe so schnell als Lügenpropaganda der kriegführenden Mächte entlarvt. Bis heute wurden im Irak keine Massenvernichtungswaffen gefunden. Bush und Blair mussten parlamentarische Untersuchungskommissionen einrichten, um dem Druck in dieser Frage nachzugeben.
Der ehemalige US-Finanzminister Paul O’Neill erklärte öffentlich, dass es schon vor dem 11. September 2001 den Plan eines Sturzes von Saddam in der US-Regierung gab und dass weder der Anschlag auf das World Trade Center noch angebliche Massenvernichtungswaffen der Grund für den Krieg waren.
In Großbritannien zeigte sich eine Mehrheit der Bevölkerung mit dem „Freispruch” der Blairregierung in der Hutton-Untersuchungskommission unzufrieden. Immer mehr Menschen haben erkannt, worum es im Irak-Krieg ging: um den Sturz eines Regimes, dass nicht (mehr) verlässlich für die USA war und um die Kontrolle über die riesigen irakischen Ölvorkommen.
Nun behaupten die Kriegstreiber, dass ihr Vorgehen auch ohne die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak richtig gewesen sei, denn Saddam sei ein gefährlicher Mann gewesen und die Welt sei heute ein sichererer Ort. Dabei verheimlichen sie, dass sie selber die Saddam-Diktatur bis zur irakischen Invasion in Kuwait finanziell, militärisch und politisch stützten. Denn in den 80er Jahren war Saddam „ihr Gauner”, der Krieg gegen die drohende Ausbreitung der islamischen Revolution führte, was wiederum den Interessen des Westens entsprach.
Da wurde dann auch über die Giftgasangriffe des Diktators gegen die kurdische Bevölkerung im Irak im April 1987 und März 1988 hinweg gesehen – und der Irak erhielt noch im Juli 1988 einen Großkredit durch die Bundesrepublik Deutschland. Keine der kapitalistischen Regierungen der USA, Großbritanniens, Frankreichs oder auch Deutschlands hat Probleme mit Diktaturen, so lange diese sich nicht gegen die Interessen der reichen und mächtigen Staaten richten.
Widerstand im Irak
Die Festnahme Saddam Husseins im Dezember war ein wichtiger Erfolg für Bush und Blair. Sie versuchten in einer großangelegten Propagandakampagne die Botschaft zu verbreiten, dass es nun kein Zurück zum alten Regime geben könne und der Widerstand gegen die Besatzung ein Ende finden würde. Das Gegenteil ist der Fall.
Die Financial Times Deutschland stellte am 13. Februar 2004 fest: „Gewalt in Irak eskaliert seit Jahresbeginn.” Die Zeitung zitiert einen vertraulichen Bericht der US-Hilfsorganisation US-Aid, der in „krassem Gegensatz zu öffentlichen Äußerungen der amerikanischen Behörden, die von zunehmender Sicherheit sprechen”, steht.
Nach Angaben von US-Aid ist die Zahl der Anschläge im Januar deutlich gestiegen. Kein Wunder, denn erstens deuteten schon die Umstände von Saddams Verhaftung in verwahrlostem Zustand in einem Erdloch (gehen wir mal davon aus, dass dies keine US-Inszenierung war, was auch nicht ausgeschlossen ist) darauf hin, dass er nicht der Untergrund-General der Widerstandsaktionen war. Und zweitens hat der Bagdader Politik-Wissenschaftler Hassan Al Ani Recht, wenn er sagt, es gehe beim bewaffneten Widerstand „nicht um Unterstützung von Saddam, sondern gegen die Besatzungsmächte. Die Gegner der Besatzung können jetzt kämpfen, ohne für Unterstützer von Saddam gehalten zu werden.” (zitiert in junge Welt vom 20. Dezember 2003)
Der bewaffnete Widerstand wird von unterschiedlichen Gruppen getragen, nicht nur von Anhängern des alten Regimes. Es soll 15 verschiedene bewaffnete Gruppen geben, die unterschiedliche ideologische, regionale oder religiöse Ursprünge haben. (Süddeutsche Zeitung vom 16. Dezember 2003)
Die CIA schätzt die Zahl der direkt am Widerstand beteiligten auf 50.000. Darunter sind verschiedene islamistische Gruppen, Unterstützer der Baath-Partei und kleinere linke Gruppen. Auch wenn es sich nicht um eine bewaffnete Massenbewegung gegen die Besatzung handelt, so können sich diese Gruppen doch auf die weit verbreitete Ablehnung der Besatzung in der irakischen Bevölkerung stützen. Je länger die sozialen Probleme nicht gelöst werden, je häufiger die Besatzungstruppen mit Brutalität gegen IrakerInnen vorgehen, je länger demokratische Rechte verwehrt werden, desto mehr werden die Widerständler als Befreier betrachtet werden, selbst wenn sie selber eine reaktionäre Politik vertreten und sich, wie im Falle der Islamisten, gegen die Rechte von Frauen stellen oder streikende Gewerkschafter angreifen.
Wie weiter?
Die USA sind auf der verzweifelten Suche nach einer „Exit-Strategie“, einem Weg, Truppen aus dem Irak abzuziehen und ein Regime zu installieren, das formell unabhängig doch die Interessen des US-Imperialismus im Irak vertreten und dem US-Militär die Aufrechterhaltung wichtiger Militärstützpunkte ermöglichen würde.
Das erweist sich als eine schier unlösbare Aufgabe. Um dem wachsenden Druck nachzugeben, soll nun zum 1. Juli 2004 eine souveräne irakische Regierung eingesetzt – nicht frei gewählt – werden. Eine solche wäre ein handverlesenes US-Marionettenregime und genau wie der derzeitige irakische Regierungsrat ein Gremium von Bushs beziehungsweise Bremers Gnaden.
Ein Blick nach Bosnien-Herzegowina und in den Kosova / Kosovo genügt, um zu erkennen, wie viel die demokratischen Regierungen des Westens von Demokratie halten. Dort sind UNO-Verwalter die eigentlichen Herren des Landes und können jede Entscheidung der dortigen „Regierungen“ aufheben.
Doch der Druck für freie Wahlen wächst im Irak. Einer der wichtigsten schiitischen religiösen Führer Ajatollah Ali Al-Sistani hat wiederholt dazu aufgerufen, erste Massendemonstrationen haben stattgefunden. Die Besatzer sehen kaum eine Möglichkeit, dass bei freien Wahlen im Irak eine Mehrheit erlangt werden könnte, die nicht gegen die Besatzung, anti-amerikanisch und fundamentalistisch geprägt wäre.
Wahrscheinlich wäre in der jetzigen Situation eine Mehrheit für schiitische religiöse Gruppen. Das ist sicherlich der Grund, warum die Besatzungsmächte versuchen mit den schiitischen Führern eine Annäherung zu finden und warum der Regierungsrat kürzlich entschieden hat, das bisherige zivile Familienrecht durch eine Gesetzgebung zu ersetzen, die die Anwendung der islamischen Scharia ermöglicht.
Auch versuchen die Besatzer durch den Aufbau einheimischer Sicherheitskräfte die Auseinandersetzung mit den Widerstandsgruppen zu „irakisieren“. Das führte bisher allerdings nur dazu, dass einerseits die irakischen Sicherheitskräfte alles andere als zuverlässig waren und diese gleichzeitig mehr und mehr ins Visier der Anschläge genommen wurden, weil sie als Kollaborateure mit den Besatzungsarmeen gesehen werden.
Sozialistischer Ausweg nötig
Der Kapitalismus kann der irakischen Bevölkerung keine Zukunft bieten, egal ob unter imperialistischer, islamistischer oder national-bürgerlicher Führung. Die Entwicklung eines Bürgerkriegs entlang nationaler und religiöser Linien ist genauso wenig ausgeschlossen wie ein Auseinanderbrechen des Landes zu einem späteren Zeitpunkt.
Nur der Aufbau einer starken sozialistischen Arbeiterbewegung könnte die verschiedenen Volks- und Religionsgruppen einigen. Nur eine sozialistische Regierung der ArbeiterInnen und armen Bauernschaft, gestützt auf die Selbstorganisierung in demokratischen Komitees auf allen Ebenen der Gesellschaft, könnte einen wirtschaftlichen und sozialen Wiederaufbau des Landes gewährleisten. Für den Irak gilt, wie für die ganze Welt, die historische Alternative, die Rosa Luxemburg formulierte: Sozialismus oder Barbarei.
von Sascha Stanicic, Berlin
Ein sozialistisches Programm für den Irak:
– Sofortiger Abzug aller Besatzungstruppen; Absetzung des Regierungsrates; Nein zur Einsetzung einer nichtgewählten Übergangsregierung
– Bildung von demokratisch gewählten Arbeiter-, Erwerbslosen- und Bauernkomitees auf allen Ebenen der Gesellschaft; Durchführung eines Kongresses dieser Komitees zur Bildung einer Arbeiter- und Bauernregierung
– Jederzeitige Wähl- und Abwählbarkeit aller VertreterInnen in diesen Komitees und in der Regierung
– Bildung demokratisch gewählter und kontrollierter Volksmilizen bestehend aus allen Volks- und Religionsgruppen zur Wahrung der Sicherheit der irakischen Bevölkerung
– Keine Diskriminierung von Frauen, nationalen und religiösen Gruppen; gegen die Einführung islamischen Rechts; für das Recht auf Selbstbestimmung aller Nationalitäten im Irak
– Für den Aufbau unabhängiger Gewerkschaften und einer Arbeiterpartei mit sozialistischem Programm
– Rücknahme aller Privatisierungsmaßnahmen; Streichung der irakischen Auslandsschulden
– Arbeiterkontrolle und -verwaltung in der verstaatlichten Industrie
– Entwicklung eines wirtschaftlichen Notplanes zur Befriedigung der dringendsten Lebensbedürfnisse der irakischen Bevölkerung, insbe-sondere der Lebensmittel-, Wasser-, Strom- und Gesundheitsversorgung
– Für einen demokratischen, sozialistischen Irak als Teil einer freiwilligen sozialistischen Föderation des Nahen und Mittleren Ostens
Die Linke und der Widerstand im Irak
Interview mit Azad Raschid von der Gruppe Revolutionär-Kommunistische Internationalisten (Irak). Das Gespräch führte Daniel Behruzi
Unter welchen Bedingungen arbeiten linke Gruppen in dem von den USA und ihren Verbündeten besetzten Irak?
Unter äußerst schwierigen. Einerseits haben sie große Schwierigkeiten mit dem amerikanischen und britischen Militär und der von diesen Mächten eingesetzten Verwaltung. Andererseits stehen sie unter dem Druck der nationalistischen und islamistischen Bewegungen.
Die Propaganda des US-Militärs schreibt jeglichen Widerstand den Unterstützern Saddam Husseins zu. Stimmt diese Darstellung?
Die Amerikaner müssen so tun, als würden die Proteste ausschließlich von den Baathisten ausgehen. Es sind aber nicht nur die Unterstützer des alten Regimes, sondern fast alle Menschen im Irak gegen die US-Besatzung.
Die US-Propaganda spricht immer vom „sunnitischen Dreieck“ als Zentrum des Widerstandes. Bekommen die Besatzer in anderen Landesteilen mehr Unterstützung von der Bevölkerung?
Nein. Auch in anderen Teilen des Landes finden Demonstrationen gegen das Besatzungsregime statt. Die verschiedenen Volksgruppen sind nicht homogen in ihrer Haltung zur Besetzung. Quer durch die Bevölkerung gibt es – auch kommunistischen – Widerstand. Das gilt auch für die Kurden, deren mächtigste Organisationen, KDP und PUK, die USA unterstützen – gleichzeitig existiert aber in Kurdistan seit Jahren eine starke kommunistische Bewegung.
Jeden Tag finden Angriffe auf US-amerikanisches oder britisches Militär statt, aber auch Anschläge, die die Bevölkerung treffen. Wie beurteilen Sie diese Aktionen?
Wir verurteilen Anschläge gegen die Zivilbevölkerung. Davon gibt es leider sehr viele. Das dadurch geschaffene Klima des Terrors und der Angst verlängert die Besatzung, da es soziale und politische Proteste der Bevölkerung verhindert. Wir sind für die Vertreibung der ausländischen Truppen aus dem Irak, aber mit anderen Methoden. Statt individueller Anschläge propagieren wir die Bewaffnung des Volkswiderstands gegen die Besatzung.
Welche Formen des Widerstandes sind entscheidend?
Von der Masse getragene soziale und politische Proteste. Diese finden auch bereits statt. So gab es Mitte Januar in Omara, 150 Kilometer südöstlich von Bagdad, eine Demonstration gegen Arbeitslosigkeit, bei der britische Streitkräfte und die neue irakische Polizei sieben Menschen erschossen und über 20 verletzten. Ähnliches ist am 6. Januar in Basra passiert, wo Angehörige der aufgelösten irakischen Armee für die Auszahlung ihres Soldes demonstrierten. Auch dort haben britische Soldaten das Feuer auf Demonstranten eröffnet.
Die Übergriffe zeigen doch die Berechtigung für militärischen Widerstand gegen die Besatzung.
Ja, militärischer Widerstand ist notwendig. Aber er muss von der Bevölkerung getragen werden, nicht von kleinen terroristischen Gruppen. So war es 1991: Damals hat sich das Volk im ganzen Land gegen das Regime von Saddam Hussein bewaffnet. In nur drei Tagen waren das gesamte Kurdistan und der Süden des Irak von Saddams Truppen befreit. Es sind Räte von Arbeitern und Bauern entstanden, die in den kurdischen Städten Suleimania, Kirkuk, Erbil und im südirakischen Naseria fast drei Wochen lang die Macht innehatten, bis die USA deren Unterdrückung durch das Saddam-Regime zugelassen haben.
Mit solchen Methoden würden wir die US-Besatzer sehr schnell verjagen. Terroristische Aktionen schaffen hingegen lediglich ein Terrorklima, das schädlich ist. Die effektivste Methode ist sozialer Protest. Und dieser findet seit Wochen statt, in Bagdad und anderen Städten: Demonstrationen gegen Arbeitslosigkeit, für Lohn, wegen des Mangels an Strom und sauberem Wasser. Die Menschen stehen in einem Widerstand gegen die Besatzer.
Welche Rolle spielen die ehemaligen Unterstützer des Saddam-Regimes, die Baathisten, beim Widerstand gegen die US-Besatzung?
Sie spielen neben anderen Organisationen sicherlich eine große Rolle. Es gibt fast 20 verschiedene Gruppen – Islamisten, Baathisten, aber auch Linke –, die unabhängig von einander Widerstand leisten.
Wie sollte sich die Linke gegenüber den Baathisten verhalten?
Diese sind ebenso wie die Islamisten Feinde der irakischen Bevölkerung. Wir kämpfen seit 34 Jahren gegen die Baathisten. Die Linke darf an die Unterstützer Saddam Husseins und die islamistischen Gruppierungen keinerlei Zugeständnisse machen. Die Arbeiterklasse braucht eine unabhängige politische Position und muss den Widerstand gegen die Amerikaner eigenständig führen. Letztlich sind Islamisten und Baathisten immer auf die Seite des Imperialismus gewechselt. Wir waren gegen die Invasion in den Irak, aber wir waren auch immer gegen den baathistischen Diktator Saddam Hussein.
Nun sind die Islamisten auch keineswegs eine homogene Gruppe.
Das ist richtig. Drei größere Gruppen haben Vertreter in den, von den USA eingesetzten Verwaltungsrat entsandt und sind Teil seiner „Regierung“. Andere Gruppierungen kämpfen gegen die Besatzung. Das ändert aber nichts an ihrem reaktionären Charakter. Auch die Taliban in Afghanistan sind erst vom CIA mit aufgebaut worden und später mit dem US-Imperialismus in Konflikt geraten. Das macht sie aber nicht zu „Antiimperialisten“.
Im November wurde zum Beispiel in Bagdad eine Frau von Islamisten angegriffen, weil sie kein Kopftuch trug.
In Mossul haben sie zur gleichen Zeit einen Anschlag auf ein Kino verübt. Auch gegen Linke gibt es Übergriffe seitens islamistischer Gruppen: In der südirakischen Stadt Naseria wurde im Oktober das Büro der Arbeiterkommunistischen Partei angegriffen und durch den Schiitenführer Sistani geschlossen. Dass es sich hier nicht um fortschrittliche Kräfte handelt, ist offensichtlich. Am 23. Januar wurde ein Anschlag auf ein Büro der Kommunistischen Partei im Bagdader Stadtteil Maschtel verübt, bei dem zwei Parteifunktionäre getötet und über zehn verletzt wurden. Noch steht nicht fest, welche Gruppe dafür verantwortlich ist.
Es heißt, die verschiedenen Teile des Widerstandes gegen die US-Besatzung wollten sich zu einer gemeinsamen Front vereinigen. Halten Sie das für sinnvoll?
Nein. Ich bin für eine Front der Arbeiterklasse und der armen Bevölkerung gegen die imperialistischen Kräfte und bürgerlichen Parteien. Eine Vereinigung oder Einheitsfront mit Islamisten und Nationalisten wäre für die Linke fatal.
Einige argumentieren, zunächst gelte es, die Besatzer zu vertreiben, und dafür müssten alle Kräfte zusammenhalten.
Dieser falsche Ansatz hat in der Vergangenheit schon oft katastrophale Folgen gehabt, zum Beispiel in Indonesien und Iran. Während der iranischen Revolution 1979 haben die Tudeh-Partei und andere argumentiert, man müsse eine antiimperialistische Front mit Khomeini eingehen. Dadurch haben sie das reaktionäre, islamistische Regime an die Macht gebracht. Die ersten Opfer des Mullah-Regimes waren Kommunisten und Gewerkschafter.
Auch Saddam Hussein hat behauptet, er sei ein Antiimperialist. Aber während des Iran-Irak-Krieges hat er mit den USA kollaboriert. Der Kampf muss gegen den Imperialismus und seine Statthalter geführt werden, aber auch gegen den Kapitalismus.