Vorwärts in die Vergangenheit?

Regierung und Kapital wollen zurück ins 19. Jahrhundert. Ein Kurswechsel der Gewerkschaften ist nötig, um das zu verhindern

von Sascha Stanicic
 

Kaum ein Tag vergeht ohne neue Vorschläge irgendeines Bundesministers oder Oppositionspolitikers für die Senkung des Lebensstandards der arbeitenden und arbeitslosen Bevölkerung. Es scheint geradezu einen Wettbewerb der zerstörerischen Phantasie zu geben, den die etablierten bürgerlichen Parteien unter sich und mit den Medien und Arbeitgebervertretern austragen. Garniert wird diese Kampagne gegen die Errungenschaften von 150 Jahren Kämpfen der organisierten Arbeiterbewegung mit einer in der Bundesrepublik nicht vergleichbaren Hetze gegen die Gewerkschaften. Clement, Rogowski und die Springer-Presse stellen die Welt auf den Kopf: sie präsentieren sich und ihre Vorschläge für ein soziales Kettensägenmassaker als fortschrittlich und modern, während all diejenigen, die das in Frage stellen, konservative Blockierer geschimpft werden.

Wenn all das nicht so verdammt ernst wäre, könnte man sich glatt darüber amüsieren. Aber es ist ernst, sehr ernst. Regierung und Kapital wollen das Rad der Geschichte zurückdrehen. Der sogenannte Sozialstaat soll zerschlagen, frühkapitalistische Verhältnisse eingeführt werden. Warum? Die strukturelle Krise der kapitalistischen Wirtschaft seit Beginn der 70er Jahre hat schon in den letzten Jahrzehnten die Weltmarktkonkurrenz enorm wachsen lassen und eine neoliberale Offensive ausgelöst, die zu Massenarbeitslosigkeit, Privatisierungen, Sozialabbau und Lohnsenkungen geführt hat. Die aktuelle Rezession verschärft das noch einmal. Sie drückt auf die Profitraten. Diese sollen auf dem Rücken der abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen gesteigert werden. Die Gewerkschaften sind, trotz der angepassten Politik ihrer Führungen, ein Hindernis dieses Ziel zu erreichen. Also muss ihre Macht nachhaltig eingeschränkt werden.

In der Bundesrepublik hat ein Machtkampf zwischen Kapital und Arbeit begonnen, wie es ihn in der Nachkriegsgeschichte noch nicht gegeben hat. Die von der IG Metall-Führung zu verantwortende Niederlage des Streiks für die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland ist ein erster Punktsieg für die Kapitalisten. Dieser wird ihr Selbstbewusstsein steigern, die Offensive gegen die Arbeiterklasse fortzusetzen.

Das Kapital führt diesen Kampf mit allen Mitteln und ist sich seines Charakters sehr bewusst. Die Gewerkschaftsführungen haben den Ernst der Lage scheinbar noch nicht erkannt. Sie formulieren weder deutliche politische Alternativen noch verfolgen sie eine erfolgversprechende Kampfstrategie. Aber es ist fünf vor Zwölf. Ein Kurswechsel ist nötig, um zu verhindern, dass die Gewerkschaften weitere Niederlagen erleiden.

Angriffe

Ein Trommelfeuer von Angriffen auf die sozialen Rechte und den Lebensstandard prasselt auf die Masse der Bevölkerung herab. Riester-Rente, Hartz, Rürup, Agenda 2010 – das sind die Stichworte Schröderscher Regierungspolitik. Sie stehen für Rentenkürzungen, Lohndrückerei, Abbau von Leistungen für Arbeitslose, Aufweichung des Kündigungsschutzes, Streichung des Krankengeldes aus der gesetzlichen Krankenversicherung, Eintrittsgeld beim Arztbesuch, Erhöhung der Zuzahlungen bei Medikamenten und Krankenhausaufenthalten, Verlängerung der Ladenöffnungszeiten, Privatisierungen.

Gleichzeitig nimmt der Druck in den Betrieben und Verwaltungen massiv zu. Kaum ein Betrieb, in dem nicht übertarifliche Leistungen abgebaut wurden, es nicht zu Arbeitsverdichtung und Arbeitsplatzvernichtung gekommen ist. Tatsächlich sind über sieben Millionen Menschen arbeitslos. Immer mehr müssen sich bei Leih- und Zeitarbeitsfirmen verdingen, wo sie zu miesen Arbeitsbedingungen niedrige Löhne erhalten.

Steuergeschenke für die Reichen, Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit haben zu einer tiefen Krise der öffentlichen Haushalte geführt. Im Mai verkündete Finanzminister Eichel ein Loch von 126 Milliarden Euro bis 2005. Bund, Länder und Kommunen sind überschuldet. 15 Prozent der Steuereinnahmen werden laut Gewerkschaft ver.di alleine für die Zinszahlungen an die Banken ausgegeben.

Die Reaktion? Öffentliches Eigentum wird verscherbelt. Die Folgen solcher Privatisierungen sind in der Regel Arbeitsplatzabbau, Verschlechterung der Dienstleistungen, Erhöhung von Gebühren.

Den Beschäftigten im öffentlichen Dienst werden Urlaubs- und Weihnachtsgeld gekürzt, der Berliner Senat hat den Arbeitgeberverband verlassen und begeht Tarifbruch. Bei Bildung und öffentlichen Einrichtungen wird gekürzt und geschlossen wie verrückt. So sollen zum Beispiel in Hamburg die Berufsschulgebäude, die Wasserversorgung und die Müllabfuhr privatisiert werden. In Berlin wurde die Lernmittelfreiheit abgeschafft, Kita-Gebühren erhöht, Schwimmbäder geschlossen und Wohnungen privatisiert. In Köln sieht ein kommunales Kürzungspaket unter anderem den Einstieg in die Privatisierung der Städtischen Kliniken und den Abbau von 2.500 Arbeits- und Ausbildungsplätzen bei der Stadt vor.

Die Jugend ist besonders betroffen. Fast 500.000 Jugendliche unter 25 Jahre sind erwerbslos. Im Herbst werden zwischen 70.000 (offizielle Schätzung) und 200.000 (gewerkschaftliche Schätzung) SchulabgängerInnen keinen Ausbildungsplatz gefunden haben. Gleichzeitig will Schröder solche jungen Menschen dazu zwingen einen Billigjob annehmen zu müssen.

All das ist schon schlimm genug. Diese Maßnahmen verschlechtern nicht nur dauerhaft den Lebensstandard und die Lebensbedingungen fast der gesamten Bevölkerung. Sie werden die Gesellschaft in vielerlei anderer Hinsicht verändern. Verrohung, steigende Kriminalität, Zunahme psychischer Krankheiten, steigende Selbstmordrate und nicht zuletzt die Gefahr, dass die rechten Rattenfänger von NPD und anderen faschistischen Gruppen die Perspektivlosigkeit von Jugendlichen ausnutzen können – das bedeutet Kapitalismus im 21. Jahrhundert.

Agenda 2010 erst der Anfang

Aber aus Sicht der Kapitalisten und ihrer vielen Parteien ist das erst der Anfang. Nachdem die deutsche Wirtschaft in den letzten beiden Quartalen zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren in die Rezession abgerutscht war und alle ernsthaften WirtschaftsexpertInnen keinen Optimismus versprühen, sondern eine lange Phase von Stagnation und Rezession ähnlich der letzten zwölf Jahre in Japan immer wahrscheinlicher wird, wird der Ruf nach weitergehenden Maßnahmen laut.

Kanzler Schröder erklärte auf dem SPD-Sonderparteitag am 1. Juni, dass die Agenda 2010 erst der Anfang sei. Der Spiegel schrieb im Mai: „Die Bürger werden sich darauf einstellen müssen, dass nahezu von allem, was bisher gilt, das Gegenteil eintritt: Die Zweiklassenmedizin – kommt. Die Rente – schmilzt. Der Abbau von Sozialleistungen ist unvermeidbar.“ Der SPD-Generalsekretär Scholz (ein typischer Fall einer Diagonalkarriere von links unten nach rechts oben) liefert dazu eine ideologische Neuausrichtung für die Sozialdemokratie: „Der Sozialstaat ist … kein Instrument zur Herstellung einer gerechteren Verteilung.“ Dass die SPD nichts mehr mit einer gerechten Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums am Hut hat, hatte sie zwar spätestens seit 1998 in ihrer praktischen Regierungspolitik bewiesen, aber selten so offen formuliert.

Die Sesselfurzer der Nation haben die Rolle der Anheizer in diesem Klassenkrieg der Kapitalisten gegen die abhängig Beschäftigten und Erwerbslosen übernommen: Friedrich Merz und Guido Westerwelle (immer unterstützt und angetrieben vom Scharfmacherboss Nummer 1 Michael Rogowski).

Schröder verpackt seine Angriffe gegen die Gewerkschaften in soziale Demagogie. So hat er in seiner Regierungserklärung vom 14. März diesen noch eine wichtige gesellschaftliche Rolle attestiert. Letztlich will er den GewerkschaftsführerInnen die Möglichkeit geben, freiwillig nachzugeben. Wenn diese dazu nicht bereit sind, droht er mit gesetzlichen Eingriffen in das Tarifrecht. Westerwelle und Merz erklären den Gewerkschaften offen einen Krieg, den Schröder leise zu führen begonnen hat. Sie alle wollen an die grundlegenden Strukturen des Sozialstaates heran und haben vier Fragen ausgemacht an denen sie die Gewerkschaften herausfordern wollen und ihre Macht brechen wollen: den Flächentarifvertrag, das Streikrecht, die betriebliche Mitbestimmung und den Kündigungsschutz.

Klassenkampf von oben

Der Flächentarifvertrag gehört zu den größten Errungenschaften der Arbeiterbewegung. Er verhindert, dass einzelne Belegschaften ihren Bossen ausgeliefert sind und erpresst werden können. Dadurch, dass Löhne, Arbeitszeiten und so weiter nicht auf betrieblicher Basis sondern auf regionaler Basis für bestimmte Wirtschaftszweige ausgehandelt beziehungsweise erkämpft werden, können die Gewerkschaften diese Standards für alle ArbeitnehmerInnen verteidigen. Das Tarifrecht regelt auch das Streikrecht für ArbeitnehmerInnen.

Die Unternehmer und kapitalistischen Parteien versuchen nun den Flächentarifvertrag und das Streikrecht auszuhebeln. Eine steigende Zahl von Unternehmen sind schon aus den Arbeitgeberverbänden ausgetreten, vor allem in Ostdeutschland. Damit verlassen sie auch die Tarifbindung und versuchen Haustarifverträge abzuschließen, die in der Regel für die Beschäftigten schlechter sind als die geltenden Flächentarifverträge, beziehungsweise sie erklären ihre Betriebe zum tariffreien Raum. Im einzelnen Betrieb wird dann noch versucht die Gewerkschaften aus den Verhandlungen heraus zu halten. Jedoch ist nur die Gewerkschaft berechtigt zum Streik aufzurufen, ein Betriebsrat zum Beispiel nicht. Die Untergrabung des Flächentarifvertrages und die Forderung nach flexibler Verhandlung auf betrieblicher Basis, um die wirtschaftlichen Unterschiede berücksichtigen zu können, hat vor allem zum Ziel, die potenzielle Macht der Gewerkschaften zu brechen.

Das war auch das eigentliche Ziel der Verweigerungshaltung der Metallarbeitgeber in der Tarifauseinandersetzung zur Arbeitszeit in Ostdeutschland. Sie wollten in einer Zeit, in der sie scharfe Angriffe auf die Arbeiterklasse durchführen, verhindern, dass diese mit einer offensiven Forderung zur Verbesserung ihrer Situation erfolgreich sein kann. Ein Sieg der IG Metall hätte eine Signalwirkung auch für andere Auseinandersetzungen gehabt. Gleichzeitig sahen sie die Möglichkeit der Gewerkschaft eine empfindliche Niederlage beizubringen.

Mit einer unvergleichlich unverschämten Propagandakampagne wurden die ostdeutschen KollegInnen als Wirtschaftssaboteure und Wahnsinnige dargestellt. Doch die Bosse betrieben nicht nur Propaganda. Das medienwirksam inszenierte (und nicht notwendige) Einfliegen von Streikbrechern bei Federal Mogul in Dresden, die direkten Interventionen von ostdeutschen Mi­nisterpräsidenten und Landesministern (bis dahin, dass der brandenburgische Wirtschaftsminister Streikbrecher in einen Betrieb geführt hat) und die gerichtlichen Entscheidungen, dass sich Streikposten den Streikbrechern nicht mehr als drei Meter nähern dürfen und IG Metall-Chef Zwickel ein Strafgeld von 25.000 Euro wegen Werksblockaden durch Streikposten angedroht wurde – all das kündigt eine neue, harte Gangart von Regierung und Kapital gegen die Gewerkschaften an.

Ziel ist die Zerschlagung des Flächentarifs und die Aushöhlung des Streikrechts. Der Flächentarif zur Arbeitszeit in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie ist das erste Opfer dieser Unternehmeroffensive.

CDU/CSU haben darüber hinaus angekündigt auch das Betriebsverfassungsgesetz angehen zu wollen, sprich: die Rechte der Betriebsräte und Jugend- und Auszubildendenvertretungen einzuschränken. Und sie wollen den Kündigungsschutz drastisch einschränken und erst bei Betrieben ab zwanzig Beschäftigten einsetzen lassen.

Es muss klar sein: es geht hier nicht nur um die eine oder andere Stunde mehr oder weniger Arbeitszeit, es geht nicht nur um ein paar Lohnprozente, es geht nicht nur um die Höhe des Renten- oder Krankenversicherungsbeitrags. Es geht um viel mehr. Den ArbeitnehmerInnen und ihren Gewerkschaften wird gerade der Krieg erklärt. Die Frage stellt sich: Widerstand oder Kapitulation?

Widerstand oder Kapitulation?

Der Streikabbruch in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie durch die IG Metall-Führung hat einmal mehr gezeigt: Für die Beschäftigten stellt sich die Aufgabe einen Krieg an zwei Fronten zu führen: auf der einen Seite gegen die faktische Große Koalition aller Bundestagsparteien und das Kapital, auf der anderen Seite gegen die eigenen GewerkschaftsführerInnen. Diese bereiten eine Kapitulation vor. Sie haben politisch schon lange vor der neoliberalen Doktrin kapituliert und nicht mehr die Interessen ihrer Mitglieder vertreten, sondern Co-Management auf allen Ebenen betrieben.

Ob Zustimmung zu Privatisierungen, zu Arbeitsplatzabbau und Betriebsschließungen oder miese Tarifabschlüsse – meistens lagen die GewerkschaftsbürokratInnen im Bett mit den Unternehmern.

Regierung und Kapital haben aber mit der Agenda 2010 nicht nur das Tempo der Angriffe erhöht. Sie wollen die Gewerkschaftsbürokratie auch nicht weiter in die Ausarbeitung der Sozialschweinereien einbinden. Denn das hat trotz der fast grenzenlosen Kooperationsbereitschaft von Zwickel und Co immer bedeutet, etwas Sozialkosmetik zu betreiben. Schließlich sind diese auch von den Mitgliedsbeiträgen ihrer Mitglieder abhängig und müssen wenigs-tens etwas das Gesicht wahren, damit dieser Geldfluss nicht versiegt.

Die nun anstehenden Angriffe richten sich gegen das Herzstück gewerkschaftlicher Macht in der Bundesrepublik. Regierung und Kapital wollen diese Macht nachhaltig beschneiden und sind auf Konfrontationskurs gegangen.

Die Reaktion der Gewerkschaftsbonzen ist ein Skandal. Der rechte Flügel um den IG BCE-Chef Hubertus Schmoldt stellt sich offen auf die Seite der Regierung. Aber auch Zwickel und Bsirske haben ihrer Verbalopposition keine Mobilisierung gegen die Agenda 2010 folgen lassen, sondern eine Demobilisierung.

Schlimmer noch: der Streikabbruch in Ostdeutschland kommt einer Einladung an die Unternehmer gleich, in die Offensive zu gehen. Die IG-Metall-Führung hatte gedacht, die Unternehmer durch begrenzte Streiks zu einem Kompromiss zwingen zu können – so wie es in den letzten Jahrzehnten immer funktioniert hat. Sie haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Ein Sieg wäre möglich gewesen, wenn die ganze Kampfkraft der Gewerkschaft in die Waagschale geworfen worden wäre – in Ost und West. Eine solche Eskalation des Streiks hätte aber unweigerlich auch den Widerstand gegen die Agenda 2010 angeheizt und der Gewerkschaftsführung einen Strich durch ihren Kapitulationskurs gemacht.

Diese „KollegInnen“ haben die Profitlogik der kapitalistischen Marktwirtschaft verinnerlicht und spielen den Arzt am Krankenbett des Kapitalismus. Aber auch ihre Medizin trifft die Masse der Bevölkerung. Sie sehen ihre erste Aufgabe darin, das kapitalistische System zu verteidigen und die Belegschaften unter Kontrolle zu halten. Sie sind die Agenten der Bosse in den Reihen der Arbeiterbewegung. Wer sich auf diese Führung verlässt, ist verloren!

Aufgaben der Gewerkschaften

Der Unmut an der Basis ist groß. Das Vertrauen in die Führung gering. Kampfbereitschaft ist vorhanden – wenn es denn um echte Kampfmaßnahmen geht. Schon im letzten Jahr hatte sich der Druck so weit aufgebaut, dass es in den Tarifrunden in der Metall- und Bauindustrie zu Streiks und im öffentlichen Dienst zu einer riesigen Warnstreikwelle kam. In der IG Metall zeigt sich die Stimmung daran, dass der als kämpferischer geltende Peters sich gegen den rechten Berthold Huber in der Vorauswahl zum Gewerkschaftsvorsitzenden durchsetzen konnte und es zum Streik für die 35-Stunden-Woche in Ostdeutschland gekommen ist.

Die innergewerkschaftliche Kritik am Ostmetallerstreik ging von den Betriebsratsfürsten der großen westdeutschen Betriebe aus, nicht von den einfachen KollegInnen. Diese sind den GewerkschafterInnen im Osten in den Rücken gefallen, weil sie Konflikten mit ihren Arbeitgebern aus dem Weg gehen wollten. Viele KollegInnen waren bereit an Solidaritätsaktionen mit den ostdeutschen MetallerInnen teilzunehmen.

Auch auf örtlicher Ebene gibt es eine Reihe von Protesten und Kämpfen. In Schweinfurt hatten 4.000 MetallerInnen die Arbeit niedergelegt um gegen die Agenda 2010 zu streiken. In verschiedenen Betrieben ist es zu Streiks gegen Arbeitsplatzabbau und Betriebsschließung gekommen, bis hin zum Hungerstreik im Bahnausbesserungswerk Opladen.

Die Gewerkschaften müssen in die Offensive und die Herausforderung von Regierung und Unternehmern annehmen.

Was wäre dazu nötig?

1. Ein politischer Kurswechsel. Das DGB-Programm zur Agenda 2010 formuliert keine politische Alternative, die einen Ausweg aus der Krise aufzeigen könnte. Die Gewerkschaften müssen mit dem Profitprinzip der kapitalistischen Marktwirtschaft brechen. Nötig dazu wäre eine Auswechslung der Führungen von IG Metall und ver.di bei den im Herbst anstehenden Gewerkschaftstagen. Kämpferische KollegInnen sollten sich auf GegenkandidatInnen zu den offiziellen Vorschlägen verständigen, die sich den Interessen ihrer Mitglieder verpflichtet fühlen, einen kämpferischen Kurs vertreten und sich an Spitzenfunktionen in der Gewerkschaft nicht bereichern, sondern ihre Funktionärsgehälter auf die Höhe eines durchschnittlichen Facharbeiterlohns beschränken.

2. Es muss eine Informations- und Mitgliederwerbungskampagne in den Betrieben, Verwaltungen und in der Öffentlichkeit durchgeführt werden. In der Vergangenheit wurden Millionen in die Wahlkampfkampagnen zur Unterstützung der SPD gesteckt. Jetzt sollten Millionen in Flugblätter, Plakate, Fernseh- und Kinospots und Veranstaltungen gesteckt werden, die zum Kampf gegen die Agenda 2010 und für Arbeitszeitverkürzung, eine Umverteilung von oben nach unten, die Schaffung von Ausbildungsplätzen und so weiter eintritt. Begonnen werden sollte eine solche Kampagne mit Betriebsversammlungen in allen Betrieben und lokalen, regionalen und bundesweiten Konferenzen von Betriebs-, Personalräten und Vertrauensleuten. Verbunden mit echten Kampfmaßnahmen könnte der Mitgliederrückgang der letzten Jahre zu einem neuen Zustrom umgekehrt werden.

3. Der DGB und die Einzelgewerkschaften sollten zu einer bundesweiten Großdemonstration mobilisieren, die die sofortige Rücknahme der Agenda 2010 fordert.

4. Der DGB und die Einzelgewerkschaften sollten sofort mit der Vorbereitung eines eintägigen Generalstreiks beginnen, als Warnung an die Bundesregierung, dass es zu einer Eskalation von Widerstand und Kämpfen kommen wird, wenn die Agenda 2010 nicht zurückgenommen wird.

Initiativen von unten nötig

Solche Maßnahmen wird die Gewerkschaftsführung nicht umsetzen, wenn sie durch die eigene Basis nicht dazu gezwungen wird. Deshalb ist es nötig, dass die AktivistInnen in den Betrieben selber Initiativen ergreifen. Der Zusammenschluss kritischer und kämpferischer KollegInnen an der Basis und deren bundesweite Vernetzung ist dazu ein wichtiger Schritt. Diese müssen mit dem Ziel betrieben werden, eine programmatische und personelle Alternative zu den bestehenden Gewerkschaftsführungen aufzubauen.

Der „Initiative zu Vernetzung der gewerkschaftlichen Linken“ kommt dabei eine besondere Aufgabe zu. Gerade nach dem Auswerkauf des Ostmetallerstreiks muss sie in die Offensive gehen! Sie sollte eine Kampagne starten, die die obigen Vorschläge gezielt in die Gewerkschaften trägt.

Dabei dürfen die KollegInnen, die nicht (mehr) in den Gewerkschaften organisiert sind, nicht übergangen werden. Die Entscheidung des Chemiekreises (eines Zusammenschlusses kritischer IG-BCE-Mitglieder), sich auch für Nicht-GewerkschafterInnen zu öffnen, ist in diesem Zusammenhang ein richtiger Schritt.

Schritte zur Durchführung einer bundesweiten Großdemonstration und lokaler Streikaktionen können auch ohne die Zustimmung der Gewerkschaftsführungen ergriffen werden. Die Strukturen der Bewegung gegen die kapitalistische Globalisierung (wie Attac und den Sozialforen), Erwerbslosengruppen und andere Initiativen können dabei eine Rolle spielen und sollten dazu einbezogen werden.

Neue Arbeiterpartei

Der Widerstand gegen die Offensive der Kapitalisten darf nicht auf der betrieblichen und gewerkschaftlichen Ebene stehen bleiben. Die Bosse haben heute viele Parteien, die ihre Interessen vertreten. Die ArbeiterInnen, Erwerbslosen und Jugendlichen haben keine starke Partei. Die Zeit ist reif für den Aufbau einer neuen Arbeiterpartei, die konsequent gegen die Profitgier des Kapitals und für die Interessen der Beschäftigten, Erwerbslosen und Jugendlichen kämpft.

Die Gewerkschaften müssen mit der SPD brechen und an die Aufgabe herangehen, eine neue politische Interessenvertretung für ArbeitnehmerInnen aufzubauen. Eine solche Partei müsste offen sein für alle AktivistInnen und Organisationen der Bewegungen gegen die kapitalistische Globalisierung und gegen Krieg, Attac und anderer sozialer Bewegungen, der Gewerkschaften und für Linke aus SPD, Grünen und PDS, die bereit sind mit diesen Parteien zu brechen. Linke GewerkschafterInnen sollten die Idee einer neuen Arbeiterpartei in die Gewerkschaften und die kommenden Kämpfe tragen. Gleichzeitig sollten Möglichkeiten von lokalen Wahlbündnissen von AktivistInnen aus Gewerkschaften, sozialen Bewegungen und linken Organisationen genutzt werden.