Ein sozialistisches Programm für Europa
Ende Mai finden die Wahlen zum Europäische Parlament statt. Es ist zu erwarten, dass diese europaweit die Dauerkrise der EU verschärfen werden, denn es wird mit einem Wahlerfolg für die EU-kritischen, vor allem rechtspopulistischen, Parteien gerechnet. Die Große Koalition aus dem christdemokratischen Zusammenschluss der Europäischen Volkspartei (EVP) und der sozialdemokratischen Parteien (S&D) könnte ihre Mehrheit verlieren.
Von Sascha Stanicic
Kein Wunder. Die EU hat für Lohnabhängige nichts zu bieten. Sie steht für neoliberale Deregulierung und das Primat der Marktes vor den Bedürfnissen der Menschen. Angesichts des Wachstums nationalistischer Kräfte denken in Deutschland viele, die EU sei eine Waffe gegen Nationalismus, Rassismus und Rechtsextremismus. Das Gegenteil ist der Fall. Die EU steht für eine Militarisierung der Außenpolitik, für eine Abschottung ihrer Außengrenzen und eine unmenschliche Politik gegenüber Geflüchteten. Die Toten des Mittelmeers gehen auch auf das Konto der EU und ihrer Grenzschutzagentur FRONTEX. Das Versagen der EU treibt Menschen direkt in die Arme von Nationalist*innen, die behaupten, der Nationalstaat könne die Interessen der Bevölkerung besser zum Ausdruck bringen. Tatsache ist aber, dass es der EU nicht gelungen ist – und nie gelingen wird – die Nationalstaaten zu überwinden. Denn der Kapitalismus basiert auf der Herrschaft von Kapitalistenklassen, die weiterhin nationalen Charakter haben – trotz internationaler Verflechtung, globaler Aktienverteilung und Produktionsketten – und den Nationalstaat als Instrument zur Wahrung ihrer Profitinteressen brauchen. So führt die Krise des Kapitalismus zur Krise der EU und direkt zur Verstärkung nationaler Antagonismen, wie wir es in den letzten Jahren beobachten können.
Ist die EU reformierbar?
Die EU wird, auch von vielen Linken, als Friedensprojekt dargestellt. Das ist sie heute nicht und war sie nie. Sie ist ein Wirtschaftsblock, ein Bündnis kapitalistischer Nationalstaaten zur Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber anderen Wirtschaftsblöcken – den USA, Japan, China – und gegenüber den Arbeiterklassen der EU-Staaten. Neoliberale Logik ist zentraler Bestandteil der EU-Verträge. So sollen zum Beispiel „Tarifverhandlungen auf die betriebliche Ebene verlagert oder Tarifvertragssysteme mit betrieblichen Öffnungsklauseln angestrebt werden. Regelungen zur Lohnindexierung (z.B. Anpassung der Löhne bei steigender Inflation) sollen überprüft und möglichst abgeschafft werden (was auch geschah)“i. Die Maastricht-Kriterien zur Begrenzung von Haushaltsdefiziten und Staatsverschuldung fördern Kürzungspolitik und die EU übt Druck zum Beispiel für Privatisierungen aus. Ebenso sehen diese Verträge ein Aufrüstungsgebot vor. Diese Verträge können nur geändert werden, wenn alle 28 Mitgliedsstaaten zustimmen – damit ist es faktisch unmöglich, dass die EU zu einem Projekt im Interesse der arbeitenden Menschen reformiert wird. Sollten in einzelnen EU-Staaten linke Regierungen ins Amt kommen, würden sie in einen Widerspruch zur EU geraten, wenn sie sozialistische Maßnahmen umsetzen wollten. Selbst das relativ gemäßigte Programm des Labour-Vorsitzenden Jeremy Corbyn in Großbritannien, das eine Re-Verstaatlichung der Eisenbahnen und anderer zuvor privatisierter Bereiche vorsieht, könnte nach EU-Recht nicht durchgesetzt werden. Die EU ist kein neutraler Rahmen, der je nach politischen Mehrheitsverhältnissen mit unterschiedlichem Inhalt gefüllt werden kann. Sozialistische Politik im Interesse der Arbeiterklasse und sozial benachteiligten ist nur durchzusetzen, wenn mit den EU-Verträgen gebrochen wird.
Zurück zum Nationalstaat?
Sozialistische Opposition zur EU bedeutet keine politische Unterstützung nationalstaatlich begrenzter Politik und schon gar nicht Nationalismus. Es ist keine Frage, dass die großen gesellschaftlichen Probleme unserer Zeit nur auf internationaler, ja globaler Ebene bekämpft werden können. Doch die EU ist Teil des Problems und nicht der Lösung. Linke EU-Kritik ist internationalistisch und stellt diesem Europa der Banken und Konzerne ein sozialistisches Europa der Arbeiter*innen entgegen. Der Aufbau eines solchen Europas muss sich vollziehen durch die Bildung von Regierungen von Arbeiter*innen für Arbeiter*innen, die mit den EU-Verträgen brechen und sich auf neuer, gleichberechtigter und freiwilliger Grundlage zu einer sozialistischen Föderation zusammen schließen. Ja, das klingt weit weg. Aber eins ist sicher: bleibt der Kapitalismus an der Macht, wird es mehr Krisen und mehr Verschlechterungen für das Leben der arbeitenden und erwerbslosen Menschen geben. Das Übel muss an der Wurzel gepackt werden.
Gegenmacht von unten aufbauen
Voraussetzung dafür, solche Regierungen zu bekommen, ist der Aufbau starker Massenorganisationen der Arbeiterklasse: einer wirklichen sozialistischen Arbeiterpartei, kämpferischer und demokratischer Gewerkschaften und anderer Formen von Selbstorganisation wie Komitees und Räten. In Griechenland gab es 2015 die Chance, eine solche Regierung zu bilden, doch die linke Partei SYRIZA unter Alexis Tsipras kapitulierte unter dem Druck der so genannten Troika (EU, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds – die Bundesregierung spielte dabei eine treibende Rolle) und setzte statt einer Politik im Interesse der griechischen Arbeiter*innen und Armen die Kürzungsvorgaben der europäischen Kapitalistenklassen um. Daraus muss die Linke alle nötigen Lehren ziehen, nicht zuletzt weil die nächste Wirtschaftskrise vor der Tür steht. Die wichtigste ist: die Interessen der Arbeiter*innenklasse sind nur durch sozialistische Maßnahmen gegen die Banken und Konzerne durchzusetzen. Im Falle von Griechenland und bei ähnlichen Krisen wären das unter anderem: Sofortige Streichung der Auslandsschulden; Einführung von Kapitalverkehrskontrollen und eines staatlichen Außenhandelsmonopols; Verstaatlichung von Banken und Konzernen unter demokratischer Kontrolle der arbeitenden Bevölkerung. Das könnte nur gegen die EU durchgesetzt werden.
Natürlich wollen wir nicht abwarten, bis irgendwann solche Regierungen im Amt sind. Ein sozialistisches Programm zur Verteidigung des Lebensstandards der Arbeiter*innen in Europa beginnt mit dem gemeinsamen Widerstand gegen Arbeitsplatzvernichtung und gegen Kürzungspolitik, die den Menschen von der EU und den nationalen Regierungen aufgezwungen werden. Und mit dem Kampf für starke und kämpferische Gewerkschaften und sozialistische Arbeiterparteien, die international gemeinsam agieren und Kämpfe führen.
Die nächste Krise steht vor der Tür
Die EU hat sich nicht von den Folgen der Weltwirtschaftskrise 2008/09 und der darauf folgenden Euro-Krise erholt. Italien steckt schon wieder in einer Rezession, das Wirtschaftswachstum in Deutschland und anderen Ländern lässt nach. Viele Ökonom*innen warnen vor einer neuen Krise, die schlimmere Auswirkungen haben kann, als die letzte. Dann wird der Fortbestand von Euro und EU wieder in Frage gestellt werden und Großbritannien nicht das einzige Land sein, das sich auf den Weg raus aus der EU macht. Die Linke muss dann verhindern, dass die nationalistische Rechte von einer Krise der EU profitiert, indem sie statt die EU schönzureden eine unmissverständliche und internationalistische Opposition gegen die EU formuliert.
Ein solches Programm muss eine Umverteilung von oben nach unten einleiten, um gut bezahlte und sichere Arbeitsplätze zu schaffen, die sozialen Sicherungssysteme auszubauen, Arbeitszeiten drastisch zu verkürzen, in Gesundheit, Bildung und Umweltschutz zu investieren und die Kürzungen der Vergangenheit rückgängig zu machen. Das wird nur im Konflikt mit den Banken und Konzernen durchsetzbar sein und Maßnahmen gegen deren Macht erfordern, wie die Einführung von Kapitalverkehrskontrollen und die Überführung der Banken und Konzerne in öffentliches Eigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung durch die Arbeiterklasse. n
Programm der SAV zur EU
- Europaweiter Widerstand gegen Arbeitsplatzvernichtung, Privatisierung und Sozialabbau
- Löhne rauf – Mieten runter: Deutliche Lohnerhöhungen statt Reallohnverluste; gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit; für gesetzliche Mindestlöhne, die ein würdiges Leben ermöglichen – in Deutschland 13 Euro; Enteignung von Immobilienkonzernen und Mietsenkung per Gesetz
- Rücknahme aller Kürzungen und Privatisierungen der letzten Jahre.
- Ausbau des Bildungs- und Gesundheitswesens, des Umweltschutzes und der sozialen Sicherungssysteme – Kostenlose Bildung von der KiTa bis zum Studium; Weg mit Zuzahlungen für Medikamente etc.
- Drastische Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich – in Deutschland: 30-Stunden-Woche als erster Schritt zur Verteilung der gesellschaftlich sinnvollen Arbeit auf alle
- Die Reichen sollen zahlen: Für eine Millionärssteuer von zehn Prozent, eine drastische Finanztransaktionssteuer und die Einführung eines einfachen Steuersystems von direkten Steuern auf Einkommen, Gewinne, Erbschaften und Vermögen bei starker Progression
- Öffentliche Investitionen zur Schaffung von Millionen Arbeitsplätzen in den Bereichen Bildung, Soziales, Umwelt, Gesundheit und zum Wiederaufbau der Industrie in den Peripherie-Staaten
- Verstaatlichung der großen Konzerne, Banken und Versicherungsgesellschaften unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung
- Kooperation statt Konkurrenz – demokratische Wirtschaftsplanung statt Marktchaos
- Nein zur tödlichen Grenze im Mittelmeer – FRONTEX abschaffen; Bleiberecht und gleiche Rechte für Alle
- Nein zum Europa der Aufrüstung – Auflösung aller militärischen EU-Institutionen; Schluss mit der EU-NATO-Partnerschaft; Stopp aller Waffenexporte; keine Auslandseinsätze der Bundeswehr
- Sofortige Abschaltung aller Atomkraftwerke und sofortiger Ausstieg aus der Braunkohle bei Arbeitsplatzgarantie für die betroffenen Beschäftigten – Überführung der Energiekonzerne in öffentliches Eigentum und vollständige Umstellung auf erneuerbare Energieversorgung
- Nein zur kapitalistischen EU – für eine demokratische, sozialistische Föderation europäischer Staaten auf freiwilliger und gleichberechtigter Basis