Christine Lehnert, Rostock
„Größte Demonstration seit der Wende“ so titulierte die Rostocker Lokalzeitung ihren Bericht über den SchülerInnenstreik gegen den Krieg am Tag X. Es war ohne Zweifel die größte Jugendstreikaktion gegen Krieg, die es jemals in Rostock gab. Und es war einfach eine super geile Sache!
Viele AktivistInnen trafen sich schon in den frühen Morgenstunden und zogen eine halbe Stunde vor Schulbeginn vor die Schulen, um dort Transpis aufzuhängen und allen eintreffenden SchülerInnen mitzuteilen, dass der Krieg begonnen hat. Es gab in den verschiedenen Stadtteilen Demozüge, die zu anderen Schulen gingen, um auch dort die SchülerInnen zum Streik abzuholen. Die Schüler waren scheinbar überall und die Polizei überfordert.
An vielen Schulen waren LehrerInnen und DirektorInnen dem Streik sehr aufgeschlossen gegenüber und gaben grünes Licht. In eine Klasse kam die Lehrerin rein und meinte „Weshalb seit ihr immer noch hier? Es ist Streik!“ Die meisten Jugendlichen in Rostock brauchten aber diese Aufforderung nicht. Auch von Schulen, wo die Schulleitungen Strafen angekündigt hatten, streikten die Leute mit. An einer Schule mussten die jungen Schülerinnen aus dem Fenster klettern, um teilnehmen zu können und die Schulleitung rief die Polizei als die AktivistInnen von JgK eintrafen. Das hat uns aber nicht hindern können, die Türen aufzureißen und die Schulen zu „stürmen“, mit den Megas ordentlich Krach zu machen und so die Leute rauszuholen. Auch Azubis nahmen teil, denen Lohnverlust angedroht wurde. Eine junge Frau meinte dazu nur: „Das ist mir egal. Ich muss heute hier sein.“
Schon eine Stunde vor Beginn der Demo sammelten sich die Leute und es wurde eng auf dem Kundgebungsplatz. In den Massen heizte ein SAV-Mitglied den Leuten schon mal ein und veranstaltete so eine Kundgebung in der Kundgebung. Am anderen Ende des Platzes hörten wir nur den Jubel und dies war ein kleiner Vorgeschmack auf das, was kam. Auf unserem Lautiwagen starteten wir gegen 10.30 Uhr die Musik und die Augen richteten sich auf uns. Wir sprachen die ersten Sätze gegen den Krieg und nach jedem gab es riesigen Beifall und Sprechchöre „Stoppt den Krieg“. Es waren 10 000 SchülerInnen von mehr als 40 Schulen, die deutlich machten, dass der Streik am Tag X erst der Anfang ist. Leute aus dem Umland nahmen Wege von mehr als 1-2 Stunden auf sich, um zum Streik zu kommen und die Telekom-Azubis haben es geschafft, dass sie an diesem Tag freigestellt wurden. Unzählige selbstgemalte Transpis zeigten die Kreativität und das politische Verständnis der SchülerInnen. Bevor ein Redner von Jugend gegen Krieg auf den Zusammenhang zwischen Krieg und sozialer Frage eingehen konnte, riefen die Leute schon „mehr Arbeitsplätze statt Kriegseinsätze“ und brachten es damit auf den Punkt.
Bei der Vorbereitung des Streiks war für uns klar, dass es auch ein Statement gegen Nazis und Rassismus geben muss. Bei Jugend gegen Krieg sind sich alle einig, dass der Kampf gegen den Krieg nur durch internationale Solidarität und nicht nur Nationalismus gewonnen werden kann. Die Nazis versuchen aber, sich in die Antikriegsbewegung einzuschleichen und auch am Rande unserer Demo standen vereinzelte Faschos. Als drei von ihnen ein Transpi gegen den Krieg mit der Unterzeile „Nationaler Widerstand“ ausrollten, waren es AktivistInnen von JgK mit anderen, die es ihnen wieder zusammenrollten….
Die Rede von einem JgK-Mitglied unter dem Motto „Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg“ traf genau den Nerv der Leute und als wir dann Phillie MC hörten und es klang „also ballt eure Fäuste, wenn ihr mit mir dagegen seit“ – da sangen alle mit und es war ein Meer von erhobenen Fäusten zu sehen.
Die Reden auf dem Lauti gegen den Krieg und die Hintergründe, über die Situation im Irak und auch gegen die Heuchelei von Rot/Grün wurden überwiegend von Leuten gehalten, die erst seit der Gründung von JgK politisch aktiv sind. Sie standen vor 10 000 Leuten und machten dermaßen Stimmung, dass niemand denken würde, dieselben Leute trauten sich vor einem Monat noch nicht einmal eine Rede vor 50 Leuten zu. Aber nicht nur wir selber sind an diesem Tag über uns hinaus gewachsen. Als wir an einer Skaterbahn vorbeikamen, riefen wir zu denen rüber: „wenn ihr Skater seit, und wenn ihr richtige Skater seit – dann seit ihr Skater gegen den Krieg – also kommt rüber“. Und es war einfach nur eine „Gänsehaut-Situation“, als wir sahen, wie sie ihre Boards nahmen und sich uns anschlossen. Jugend gegen Krieg hat an diesem Tag die Stadt elektrisiert und für die Mitglieder der SAV, die diesen Streik und dessen Vorbereitung zu großen Teilen getragen haben, war es ein überwältigender Beweis der Stärke unserer Kraft und der unserer Ideen.
Als wir über den Lautsprecher die Zahlen von den Beteiligungen aus anderen Orten mitteilen konnten, war die Stimmung auf dem Höhepunkt. Leider ist uns danach die Anlage auf dem Lautiwagen ausgefallen – was allerdings nicht wirklich jemanden zu stören schien. Die Sprüche klappten auch so, kurze Reden gingen übers Meagphon und wenn uns auf dem Lautiwagen die Stimmbänder versagten, dann war die Masse unerbittlich und forderte „Zugabe, Zugabe“. Bei der Abschlußkungebung forderten Mitglieder von „widerstand intenational“ alle auf, sich auch zu Problemen über den Krieg hinaus zu engagieren. Eine Vertreterin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft überbrachte uns die Unterstützung des GEW-Kreisvorstandes in M/V und JgK nutzte die Bühne, um sich bei der Deutschen Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegenerInnen für die Übernahme der Kosten des Lautiwagen zu bedanken. Der Redner der SAV wies auf die Zusammenhänge zwischen Kriegen und Kapitalismus hin und bekam kräftigen Applaus. Der Tag hat allen nicht nur die eigene Stärke deutlich gemacht, sondern sie auch inspiriert, sich Gedanken zu einer Welt ohne Kriege zu machen.
Es war die genialste Sache, die ich je erlebt habe und ich bin sicher wie nie, dass unser Kampf siegreich sein wird.