Tarifabschluss im öffentlichen Dienst
Der Chef der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di, Frank Bsirske, ist mit dem Tarifabschluss für die Angestellten der Länder hochzufrieden und bezeichnet ihn als sogar als „spektakulär.“
von Steve Hollasky, GEW-Mitglied Dresden
Doch auch der Vehandlungsführer der Arbeitgeber, der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) spricht von einem „fairen Tarifabschluss“.
Es klingt zunächst nach einem satten Plus: Anstatt der geforderten sechs Prozent an Lohn- und Gehaltszuwachs schlugen die an der Tarifrunde beteiligten Gewerkschaften GEW, Ver.di, IG BAU und der Deutsche Beamtenbund ein Plus von satten acht Prozent heraus. Kollatz musste in den eigenen Reihen nach eigenen Aussagen für den Abschluss werben, da die Arbeitgeberseite nicht zahlen wollte.
„Das ist das beste Ergebnis im Länderbereich für einen Lohnabschluss seit vielen Jahren“, jubelt Bsirske. Und n-tv.de verkündete einen „Coup“ von „Mister Verdi“ kurz vor seinem Ruhestand.
Schaut man genauer hin, wirkt der Gehaltszuwachs schnell „weniger wuchtig“ – wie n-tv.de auch schreibt – als es oberflächliche Betrachtungen annehmen lassen: Statt der von Gewerkschaftsseite angepeilten Laufzeit von nur einem Jahr wird der Gehaltszuwachs auf 33 Monate gestreckt. Rückwirkend zum 1. Januar 2019 sollen die Entgelte um durchschnittlich 3,2 Prozent angehoben werden. Mit dem Beginn des Jahres 2020 sollen noch einmal 3,2 Prozent hinzukommen und im Jahr darauf noch einmal 1,4 Prozent. Das ist bescheiden und kann durch Inflation und explodierende Mieten in den großen Städten schnell aufgefressen werden.
Dass es bei der Erhöhung Sockelbeträge gibt, ist grundsätzlich ein Fortschritt. So darf der Zuwachs für das Jahr 2019 100 Euro nicht unterschreiten. Für die Jahre 2020 liegt der Mindestbetrag bei 90 und 2021 bei 50 Euro. Das zeigt einmal mehr, dass die lange Laufzeit große Tücken hat. Was zunächst nach viel aussieht, ist für die nächsten Jahre ausgesprochen mager.
In der Pflege, wurde durch deutlichere Erhöhungen der Tabellenwerte mehr erreicht. Das betrifft natürlich zunächst nur die Kolleg*innen in den landeseigenen Kliniken. Bei den Erzieher*innen, die nach TV-L bezahlt werden (was vor allem Berlin betrifft), wurde zum 1.1.2020 die Angleichung der Tabelle an den TVÖD vereinbart. Beides ist vor allem eine Folge davon, dass die Arbeitgeber große Probleme haben, neues Personal anzuwerben. Ob diese Erhöhungen ausreichend sind, um den Personalmangel zu beheben, ist aber zu bezweifeln.
Angestellte Lehrer*innen
Dem begrenzten Wachstum der Verdienste stehen vielfach nicht erfüllte Forderungen gegenüber: So wurde die von der GEW angestrebte Paralleltabelle bei angestellten und verbeamteten Lehrer*innen nicht durchgesetzt. Zwar werden Pädagog*innen im Angestellten- und Beamtenstatus bei gleicher Tätigkeit parallel eingruppiert (Angestellte erhalten beispielsweise die E14 und Beamte die A14) Doch wird von der Gruppe A12 an abwärts schief eingruppiert. Angestellte Lehrer*innen erhalten von da ab stets die darunterliegende Entgeltgruppe: Wird ein verbeamteter Lehrer in die A12 eingruppiert, erhält sein angestellter Kollege die E11.
Ähnlich verhält es sich mit der Forderung nach stufengleichen Aufstiegen. Auch weiterhin ist es nicht ausgemacht, dass man beim Aufstieg von einer in die nächsthöhere Entgeltgruppe die Erfahrungsstufe mitnehmen darf. Hingegen erfolgt die Abgruppierung dann stufengleich.
War mehr drin?
Wie nach vielen Tarifrunden zuvor stellt man sich auch nach der bei den Ländern 2019 die Frage, ob nicht doch mehr drin gewesen wäre. Auch diesmal muss man sie mit einem Ja beantworten.
Die Beteiligung an den Streikkundgebungen und -demonstrationen zeigte eine hohe Bereitschaft der Kolleg*innen. In Berlin demonstrierten am 12. Februar 12.000 Beschäftigte. In Dresden streikten zwei Tage später 5.000 Menschen und an den beiden Tagen zuvor beteiligten sich mehrere Tausend in Leipzig und Chemnitz an Arbeitskampfmaßnahmen.
Die tragische Ironie der Tarifrunde ist, dass gerade bei sächsischen Lehrer*innen die Wut enorm ist. Seit Beginn des Jahres werden dort die unter 42jährigen Kolleg*innen verbeamtet; die älteren Kolleg*innen gehen hingegen leer aus. Diese bilden aber die übergroße Mehrheit der 33.000 Lehrkräfte im Freistaat.
Doch gerade diese Beschäftigten wurden lediglich zu einem Warnstreiktag herausgerufen. Als sie aus den Winterferien zurückkehrten, war der Abschluss bereits zur medialen Realität erhoben worden. Die sächsischen Lehrer*innen sind nur ein Beispiel für ungenutzte Kampfkraft in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes.
Was bleibt ist, dass der Kampf von Seiten der Gewerkschaftsbürokratie mit dem Fuß auf der Bremse geführt worden war.
Schwierige Verhandlungen?
Waren die Verhandlungen schwierig? Hat die Arbeitgeberseite „gemauert“? Mit einem Wort: Ja. Aber was erwartet man von der Gegenseite im Tarifkonflikt? Das heißt nicht, dass man nicht kämpfen kann. Im Gegenteil, gerade, wenn die Arbeitgeberseite so agiert, muss eine Gewerkschaft auf der Kampfkraft ihrer Mitglieder aufbauen. Erst, wenn deutlich wird, dass die Kampfkraft nicht ausreicht oder ausgeschöpft wurde, ist man zu Kompromissen gezwungen. In diesem Fall ist aber überhaupt nicht klar, warum es notwendig sein sollte, einen Tarifvertrag mit 33 Monaten Laufzeit zu unterschreiben.
Solche langen Laufzeiten werden immer üblicher. So werden hohe Prozentzahlen als Erfolg verkauft. Aber nochmal zur Verdeutlichung: auf drei Jahre hochgerechnet hätten die Forderungen plus 18 Prozent und mindestens 600 Euro bedeutet!
Es geht aber nicht nur um die nicht durchgesetzten Prozente. Die Gewerkschaftsführungen haben auch die Bedingungen für den nächsten Kampf verschlechtert. Die enorm lange Laufzeit verdammt die Beschäftigen – komme was wolle – zum Stillhalten. Nicht umsonst reagiert die Arbeitgeberseite auf die fast drei Jahre Friedenspflicht mit großer Zufriedenheit. Sie sehen, dass Druck im Kessel ist – und das nicht nur wegen der Löhne, sondern vor allem auch wegen der Arbeitsbedingungen. Vielen Kolleg*innen brennt unter den Nägeln, dass die Belastung enorm gestiegen ist und dass sich endlich etwas ändern muss. Daher wäre auch zentral, dies endlich mit entsprechenden Forderungen, inklusive einer deutlichen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, auf die Tagesordnung zu setzen. Die eigenwilligen 33 Monate verhindern leider erneut, dass die nächste Tarifrunde von Bund und Kommunen einerseits und der Länder andererseits zeitgleich stattfinden können. Wieder wurde die Chance vertan, die Beschäftigten aus Bund und Kommunen und der Länder in den Tarifauseinandersetzungen für gemeinsame Kundgebungen und Aktionen mobilisieren zu können.
Auch, wenn ver.di als größte Gewerkschaft die Führung auf der Seite der Gewerkschaften hatte, haben die anderen Gewerkschaften natürlich ein Wort mitzureden und tragen die Führungen, wie auch der GEW, Mitverantwortung.
Was jetzt?
Wo nun Befragungen der Mitglieder stattfinden, sollten die Beschäftigten das Tarifergebnis ablehnen. Ja zu weiteren Kampfmaßnahmen und Nein zum Abschluss, dass sollte das Signal sein. Eine Wiederaufnahme des Kampfes ist dennoch kaum zu erwarten. Und dennoch darf das Ergebnis nicht durchgehen, als seien alle damit zufrieden.
Das wichtigste aber ist, dass wir aus den Erfahrungen lernen. Wir müssen in den Gewerkschaften für einen Kurswechsel kämpfen, wenn wir nicht auf ewig dazu verdammt sein wollen, zu bilanzieren, dass Chancen verpasst wurden.
Das heißt vor allem, sich zu organisieren: Zum einen, vor Ort kämpferische Gewerkschaftsgruppen aufzubauen und zum anderen linke und kämpferische Kolleg*innen bundesweit zu vernetzen und eine Strategie für den Aufbau einer gewerkschaftspolitischen sowie personelle Alternative in den Gewerkschaften zu entwickeln. Am 18. Mai wird es dazu in Frankfurt/Main mit dem Vernetzungstreffen, um eine größere Strategiekonferenz für kämpferische und linke Gewerkschafter*innen im Frühjahr 2020 vorzubereiten, eine erste Chance geben. Lassen wir eine solche Chance nicht ungenutzt. Leiten wir den Kurswechsel hin zu kämpferischen und demokratischen Gewerkschaften gemeinsam ein!