Interview mit Shay Galy, Vorstandsmitglied von Mavaak Socialisti (Sozialistischer Kampf), der Schwesterpartei der SAV in Israel / Palästina
Welche Folgen hatte der Krieg gegen den Irak auf die Situation in Israel und Palästina?
Im Windschatten des Krieges hat die Scharon-Regierung die Repression in den palästinensischen Gebieten verschärft. In Israel selbst hatte der Krieg einen hohen ökonomischen Preis: Enorme Summen wurden für Gasmasken und die Rekrutierung von Reservisten ausgegeben. Der Krieg hat auch die Aufmerksamkeit von den sozialen Fragen abgelenkt. Während der Wahlen vor vier Monaten haben Teile der Medien hauptsächlich über den Krieg berichtet und nicht zum Beispiel über aktuelle Korruptionsskandale der rechten Likud-Partei.
Die Wirtschaft Israels ist seit mehr als zwei Jahren in der Krise. Wie reagiert die Regierung darauf?
Sie betreibt klassisch neoliberale Politik: Privatisierung der Renten; Erhöhung des Renteneintrittsalters von 60 für Frauen und 65 für Männer auf 67 Jahre für beide; Sozialkürzungen; Entlassung von 6.000 bis 16.000 LehrerInnen und tausender Angestellter im öffentlichen Dienst; Gehaltskürzungen um sechs bis 21 Prozent. Dies ist der vierte sogenannte Wirtschaftsplan in einem Jahr, die alle zu Lasten von Arbeiterschaft und Mittelklasse gegangen sind.
Wie entwickelt sich der Widerstand gegen diese Politik?
Einige Zeit nach dem Beginn der zweiten Intifada gab es in Israel eine Welle intensiver sozialer Kämpfe. Aber als die Selbstmordattentate wieder begannen, wurde das von den Politikern benutzt, um die Proteste abzuwürgen. Meiner Ansicht nach wurden die Attentate von der israelischen Armee durch die Ermordung des palästinensischen Führers Raeed Carmi provoziert.
Welche Position haben die israelischen Gewerkschaften in Bezug auf die Unterdrückung der PalästinenserInnen?
Sie beziehen nicht Stellung. Das ist eine Schande, denn die nationale ist mit der sozialen Frage verknüpft. Dass die Gewerkschaften sich hier nicht positionieren, verhindert erfolgreichen Widerstand.
Inwiefern greift die Friedensbewegung in Israel soziale Themen auf?
Zum Teil wird das versucht. Aber die von großen Teilen der Friedensbewegung unterstützten Regierungen unter Rabin und Barak haben ebenfalls neoliberale Kürzungspolitik betrieben. Deswegen empfinden es viele als heuchlerisch, wenn diese Gruppen zum Beispiel fordern, das Geld für Soziales, anstatt für israelische Siedlungen in den Palästinensergebieten und für das Militär, auszugeben.
Die USA, die EU, Russland und die UNO haben eine sogenannte »road map« (Fahrplan) zur Beilegung des Konflikts vorgelegt. Was ist davon zu halten?
Die genauen Inhalte sind noch nicht veröffentlicht, aber das, was bisher bekannt geworden ist, sind nichts als leere Phrasen. Zur Zeit des Osloer Abkommens hatten die fundamentalistischen Gruppen Hamas und islamischer Djihad nur sehr wenig Unterstützung. Inzwischen wird Hamas von einem Viertel der PalästinenserInnen unterstützt. Auch in Israel werden die rechten Parteien stärker. In dieser Atmosphäre, zu der auch der US-Krieg gegen den Irak beigetragen hat, kann sich kein Frieden entwickeln.
Welchen Ausweg siehst Du?
Die zweite Intifada müsste wieder stärker den Charakter der ersten annehmen und an die israelischen SoldatInnen und ArbeiterInnen appellieren: Kämpft nicht in den besetzten Gebieten gegen PalästinenserInnen, sondern zu Hause gegen die Bosse und ihre Regierung! Das wäre wirkungsvoller als der Terror, der die israelischen ArbeiterInnen lediglich den rechten Parteien zutreibt. Genauso umgekehrt: die israelische Arbeiterbewegung muss den Kampf gegen die Unterdrückung der PalästinenserInnen aktiv führen.
Die rechten Organisationen leben von den ungelösten Problemen, wie Armut, mangelnde Demokratie und Arbeitslosigkeit. Das Osloer Abkommen hat die Probleme nicht gelöst, denn darin kamen lediglich die Interessen korrupter Politiker beider Seiten, der Banken und Konzerne und des US-Imperialismus zum Ausdruck.
Eine wirkliche Lösung kann nur sozialistischen Charakter haben: Israel und Palästina als zwei unabhängige und gleichberechtigte, demokratisch-sozialistische Staaten. Der Kampf für gemeinsame Interessen, gegen Kapitalismus und Imperialismus, kann die Arbeiterklasse in Israel und Palästina zusammenbringen.
Das Interview führte Daniel Behruzi