Monatelanger Tarifkampf in Druckindustrie endet mit Kompromiss und Rekordlaufzeit von drei Jahren
In der Nacht zum 03. Mai 2019 wurde es bekannt gegeben: Die mehr als sechs Monate andauernde Auseinandersetzung um den Manteltarifvertrag in der Druckindustrie findet einen Abschluss. Bis zum 31. Mai muss die Vereinbarung von ver.di und Unternehmerverband bvdm unterschrieben werden. Der Angriff auf den Manteltarif und damit die Arbeitszeit wurde zwar abgewehrt, doch der Entgelt-Tarifvertrag beinhaltet inakzeptable Bedingungen.
Von René Arnsburg, Berlin
Seit fast zwanzig Jahren ist der Manteltarif einem Dauerbeschuss durch den Bundesverband Druck und Medien ausgesetzt. In jeder Tarifrunde fordert der Verband dessen Abschaffung, bzw. massive Verschlechterungen. Bei der Kündigung des Manteltarifs zum 30. September 2018 wurde dem Fass der Boden ausgeschlagen: Erhöhung der Arbeitszeit von 35 auf 40 Wochenstunden ohne Lohnausgleich, Streichung von Zuschlägen, Absenkung von Jahresonderzahlungen und Urlaubsgeld, Entqualifizierung an der Maschine und noch mehr. Unter dem Strich ein Lohnverlust von bis zu dreißig Prozent. Es war ein Generalangriff, auf den eine Generalmobilisierung hätte folgen müssen.
Kampf ohne Dampf
Auch wenn Defensivkämpfe eine schwierige Ausgangslage sind, da die Initiative bei den Unternehmern liegt, kann ein Angriff dieser Größenordnung eine mobilisierende Wirkung haben. Nach dem ersten Schock über die Frechheit des Unternehmerverbandes machte sich Wut breit. Doch daneben gab es auch ein Ohnmachtsgefühl. Die Kolleg*innen wissen: In Wirklichkeit ist nur noch eine Minderheit der Betriebe an den Flächentarif gebunden. Einige Betriebe wie die „Augsburger Presse-Druck und Verlags GmbH“, nutzten die Kündigung des MTV sogar dazu, gänzlich aus der Fläche auszutreten. Dabei gilt eigentlich, dass Unternehmen, die Teil des Branchenverbandes bvdm sein wollen, auch den Flächentarif anwenden müssen. Nicht so hier, denn der bvdm bietet sogenannte OT-Mitgliedschaften, also „ohne Tarif“, an. Mit dem Ergebnis, dass auf der Seite der Druckindustrie Unternehmen verhandeln, die nicht einmal das Verhandlungsergebnis anwenden müssen. Viele durchsetzungsstarke Betriebe, die den Kampf hätten erfolgreich machen können, haben schon lange Haustarife – wie die Bundesdruckerei. Dort werden für Gewöhnlich schnell Abschlüsse verabschiedet, um diese Belegschaft aus dem Kampf rauszuhalten, denn branchenweite Solidaritätsstreiks sind möglich. Dazu gibt es viele betriebliche Regelungen, die den geltenden Flächentarifvertrag unterlaufen. Dass die Flucht aus der Fläche und die Durchlöcherung des Tarifs durch Sondervereinbarungen in den vergangenen Jahren im Tausch für scheinbare Beschäftigungssicherung akzeptiert wurde, hat die Ausgangslage für die Beschäftigten verschlechtert. Mehr dazu weiter unten.
Es gab während des Streiks jedoch Entscheidungen der Bundestarifkommission, die den weiteren Verlauf maßgeblich negativ beeinflusst haben. Die Überlegung, dass mehr Betriebe für einen neuen Entgelt-Tarifvertrag mobilisiert werden können, hat zur Entscheidung geführt, diesen zu kündigen und zeitgleich zum MTV zu verhandeln. Einzelne Kolleg*innen warnten vor den drohenden Kompensationsgeschäften, die in dieser Situation angelegt sind. Sie sollten Recht behalten.
In einer derart zerklüfteten Tariflandschaft wurde im Januar 2019 eine Regionalisierung der Streiks beschlossen. Ohne das Mittel des bundesweiten Vollstreiks oder unbefristeter Streiks zu nutzen, sollten die Druckereien in Bayern, Baden-Württemberg und NRW die regionalen Branchenverbände dazu zwingen, den Mantel wieder ein- und die Lohnerhöhung umzusetzen. Nach diesen Musterabschlüssen sollte dann ein bundesweiter Abschluss umgesetzt werden. In Wirklichkeit stand den Beschäftigten in den Bundesländern aber weiterhin ein bundesweiter Unternehmerverband gegenüber.
Zeitgleich mit dem Tarifkampf im Druck fanden Auseinandersetzungen in verwandten und verbundenen Branchen statt: (Zeitungs-)Verlage, Pappe, Papier und Kunststoffverarbeitung. Mehr als einige wenige symbolische Aktionen in Solidarität hat es nicht gegeben. Eine tarifübergreifende Verbindung und Koordination der Kämpfe hätte die Ausgangsvoraussetzungen und ganz sicher das Ergebnis aller Bereiche verbessert.
Der von Noch-Bundesfachbereichsleiter und designiertem ver.di-Vorsitzenden Frank Werneke als „akzeptabel“ bezeichnete Lohnabschluss ist völlig unannehmbar. Zwar wurde zugesichert, den Manteltarif wieder für alle Beschäftigten ohne Verschlechterungen einzusetzen, was eine erfolgreiche Abwehr des Angriffes ist. Aber er wurde mit einer Absenkung der Reallöhne erkauft. Ab Mai 2019 soll der Lohn um 2,4 Prozent (also 1,6 Prozent auf das gesamte Jahr), 2020 um 2 und 2021 nur um 1 Prozent steigen. Gefordert waren fünf Prozent. Allein die Mieten sind 2018 bundesweit um 4,8 Prozent gestiegen. Die Laufzeit des Tarifvertrages beträgt rekordverdächtige 36 Monate – drei Jahre. Drei Jahre Betriebsfrieden bedeuten drei Jahre keine kollektive Bewegung für gemeinsame Forderungen, drei Jahre kein praktisches Beispiel dafür, wie eine Gewerkschaft für die Interessen der Beschäftigten eintreten kann. ver.di-Quietscheentchen und Rechtsschutz werden das nicht aufwiegen. Noch ist das Beispiel des verteidigten Mantels frisch, aber schon in einem Jahr werden sich Kolleg*innen fragen, wofür sie in die Gewerkschaft eintreten sollen.
Nachtigall, ick hör‘ dir trapsen – keine Verhandlungen mit Friedenspflicht!
Nach dem Streik ist vor dem Streik, heißt es. Doch ob in drei Jahren überhaupt eine weitere Tarifauseinandersetzung geplant ist, um nicht nur Bestehendes zu verteidigen, sondern Verbesserungen zu erkämpfen, ist fraglich. In der noch zu zeichnenden Vereinbarung zwischen ver.di und dem bvdm wird angekündigt, dass es während der Laufzeit Verhandlungen über den Manteltarif geben soll. Beide Seiten sollen darin ihre Forderungen einbringen. Im Endeffekt heißt das, dass der bvdm seinen Angriff auf den MTV nicht abbläst, sondern aus der aktiven Auseinandersetzung raushält und ins Hinterzimmer verschieb. Die Vereinbarung legt fest, dass bis zum Ende der Laufzeit neue Regelungen erlangt werden sollen. Verhandlungen während der Friedenspflicht bedeuten aber nichts anderes, als dass den Beschäftigten ihr Druckmittel genommen wird – der Streik. Deshalb darf es keine Verhandlungen ohne volle Aktionsfähigkeit in den Betrieben geben. Jedes Gespräch mit den Unternehmen muss transparent sein, Forderungen müssen von den Belegschaften diskutiert und beschlossen werden.
Im BVG-Streik in Berlin hat die Belegschaft die Forderung aufgestellt, dass die Arbeitszeit für alle auf 36,5 Stunden verkürzt wird. Das sollte eine über zehn Jahre anhaltende Ungleichbehandlung von neu eingestellten Kolleg*innen beenden. Dann hat die Verhandlungsführung ohne Absprache die Lohnfrage aufgeworfen, obwohl es dazu keine demokratisch diskutierte Forderung gab. Die Wirkung war ein Kompromiss bei der Arbeitszeitfrage und eine Vertröstung auf spätere Kämpfe.
Eine verantwortliche und rechenschaftspflichtige Verhandlungsführung darf keine Absprachen treffen, keine Forderungen aufbringen und keinen Punkten zustimmen, die nicht an die Beschäftigten zurückgetragen und bestätigt worden sind. Tarifergebnisse werden durch das Kräfteverhältnis im Betrieb und nicht durch kluge Verhandlungen entschieden. Ohne organisierte Macht der Beschäftigten, setzt sich kein Unternehmer mit der Gewerkschaft an einen Tisch. Dafür muss man natürlich Schlagkraft aufbauen.
Nach dem Streik ist vor dem Streik
Das Argument, dass die Beschäftigten zu schwach wären oder sich nicht genügend beteiligen würden, wälzt die Verantwortung für den Verlauf von Kämpfen auf die Kolleg*innen ab. Die Verantwortung der Gewerkschaftsführung für den Organisationsgrad und den Willen, zu kämpfen, wird dabei außen vor gelassen.
Man darf sich nicht der Illusion hingeben, dass in jeder Situation immer das Maximum zu erlangen wäre. Wenn Forderungen der Arbeiter*innen trotz Ausschöpfung aller Mittel aber nicht durchgesetzt werden können, dann weil die potentielle Kraft zur Durchsetzung der Forderungen nicht genutzt wurde und nicht, weil jemand keine Lust hatte. Dann muss darüber diskutiert werden, woran es lag, Streikstrategien hinterfragt werden, der Organisationsgrad erhöht werden, bessere Vorbereitungen getroffen werden, um beim nächsten Mal besser dazustehen.
Niederlagen müssen offen eingestanden werden, ohne mit dem Finger auf Kolleg*innen zu zeigen, sondern mit einer Perspektive verbunden sein, wie es beim nächsten Mal besser laufen kann. Die Verbindung von verschiedenen Kämpfen kann die Ausgangsvoraussetzungen grundlegend verbessern.
Die vereinbarte Laufzeit und das Ergebnis sind schädlich für ver.di und eine Katastrophe für die Mitglieder. Es muss über die Ergebnisse Urabstimmungen zu beiden Tarifeinigungen geben und Kolleg*innen sollten den Lohnabschluss ablehnen. Das muss mit der Perspektive verbunden werden, die volle Kampfkraft aller Beschäftigten in der Druckindustrie auszuschöpfen, um ein besseres Ergebnis zu erzielen.
Zwar wurden in den letzten Wochen auf die Belegschaften der Betriebe ohne Tarifbindung zum Streik aufgerufen, aber der geringe Organisationsgrad sorgte dafür, dass diese ohne Wirkung blieben. Dem kann nur durch eine breit angelegte Organisationskampagne mit einem Schwerpunkt auf die Herstellung der Kampffähigkeit dieser Betriebe entgegen geweirkt werden. Dafür braucht man ein konkretes Ziel für das Ende der Tariflaufzeit. Dieses kann nicht darin bestehen, dass der Manteltarif automatisch ausläuft und dann das Ergebnis schon durch Hinterzimmergespräche vorweg genommen wurde. Die Eingliederung aller Druckbetriebe in einen guten Flächentarifvertrag muss das Ziel sein. Offensive Lohnforderungen haben einen mobilisierenden Effekt. Dem wird oft entgegen gehalten, dass die Situation der Druckindustrie prekär ist. Doch ist der jetzige Zustand wirklich die Endstation?
Stellenabbau, Schließung, Verlagerung – eine Sackgasse für Kämpfe?
Die im Manteltarifvertrag (MTV) festgeschriebenen Regelungen zur Arbeitszeit haben historische Bedeutung. Es ist eine der ersten und letzten Branchen, in der 1984 in einem Flächentarif nach zwölf Streikwochen die 35-Stunden-Woche für alle erkämpft wurde. Dieses Ergebnis fiel nicht vom Himmel, sondern war Ausfluss der kämpferischen Politik der ehemaligen IG Druck und Papier (später IG Medien und seit 2001 Teil des Fachbereichs 8 in ver.di). Durch die konsequente Haltung ihrer Gewerkschaft konnte eine der ältesten Berufsgruppen der deutschen Industrie einen nahezu hundertprozentigen Organisationsgrad erreichen. Ein Überbleibsel dieser Zeit ist der MTV.
Lange ist die Druckindustrie in Deutschland nicht mehr in dem Zustand wie noch wenige Jahrzehnte zuvor. Die Einführung neuer Maschinengenerationen haben nicht etwa weitere Arbeitszeitverkürzungen und Erleichterungen des Betriebsablaufes zur Folge gehabt. Heute arbeitet nur noch ein Bruchteil der Beschäftigten im Druck. Dafür schlagen sich die Unternehmen um Großaufträge, was den Druck auf die Flexibilität der Beschäftigten erhöht. Dabei müsste die Einführung neuer Technologie (Stichwort Industrie 4.0) keineswegs mit einem notwendigen Stellenabbau einher gehen, wenn diese nicht im Interesse der Profite der Kapitalisten eingesetzt würde. Von den knapp 223.000 Kolleg*innen in den 2000ern sind noch 134.000 übrig. Dem wäre nur entgegenzuwirken gewesen, wenn für eine Verkürzung der Arbeitszeit bei vollem Lohnausgleich gekämpft worden wäre und Ersatzarbeitsplätze geschaffen worden wären. Entweder entstehen diese direkt im Betrieb (was die Unternehmer nicht freiwillig tun werden), oder die Produktion wird umgestellt und damit neue gesellschaftlich sinnvolle Arbeitsplätze geschaffen. Das schließt eine Fortzahlung der Löhne und Qualifizierung der Kolleg*innen mit ein. Die Kosten dafür müssen aus den Vermögen der Reichen erbracht werden, die jahrelang Gewinne durch die Arbeit der Lohnabhängigen einstreichen und diese dann unverschuldet kündigen, wenn die Konjunktur sich ändert.
Natürlich spricht die Profitorientierung der Druckindustrie gegen ein solches Konzept. Von unternehmerischer Seite wird auf die globale Konkurrenzsituation verwiesen und wenn nicht mehr an Maschinen gespart werden kann, muss der Lohn gedrückt werden, sonst wird ins Ausland verlagert. Ohne eine Perspektive, wie diese Frage zu lösen ist, ist man als Gewerkschaft zum zurückweichen verdammt.
Gegen Betriebsschließung und – verlagerung muss ebenso gestreikt werden, wie gegen die Entlassung von Kolleg*innen. Um die reale Verlagerung des Produktion, also dem Abbau von Maschinen, zu verhindern, darf man vor Betriebsbesetzungen nicht zurückschrecken. Das ist beispielsweise im Nachbarland Frankreich nicht unüblich. Isolierte Kämpfe werden auf lange Sicht nicht erfolgreich sein. Gerade da kommt es auf die Massenorganisation Gewerkschaft an, eine breite Solidaritätskampagne für die Streikenden zu starten und Unterstützung aus anderen Bereichen zu organisieren. Es Bedarf einer weitergehenden Perspektive, damit solche Auseinandersetzung nicht zum Scheitern verurteilt sind.
Was sowohl die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen, die Verkürzung der Arbeitszeit auf Kosten der Profite oder die drohende Schließung und Verlagerung von Betrieben angeht, bleibt eine Forderung zentral: Verstaatlichung. Da wir uns keinen Illusionen in eine Verstaatlichung unter Kontrolle der CDU-SPD-Koalition hingeben, ist naheliegend, dass verstaatlichte Betriebe von Beschäftigten und ihren Organisationen kontrolliert und verwaltet werden müssen. Diese wissen ohnehin besser, wie die Produktion zu organisieren ist, da sie jeden Tag dort arbeiten. Notwendige Leitungsfunktionen sowie die Leitung der Betriebe durch Vertreter*innen der Belegschaft oder Gewerkschaft sind kein natürliches Privileg eines gut bezahlten Managements, sondern können besser Wahlämter sein, die durch Transparenz und Rechenschaftspflicht sowie jederzeitiger Abwählbarkeit Korruption und Selbstbereicherung vorbeugen.
René Arnsburg ist Mitglied im Fachgruppenvorstand Verlage, Druck und Papier von ver.di Berlin-Brandenburg