SAV veröffentlicht sozialistisches Programm gegen Wohnungsnot und Mietenwahnsinn
Für die Mieterinnen und Mieter ist Wohnen eine Notwendigkeit. Für Immobilienbesitzer und Banken ist Wohnen eine Ware. Laut der Commerzbank-Tochter Private Banking haben neun von zehn Milliardären ihr Vermögen durch Immobilien gebildet. Nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung geben rund vierzig Prozent der Haushalte in Großstädten allein für die Kaltmiete dreißig Prozent ihres Nettoeinkommens aus.
Von Claus Ludwig, Köln
Der Wohnungsmarkt ist ein Spezialfall der kapitalistischen Wirtschaft. Der Boden auf dem die Wohnungen stehen oder erbaut werden sollen, ist nicht vermehrbar. Gleichzeitig braucht jeder Mensch ein Dach über dem Kopf. Wohnungsmieten von Wohnungen in privater Hand sind daher keine „Marktpreise“, sondern Monopolpreise.
Die Privatisierung großer Bestände ehemals städtischer oder landeseigener Wohnungen hat dazu geführt, dass private Wohnungskonzerne wie Deutsche Wohnen oder Vonovia große Teile des Marktes beherrschen. Um ihren Aktionären hohe Dividenden zu liefern, treiben sie die Mieten immer weiter hoch.
Die Vonovia (früher Deutsche Annington) ist Deutschlands größter Vermieter und besitzt 400.000 Wohnungen, die Deutsche Wohnen ist Eigentümerin von über 160.000 Wohnungen.
Wohnungen gehören nicht in den Besitz derartiger Konzerne, sondern in öffentliches Eigentum. Kommune, Land und Bund sind dafür verantwortlich, die Versorgung mit bezahlbaren Wohnungen sicherzustellen. In Berlin wurde ein Volksbegehren gestartet, um die Deutsche Wohnen, Vonovia und andere große Konzerne zu enteignen.
Bei einer Enteignung stellt sich die Frage der Höhe der Entschädigung. Die Idee, der Staat müsse bei einer Enteignung die Wohnungsbestände zum „Marktpreis“ kaufen, ist absurd.
Die Immobilienkonzerne erpressen einfach die Mieter. Entweder man zahlt die horrende Miete, oder man findet gar keine Wohnung. Entweder man zahlt die Mieterhöhung, man zahlt die „Modernisierungsumlage“‘, oder man fliegt raus. Sollen die Konzerne jetzt eine Entschädigung zum „Marktwert“ bekommen, quasi als Belohnung dafür, die Wohnungen spottbillig gekauft und dann die Mieter*innen ausgepresst zu haben? Für die wenigen Kleinaktionäre muss eine Sonderregelung getroffen werden.
Öffentlicher Wohnungsbau
Die Enteignung der großen Immobilienkonzerne wäre für die Bestandsmieter*innen ein Segen. Aber es würden weiterhin bezahlbare Wohnungen fehlen. Noch nie in der Geschichte wurde eine Versorgung mit günstigen Wohnungen durch private Investoren sichergestellt. Die großen Wohnungsbauprogramme in der Geschichte des Kapitalismus wurden sämtlich durch Kommunen, den Staat oder gemeinnützige Genossenschaften getragen.
Wir werden nur dann günstige Wohnungen für alle erreichen, wenn Grund und Boden und die Häuser der profitablen Verwertung durch Private entzogen werden. Wohnen muss als öffentliche Aufgabe begriffen und dem Markt entzogen werden.
Wir meinen damit nicht, dass „Oma ihr klein Häuschen“ vergesellschaftet werden soll. Wir meinen, dass die öffentliche Hand aufhören soll, Grundstücke an private Investoren zu verkaufen und den Versuch einstellen soll, diese durch Subventionen zum Bau halbwegs günstiger Wohnungen zu bewegen. Stattdessen müssen öffentliche Gelder direkt eingesetzt werden, um gute Wohnungen zu schaffen, die dauerhaft günstig sind.
Der Berliner Stadtsoziologe Andrej Holm schätzt die realen Bau- und Bewirtschaftungskosten inklusive Instandhaltung bei Wohnungen mit Luxusausstattung auf 10 Euro pro Quadratmeter, bei Wohnungen mit normaler Ausstattung auf nicht mehr als 6 Euro. Die österreichische Stadt Salzburg baut kommunale Wohnungen ohne Bankenkredite und somit, ohne hohe Zinsen zu bezahlen. Es wird eine Miete zur Deckung der Baukosten und der Unterhaltung in Höhe von 4,78 Euro pro Quadratmeter berechnet.
Würde der Wohnungsbau der profitablen Verwertung entzogen, könnten Kommunen, Bund und Länder gute Wohnungen für 5 oder 6 Euro Nettokaltmiete zur Verfügung stellen.
Es gibt historische Beispiele, wie dies gelingen kann. In Wien wurden in den 1920 und 30er Jahren rund 60.000 kommunale Wohnungen gebaut, finanziert durch eine vom Bundesland Wien erhobene Luxussteuer. Durchschnittlich verdienende Arbeiter*innenfamilien konnten ihre Miete mit ca. 4% ihres Einkommens bezahlen. Durch progressive Besteuerung des Immobilienbesitzes war es möglich, die Marktpreise in Wien so zu begrenzen, dass es der Stadt möglich war, preisgünstige Grundstücke zu erwerben. Dieses bald hundert Jahre alte Bauprogramm wirkt – trotz Einschränkungen und Verschlechterungen – bis heute nach.
Kostenmiete
Mieten müssen sich an den realen Kosten orientieren und nicht an dem, was am Markt oder mit Hilfe eines Miet(erhöhungs)spiegels durchsetzbar ist. Nach Berechnungen des Instituts für sozial-ökologische Wirtschaftsforschung aus dem Jahr 2014 könnten die Mieten um ein Drittel bis um die Hälfte gesenkt werden, wenn der Profitanteil wegfällt. Deshalb brauchen wir eine gesetzlich regulierte und reglementierte Kostenmiete für alle Mietwohnungen.
Mieter*innen wehren sich
In vielen Städten haben Mieter*-innen angefangen, sich zur Wehr zu setzen. VONOVIA-Mieter*inneninitiativen sind dabei, sich bundesweit einem Aktionsbündnis zu vernetzen. Immer wieder werden leerstehende Häuser besetzt. Protestaktionen bis hin zu Blockaden gegen Zwangsräumungen organisiert.
In Berlin ist eine Initiative für einen Volksentscheid zur Enteignung des Wohnungskonzerns Deutsche Wohnen und allen Immobilienkonzernen mit mehr als 3000 Wohneinheiten am Start. In München sind am 15. September 2018 um die 11.000 Mieter*innen gegen die Immobilienhaie auf die Straße gegangen.
In einigen Großstädten gelang es Initiativen, die illegale Zweckentfremdung von Wohnungen in Feriendomizile, meist über den weltweit größten Anbieter Airbnb, aufzudecken und zu erreichen, dass Bußgelder verhängt und die Zweckenentfremdung beendet wurde.
Allerdings steigen die Mieten weiter. Immer neue Formen von Abzocke, Zweckentfremdung und Investoren-Landnahme werden erfunden. Der Widerstand muss deshalb noch größer, breiter, lauter und entschlossener werden.
Nach den Demonstrationen am 6. April 2019 in verschiedenen Städten wäre eine bundesweite Großdemonstration gegen den Mietenwahnsinn in Berlin ein wichtiger Schritt im weiteren Aufbau einer bundesweiten Mieter*innenbewegung.
Derzeit wird in verschiedenen Mieter*inneninitiativen und Bündnissen über den Aufbau einer Mieter*innengewerkschaft diskutiert. Im vergangenen Jahrhundert wurden erfolgreiche Mietenstreiks organisiert. Mieter*innen haben sich gemeinsam geweigert, Mieterhöhungen zu bezahlen. Das zeigt, dass Mieter*innen Macht haben, wenn sie sich organisieren und kollektiv handeln.
Die Gewerkschaften nutzen ihre Kampfkraft bislang nicht, um den Unmut der Lohnabhängigen über Wohnungsnot und Mietenwahnsinn in Widerstand zu verwandeln. Hier muss ein Kurswechsel von unten durchgesetzt werden. Wenn dreißig bis fünfzig Prozent der Nettolöhne heute für die Miete draufgehen, sind offensive Tarifforderungen und deren Durchsetzung durch Streiks überfällig. In Städten mit extrem hohen Mieten müsste der Kampf für Ballungsraumzulagen geführt werden.
Bei den Wohnungskonzernen sind Zehntausende beschäftigt. Die 8500 Beschäftigten bei VONOVIA haben keinen Tarifvertrag und kriegen tagtäglich den Ärger der Mieter*innen ab. ver.di und die IG BAU sollten deshalb die Forderung nach Enteignung der Wohnungskonzerne unterstützen und mit dem Kampf für tarifliche Bezahlung und guten Arbeitsbedingungen verbinden.
Im Herbst 2018 hat DIE LINKE eine bundesweite Mietenkampagne begonnen. Das ist gut. Es dürfen aber keine Illusionen geschürt werden, dass mit der SPD und den Grünen eine soziale Wohnungspolitik möglich wäre. Denn diese Parteien wollen den Kapitalismus aufrechterhalten und deshalb sind sie nicht bereit, sich mit den Kapitalisten, die am Wohnungsmarkt Gewinne erzielen, anzulegen, geschweige denn, sie zu entmachten.
Claus Ludwig ist seit mehreren Jahren wohnungspolitisch engagiert und hat 2013 das Bündnis „Recht auf Stadt“ mitbegründet. Aktuell ist er einer der Sprecher*innen der LINKEN im Kölner Stadtteil Kalk und Mitglied im Landessprecher*innenrat der Antikapitalistischen Linken (AKL) in NRW.
Auszüge aus dem Forderungskatalog in der Broschüre: „Keine Profite mit der Miete“
Sofortmaßnahmen gegen steigende Mieten und Wohnungsmangel
- Wohnungen, die aus Gründen der Spekulation, geplantem Abriss und ähnlichen Gründen leer stehen, müssen beschlagnahmt werden.
- Legalisierung der Besetzung von Gebäuden, die aus spekulativen Gründen leerstehen.
- Ohne mehrheitliche Zustimmung der Betroffenen kein Abriss von Häusern, keine Modernisierung, keine Stadtsanierung.
- Sofortiger Mietpreisstopp. Schluss mit dem System von Vergleichsmieten und Mietspiegel.
- Einführung einer reglementierten und kontrollierten Kostenmiete. Alle Vermieter müssen verpflichtend eine Kostenaufstellung als Grundlage für die Miethöhe liefern.
- Ersatzlose Streichung des Modernisierungsparagrafen, der es erlaubt Modernisierungskosten auf die Miete aufzuschlagen.
- Schluss mit dem Verkauf von öffentlichen Wohnungen, bebauten Grundstücken und Bauland an private Investoren.
Öffentliches Wohnungsbauprogramm
- Der Bund muss den Kommunen für ein Sofortprogramm 40 Milliarden Euro für den Bau von 250.000 kommunalen Wohnungen mit einer Kaltmiete von maximal fünf Euro zur Verfügung stellen.
- Für ein staatlich finanziertes Sofortprogramm ohne Mieterhöhungen zur sinnvollen ganzheitlichen ökologisch-energetischen Sanierung
- Spezielle Unterstützungsprogramme für den Bau von Mehrgenerationenhäusern sowie für Projekte für Wohn- und Hausgemeinschaften und anderen alternativen Wohn- und Lebensformen.
- Ein staatliches Wohnungsbauprogramm und staatlich geförderte Modernisierungsmaßnahmen dürfen zu keinen Mieterhöhungen führen und müssen über Erbschafts-, Vermögens- und Einkommen bei den Reichen und Steuern auf die Gewinne der Konzerne finanziert werden.
- Bei allen Bau- und Modernisierungsmaßnahmen müssen die Bewohner*innen und Mieter*innen in den Stadtteilen demokratisch beteiligt werden.
Mehr Rechte für Mieter*innen
- Rücknahme aller Verschlechterungen im Mietrecht.
- Die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen zum Zwecke von Eigenbedarfskündigungen muss verboten werden.
- Schluss mit Zwangsumzügen für Hartz-IV-Empfänger*innen. Volle Übernahme der Mieten und Nebenkosten durch die Job-Center.