Stellungnahme vom 10. 10. 1990
Wir leben in einer Zeit „scharfer Wendungen und plötzlicher Veränderungen“ – dies zeigt zweifellos die heraufziehende Golfkrise. Die neunziger Jahre, die von einer Welle politischer Revolutionen im Osten eingeleitet wurden, haben mit der Aussicht auf den ersten und ernsthaftesten Militärkonflikt seit dem 2. Weltkrieg begonnen Und dies zu einer Zeit, da die Ideologen von Kapitalismus und Imperialismus eine neuentdeckte Euphorie über die Verlängerung des Wirtschaftsaufschwungs und den Zusammenbruch des Stalinismus verbreiteten. Sie interpretierten diesen angeblichen Triumph des liberalen Kapitalismus als das „Ende der Geschichte“.
Jetzt stehen sie vor einem möglichen Krieg, der erstmals in der Geschichte mit einer Rezession zusammenfallen würde. Dies ist teilweise der Preis, den sie für den achtjährigen Wirtschaftsaufschwung zahlen müssen. Der Aufschwung stützte sich großenteils auf die grausame Intensivierung der Ausbeutung der Völker in der „3 .Welt“, was sich in den Zinszahlungen für die angehäuften Auslandsschulden und in der scharfen Verschlechterung der „Terms of Trade“ ausdrückte — nicht zuletzt auch in einem drastischen Ölpreisverfall.
Die Propaganda und Stimmungsmache zur Rechtfertigung eines Krieges zeigt, dass die Heuchelei der Imperialisten neue Höhepunkte erreicht hat. Die Imperialisten haben Saddam Hussein mit Hitler verglichen, als ob Hitler persönlich Invasionen und Gebiets-Annexionen erfunden hätte, und als ob Saddam der erste wäre, der Hitler nachahmen würde. Was die Imperialisten so wütend gemacht hat ist die Tatsache, dass Saddam genau das zu tun wagte, was sie selbst mit gnadenlosem Zynismus seit über 100 Jahren in Nahost und in der ganzen unterentwickelten Welt betreiben.
Allein in den letzten sieben Jahren haben die US-Imperialisten Libyen bombardiert, Truppen in den Libanon geschickt Grenada und Panama eingenommen; allein in Panama wurden hierbei 7000 Menschen getötet. Neben diesen offenen Militäraktionen haben sie massive Hilfe beim Zustandekommen konterrevolutionärer Militäroperationen in Nicaragua, Angola usw. geleistet. Im Nahen Osten marschierte der NATO-Verbündete Türkei in Zypern ein, riss sich einen Teil selbst unter den Nagel und teilte somit die Insel. Der größte Empfänger amerikanischer Hilfe auf der Erde, Israel, errichtete den Staatsapparat auf der Grundlage der Annektierung eines Teils von Palästina; seither hat Israel die Golanhöhen „angegliedert“, das Westjordanland und den Gazastreifen besetzt, den Irak bombardiert und über die Agentur der südlibanesischen Armee einen Teil des Libanons faktisch besetzt.
Der amerikanische Imperialismus protestierte seinerzeit nicht gegen den Einsatz von Giftgas gegen die kurdische Bevölkerung durch Saddam Hussein (wobei allein in einer Stadt mindestens 5.000 Menschen getötet wurden). Es erfolgte ebenso wenig Protest seitens der Amerikaner, als Saddam Hussein 1983 die Türkei dazu aufforderte, einen kurdischen Aufstand niederzuschlagen. Ebenso schauten die USA weg, als Hussein 1983 10.000 SchiitInnen in verschiedenen Dörfern nördlich von Basra massakrieren ließ. Die US-Regierung sagte nichts gegen Saddams Invasion in das iranische Khuzestan, womit er einen achtjährigen Stellvertreterkrieg im Auftrag des US-Imperialismus zur Eindämmung der iranischen Revolution vom Zaun brach. Die USA tolerierten sogar die Bombardierung des US-Kriegsschiffs „Stark“ durch den Irak und nahmen diesen Vorfall zum Anlass, um in den irakisch-iranischen Krieg zu intervenieren. Von 1985 an leisteten die USA in einem Sonderprogramm Militärhilfe für Saddam Hussein: Entgegen der Bedenken aus dem Pentagon wurde vierzehnmal hochentwickelte Technologie geliefert, die dem Irak beim Aufbau eines atomaren, chemischen, biologischen und konventionellen Arsenals halfen. Die letzte Lieferung war drei Tage vor dem irakischen Einmarsch nach Kuwait fällig.
Während sich die USA hinter der UNO verstecken — wie schon beim Koreakrieg — und schöne Reden über die edlen Motive der UNO-Gründer geschwungen werden, wird verschwiegen, dass die USA mit ihren Mitgliedsbeiträgen an die UNO mit 670 Millionen Dollar im Rückstand sind
Die arabische Nation
Um die komplexen Fragen anzugehen, die von der gegenwärtigen Krise aufgeworfen werden, ist es nötig, kurz auf den historischen Hintergrund einzugehen. Die zynischen Machenschaften des westlichen Imperialismus im Nahen Osten begannen Mitte des letzten Jahrhunderts und fanden ihren vorläufigen Höhepunkt im Zerfall des osmanischen Weltreichs. Lord Curzon verkündete, dass der Persische Golf ein „britischer See“ werden sollte. Bis zum Ende des ersten Weltkriegs errangen der britische und französische Imperialismus direkte Kontrolle über die Gebiete von Ägypten, Persien, Irak, Palästina und Syrien; es ging ihnen hierbei um die Sicherung der Ölquellen und des für den Welthandel wichtigen Suez-Kanals, außerdem fürchteten sie die Auswirkungen der Russischen Revolution auf die gesamte Region, wie sie dann auch im Iran sichtbar wurden. Die Intervention des anglo-französischen Imperialismus wurde auch damals — ähnlich wie heute mit dem US-Imperialismus — durch ein vom Völkerbund (dem damaligen Vorgänger der UNO) ausgestelltes „Mandat“ legitimiert.
Es ist unmöglich, auch nur ein einziges Ereignis in dieser Region zu verstehen, wenn man nicht davon ausgeht, dass es eine grundlegend einheitliche arabische Nation mit einheitlicher Sprache, einheitlichem Bewusstsein und Kultur gibt und dass die in jüngerer Zeit herausgebildete Entwicklung nationalen Bewusstseins in den verschiedenen Staaten sich auf diese Existenz einer einheitlichen arabischen Nation gründet. Die Haupttriebfeder aller turbulenten, den Nahen Osten erschütternden Ereignisse — Aufstände, Militärputsche, Kriege und Revolutionen — ist das Streben der Massen nach der Wiedervereinigung der arabischen Nation, die vom Imperialismus verhindert wird. Im Gegensatz zum indischen Subkontinent oder den afrikanischen Ländern (wie etwa Nigeria), wo der Imperialismus völlig unterschiedliche Stämme, Rassengruppen oder Völker zusammenkettete, die sich jetzt auf kapitalistischer Basis auseinanderbewegen und voneinander loslösen, zeigt ein Blick auf die Landkarte, dass das gesamte riesige, von der arabischen Nation geerbte Gebiet willkürlich aufgeteilt wurde, indem man im Wüstensand schnurgerade Grenzlinien zog und so künstliche Staaten schuf. Die unter britischem „Mandat“ stehenden Gebiete wurden von verrotteten Marionetten-Monarchien verwaltet.
Irak, Syrien, Libanon, Kuwait, Jordanien, die Emirate usw. wurden von den Imperialisten als rein künstliche Gebilde geschaffen, womit sich diese ihren strategischen Würgegriff über die Region und die Spaltung der arabischen Nation sicherten. Der Imperialismus förderte zynisch regionale und religiöse Unterschiede (sunnitische und schiitische MoslemInnen, griechisch-orthodoxe, maronitische ChristInnen, DrusInnen, JüdInnen) und spielte sie kaltschnäuzig gegeneinander aus. Frankreich errichtete einen Maroniten-Staat im Libanon, und Großbritannien förderte den Plan der Zionisten, in Palästina einen jüdischen Staat zu gründen (ein „loyales kleines jüdisches Nordirland“ —wie sich ein britischer Agent zynisch ausdrückte). Gleichzeitig wurden die Heimatgebiete der KurdInnen, ArmenierInnen und anderer nationaler Minderheiten geteilt.
Die Königshäuser von Ägypten, Iran (Persien), Irak, Libyen und vor allem die verschiedenen Emirate und Scheichtümer am Golf einschließlich des Emirs von Kuwait hatten nicht mehr gesellschaftliche Basis als die Maharadschas in Indien, deren Herrschaft nach dem Rückzug des britischen Imperialismus wie ein Kartenhaus zusammenbrach. Die Basis dieser verrotteten Marionetten-Monarchien, die sich bisher immer noch mit Hängen und Würgen an der Macht gehalten haben, ist jetzt durch ihre jüngste Zusammenarbeit mit dem US-Imperialismus bis auf die Grundmauern erschüttert worden.
Die Revolutionen, die die Könige von Ägypten, Irak, Libyen usw. stürzten, fanden in der ganzen arabischen Welt begeistertes Echo; sie wurden als Schritte in Richtung arabische Befreiung und Vereinigung gesehen. Ein solches Echo fanden die Verstaatlichung des Suez-Kanals, die Verstaatlichung eines Großteils der Wirtschaft durch die linken Anhänger der Baath-Partei in Syrien, die Verstaatlichung des Erdöl-Konsortiums im Irak 1972 und andere, ähnliche Ereignisse bis hin zur palästinensischen Intifada in den von Israel besetzten Gebieten. Zwar gibt es sehr wenig Illusionen in Saddam Husseins Regime, doch zweifellos haben der Sturz des Emirs von Kuwait und die darin enthaltene Drohung an die Adresse des saudiarabischen Königs und anderer Scheichs große Hoffnungen der arabischen Massen aufkommen lassen. Die arabische Bevölkerung sah darin einen Schritt in Richtung arabische Revolution (vielleicht mit Ausnahme eines Teils der Bevölkerung von Saudi-Arabien und den Emiraten selbst).
Kuwait war einst im alten osmanischen Weltreich ein Teil der Provinz Basra. Mit dem Zusammenbruch des Reiches errichtete Großbritannien 1899 ein „Protektorat“ um diesen lukrativen Hafen und Handelsstützpunkt. Nach dem ersten Weltkrieg übernahm Großbritannien mit dem Völkerbunds-,,Mandat“ die drei ehemaligen osmanischen Provinzen Bagdad Mosul und das restliche Basra; diese drei Provinzen bilden das Gebiet des späteren irakischen Staates.
1921 setzte der britische Imperialismus dem künstlichen Staat Irak einen auswärtigen Monarchen (König Faisal) vor — in den Worten eines Bürokraten des britischen Außenministeriums einen „König, der sich damit begnügen wird, zu herrschen, und nicht zu regieren“. Dies provozierte Massenaufruhr der mit brutalen Massakern 1920-24 unterdrückt wurde. 1932 wurde Irak eine Art „Unabhängigkeit“ zugestanden. Nach den Worten eines anderen britischen Diplomaten „eine Verwaltung mit arabischen Institutionen, die wir sich selbst überlassen können, solange wir die Fäden ziehen; etwas, das uns nicht teuer kommt, was die Labour Party im Einklang mit ihren Grundsätzen schlucken kann, was aber gleichzeitig unsere wirtschaftlichen und politischen Interessen sichert“.
Öl, Eisenbahnen, Häfen und die meisten Industrien blieben unter britischer Kontrolle, ebenso wurden die britischen Militärstützpunkte beibehalten. Winston Churchill hob hervor, dass unter diesem Vertrag den Briten „der Besitz oder zumindest die Kontrolle über die Quellen des von uns so dringend benötigten Öls“ erhalten bliebe. Nach den Worten des britischen Stabschefs vermittelte der Vertrag den „Anschein völliger Gleichheit … Was auch immer die rechtlichen Vereinbarungen im einzelnen besagen mögen, müssen wir die De-facto-Kontrolle beibehalten“.
Diese unverschämte Annektierung provozierte leidenschaftliche Proteste seitens des Volkes. Die irakische Kommunistische Partei wurde ebenso wie die KPen in Syrien, Ägypten, Sudan, Libanon und den meisten anderer Staaten, die aus der Teilung des lebendigen Körpers der arabischen Nation entstanden sind, zu einer politischen Kraft mit Massenbasis. 1947 wurde der von der KP angeführte Aufstand von Al-Wathbah blutig unterdrückt, was 400 Menschenleben kostete. Im Januar 1948 organisierte die KP deshalb eine Protestdemonstration mit 100.000 Teilnehmern.
Erschüttert durch die Suez-Krise und die Auswirkungen des Linksrutsches des ägyptischen Nasser-Regimes auf die ganze Region, nutzte der Imperialismus 1958 die irakische Monarchie, um die Bedrohung durch den Nasserismus zurückzudrängen.
Ebenso stützte sich der Imperialismus später auf die irakische Militärdiktatur, um die iranische Revolution einzudämmen. Der US-Imperialismus versuchte einen „Bagdad-Pakt“ aller arabischen Monarchien und Marionettenregimes nach dem Vorbild der NATO zu schmieden. Dies provozierte massive Krawalle in der ganzen Nahost-Region. Britische Truppen wurden nach Jordanien entsandt, US-Marinesoldaten nach Libanon. Der Befehl zum Einmarsch irakischer Truppen nach Jordanien führte zum Ausbruch der irakischen Revolution 1958. Die Armee meuterte und marschierte auf den Königspalast zu. Der König, der Kronprinz und der Premierminister wurden gelyncht. Wenn die KP nicht den Militärbonapartisten Kassem unterstützt hätte, dann hätte sie selbst die Macht übernehmen können.
Wenige Monate zuvor haften die Regierungen der USA und Großbritanniens Denkmodelle für eine militärische Besetzung Kuwaits und seine Umwandlung vom britischen „Protektorat“ in eine direkte britische Kronkolonie entwickelt. Schließlich entschieden sie sich aus Furcht vor den Auswirkungen eines solchen Schrittes, der zur Entfachung der irakischen Revolution geführt hätte, doch noch für die Aufrechterhaltung einer Agentur in Form des kuwaitischen Regimes. Als dementsprechend der Emir von Kuwait 1961 „Unabhängigkeit“ erlangte, leitete das neue Kassem-Regime in Irak Schritte zu dessen Absetzung ein, um diese fremde, imperialistische Außenstelle an der Grenze Iraks aus dem Weg zu räumen. Die irakischen Gebietsansprüche auf Kuwait wurden allein durch Zahlung eines „Schmiergeldes“ abgewendet.
Die „Baath-Partei“ war eine fast ausschließlich kleinbürgerliche antiimperialistische Bewegung. Sie wurde durch die imperialistische Strategie des „Teile und Herrsche“ ähnlich wie die indische Kongress-Partei dazu gezwungen, sich auf die Grundlage eines nicht-religiösen „Pan-Arabismus“ zu stellen [Pan-Arabismus = Bewegung für den Zusammenschluss der einzelnen arabischen Staaten]. Wenn die starken Kommunistischen Parteien in Ägypten, Irak, Libanon, Sudan und den anderen arabischen Ländern (ebenso im Iran) eine marxistische Politik durchgeführt hätten, hätten sie die Macht erobern und die arabische Nation auf der Grundlage einer sozialistischen Föderation vereinigen können. Aber Stalins Unterstützung für den anglo-französischen Imperialismus in der „Volksfront“-Phase und während des 2. Weltkrieges und danach die starre Anwendung der „Etappentheorie“ lähmten die KPen in den entscheidenden Monaten und Jahren.
Die Stalinisten unterstützten die bürgerlich-bonapartistischen Regimes, die in Ägypten, Irak und Syrien an die Macht kamen, nachdem die Revolution die alten vom Imperialismus abhängigen Regimes beiseitegefegt hatte. Diese Regimes starteten daraufhin unter dem Mantel des „Pan-Arabismus“ Angriffe auf die KPen. Dass sie sich dieses Mäntelchen umhängen mussten, war ein Zugeständnis an das Streben der arabischen Massen nach Einheit. Sonst könnte man sich auch nicht erklären, dass alle diese engstirnigen bürgerlichen oder — wie Syrien ab 1965 — stalinistischen Regimes wiederholt versuchten, die staatliche Einheit herzustellen.
Mehr noch als anderswo in der „3. Welt“ stellen die Staaten in Nahost ein Gefüge sehr widersprüchlicher Zwitterregimes dar Der Imperialismus stülpte Ländern, die bis zum heutigen Tage weitgehend noch alte Stammesstrukturen haben, Königsdynastien auf der Grundlage eines feudalen politischen Überbaus über. Viele von ihnen sind auf der Grundlage reichlich fließender Petrodollars mächtig aufgebläht worden. Die Zersplitterung der arabischen Nation wurde durch den langgezogenen und verzerrten Prozess der arabischen Revolution verstärkt. Von Algerien bis nach Jemen wurde die Revolution vorangetrieben, aber in jedem einzelnen Fall stieß die Revolution an ihm objektiven Grenzen, weil keine bewusste marxistische Kraft vorhanden war. Schließlich wurden bürgerliche Militärdiktaturen errichtet, die jedoch teilweise durch wirtschaftliche und politische Zwänge dazu getrieben wurden, im Sinne der revolutionären Hoffnungen der Massen Schritte gegen die imperialistische Vorherrschaft einzuleiten. In Syrien und Süd-Jemen wurden in diesem Prozess die Grenzen des Kapitalismus überschritten und stark deformierte stalinistische Regimes errichtet. Vor kurzen vereinigte sich Süd-Jemen mit dem reaktionären, religiösen Staat Nord-Jemen, und Syrien scheint von der Sowjetunion so weit „ausgehungert“ zu werden, dass es jetzt eine Wiederannäherung an den US-Imperialismus sucht.
In Irak brachten Militärputsche unter der Führung des rechten Flügels der Baath-Partei 1963 und 1968 reaktionäre Offiziere an die Macht, die die KP zerschlagen ließen.
5000 KP-Mitglieder wurden 1963 von den Baathisten im Zusammenspiel mit der CIA umgebracht. Trotzdem zwang 1964 die zugespitzte Wirtschaftskrise das Regime, die Banken und einen Teil der Industrie zu verstaatlichen — nämlich die Branchen Zement, Öl, Asbest, Zigaretten, Papier, Seife und teilweise Schuhe und Textilien. Saddam persönlich war am Baath-Putsch von 1968 beteiligt. Dieser 68er-Putsch leitete weitere Schritte gegen den Imperialismus ein. 1972 wurde die „Iraqi Petroleum Company“, ein Konsortium britischer, französischer, amerikanischer und deutscher Monopole, verstaatlicht. Gleichzeitig wurde die KP in die Regierung einbezogen, wobei sich das Regime außenpolitisch mehr an die Sowjetunion anlehnte. Als sich das OPEC-Kartell herausbildete und die Ölpreise stiegen, sah sich das Regime darin ermutigt weitere demagogische „anti-imperialistische“ Schritte einzuleiten.
Die Öleinnahmen beliefen sich 1972 auf 570 Millionen Dollar. Innerhalb von zwei Jahren hatten sie sich auf 5700 Dollar verzehnfacht und bis 1980 wurde auf der Grundlage gesteigerter Preise und Produktion ein Höhepunkt von 26,5 Milliarden erreicht. Diese gesteigerten Öleinnahmen wurden verwendet, um staatliche Gelder in den Privatsektor in Form von Investitionen, Subventionen und Beihilfen fließen zu lassen. Dies führte zusammen mit Steuererleichterungen, striktem Protektionismus, Abbau des staatlichen Außenhandelsmonopols und der Preiskontrollen bei Lebensmitteln zu einer immensen Bereicherung der Kapitalisten. Bis 1980 gab es in Irak 700 Multimillionäre auf Dinar-Basis. Während des iranisch-irakischen Krieges in den achtziger Jahren wurde zur Einnahmevergrößerung viel Staatsbesitz privatisiert — so etwa der internationale Flughafen, Pepsi-Cola, Textilbetriebe, Zementfabriken, Reifenfabriken und Hühnerfarmen. Der Takriti-Clan von Saddam Hussein benutzte den Staat als Milchkuh, um sich Grundstücke unter den Nagel zu reißen und die Vorherrschaft über die Textil- und Bekleidungsindustrie zu sichern.
Die militärische Krise
Saddam Husseins Regime steuerte am Vorabend der Invasion einer Katastrophe entgegen. Der Krieg gegen den Iran hatte 300 Milliarden Dollar verschlungen. Der Wert der irakischen Ölexporte war von 26 Milliarden Dollar (1980) auf 14 Milliarden Dollar (1989) gesunken. Die Schulden haften sich auf 70 bis 80 Milliarden Dollar angehäuft. Die Inflationsrate lag bei ca. 300%. In dieser Lage entwickelten sich wirtschaftliche Zerrüttung und wachsende Unruhe, die sich nach der Demobilisierung der zwei Millionen Mann starken Armee sehr leicht in eine Revolution hätte entladen können.
Die in Kuwait und den anderen reichen Golfstaaten herrschenden Regimes waren bei den arabischen Massen verhasst. Das rechnerische „Pro-Kopf“-Einkommen in Höhe von 13.000 Dollar war in den Händen einiger Feudalfamilien konzentriert. Die 650.000 Kuwaitis stellen nur 27% der Gesamtbevölkerung dar; 300.000 PalästinenserInnen und über eine Million asiatische GastarbeiterInnen (davon 75.000 Haushaltshilfen aus Sri Lanka) haben keinerlei demokratische Rechte. Wahlberechtigt bei der Wahl des Scheinparlaments des Emirs waren bisher nur 60.000 Kuwaitis. Die Schiiten, die 30% der Gesamtbevölkerung darstellen, wurden unterdrückt. Selbst gebildete nicht-kuwaitische Araber wurden von den arroganten Scheichs als Bürger 2. Klasse behandelt.
Als Agenturen des Westens hatten Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) unter Missachtung von OPEC-Quoten künstlich die Ölproduktion hochgedreht, um die Ölpreise niedrig zu halten. Sie hatten im irakisch-iranischen Krieg notgedrungen die irakische Seite unterstützt, weil sie die Folgen der iranischen Revolution fürchteten. Gleichzeitig waren sie jedoch über die wachsende irakische Militärmacht und deren unberechenbare Politik zunehmend alarmiert. Die Politik der niedrigen Erdölpreise war sowohl ein Dienst für den Imperialismus wie auch ein bewusster Versuch, die Macht sowohl von Iran wie auch Irak zu begrenzen.
Saddam war darauf angewiesen, unbedingt die Ölpreise nach oben zu drücken. Vor allem jedoch brauchte er angesichts der zugespitzten innenpolitischen Krise ein außenpolitisches Ablenkungsmanöver Beim irakischen Volk bestand großer Hass auf die Millionäre und Ölscheichs aus Kuwait, die mit ihren Mercedes-Limousinen auf Einkaufsfahrt nach Bagdad oder Basra rüberkamen, weil der Wechselkurs ihnen billige Einkaufsmöglichkeiten eröffnete. Man war und ist sich im irakischen Volk der Tatsache bewusst, dass Hunderttausende irakischer Jugendlicher als Soldaten ihr Leben im Krieg geopfert haften, um die Reichtümer dieser kuwaitischen Millionäre vor einem Überschwappen der iranischen Revolution zu schützen.
Irak forderte eine offizielle Streichung seiner Schulden gegenüber Kuwait, ebenso die Überweisung von 2,4 Milliarden Dollar Erlös aus dem Verkauf von Öl aus dem gemeinsamen Fördergebiet Rumeilah sowie 14 Milliarden Dollar Ausgleichszahlung von Kuwait und den VAE für deren Öl-Überproduktion. Es kam sogar so weit, dass Kuwait unter irakischem Druck bereits die Hälfte der geforderten Erdöl-Erlöse bezahlte und nicht auf die weitere Rückzahlung der Schulden drängte. Aber angesichts wachsender innenpolitischer Krise und angesichts der Versuchung, die Ölquellen, Zugang zum Golf über die umstrittenen Inseln sowie ausländischen Besitz in Höhe von 100 Milliarden Dollar zu erringen, entschied sich Saddam Hussein für den Einmarsch nach Kuwait. Er hatte guten Grund zur Annahme, dass auch dieser Schritt nichts am bisherigen Wohlwollen der USA ihm gegenüber ändern würde, und ging davon aus, dass seine Gönner im Kreml ihm aus der Patsche helfen würden, falls irgend etwas schief gehen würde.
In der Tat war der US-Imperialismus bereit, die irakischen Drohungen gegenüber Kuwait einschließlich des Militäraufmarsches mit eiskaltem Schweigen zu übergehen. Die US-Regierung dachte, dass mit dem Truppenaufmarsch das halbe Ölfeld sowie die umstrittenen Inseln eingenommen werden sollten — was seitens der USA stillschweigend geduldet worden wäre. Die amerikanische Botschafterin sagte noch wenige Tage vor der Invasion zu Saddam: „Seitens der USA gibt es keine spezielle Haltung zu einem innerarabischen Konflikt wie Ihren Grenzstreitigkeiten mit Kuwait.“ Als es dann aber so weit war, geriet die US-Diplomatie wegen der vollständigen Angliederung Kuwaits völlig aus dem Häuschen. Sie konnte nun die Konzentration von so viel Macht in Saddams Händen, so viel Kontrolle über die weltweit wichtige Ölproduktion und die potentielle Bedrohung für die saudiarabischen Ölfelder nicht mehr tolerieren. In den ersten Tagen nach der Angliederung Kuwaits hätte Saddam Hussein ohne weiteres Saudi-Arabien einnehmen können, aber er hielt sich zurück, weil er sich im Klaren darüber war, dass dies mit absoluter Sicherheit einen Krieg mit den USA bedeutet hätte.
Selbst in den Zeiten des amerikanischen Vietnamdebakels, als die Hände des US-Imperialismus vom eigenen Volk gebunden wurden, haben MarxistInnen vorausgesagt, dass der US-Imperialismus im Falle einer Bedrohung der arabischen Ölfelder mit vollen Kräften intervenieren würde. Dies gilt umso mehr in der gegenwärtigen Euphorie der Imperialisten über den Zusammenbruch des Stalinismus. Nach anfänglichem Zögern wurde sich Bush über die Auswirkungen, die mögliche Explosion der Ölpreise und den möglichen Prestigeverlust der USA bewusst; unter dem Einfluss von Thatchers Ratschlägen begann er, Kriegsvorbereitungen zu treffen. Unter solchen Umständen kam es zwangsläufig zu einer massiven Truppenkonzentration der USA in der Region.
Diese Krise verdeutlicht, dass der Zusammenbruch stalinistischer Regimes das so mühsam entwickelte internationale Kräftegleichgewicht durcheinandergebracht hat und somit eine neue Phase globaler Instabilität angebrochen ist. Eine starke und selbstbewusste Bürokratie im Kreml hätte wahrscheinlich durch starken Druck und scharfe Kontrolle über Saddam Hussein den Ausbruch der Krise verhindert. Selbst wenn der Kreml vor vollendete Tatsachen gestellt worden wäre — wie etwa im Falle von Nassers Verstaatlichung des Suez-Kanals oder Castros verzweifeltem Bruch mit dem Kapitalismus — hätte die sowjetische Bürokratie entschlossen eingegriffen, um einer amerikanischen Intervention entgegenzuwirken, und sei es auch nur im Interesse diplomatischen Prestiges und eigener Machtpolitik.
Doch heutzutage ist die Sowjetbürokratie eine offen und ausdrücklich konterrevolutionäre Kraft geworden, die in dieser Krise offen mit dem Imperialismus kollaboriert. Sie hat Osteuropa abgeschrieben, war mit der Einverleibung der DDR durch die BRD einverstanden und hat Schritte in Richtung kapitalistischer Restauration in der Sowjetunion selbst eingeschlagen. Die Bolschewiki hatten seinerzeit den Geheimvertrag zwischen Sykes und Picot im Auftrag des anglo-französischen Imperialismus offengelegt, der eine Aufteilung der arabischen Nation in verschiedene Einflusssphären mit sich brachte und somit der Entwicklung des arabischen Nationalismus mächtige Impulse verlieh. Doch jetzt hat die Sowjetbürokratie unter dem Druck des US-Imperialismus den Irak einfach fallengelassen und so auf schamlose Weise kapituliert. So wundert es nicht, dass Bush und Baker Gorbatschow so über alle Maßen hochleben ließen, während sie noch vor kurzem Reagan mit seiner Beschreibung der Sowjetunion als „Reich des Bösen“ zujubelten.
Der US-Imperialismus besteht mindestens auf einem sofortigen, bedingungslosen Truppenabzug aus Kuwait. Die Aneignung der kuwaitischen Ölfelder bedeutet, dass Irak etwa ein Fünftel der weltweiten Ölreserven, etwa 200 Milliarden Barrel, kontrolliert. Wenn Saddam noch zusätzlich Saudi-Arabien besetzt hätte, hätte er 45% der weltweiten Ölreserven kontrolliert. Der US-Imperialismus könnte eine solche dauerhafte Bedrohung seiner Ölversorgung niemals tolerieren.
Wenn der US-Imperialismus nicht von der Invasion überrascht worden wäre, hätte er vorbeugende Schritte einleiten und in Ruhe ein Abkommen zusammenzimmem können, um Saddam Hussein zu beschwichtigen. Jetzt aber ist er mit einem militärischen Ultimatum konfrontiert und muss befürchten, sein Prestige in aller Welt zu verlieren. Eine öffentliche Zustimmung zu Saddams Forderungen würde nun die USA demütigen und ihr weltweites Ansehen untergraben. Dies können die USA vor allem auch im Hinblick auf die Folgen für ihre Position in der kolonialen Welt nicht zulassen. Andererseits kann auch Saddam nicht den Rückzug antreten, ohne weitreichende Zugeständnisse herausgeholt zu haben — vor allem nachdem er sich ein Ende eines achtjährigen Krieges gegen den Iran allen iranischen Forderungen unterworfen hatte.
Der US-Imperialismus hat mit Erfolg ein Handels- und Kreditembargo, das mit einer massiven Luft- und Seeblockade abgesichert wird, über den Irak verhängt und alle irakischen und kuwaitischen Guthaben einfrieren lassen. Diese Maßnahmen haben sich bislang als wirksamer als die in der Vergangenheit über Rhodesien und Südafrika verhängten oberflächlichen Sanktionen erwiesen. Alle imperialistischen Mächte stimmen darin überein, dass es ihre lebensnotwendigen Ölinteressen gegenüber der irakischen Bedrohung zu verteidigen gilt. Gleichzeitig fürchten die pro-westlichen Regimes in Nahost, dass die von Saddam Hussein demagogisch aufgeworfenen antiimperialistischen und panarabischen Phrasen ihren Sturz beschleunigen könnten. Die Erdöl-Pipelines durch die Türkei und Saudi-Arabien sind vorläufig stillgelegt worden und das syrische Regime hat es abgelehnt, eine weitere, schon vor einiger Zeit stillgelegte Pipeline wieder in Betrieb zu setzen. Die (erzwungene) Einstellung irakischer Ölexporte und die Unterbrechung der Kreditzahlungen hat den irakischen Zahlungsverkehr mit dem Ausland unterbrochen. Ebenso wurde die sowjetische Militärhilfe eingestellt.
Trotzdem können Wirtschaftssanktionen langfristig nie eine entscheidende Auswirkung haben. Kein Boykott kann auf Dauer im Wesentlichen aufrechterhalten werden. In diesem konkreten Falle sind schon laufend über die iranische, türkische und jordanische Grenze Waren geliefert worden, was das Embargo untergräbt. Irak hat für mehrere Monate Lebensmittelreserven, und ein krasser Mangel an lebensnotwendigen Ersatzteilen würde nur im Kriegsfalle wirklich schmerzhaft spürbar werden — und dann würde die ganze Angelegenheit sowieso auf anderer Ebene ausgetragen werden. Daher erscheint es als unwahrscheinlich, dass diplomatischer oder wirtschaftlicher Druck die Krise lösen kann.
Allerdings könnten die militärischen, wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen eines Krieges so drastisch sein, dass der Imperialismus sich auf einem „Neuland“ befinden könnte. Die Strategen der amerikanischen herrschenden Klasse hoffen auf ein Wunder — etwa einen irakischen Abzug unter dem Druck der Sanktionen oder einen Putsch in Bagdad, der ihnen einen Rückzug in Ehren ermöglichen würde. Doch solche Hoffnungen werden kaum Wirklichkeit werden. Entscheidende nationale Konflikte können nie alleine mit wirtschaftlichen Sanktionen gelöst werden. Ein Sturz Saddam Husseins noch vor einem Krieg ist nahezu ausgeschlossen. Der achtjährige Krieg hat sicherlich dazu beigetragen, Saddam an der Macht zu halten. Die Feindschaft der USA gegenüber Diktatoren in der „3. Welt“ hat auch anderswo deren Stabilität nicht beeinträchtigt: Gaddafi ist seit 21 Jahren an der Macht, Assad seit 25 Jahren und Castro seit 31 Jahren. Im Gegenteil: der Militäraufmarsch des Imperialismus und die Besetzung der arabischen Gebiete durch Hunderttausende ausländischer Soldaten hat bei den arabischen Massen eine Wut auf den Imperialismus aufkommen lassen, die Saddam gekonnt ausgenutzt hat, wobei sogar Bevölkerungsteile auf seiner Seite stehen, die ihn bislang hassten.
Auf jeden Fall würde — außer im Falle eines sich abzeichnenden amerikanischen Sieges — auch ein anderes Militärregime im Irak kaum eine grundlegend andere Politik als Saddam einschlagen können. Auch ohne Saddam würde es sich immer noch um die Spitze einer riesigen Militärmaschinerie mit biologischem, chemischem und vielleicht auch nuklearem Arsenal handeln. Nur aus den Ruinen einer militärischen Eroberung heraus — wenn der Irak gedemütigt am Boden läge — wäre ein Marionettenregime à la Quisling vorstellbar. Schließlich konnte in Ägypten erst nach den Niederlagen von 1967 und 1973 ein offen pro-imperialistisches Regime etabliert weiden.
Selbst wenn Irak sich aus Kuwait zurückziehen würde, was vor dem Ausbruch kriegerischer Handlungen als unwahrscheinlich erscheint, wäre es undenkbar; dass sich die USA bei einer derartigen Zusammenballung militärischer Macht damit abfinden würden. Der US-Imperialismus würde permanente Garantien, vielleicht sogar eine permanente Truppenpräsenz in der Region fordern. Das wirkliche strategische Ziel der USA müsste es sein, die riesige militärische Macht Iraks zu zerschlagen, bevor es zu einem noch größeren Konflikt kommt, bei dem der Einsatz von Atomwaffen und die Vernichtung Israels, der Hauptagentur der USA in dieser Region, möglich wären.
Es ist durchaus vorstellbar; dass die USA einen Vorwand für den Angriff schaffen werden, sobald genug Kräfte in der Region aufgefahren sind. Die US-Generäle können es sich nicht leisten, ihre Truppen auf Dauer in der Wüste verkommen zu lassen. Sobald sie sich bereit fühlen, können sie einen passenden Zwischenfall konstruieren — vielleicht aufgrund eines Versuchs, die Blockade zu umgehen oder aufgrund der Geiselfrage — so wie sie es auch in Vietnam im Golf von Tonking machten.
Der US-Imperialismus baut seine Truppenstärke auf mindestens 300.000 Mann Heer und eindrucksvolle Luftwaffen- und Flottenstärke aus. Dazu kommen noch die Hilfstruppen des britischen und französischen Imperialismus und die symbolischen Einheiten anderer Länder (insgesamt immerhin 100.000 Mann). Offensichtlich ist der US-Imperialismus immer noch die schreckenerregendste Militärmacht, die die Welt jemals gesehen hat, und daher erscheint auf der rein militärischen Ebene ein amerikanischer Sieg als nahezu sicher. Allerdings wird es sich — anders als in Grenada oder Panama — nicht als einfacher Spaziergang gestalten. Irak hat eine riesige Militärmaschinerie herausgebildet: die fünftgrößte Armee der Welt (eine Million Soldaten und eine Million Reservisten), verfügt über 5000 Panzer, höchstentwickelte Kampfflugzeuge und Kampfbomber; Chemiewaffen und Raketensysteme, U-Boote, Artillerie und eine hochentwickelte eigene elektronische und Rüstungsindustrie sowie nicht zuletzt Erfahrung aus acht Jahren Wüstenkrieg. Noch vor dem Ausbruch der Feindseligkeiten sind bei den Amerikanern schwerwiegende technische, logistische und moralische Probleme aufgetaucht. Computerteile schmelzen in der Wüstenhitze, Sand setzt sich in das Getriebe der Waffen und die Truppe vegetiert unter unmenschlichen Bedingungen vor sich hin.
Die Generalstabschefs der US-Truppen gehen davon aus, dass es selbst bei einem kurzen Krieg mindestens 30.000 Tote geben könnte, vielleicht sogar 100.000 — verglichen mit den 500.000 amerikanischen Todesopfern aus dem 13jährigen Vietnamkrieg. Die Kampfmoral der in der saudiarabischen Wüste stationierten Truppe ist schon sehr niedergedrückt. Es sind Soldaten zitiert worden, die die Frage gestellt haben, warum sie ihre Leben lassen müssen, nur damit das Öl billig bleibt. Selbst daheim in den USA ist die Stimmung nicht so chauvinistisch wie zu Beginn des Vietnamkrieges oder auch wie bei den letzten Operationen in Grenada, Libyen, Libanon und Panama. Ein längerer Krieg mit schweren Menschenopfern würde die US-amerikanische Gesellschaft stark radikalisieren, noch stärker als zur Zeit des Vietnamkrieges, genau weil erstmals Krieg und Rezession zusammenfallen würden. Angesichts des überaus starken Gewichts der Schwarzen und Hispanics in der US Army könnte ein Krieg neue Aufstände in den Ghettos der amerikanischen Metropolen auslösen. Ebenso würden in Frankreich und Großbritannien, die auch viele Soldaten verlieren würden, massive Anti-Kriegs-Bewegungen ausbrechen.
Unter diesen Umständen haben einige der Strategen des Imperialismus erkannt, dass die Konsequenzen des Krieges für den US-Imperialismus katastrophal wären: Todsopfer; wirtschaftliche Rezession und innenpolitische Anti-Kriegs-Bewegung ganz abgesehen von wachsender Gärung und Aufruhr in Nahost. Vor diesem Hintergrund kann das Zustandekommen einer friedlichen, einer Verhandlungslösung immer noch nicht ganz ausgeschlossen werden. Bush, Hurd und Mitterrand haben darauf angespielt, dass sie sich eine friedliche Lösung nach einem irakischen Truppenabzug aus Kuwait vorstellen könnten — was allerdings eine durch einen militärischen Aufmarsch von 300.000 Soldaten erzwungene „Lösung“ wäre. Der französische Imperialismus strebt eine friedliche Lösung an: Schließlich hat er traditionellerweise Nordafrika beherrscht. Er hat viele Investitionen und Besitz im Irak sowie zwei Millionen arabische Gastarbeiter im eigenen Land. Auch die Sowjetbürokratie fürchtet jegliche Bedrohung der globalen Stabilität und speziell die Auswirkungen eines Krieges auf ihre in Bewegung geratene moslemische Bevölkerung. Allerdings zeichnet sich bisher keine substantielle Basis für eine Verhandlungslösung ab. Derzeit erscheint ein Krieg als die wahrscheinlichste Variante.
Wenn die kriegerischen Handlungen erst einmal begonnen haben, könnte es einen bitteren Kampf um Kuwait-City geben. Wenn hierbei die irakischen Truppen vertrieben worden wären, könnte Saddam sie auf die alten irakischen Grenzen hin zurückziehen und vielleicht die Inseln und einen Teil des Ölfeldes behalten, gleichzeitig aber auch mit einem Angriff auf die saudi-arabischen Ölfelder drohen, um die USA von einem Einmarsch abzuschrecken. Theoretisch ist es nicht ausgeschlossen, dass es zu einem Friedensabschluss kommt, noch bevor der Krieg so weit ausufert. Als wahrscheinlicher erscheint es allerdings, dass der US-Imperialismus versuchen würde, seine Eroberungen auszubauen; er ist daran interessiert, die irakische Militärmaschinerie vollständig zu zerschlagen und der gesamten Region eine vertraglich festgeschriebene Lösung zu diktieren. Was auch immer der konkrete Ausgang des Krieges sein mag — das Ende vom Lied kann nur heißen — dass die Instabilität vervielfacht wird.