Zu aktuellen Auseinandersetzungen und dem Stand des Volksentscheids
An Berliner Krankenhäusern kehrt keine Ruhe ein – sollte es auch nicht angesichts der anhaltenden schlechten Bezahlung und des Personalmangels. Während der Berliner Senat den Volksentscheid für Gesunde Krankenhäuser als rechtlich unzulässig ansieht, konnten durch Streiks und Proteste einige Verbesserungen erreicht werden – jedoch nicht so viel wie nötig und möglich wäre. Wie kann es weitergehen?
von Michael Koschitzki, Berlin
Für sie war es der erste Streik im Krankenhaus überhaupt: Als die Beschäftigten des Sana-Klinikums Berlin Lichtenberg und Sommerfeld in Brandenburg am 23. Mai ihre Arbeit niederlegten, ließen sie den privaten Krankenhauskonzern spüren, wie scharf das Schwert des Streiks ist: Zahlreiche Operationen fielen aus, Funktionsbereiche waren nicht besetzt, Behandlungen mussten abgesagt werden.
Die Beschäftigten waren zurecht sauer auf den Konzern, der bis dahin circa dreizehn Prozent unter TVÖD bezahlte, Beschäftigte in Ostdeutschland unbezahlt eine Stunde länger arbeiten ließ und trotz seiner großflächigen Werbekampagnen behauptete, er hätte keinen Fachkräftemangel. Zusätzlich ließ die Wut steigen, dass er im Geschäftsbericht 2018 verkündete, die Tariferhöhungen würden (vermutlich durch Arbeitsverdichtung) kompensiert und die Dividende für Aktionäre konstant gehalten werden.
Im Westen nichts Neues
Doch leider waren die Beschäftigten der beiden Kliniken allein im Streik. An den anderen Standorten wurde es bei aktiven Mittagspausen belassen. Die Auseinandersetzung würde für sie keine Arbeitszeitverkürzung bringen würde und die aufgestellte Forderung von plus sieben Prozent und mindestens 200 Euro war angesichts der Lohndifferenz zum TVÖD noch moderat. Und während der ver.di Fachbereich Drei in Berlin-Brandenburg angesichts harter Auseinandersetzungen kämpferisch eingestellt ist, mag das nicht für die anderen Regionen gelten.
Und so wurde nach nur einem Streiktag von zwei Standorten schon ein Angebot von Sana von der Tarifkommission angenommen, in der Lichtenberg und Sommerfeld nur schlecht vertreten sind. Der Abschluss sieht zwar eine Angleichung der Arbeitszeit im Osten auf Westniveau vor, was dreißig Jahre nach der Wende eine Selbstverständlichkeit sein sollte, aber beim Lohn ist er ungenügend. Gerade mal vier Prozent und 100 Euro sind für die Beschäftigten vorgesehen. Auszubildende erhalten nur 50 Euro. Damit bleiben sie hinter den Lohnsteigerungen des Öffentlichen Diensts und den Lohnsteigerungen der Ärzt*innen zurück.
Doch der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von nur einem Jahr. Durch die Mitgliederbefragung konnte er nicht mehr gekippt werden. Vor allem muss jetzt die Vorbereitung laufen, damit die Auseinandersetzung nächstes Jahr erfolgreich geführt werden kann. In den Streikhäusern sollte die Organisationsmacht ausgebaut werden – schon jetzt sind allein in Lichtenberg zwei Dutzend neue Mitglieder eingetreten. Dafür braucht es regelmäßige Betriebsgruppentreffen und Kommunikationsstrukturen. Der Kontakt zu den anderen Häusern sollte verstärkt werden, um Streikerfahrungen weiterzugeben und Mut zu machen. Kämpferische Kolleginnen und Kollegen sollten sich in die gewerkschaftlichen Gremien einbringen und dafür kandidieren. Forderungen für eine Tarifrunde 2020 sollten bald diskutiert werden: Wir schlagen dafür vor, die Angleichung an den TVÖD zu fordern und dafür zu kämpfen.
Jüdisches Krankenhaus & Tochtergesellschaften
Dafür kämpfen derzeit auch die Beschäftigten am Jüdischen Krankenhaus in Berlin-Wedding. Eine gewerkschaftliche Kampagne dafür hat zu zahlreichen Neueintritten geführt – eine aktive Mittagspause gemeinsam mit den streikenden Charité Therapeut*innen hat die verstärkte Mobilisierung gezeigt, als zahlreiche Kolleg*innen rauskamen und mehrere dutzend Auszubilende sich spontan anschlossen. Die Geschäftsleitung hat Angst, dass ein Streik am Krankenhaus sehr gut befolgt werden könnte. Deshalb stellen sie laut Verhandlungskreisen die Angleichung an den TVÖD zum ersten Januar 2021 schon in Aussicht. Ein Knackpunkt ist jedoch, dass nach Haustarif eine halbe Stunde weniger pro Woche gearbeitet wird, als im TVÖD für Berlin vorgesehen ist. Doch im TVÖD gibt es eine Reihe von Häusern, die abweichende Regelungen und Besserstellungen haben. Warum sollte man hier kampflos zustimmen? Vor allem sind Arbeitszeitverkürzungen für alle Beschäftigten dringend nötig und die Bedingungen für Angleichung nach unten, würden sich verschlechtern, wenn man das einfach annimmt.
Einen Erfolg können wahrscheinlich die Therapeut*innen, Masseur*innen und medizinischen Bademeister*innen von Charité und Vivantes einfahren. An der Charité streikten sie über 45 Tage sogar unter solidarischer Beteiligung von ein Dutzend Altbeschäftigten, die von den Regelungen gar keinen persönlichen Gewinn haben. In den 45 Streiktagen legten sie nicht nur die Arbeit nieder sondern nahmen immer wieder die politische Verantwortlichen im Rot-Rot-Grünen Senat ins Visier, die eine Angleichung an den Flächentarif zwar im Koalitionsvertrag in Aussicht stellten, aber dann nichts mehr dafür taten.
Nun sieht es danach aus, dass der Senat und die Krankenhäuser dem Druck nachkommen müssen und die ausgegründeten Töchter zum Januar 2020 wieder eingliedern, wodurch sie nach TVÖD bezahlt werden. Ob die Krankenhäuser dazu noch ein Hintertürchen finden, bleibt abzuwarten. An der Charité machten Gerüchte die Runde, die Therapieleistungen könnten eingespart werden, was zu Stellenabbau führen würde. Bisher waren auch die Geschäftsleitungen der Töchter zu keinem Tarifvertrag bereit – waren aber an der Charité gezwungen einseitig um 150 Euro den Lohn pro Monat zu erhöhen.
Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus
Unterstützung erhielten die Beschäftigten in allen Auseinandersetzungen auch vom Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus, in dem auch die SAV mitarbeitet. Das Bündnis ist zu einem Anlaufpunkt vieler Aktivist*innen Berliner Krankenhäuser geworden, die Auseinandersetzungen unterstützen, die Unterschriftensammlungen für den Olympischen Brief koordinierten, bei Filmvorführungen von „der marktgerechte Patient“ auftraten und zu dem Protest gegen die Gesundheitsminister*innenkonferenz in Leipzig mobilisierten, wo über 2.500 Beschäftigte Jens Spahn auspfiffen.
Vor einem Jahr beendeten sie die Unterschriftensammlungen für den Volksentscheid für Gesunde Krankenhäuser, mit denen fast 50.000 Unterschriften zusammen kamen. Darin wird eine gesetzliche Mindestpersonalbemessung für Berliner Krankenhäuser gefordert, um den Pflegenotstand zu beenden. Die Berliner SPD Gesundheitssenatorin führte mit dem Bündnis im letzten Jahr zwei Gespräche durch, in dem sie das Bündnis dazu überreden wollte, von dem Volksentscheid Abstand zu nehmen, um einen unbestimmten gemeinsamen Prozess zur Verbesserung der Personallage zu beginnen. Das Bündnis bestand auf der Prüfung seines Gesetzesvorschlags, auch wenn es zu Gesprächen über Alternativen bereit war. Jedoch entpuppte sich die Gesprächsbereitschaft des Senats wenig überraschend nur als Taktik, um den Volksentscheid zu beenden.
Nach dem die rechtliche Prüfung des Volksentscheids ein Jahr hinausgezögert wurde, entschied der Senat am 2. Juli, dass er den Volksentscheid für rechtlich unzulässig hält. Als Begründung wird angeführt, dass es in die konkurrierende Gesetzgebung von Bund und Land fallen würde und die Bundesregierung mit den Personaluntergrenzen die Gesetzgebungskompetenz an sich gezogen hätte. Außerdem wird das Koppelungsverbot von Volksentscheiden ins Feld geführt, wonach nicht unterschiedliche Bereiche in einem Entscheid geregelt werden dürfen. In diesem Fall werden Reinigungsvorgaben und Personalvorgaben in ein Gesetz für gute Pflege und Sicherheit von Patient*innen geschrieben. Wie kann man argumentieren, dass das nicht zusammengehört?
In Bezug auf die Gesetzgebungskompetenz weißt der Volksentscheid darauf hin, dass die Personaluntergrenzen mal davon abgesehen, dass sie nicht ausreichend sind und zu Absenkungserscheinungen führen können, gar keine Qualitätskriterien sind, es Öffnungsklauseln gibt und das Feld überhaupt nicht abschließend regeln. Diese Auffassung will das Bündnis auch bis zum Berliner Verfassungsgericht verteidigen und bereitet weitere Aktionen in dem Zusammenhang vor, um weiter Druck zu machen.
Der Senat argumentiert, er würde sich den Inhalten des Volksentscheids verpflichtet fühlen. Wenn dem so ist, könnte er eine bedarfsorientierte Personalbemessung an den landeseigenen Kliniken sofort einführen. Das muss immer wieder aufgezeigt werden.
Kritikwürdig ist insbesondere die Haltung der Berliner LINKEN, die den Volksentscheid mit unterstützt. Im Senat hatte DIE LINKE jedoch ohne Rücksprache mit dem Bündnis, ohne eigene Prüfung und weitere Diskussion, die Entscheidung mitgetragen. Das Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus wendet sich deshalb in einem offenen Brief an DIE LINKE, den sie auch andere Volksentscheide zur Kenntnis gibt.
Wie weiter?
Der Volksentscheid war eine wichtige Kampagne, um zu mobilisieren und Aufmerksamkeit für die Situation in Berliner Krankenhäusern zu erzeugen. Aber wir schrieben schon zum Start der Kampagne: „Doch viele Volksentscheide kämpften mit engen gesetzlichen Grenzen, wurden angezweifelt oder scheiterten an der hohen Zustimmungshürde.“ (https://www.archiv.sozialismus.info/2018/02/berlin-volksentscheid-fuer-gesunde-krankenhaeuser-gestartet/) Die Kampagne sollte nie die Vorstellung nähren, dass sich allein über eine Unterschrift und gesetzliche Mitbestimmung etwas verändern ließe. Nur durch fortgesetzte Mobilisierung, verschiedene Protestformen und Streiks kann der Druck aufrecht erhalten werden.
Die Bundesregierung versucht mit ihrer „Konzertierten Aktion Pflege“ den Eindruck zu erwecken, anzupacken und Dinge zu verbessern. Gewinnung von Kräften aus dem Ausland soll erleichtert werden, die Ausbildung verstärkt und reformiert und ein verbindlicher Mindestlohn in der Altenpflege eingeführt werden. Keine der Maßnahmen wird den Pflegenotstand stoppen. Es beinhaltet im Vergleich zum Koalitionsvertrag auch kaum neue Versprechen. Wie werden Beschäftigte reagieren, wenn sie merken, dass sich nichts ändert? Der sich weiter verschärfende Pflegenotstand und die Realität in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen wird die letzten Illusionen in das Handeln der Bundesregierung verfliegen lassen. Doch es macht sich Frust breit, wenn das Gefühl einzieht, dass man nichts erreichen kann.
Bundesweit braucht es eine gründliche Diskussion in ver.di, was die nächsten Schritte sein können. Es darf nicht klein beigegeben werden. Nirgends hat sich ausreichend etwas gebessert. Es sollte geklärt werden, welche Möglichkeiten es gibt, eine Personalbemessung zu erkämpfen, die nicht unterlaufen oder rechtlich infrage gestellt werden kann. Außerdem sollte diskutiert werden, welche Auseinandersetzungen um Entgelt und Arbeitszeit, Tarifverträgen von Töchtern anstehen, wie in den Häusern der Stand der Organisation ist und wie weiter gekämpft und sich unterstützt werden kann. Ergebnisse dieser Konferenz müssten breit kommuniziert und in einen Strategieplan überführt werden, in dem Beschäftigte gemeinsam kämpfen. In Baden-Württemberg wird die Forderung nach einer Sonderzulage für Pflegekräfte von 500 Euro diskutiert, was ein Ansatzpunkt für die Mobilisierung zur nächsten Entgeltrunde sein kann. Auch für Berlin sollte überlegt werden, wie man auf Landesebene zusammenkommen kann und welche nächsten Schritte hier möglich sind.
Gesundheit ist keine Ware
Als Jens Spahn in Leipzig sich damit brüstete, die Pflege sei aus den Fallpauschalen rausgenommen worden, schallte ihm aus der Menge entgegen „weg damit überall“. Die Beschäftigten spüren im Arbeitsalltag, was Kommerzialisierung des Gesundheitswesens bedeutete. Kürzlich kam heraus, dass Berliner und Brandenburger Krankenhäuser gefährliche gewinnbringende Operationen durchführten, für die sie keine Genehmigung hatten und damit Patient*innen gefährdeten. Im Moment gibt es riesige Kapitalmengen, die profitable Anlagemöglichkeiten suchen, ein Nebenprodukt der strukturellen Krise des Kapitalismus. Private Investitionen im Gesundheitsbereich nehmen deshalb zu.
In Berlin hat die Kampagne „Deutsche Wohnen & Co Enteignen“, die für die Enteignung großer Immobilienkonzerne kämpft, eine große Resonanz. Nicht wenige Beschäftigte entgegnen darauf, dass es auch für private Krankenhäuser eigentlich eine gute Idee wäre. Wir kämpfen dafür, dass Profitstreben im Gesundheitswesen (wie auch sonst in der Gesellschaft) nichts zu suchen hat. Fallpauschalen gehören abgeschafft und das Gesundheitswesen sollte bedarfsorientiert finanziert werden. Private Krankenhausbetreiber, Pflegeeinrichtungen und Pharmakonzerne gehören in Öffentliches Eigentum überführt unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung. In einer demokratischen sozialistischen Gesellschaft würde viel mehr in Gesundheit und die Beschäftigten investiert werden, aber nicht um mehr Behandlungen zu machen und mehr Gewinn, sondern um die Gesellschaft gemäß ihren Bedürfnissen zu versorgen.