Schröders Frontalangriff

Zur Not auch ohne die Gewerkschaftsspitzen – jetzt soll eine härtere Gangart des Sozialkahlschlags eingeschlagen werden

von Torsten Sting, Rostock
 
Mit der Regierungserklärung von Kanzler Schröder wurde einer der härtesten Angriffe auf den Lebensstandard der Bevölkerungsmehrheit gestartet. Nach dem Scheitern des „Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit“ wird eine härtere Gangart eingelegt. Machen die Gewerkschaftsspitzen weiterhin mit – wunderbar, machen sie nicht mit – dann will Schröder seinen sozialen Kahlschlag auch gegen sie durchsetzen.
Die erste Amtszeit von Schröders Regierung beinhaltete einige wichtige Fortschritte im Sinne der Banken und Konzerne. Innenpolitisch war die bedeutendste Entwicklung die Teilprivatisierung der Rentenversicherung. Damit wurde ein erster wichtiger Eckpfeiler der Sozialversicherung geknackt. Mit der rot-grünen Steuerreform wurde den Konzernen, Vermögensmilliardären und Einkommensmillionären milliardenschwere Steuergeschenke gemacht.
Außenpolitisch wurden die Einsätze deutscher Soldaten zur Wahrung der Interessen deutscher Banken und Konzerne inklusive der ersten aktiven deutschen Kriegsbeteiligung nach dem Zweiten Weltkrieg durchgezogen.
Die letzten zwei Jahre von Schröders erster Amtszeit waren den Kapitalisten allerdings nicht weit gehend genug. Sie verlangen tiefere „Einschnitte“.

Nachholbedarf

Seit Jahren verlangen Banken und Konzerne mit Verweis auf andere kapitalistische Länder die Auflösung des angeblichen Reformstaus, das heißt Sozialkahlschlag und Lohnsenkungen, und fordern dazu einen Angriff auf die Gewerkschaften. Am 6. März 03 drückte FAZ-Kolumnist Rainer Hank das so aus: „Tatsächlich haben alle großen Reformen des Wohlfahrtstaats im 20. Jahrhundert – Großbritannien unter Frau Thatcher, Amerika unter Reagen – mit der Entmachtung der Gewerkschaften begonnen. Doch es bedurfte 1979 eines ‚winter of discontent‘, bis der Widerstand der britischen Gewerkschaften gebrochen war.“
Die Kohl-Regierung wagte lange Zeit nicht, sich diesem Kurs anzuschließen. Zu riskant schien dieser Weg. Die Angst vor der Kampfkraft der Gewerkschaften hielt die Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung in Grenzen.

Rolle der Gewerkschaftsspitzen

Alle bisherigen Angriffe der Schröder-Regierung wurden mit der Unterstützung der Führung der Gewerkschaften durchgesetzt. Das „Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit“ spielte dabei eine zentrale Rolle. Egal, ob Sommer, Zwickel oder Bsirske. Alle haben sie unter Beweis gestellt, dass sie zum Ausverkauf gewerkschaftlicher Interessen bereit sind. Dennoch können sie nicht alles mit machen, weil sie unter dem Druck der Basis stehen. Ihre Zugeständnisse an die Unternehmer hatten deshalb immer auch Kompromisse an anderer Stelle zur Folge (etwa bei Erhöhung der Freistellungen für Betriebsräte im Betriebsverfassungsgesetz).
Die langwierigen Verhandlungen mit der Gewerkschaftsseite sollen nun der Vergangenheit angehören und das Tempo des Kahlschlags enorm beschleunigt werden. Politiker der Opposition wie Westerwelle oder Merz bringen die Ungeduld der Kapitalisten zum Ausdruck in dem sie die „Entmachtung der Gewerkschaften“ fordern. Noch einmal FAZ-Kolumnist Hank vom 6. März: „Alles wird […] davon abhängen, wieweit Schröder diese korporatistischen Strukturen zerschlagen will. Oder demokratisch korrekt formuliert: ob Schröder es wagt, jene Gesetze zu korrigieren, welche die Stellung der Gewerkschaften privilegieren“.

Andere Methode

Die neue Liste der Grausamkeiten der Unternehmer brachte das „Bündnisses für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit“ zum Scheitern und sind eine Provokation an die abhängig Beschäftigten und die Gewerkschaften.
Gleichzeitig versucht Schröder mit rhetorischen Manövern den Gewerkschaften und BetriebsrätInnen Honig ums Maul zu schmieren und sie für seine Pläne einzunehmen. Die Gewerkschaftsspitzen versuchen das aufzugreifen und mit dem Hinweis auf die noch schlimmere „Alternative“ von CDU und FDP den KollegInnen doch noch schmackhaft zu machen. Zeitgleich wird die rot-grüne Kriegspolitik gelobt, um von diesen Angriffen abzulenken. Selbst unter diesen Bedingungen versucht die Gewerkschaftsführung also immer noch, Rot-Grün den Rücken frei zu halten.
Freiwillig wird die Gewerkschaftsbürokratie ihren Kurs nicht ändern. Dies muss mit einer verstärkten Vernetzung der kritischen KollegInnen in den Gewerkschaften beantwortet werden. Von unten muss damit begonnen werden, innergewerkschaftlich Druck aufzubauen und Initiativen zu Demonstrationen und Kampfmaßnahmen zu starten. Der Aufbau einer Opposition in den Gewerkschaften ist dringender denn je, um den Widerstand gegen die Attacken von Regierung und Kapital begegnen zu können.

Neue Arbeiterpartei

Diese ganzen Angriffe und der Verweis der Gewerkschaftsspitzen auf die „Alternative“ CDU und FDP, also auf die mangelnde Alternative, machen aber in aller Schärfe deutlich, dass die Beschäftigten und Jugendlichen auf politischer Ebene keine Partei haben, die ihre Interessen vertritt. Statt mit Rot-Grün zu kungeln, müsste aus den Gewerkschaften heraus die Initiative ergriffen werden, eine solche Partei aufzubauen. Da sich die Gewerkschaftsspitzen verweigern, wird auch diese Aufgabe von AktivistInnen zum Beispiel der Gewerkschaftslinken, aus sozialen Bewegungen und so weiter angegangen werden müssen.
Ziel dabei muss sein, eine neue Partei aufzubauen, die sich konsequent gegen alle Kürzungen und Angriffe auf die Arbeiterklasse wehrt, keinerlei „Sachzwangpolitik“ mitmacht und in der AktivistInnen aus Betrieben, Gewerkschaften und der sozialen Bewegungen oder der Anti-Kriegs-Bewegung ihre Erfahrungen austauschen, gemeinsame Schlussfolgerungen diskutieren und zusammen Kämpfe vorbereiten und führen können.