Diese Resolutionen zur Lage in Deutschland wurde auf der Bundeskonferenz der SAV Anfang Februar 2019 beschlossen. Sie fasst die Analyse der Situation und unsere Aussichten für weitere Entwicklungen zusammen. Der Text wurden zur Veröffentlichung etwas redaktionell bearbeitet.
Einleitung
„Die Welt gerät aus den Fugen.“ – Diese Sorge erfasst immer mehr Menschen. Angesichts von Klimawandel, politischer Instabilität, wachsendem Rassismus und einem Erstarken der Rechten, Terror und Krieg in vielen Teilen der Welt, zunehmenden Handelskonflikten, wachsender sozialer Ungleichheit, riesigen Fluchtbewegungen und vielem mehr erscheint immer mehr Menschen, vor allem aus der Arbeiterklasse und den Mittelschichten, die Zukunft unsicher.
Dieses Gefühl der Unsicherheit übersetzt sich immer mehr in eine wachsende Legitimationskrise der etablierten bürgerlichen Parteien einschließlich der Sozialdemokratie und der wesentlichen Institutionen der herrschenden Klasse. Folge ist eine international wachsende politische Polarisierung, die ihren parlamentarischen Ausdruck in vielen Ländern in der Stärkung rechtspopulistischer, teilweise aber auch linker Parteien findet. Den nationalen Kapitalistenklassen fällt es in einem Land nach dem anderen schwerer, eine einheitliche Politik zu formulieren und diese auch durchzusetzen, während die Arbeiter*innenklasse noch nicht in der Lage ist, einen Ausweg aus dieser Situation aufzuzeigen. Tradierte Parteiengefüge werden über den Haufen geworfen und neue Kräfte sind auf der politischen Bühne erschienen, wie zum Beispiel Macrons „En Marche“, die Fünf-Sterne-Bewegung in Italien, PODEMOS im spanischen Staat oder die AfD in der Bundesrepublik.
Die Arbeiterklasse hat den Entwicklungen noch nicht ihren Stempel aufgedrückt. Auch wenn es in vielen Ländern zu Protesten und Massenbewegungen gekommen ist, so haben diese noch nicht eine qualitative Entwicklung bei der Herausbildung von sozialistischem Bewusstsein zur Folge gehabt. Neue linke Parteien wie PODEMOS, die PTB/PvdA in Belgien oder France Insoumise von Mélenchon konnten zwar an Unterstützung gewinnen, geraten aber aufgrund ihrer reformistischen Politik an Grenzen. Das kann auch zu neuen Formen von Bewegungen und Revolten führen, wie wir es bei der Bewegung der „Gilets Jaunes“ in Frankreich sehen. Sie begann eher als plebejische denn als proletarische Revolte, mit vielen kleinbürgerlichen Elementen aber auch Beteiligung von Arbeiter*innen. Diese wählten dieses Mittel, weil Gewerkschaften und Linke – insbesondere in den ländlichen Regionen – organisatorisch schwach und nicht kampfbereit sind. Andererseits hat sich die Bewegung nicht nach rechts entwickelt, weil die objektiven Verhältnisse danach drängten, die Repräsentant*innen der herrschenden Klasse und ihre gesamte Wirtschafts- und Sozialpolitik zu attackieren und weil linke Aktivist*innen, wenn auch kaum organisiert, in die Bewegung eingreifen. Trotz massiver polizeilicher Repression erzielten die „Gilets Jaunes“ schnelle Zugeständnisse seitens der Regierung, was Ausdruck der Kraft von Massenbewegungen und der Angst der Herrschenden vor dem Verlust ihrer sozialen Basis ist. Dies wurde auch in anderen Ländern registriert. Spontane, wütende Revolten können auch außerhalb Frankreichs aufkommen. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass alle Bewegungen, die sich daran orientieren, einen Verlauf wie in Frankreich annehmen werden. Dies ist abhängig von den jeweiligen Kräfteverhältnissen und den Anlässen der Proteste.
Die AfD hat das Parteiensystem der Bundesrepublik durcheinander gewirbelt. Vor dreißig Jahren hat die Gründung der Grünen aus einem Drei-Parteien-System (SPD, CDU/CSU und FDP) ein Vier-Parteien-System gemacht. Mit der Vereinigung von BRD und DDR wurde daraus vor zwanzig Jahren durch die Bildung der PDS ein Fünf-Parteien-System. Nun existiert ein Sechs-Parteien-System – angesichts der wachsenden Konflikte zwischen CDU und CSU mit Ansätzen zu einem Sieben-Parteien-System (im Falle einer Spaltung der LINKEN sogarzu einem Acht-Parteien-System). Nie zuvor hat die Bildung einer Regierung nach einer Bundestagswahl so lange gedauert wie nach der Wahl im September 2017. Und nur ein halbes Jahr später kündigen Kanzlerin Merkel und Innenminister Seehofer ihren Rückzug als Vorsitzende von CDU bzw. CSU an. Von politischer Stabilität kann in Deutschland nicht mehr die Rede sein.
Der Aufstieg der AfD hat bei vielen Arbeiter*innen und Jugendlichen große Ängste ausgelöst. Vergleiche zur Weimarer Republik in den Jahren vor der Machtübergabe an Hitler werden immer wieder heran gezogen. Das Wüten faschistischer Schläger in Chemnitz im August 2018 hat diese Sorge verstärkt. Dies hat wie die „Peitsche der Konterrevolution“ gewirkt und seit Frühjahr 2018 eine neue Welle von Massenprotesten gegen Rechts ausgelöst, welche sich jedoch nicht nur gegen Rechtspopulist*innen und Nazis richten, sondern auch gegen die immer offen rassistischer auftretenden Teile aus CDU/CSU und gegen die zunehmenden Tendenzen hin zu autoritäreren Herrschaftsformen, wie sie unter anderem durch die neuen Polizeigesetze in Bayern, Nordrhein-Westfalen und anderswo symbolisiert werden.
Während sich die SPD im Sinkflug befindet, kann DIE LINKE davon und von der gesellschaftlichen Polarisierung kaum profitieren. Dass sie in Ostdeutschland verliert und im Westen nur leicht zulegt, gibt einen Hinweis darauf, dass die bundesweite Stagnation der Partei in Meinungsumfragen vor allem etwas damit zu tun hat, dass sie – vor allem in Ostdeutschland – als linker Teil des Establishments agiert und wahrgenommen wird, statt als glaubwürdige linke Alternative, die sich fundamental von den anderen Parteien unterscheidet. Die Tatsache, dass sie um Längen hinter den Notwendigkeiten einer sozialistischen Partei her hinkt, hat den Raum dafür geschaffen, dass paradoxerweise aus ihrer Führung heraus – von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine – mit „aufstehen“ ein linkspopulistisches Projekt gestartet wurde, das die Zukunft der Partei in Frage stellen kann und das zu einer weiteren Verwerfung im politischen System der Bundesrepublik beitragen kann.
All das findet statt zehn Jahre nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers und der größten weltweiten Rezession seit den Jahren nach dem Börsencrash 1929. Vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs des Stalinismus und der daraus folgenden Verbürgerlichung der traditionellen Arbeiterparteien und dem zurück geworfenen Bewusstsein ist diese Krise ist die tiefere Ursache für alle größeren politischen Verwerfungen und Klassenkämpfe der letzten Jahre – sei es die Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten, den Übergang vom so genannten „arabischen Frühling“ zum Syrien-Krieg, der Krise der Europäischen Union, der internationale Aufstieg des Rechtspopulismus, aber auch die Stärkung linker Kräfte (z.B. Entwicklung von Labour unter Corbyn, Stärkung der DSA und der Kräfte des CWI in den USA) in vielen Ländern usw.
Die Weltwirtschaft dümpelt nach dieser großen Rezession mit schwachem Wachstum vor sich her. Deutschland hingegen, das von der Krise im Jahr 2009 stark getroffen worden war, hat sich schneller als andere – und auf dem Rücken anderer – Volkswirtschaften erholt und befindet sich im neunten Jahr von, zwar auch nicht üppigem, Wirtschaftswachstum und einer Situation von – oberflächlich betrachtet – relativer ökonomischer Stabilität. Dass in solchen Zeiten eine solche politische Instabilität sich entwickelt hat, lässt erahnen, was sich mit einem nächsten ökonomischen Einbruch entwickeln wird.
Die ökonomische Situation war ausschlaggebend dafür, dass es in den letzten Jahren weder zu größeren Massenentlassungen oder Betriebsschließungen noch zu größeren, verallgemeinerten Angriffen auf Lebensstandard und Rechte der Arbeiter*innenklasse kam. Dementsprechend gab es auch keine großen Abwehrkämpfe von Belegschaften und Gewerkschaften. Nach dem Streikjahr 2015 ging zwar die Zahl der Streiks zurück, aber die Entwicklung von Arbeitskämpfen in bisher wenig kampferprobten Bereichen, wie bei Amazon, Ryanair oder in den Krankenhäusern, setzt sich fort und die Metaller*innenstreiks in der Tarifrunde 2018 haben nicht nur die Kampfkraft der „schweren Bataillone“ der deutschen Arbeiter*innenklasse aufblitzen lassen, sondern auch zum Ausdruck gebracht, dass Arbeitsbelastung und Arbeitszeiten wichtige Themen für Kolleginnen und Kollegen sind. Diese Streiks sind oftmals gleichzeitig Ausdruck des Drucks der Kolleg*innen und der Notwendigkeit aus Sicht der Bürokratie, begrenzte Mobilisierungen durchzuführen, um die Position als Verhandlungspartnerin zu behalten oder in manchen Branchen zu erlangen.
Neben der Situation in den Krankenhäusern und dem Pflegebereich hat sich angesichts der dramatisch steigenden Mieten und der Wohnungsnot in den Großstädten eine neue Mieter*innenbewegung entwickelt, die in Berlin mit der Forderung nach Enteignung der Deutsche Wohnen einen radikaleren Schritt gegangen ist als viele Bewegungen der letzten Jahre. Wohnen ist eine der großen sozialen Fragen unserer Zeit. Der Klimawandel ist zweifellos die entscheidende ökologische Frage unserer Zeit, die angesichts häufiger auftretender extremer Wetterverhältnisse und des Jahrhundertsommers 2018 im Bewusstsein von Millionen von Arbeiter*innen und Jugendlichen angekommen ist. Die Massenbewegung zum Erhalt des Hambacher Forsts stellt diesbezüglich eine Zäsur dar.
Deutschland 2018 war geprägt von tiefer Polarisierung, einer parlamentarischen Stärkung der Rechtspopulist*innen und einer Welle von Massenmobilisierungen gegen Rassismus und Rechtspopulismus, gegen den Ausbau eines autoritären Staates und gegen Arroganz der Macht und Polizeiwillkür im Hambacher Forst. Vieles spricht dafür, dass es 2019 und 2020 so weitergehen wird, wobei es offen ist, wie sich die Massenmobilisierungen zu diesen Fragen entwickeln werden. Zusätzlich würde eine wahrscheinlicher werdende Wirtschaftskrise Auswirkungen haben. Wie genau diese aussähen, hängt von Verlauf und Timing einer Krise ab.
Tiefe Einbrüche der Wirtschaftsleistung haben oft eine Schockwirkung auf die Arbeiterklasse, so dass es erst bei Anzeichen wirtschaftlicher Erholung zu größeren Klassenkämpfen kommt. Wenn ein Wirtschaftseinbruch aber mit Massenentlassungen und Betriebsschließungen oder -verlagerungen einher geht, kann das große Verteidigungskämpfe auslösen. Kommt die Krise langsamer, sind größere Klassenkämpfe auch in einem früheren Stadium wahrscheinlicher. Das hängt auch davon ab, ob Regierung und Kapital verallgemeinerte Angriffe (zum Beispiel Erhöhung des Renteneintrittsalters, Einschränkungen beim Streikrecht o.ä.) auf die ganze Klasse durchsetzen wollen oder sich auf Teilangriffe beschränken. Insgesamt ist die Lage offen, weil die ökonomische Krise ein Land treffen würde, dass sich schon in einer vielfältigen politischen Krise befindet. Insofern könnten auch die ohnehin laufenden Prozesse durch den Einbruch verschärft und beschleunigt werden. Mit dieser Resolution wollen wir die wichtigsten Entwicklungen erfassen und analysieren und daraus die nötigen programmatischen und praktischen Schlussfolgerungen ziehen. Sie sollte im Zusammenhang gelesen werden mit den wichtigsten Artikeln auf sozialismus.info, den Beschlüssen des Internationalen Exekutivkomitees vom Dezember 2018 und den Resolutionen zur LINKEN und zum Aufbau der SAV.
Wirtschaftliche Lage
Die Warnungen vor einem erneuten wirtschaftlichen Einbruch nehmen zu. Tatsächlich haben sich all die Faktoren, die vor zehn Jahren zum wirtschaftlichen Einbruch geführt haben nicht abgemildert, sondern bestehen weiter oder sind gar gravierender geworden. Die Krise wurde abgemildert durch eine Politik des billigen Geldes, also niedriger Zinsen, was Spekulation und Verschuldung hat weiter ansteigen lassen. Die Börsenkurse haben nur noch wenig mit den realen wirtschaftlichen Verhältnissen zu tun. Es ist nur eine Frage der Zeit, dass die neu entstandenen Blasen platzen werden.
Das ist Ausdruck der strukturellen Überakkumulation von Kapital, also der Tatsache, dass die Kapitalisten keine aus ihrer Sicht ausreichend profitablen Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital finden, was zu den derzeitigen entsprechend niedrigen Investitionsquoten führt.
Gleichzeitig nehmen die Spannungen zwischen den kapitalistischen Mächten zu und ist die Periode der sich ausweitenden Globalisierung der Weltwirtschaft die Periode, in der die sich ausweitende Globalisierung der zentrale Charakterzug der Weltwirtschaft war, ist zu einem Ende gekommen.. Mit Donald Trump als Präsidenten haben die USA einen protektionistischeren Kurs eingeschlagen, der Freihandelsabkommen in Frage stellt und Strafzölle einführt. Diesem Trend entspricht in Europa der Brexit und die distanziertere Haltung der neuen italienischen Regierung zur Europäischen Union. Demgegenüber steht die aggressive Investitionspolitik, mit der China versucht, den Weltmarkt für sich zu erobern. Vor dem Hintergrund einer volatilen Weltwirtschaft können Handelskonflikte oder politische Ereignisse wie der Brexit den letzten Stoß bedeuten, der die Weltwirtschaft über die Klippe fallen lässt.
Nach der US-Notenbank hat die Europäische Zentralbank für 2019 ein Ende der Niedrigzinspolitik angekündigt. Das birgt aufgrund der hohen Verschuldung von Unternehmen große Gefahren und könnte die zuletzt verhältnismäßig niedrige Zahl von Pleiten in die Höhe schnellen lassen. Je nach Umfang einer Zinserhöhung könnten bis zu 19,3 Prozent der deutschen Unternehmen in eine finanzielle Schieflage geraten, also ihre Schuldrückzahlung nicht begleichen können. (Quelle: https://www.welt.de/wirtschaft/article171518815/Eine-Gefahr-haengt-wie-ein-Damoklesschwert-ueber-deutschen-Unternehmen.html )
Vieles spricht dafür, dass die sozialen und politischen Folgen bei einem nächsten Crash international höher sein werden, als nach der Krise von 2008/09, weil die Verschuldung höher ist und die Ausgangsbasis schwächer. Aufgrund der hohen Exportabhängigkeit ist die deutsche Wirtschaft besonders anfällig für eine Krise der Weltwirtschaft. Gerade auch die Krisenprozesse der Autoindustrie, nicht zuletzt aufgrund der Abgasskandale, und die Krisenanfälligkeit deutscher Banken könnten weitreichende Folgen haben. Die Aktienkurse der großen Autokonzerne haben im Jahr 2018 deutlich verloren und die Gewinnmargen werden aufgrund der zu erwartenden Strafzahlungen und anderer Konsequenzen aus den Abgasskandalen sinken. Wir müssen uns darauf einstellen, dass im Zuge einer nächsten Krise Massenentlassungen oder Betriebsschließungen möglich sind. Gleichzeitig gibt es Faktoren, die speziell in Deutschland, eine Abfederung der Krisenfolgen bewirken könnten, wie der Abbau der Staatsverschuldung auf unter sechzig Prozent und der Aufbau relativ hoher Reserven in den Sozialversicherungen. Mit der Frage, was die Ausgangslage bei und die Folgen eines neuerlichen Wirtschaftseinbruchs sein werden, wollen wir uns intensiver auseinander setzen.
Es war richtig, dass wir in den letzten Jahren betont haben, dass keine genauen Perspektiven für den zeitlichen Verlauf der ökonomischen Entwicklung möglich sind. Weiterhin ist das Timing der kommenden Krise offen. Es gibt erste Anzeichen einer Verlangsamung, z.B. den Rückgang der Wirtschaftsleistung im dritten Quartal 2018 und die Korrekturen der Wachstumsprognosen nach unten durch die Bundesregierung und Wirtschaftsinstitute vom September 2018. Dazu kommen Stagnation bzw. Rückgang an den Börsen und das Auftürmen von Problemen aus den Sphären der politischen Ökonomie wie den Brexit und die Tendenz zu Handelskriegen. Viel spricht dafür, dass ein Abschwung in der Bundesrepublik bereits eingesetzt hat, aber noch sind die Daten zu uneinheitlich, um eine klare Prognose abgeben zu können. Der Rückgang der Wirtschaftsleistung im dritten Quartal 2018 und die Korrekturen der Wachstumsprognosen nach unten durch die Bundesregierung und Wirtschaftsinstitute vom September 2018 können darauf ein Hinweis sein. Wir müssen darauf vorbereitet sein, dass eine nächste Wirtschaftskrise zwar nicht unbedingt unmittelbar Klassenkämpfe auslösen muss – Krisen können auch eine Schockwirkung auf die Arbeiter*innenklasse haben und das Selbstbewusstsein für Kämpfe erst einmal schwächen -, aber zweifellos soziale und politische Verwerfungen großen Ausmaßes auslösen.
Europawahlen im Brexit-Jahr
2019 soll der Brexit vollzogen werden und ist nicht klar, welche Folgen das für die EU haben wird. Aus Sorge vor einem Ansteckungseffekt hat die EU gegenüber Großbritannien harte Austrittskriterien formuliert. Die Einigung Theresa Mays mit der EU kann zum Fall ihrer Regierung führen.
Auch in Italien wurde eine Regierung aus der rechtspopulistischen Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung gebildet, die ebenfalls mit einem Austritt aus der EU flirtet.
Hinzu kommt die Uneinigkeit der EU-Staaten im Umgang mit Geflüchteten und die offene Weigerung der verschiedenen osteuropäischen Mitgliedsstaaten, sich an einer europäischen Verteilung von Geflüchteten zu beteiligen.
Europaweit haben Ablehnung und Skepsis gegenüber der EU zugenommen. In den meisten Ländern profitieren rechtspopulistische und rassistische Parteien von dieser Stimmung, weil die Linke keine klare Haltung zur EU formuliert. Wir müssen uns daher darauf vorbereiten, dass bei den Europawahlen im Mai 2019 insgesamt rechte Kräfte deutlichere Erfolge erzielen werden, als linke Parteien. Davon wird es Ausnahmen geben, aber die Medien werden wahrscheinlich das Bild eines Rechtsrucks malen. Dem müssen wir entgegen treten und weiterhin betonen, dass wir es mit einem Prozess gesellschaftlicher und politischer Polarisierung zu tun haben. Gleichzeitig gibt es eine Schicht von vor allem Jugendlichen, die die EU als Instrument gegen den wachsenden Rassismus und Rechtspopulismus betrachten und deshalb Illusionen bzw. eine positive Einstellung ihr gegenüber haben. Marxist*innen lehnen die EU als ein undemokratisches, militaristisches, neoliberales und imperialistisches Staatenbündnis ab. Diesem stellen wir jedoch nicht kapitalistische Nationalstaaten gegenüber, sondern ein Europa der Arbeiter*innen, ein sozialistisches Europa von unten – und unmittelbar vor allem den gemeinsamen länderübergreifenden Klassenkampf gegen die Politik der EU, der nationalen kapitalistischen Regierungen und der multinationalen Konzerne.
Die Partei Die LINKE nimmt keine klare Haltung zur EU ein. Sie verbindet korrekte Kritik mit der Haltung, die EU als reformierbare Institution zu erhalten. Es ist wahrscheinlich, dass sie damit zwischen allen Stühlen landet. Das ermöglicht den Rechtspopulisten, die EU-kritischen Stimmen auf sich zu vereinen. „Pro-europäische“ Jugendliche werden hingegen zu den Parteien gehen, die sich eindeutig positiv zur EU äußern. Angesichts der tiefen Krise der Sozialdemokratie könnten es erneut die Grünen sein, die von dieser Stimmung überproportional profitieren.
Abgesehen vom Brexit scheinen die EU und die Eurozone die Finanzkrise überwunden zu haben. Mittlerweile hat auch Griechenland den so genannten Rettungsschirm verlassen, wie zuvor Portugal, Irland und Spanien. Doch der Preis, den die Arbeiter*innen, die Jungen und die Alten und auch der Mittelstand in diesen Ländern gezahlt haben, ist gigantisch. Eine neue Krise wird nicht einfach eine Wiederholung der vergangenen Krise sein. Bricht das italienische Bankensystem zusammen – und das ist nicht unwahrscheinlich angesichts des Zustands der Banken und der enormen Verschuldung – wird ein solcher Crash nicht wie die griechische Krise eingedämmt werden können. Die Tage des Euro und der EU in der Form, wie wir sie kennen, sind gezählt.
Das wird weitreichende Folgen für die Bundesrepublik haben, denn Deutschland braucht die EU und den Euro mehr als jedes andere Land angesichts der Exportabhängigkeit und der Tatsache, dass man nur als Führungsnation der EU bzw. der Eurozone dem Konkurrenzdruck aus Asien und den USA standhalten kann. Aber auch politische Entwicklungen in anderen Ländern Europas können große Auswirkungen für die Bundesrepublik haben. Sollte zum Beispiel Jeremy Corbyn zum britischen Premierminister gewählt werden und auch nur ein bescheidenes Reformprogramm umzusetzen versuchen, wird das große internationale Auswirkungen haben, auch wenn das möglicherweise ein aufgrund der Brexit-Komplikationen kurzfristiges Phänomen sein könnte. Auch ungelöste nationale Konflikte wie z.B. in Katalonien bergen weiter Spaltungspotenzial.
Soziale Lage und Bewusstsein
Die Lage der Arbeiter*innenklasse in Deutschland ist einerseits geprägt von der derzeit hohen Auslastung der Produktionskapazitäten und einem hohen Beschäftigungsstand. Trotz weiterhin bestehender Massenarbeitslosigkeit von real 3,2 Millionen Arbeiter*innen ist die Angst vor Jobverlust und Erwerbslosigkeit zur Zeit kein prägendes Element. Eine solche Situation birgt normalerweise das Potenzial das Selbstbewusstsein der Klasse zu steigern und Kämpfe um mehr Lohn oder bessere Arbeitsbedingungen auszulösen.
Dass dies nur begrenzt geschehen ist, ist vor allem auf die Politik der Gewerkschaftsführung und die Schwäche linker und kämpferischer Kräfte und Strukturen in den Gewerkschaften zurückzuführen. Hinzu kommt die zunehmende Differenzierung innerhalb der Arbeiter*innenklasse, sprich die weiter wachsende Prekarisierung, die Abnahme der Tarifbindung (von 76 Prozent 1997 auf 57 Prozent 2017) etc., aber auch die Tatsache, dass in Teilen der Klasse die Errungenschaften der Vergangenheit in Vergessenheit geraten sind. Auch hier versagen die Gewerkschaftsführungen als Gedächtnis der Lohnabhängigen.
Die leichte Reallohnverbesserung für Tarifbeschäftigte und die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns können nicht darüber hinweg täuschen, dass vierzig Prozent der Beschäftigten heute ein geringeres Einkommen als Mitte der 1990er Jahre haben. Die Agenda 2010 hat wesentlich dazu beigetragen, dass die soziale Ungleichheit wächst. Allein die Zahl der Leiharbeiter*innen ist in den letzten zehn Jahren um vierzig Prozent gestiegen. Für diese Entwicklung, die die Kampfbedingungen der Arbeiter*innenklasse insgesamt erschwert, ist die Gewerkschaftsführung sehr konkret mitverantwortlich: Der Kampf gegen Leiharbeit und die Verhinderung des Einsatzes von Kolleg*innen unter dem Tarifniveau für die Stammbelegschaft durch die Tarifverträge fand nicht statt, stattdessen wurden sogar Tarifverträge abgeschlossen, die die Schlechterstellung von Leiharbeit zementieren. Die soziale Ungleichheit wächst.
Drohende und reale Altersarmut, Pflegenotstand, explodierende Mieten und Arbeitshetze sind die sozialen Themen, die im Bewusstsein der Lohnabhängigen das größte Gewicht haben. Gerade das Thema Pflege zeigt, wie Kämpfe und Kampagnen der Beschäftigten ein Thema in den gesellschaftlichen Mittelpunkt rücken können. Viele Umfragen zeigen, welche Bedeutung diese Themen für die Menschen haben, gleichzeitig ist es den Herrschenden und ihren Medien in den letzten Jahren aber gelungen, die öffentlichen Debatten nicht durch soziale Fragen, sondern durch das Thema Migration dominieren zu lassen, was wiederum dazu führt, dass auch soziale Fragen ethnisiert debattiert werden.
Angesichts der weltweiten Krisen und zunehmenden Spannungen, der wachsenden sozialen Ungleichheit und dem Gefühl, dass Regierungen und Politiker*innen immer abgehobener von der Bevölkerung werden, haben Entfremdung, Zukunftssorgen und Abstiegsängste zugenommen, die auch verstärkt die Mittelschichten ergriffen haben. Ohne eine starke sozialistische Kraft in der Gesellschaft und bei einem relativ niedrigen Stand von Klassenkämpfen führt diese Mischung zu einer Stärkung von Rechtspopulismus und Rassismus. Das hat sich in der Stärkung der AfD, rechten Mobilisierungen und rassistischer Gewalt ausgedrückt. Diese Entwicklung ist extrem gefährlich, weil sie die Einheit der Arbeiterklasse untergräbt und das politische Koordinatensystem und auch die grundlegenden Einstellungen zu Migrant*innen und dem Islam nach rechts verschieben. Sie ist in Ostdeutschland ausgeprägter, weil hier weiterhin die soziale Lage für große Teile der Arbeiter*innenklasse und Mittelschichten prekärer ist und sich die Menschen weiter als Bürger*innen zweiter Klasse sehen. Neben der sozialen Lage haben weitere Faktoren die Rechtsentwicklung im Osten begünstigt: 1. Das niedrige Niveau von Klassenkämpfen und gewerkschaftlicher Organisierung in Ostdeutschland. 2. Sofort nach dem Anschluss der DDR haben faschistische Gruppen ihre Kader in den Osten geschickt, um unter günstigen Bedingungen Aufbauarbeit zu leisten. Gleichzeitig haben die westdeutsche Linke und die wenigen linken oppositionellen Kräfte im Osten es verpasst die ostdeutsche Arbeiterklasse zu erreichen. 3. Vor allem in Sachsen haben sich unter einer rechten CDU-Regierung rechtsextreme Tendenzen im Staatsapparat entwickelt, die den Spielraum faschistischer Gangs durch polizeiliches und juristisches Weggucken vergrößert haben. 4. Der geringe Anteil an Migrant*innen führt dazu, dass sich kein alltägliches Zusammenleben auf der Arbeit, in der Nachbarschaft und den Schulen entwickelt hat, wie es v.a. in westlichen Großstädten der Fall ist. Das hat auch dazu geführt, dass rechte und faschistische Strukturen in Teilen Ostdeutschlands, vor allem in Sachsen, stärker sind.
Das ist aber nur die eine Seite der Medaille. Die von vielen Linken vorgenommene Gesellschaftsanalyse eines einseitigen „Rechtsrucks“ trifft nicht zu. Eine falsche Analyse der gesellschaftlichen Prozesse kann dazu führen, dass Chancen für den Widerstand und die Selbstorganisation der Klasse verpasst werden, eine Orientierung auf bürgerliche „Bündnispartner*innen“ erfolgt und falsche Aufgabenstellungen und programmatische Antworten formuliert werden. Tatsächlich haben wir es seit Jahren mit einer zunehmenden gesellschaftlichen Polarisierung zu tun, die auf der parlamentarischen Ebene und in Form der AfD als neuer Partei mit über 30.000 Mitgliedern einen stärkeren Ausdruck nach Rechts findet. Gleichzeitig muss aber betont werden, dass immer noch mehr Menschen in irgendeiner Form an praktischer Solidarität mit Geflüchteten teilnehmen, als es AfD-Wähler*innen gibt (Quelle: https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/studie-zeigt–viele-menschen-engagieren-sich-freiwillig-fuer-fluechtlinge/121758 ), die Ablehnung von AfD, Pegida und Rechtspopulismus deutlich zugenommen hat und – mit Ausnahme von Dresden und einigen Einzelfällen – antirassistische Mobilisierungen um ein Vielfaches größer sind, als rechte Mobilisierungen. Den 30.000 AfD-Mitgliedern stehen auch Zehntausende entgegen, die in den letzten Jahren DIE LINKE oder im Zusammenhang mit dem Schulz-Hype und der #NoGroKo-Kampagne in die SPD eingetreten sind oder ihre Unterstützung für bzw. ihr Interesse an „aufstehen“ kundgetan haben. Auch die Landtagswahl in Bayern zeigt, dass es keinen einfachen Rechtsruck gibt. Hier haben der Aufstieg der AfD und der Rechtsruck der CSU zu einer Gegenreaktion auf der Straße und an den Wahlurnen geführt. Es gab keine zu anderen Wahlen vergleichbare Rechtsverschiebung, sondern vor allem Verschiebungen innerhalb der so genannten Lager. Die CSU hat nicht nur nach rechts zur AfD verloren, sondern auch nach links zu den Grünen.
Dass es einen gefühlten Rechtsruck gibt, hat vor allem etwas damit zu tun, dass die AfD die öffentlichen Debatten stark bestimmen kann und bürgerliche Medien und Parteien seit Jahren ebenfalls das Thema Migration und Geflüchtete in den Mittelpunkt stellen und rassistische Propaganda betreiben. Der Umgang mit von Migrant*innen begangenen Gewalttaten oder die Kampagne um den angeblichen BAMF-Skandal zeigen, wie Medien und bürgerliche Politiker*innen rassistische Stimmung machen. Das hat das Selbstbewusstsein von Rassist*innen gestärkt, die ihre Haltung oftmals offensiv und selbstverständlich im privaten Umfeld oder Kolleg*innenkreis äußern. Migrant*innen sind verstärkt Opfer von Diskriminierung, Anfeindungen und Gewalt. All das verschärft die Spaltung der Arbeiter*innenklasse entlang nationaler oder religiöser Linien und erschwert die Herstellung von Klasseneinheit und führt dazu, dass Teile der muslimischen Bevölkerung als Reaktion auf Ausgrenzung sich verstärkt der eigenen religiösen Community zuwenden, während andere Teile dem Assimilationsdruck nachgeben.
Das Bewusstsein in der Arbeiter*innenklasse ist vielschichtig und nicht in einfache Schlagworte zu fassen. Solidarität mit Geflüchteten und Unterstützung von Einwanderungsbeschränkungen müssen kein Widerspruch sein. Ablehnung des politischen Establishments und Hoffnung auf eine Veränderung durch eine rot-rot-grüne Regierung auch nicht. Gerade unter Industriearbeiter*innen hat ein gewisser Standortnationalismus Wurzeln geschlagen, nicht zuletzt wegen der Politik der Führungen der Industriegewerkschaften.
Aus Angst vor einem weiteren Rechtsruck können sich in Teilen der Bevölkerung, vor allem bildungsbürgerlicher und besser gestellter Schichten der Arbeiter*innenklasse, auch neue Illusionen in die EU, die „Stärkung der gesellschaftlichen Mitte“ oder ähnliches entwickeln. Überwiegen tut aber der Gedanke, dass es so nicht weiter gehen kann, die Gesellschaft immer ungerechter wird und das bürgerliche Establishment sich immer weiter von der einfachen Bevölkerung entfernt. Wenn die soziale Frage wieder stärker in den Mittelpunkt rückt oder es zu einer Wirtschaftskrise kommt, wird das die Entwicklung eines grundlegenden Klassenbewusstseins und antikapitalistischer Vorstellungen wieder beschleunigen, was in den letzten Jahren etwas rückläufig war.
Weiterhin ist ein beachtlicher Teil der Arbeiterklasse den Bundestagswahlen komplett ferngeblieben, so lag der Prozentsatz der Nichtwähler*innen 2017 bei 23,8%. Das sind zwar 4,7% weniger Nichtwähler*innen als 2013, aber immer noch ein erheblicher Teil. Diese Gruppe, die sich sowohl von den etablierten bürgerlichen Parteien abgestoßen fühlt, als auch nicht von den Versuchen der AfD überzeugt wird, sich als Anti-Establishment-Partei zu inszenieren, muss eine wichtige Zielgruppe linker Politik sein. Ein erfolgreiches Aufgreifen von Frustration und Enttäuschung durch DIE LINKE könnte nicht nur die Stimmzahlen vervielfachen, sondern auch eine wichtige soziale Basis für zukünftige Kampagnen bilden. Die politische Entwicklung dieser vielfältigen sozialen Gruppe sollte genau beobachtet und die bisherige Arbeit in dieser Frage analysiert werden.
Zur Lage von Frauen
Zum 100. Jahrestag des Frauenwahlrechts in Deutschland stimmen alle Parteien und die Gewerkschaften gemeinsam ein Loblied auf die Demokratie an, doch nach wie vor sind Frauen weit davon entfernt, ein selbstbestimmtes Leben zu führen oder auch nur den gleichen Lohn zu erhalten wie Männer. Das neu eingeführte Entgelttransparenzgesetz findet so gut wie keine Anwendung und selbst wenn, müssten Frauen ihren Lohn hier auch erst einklagen. Der Lohnunterschied beträgt weiterhin 21 Prozent. Frauen stellen nach wie vor 75 % der Teilzeit- und zwei Drittel der geringfügig Beschäftigten. Mit Kindern und im Alter erhöht sich das Risiko für Frauen, abgehängt zu werden enorm. 16,8 Prozent der Frauen sind heute von Altersarmut betroffen, in 20 Jahren werden es aktuellen Prognosen zufolge fast 30 Prozent sein. Bei der Verteilung der unbezahlten Arbeit ist das Verhältnis weiterhin umgekehrt, auch wenn immer mehr Bereitschaft besteht, die Hausarbeit aufzuteilen. Inzwischen gehen knapp ein Drittel der Männer in Elternzeit (die meisten jedoch nur für 2 Monate) und es beteiligen sich unter 30 Prozent der Männer an der täglichen Hausarbeit.
Der sogenannte Kompromiss beim Streit um den Paragrafen 219 StGB bedeutet defacto keine Änderung, da Frauenärztinnen immer noch nicht über Abtreibungen informieren dürfen. Hunderte hatte die Diskussion und vor allem die Prozesse gegen Frauenärztinnen auf die Straße gebracht und die Forderung nach Streichung des Paragraphen in den Bewegungen und auch einigen Gewerkschaftsgliederungen neuen Auftrieb erhalten. Der sogenannten Marsch fürs Leben in Berlin wurde jedes Jahr von mehreren tausenden Gegendemonstrant*innen und Blockaden gestört.
Jeden Tag versucht ein Mann, seine Expartnerin oder Lebensgefährtin zu töten, in 147 Fällen in 2017 starb eine Frau durch häusliche Gewalt. Die Proteste unter den Slogans „pussy grabs back“ als Reaktion auf die sexistischen Äußerungen des US-Präsidenten Trump und die #metoo-Debatte hat auch hier zu mehr und größeren Protesten geführt. Der Anstieg der internationalen Frauenbewegung auf mehreren Kontinenten fand in Deutschland ein Echo in den wohl größten Mobilisierungen der letzten Jahre zu diesem Thema zum 8. März 2017 und 2018 in mehreren Städten, darunter 10.000 in Berlin. In den nächsten Monaten werden Proteste zum Internationalen Frauentag, für Selbstbestimmung und gegen Gewalt weiterhin für viele Frauen ein Anziehungspunkt sein.
Doch Frauen werden nicht nur zu geschlechtsspezifischer Unterdrückung aktiv. Neben der Lohnfrage, sind Arbeitsdruck und Arbeitshetze wichtige Themen in der gewerkschaftlichen Auseinandersetzung geworden und werden auch in den kommenden Monaten auch in den Bereichen, wo vor allem Frauen arbeiten thematisiert werden . Sowohl beim Kampf für mehr Personal im Krankenhaus als auch bei der Vorbereitung der nächsten Auseinandersetzungen bei den Sozial- und Erziehungsdiensten im Jahr 2020 steht das Thema Arbeitsverdichtung im Mittelpunkt.
Zur Lage in Ostdeutschland
Bei den anstehenden Landtags- und Kommunalwahlen ist mit einer deutlichen parlamentarischen Stärkung der AfD in Ostdeutschland zu rechnen. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen hat sie das Potential, sogar als zweitstärkste oder stärkste Fraktion in die Landesparlemente einzuziehen und ebenso auf Kreis- und Gemeindeebene abzuschneiden. Die Gründe dafür liegen in der fortgesetzten Krise der bürgerlichen Parteien, die in weiten Teilen Ostdeutschlands noch schärfer zum Ausdruck kommt, als im Rest des Bundesgebietes sowie dem Versagen der Partei DIE LINKE, im Osten eine sozialistische und glaubwürdige Alternative zum Establishment zu sein. Bereits in der Zeit vor der Wahl übt dieses mögliche Ergebnis einen starken Druck von rechts auf die gesamte Parteienlandschaft dieser Bundesländer aus.
Die soziale und Einkommenssituation der Menschen in Ostdeutschland ist nach 30 Jahren nach dem Mauerfall weiterhin im Durchschnitt schlechter als in den westdeutschen Bundesländern. Die sozialen Folgen der kapitalistischen Restauration und die Hoffnungen, die durch die nicht eingehaltenen Versprechen nach einem besseren Leben durch die Angliederung an die BRD enttäuscht wurden, tragen zu einer anhaltenden Entfremdung von der bürgerlichen Demokratie und ihren Institutionen bei. Die jüngste Allensbach-Umfrage bestätigte, dass ein deutlich höherer Anteil der Menschen in Ostdeutschland kein Vertrauen in die Marktwirtschaft als Wirtschaftssystem hat und weniger glauben, dass Deutschland wirklich demokratisch wäre, als im Rest der BRD. Die unklare Ablehnung des Systems wird teilweise nach rechts kanalisiert, ist aber weiterhin ein Anknüpfungspunkt für eine radikale sozialistische Alternative.
Krise der bürgerlichen Herrschaft
Angela Merkel ist innerhalb von zwei Jahren von der neuen „Führerin der freien Welt“ zum Auslaufmodell geworden. Alles spricht dafür, dass der Anfang vom Ende der Ära Merkel schon hinter uns liegt. Hierbei geht es aber nicht in erster Linie um eine Personalie. Die Ablösung von Merkel als Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende wird sehr wahrscheinlich mit weitreichenden Verschiebungen in der Union und im Parteiengeflecht einher gehen.
Der Niedergang von CDU/CSU und SPD hat bei den Bundestagswahlen im September 2017 einen neuen Tiefstand erreicht. Während diese Parteien Mitte der 1970er Jahre noch über neunzig Prozent der Wähler*innenstimmen bei einer Wahlbeteiligung von ebenfalls über neunzig Prozent erhielten, waren es bei den letzten Wahlen noch 53,4 Prozent bei einer Wahlbeteiligung von 76,2 Prozent. Die Große Koalition hat diesen Namen nicht mehr verdient, sie repräsentiert nur noch eine knappe Mehrheit der abgegebenen Stimmen und eine Minderheit in der Bevölkerung. Das bedeutet für die Bürgerlichen einen enormen Verlust von sozialer Basis und eine große Schwierigkeit, ihre Klasseninteressen in eine einheitliche Politik zu formulieren und durchzusetzen.
Dass diese Entwicklung in Zeiten von Wirtschaftswachstum und hohen Haushaltsüberschüssen stattgefunden hat, ist umso bemerkenswerter. Das hängt mit der strukturellen Krisenhaftigkeit des Systems und der langgezogenen Legitimationskrise der bürgerlichen Institutionen zusammen, aber auch mit dem Widerspruch zwischen diesen Wirtschaftsdaten und den fehlenden Investitionen in Soziales, Bildung, Infrastruktur, Gesundheit usw. Tatsächlich traut sich die Regierung kaum, die Arbeiter*innenklasse an der sozialen Front anzugreifen, sondern hat eher die eine oder andere, zumeist kosmetische, Sozialreform (Mindestlohn, Teile der Mietpreisbremse und des Pflegepersonalstärkungsgesetzes etc.) beschlossen. Die Bourgeoisie ist mit dieser Entwicklung jedoch alles andere als zufrieden und fordert, dass die gute Haushaltslage zur Durchsetzung unpopuläre Maßnahmen genutzt wird..
Es ist den Bürgerlichen nicht gelungen, bei den Bundestagswahlen ihre Wunschregierungen durchzusetzen. Für schwarz-gelb hat es nicht gereicht und die Verhandlungen über die erste Jamaika-Koalition scheiterten am politischen Kalkül von Christian Lindner und der FDP. Somit wurde mit der GroKo eine Regierung der Verlierer*innen gebildet, die sich vom ersten Tag an im Krisenmodus befindet.
Vordergründig gehen die Konflikte in Regierung bzw. zwischen CDU und CSU um die Migrationspolitik. Hintergrund ist der Aufstieg der AfD und die Frage, wie dieser zu stoppen ist bzw. ehemalige Unions-Wähler*innen wieder zurück gewonnen werden können. Die CSU und Teile der CDU setzen auf mehr Rassismus und ein Übernehmen rechtspopulistischer Rhetorik, während Merkel und die Mehrheit der CDU vordergründig auf eine moderatere Migrationspolitik setzen. Tatsächlich haben alle Beteiligten der großen Koalition seit 2015 mehrmals die Asylgesetzgebung verschärft und staatlichen Rassismus ausgebaut. Nur die Tonlage und die Strategie sind unterschiedlich.
Im Zusammenhang mit den Konflikten um das Thema Zuwanderung geht es auch weniger, um die Frage, ob Zuwanderung eingeschränkt werden soll, sondern um das wie. Merkel steht für „europäische Lösungen“ und gegen nationale Alleingänge. Dazu schrieben wir: „Das gilt aber nicht nur für diese Frage, sondern steht sinnbildlich für die in der Union, und zwar auch innerhalb der CDU, bestehenden Differenzen zur Europapolitik – und damit zu einer grundlegenden Frage der Außenpolitik und Herrschaftsstrategie für die Zukunft.“ Schon im Zusammenhang mit der Euro-Krise und den so genannten Rettungspaketen für Griechenland ging ein Riss durch die Union. Der Merkel-Flügel der Union, der die Interessen der großen Banken und Konzerne zum Ausdruck bringt, will die EU und die Eurozone um jeden Preis zusammen halten, während die Teile des Bürgertums, die eher den vom heimischen Markt abhängigen Mittelstand repräsentieren, mehr und mehr auf eine national-unilateralistische Politik setzen. Schon die Gründung der AfD war Ausdruck dieses Interessenskonfliktes innerhalb der deutschen Bourgeoisie. Die Euro-Krise war ja der ursprüngliche Grund für die Bildung der AfD, zuerst noch als eurokritischer, national-konservativer Professorenpartei um Bernd Lucke.
Die Konflikte in der CDU und zwischen CDU und CSU gehen aber mittlerweile über diese Differenz hinaus. Nach 14 Jahren Merkel-Regentschaft drängen jüngere Teile der Partei auf einen Wechsel an der Spitze und bringen sich in Position. Ziel ist dabei auch, die Interessen des Kapitals noch deutlicher zur Geltung zu bringen. Jens Spahn war bisher Gallionsfigur dieser Teile der Union. Seine Berufung zum Gesundheitsminister war ein Versuch von Merkel seinen Handlungsradius einzuschränken, was jedoch nur zeitweilig gelingen dürfte. Auch dass Friedrich Merz, der für eine neoliberale Ausrichtung steht, Annegret Kramp-Karrenbauer bei der CDU-Vorsitzenden-Wahl nur knapp unterlag, drückt aus, dass die Stimmen in der Union zunehmen, die wieder eine deutlich offenere Vertretung der Interessen des Kapitals anstreben. Die Abwahl Volker Kauders als Fraktionsvorsitzender im Bundestag war diesbezüglich ein eindeutiges Signal. Für CDU und CSU stellt sich nun die Frage, wie sie auf die Wahlniederlagen in Bayern und Hessen und die im kommenden Jahr zu erwartenden Klatschen in Ostdeutschland reagieren sollen, ohne die Abwärtsspirale noch zu verstärken. Angela Merkels Rückzug von der CDU-Spitze kann dafür „too little, too late“ sein.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass es früher oder später zu einem Bruch zwischen CDU und CSU kommt, der ja im Sommer 2018 in der Luft hing und viel diskutiert wurde. Das könnte aus Sicht der CSU auch ein Versuch sein, angesichts der geschwächten Position in Bayern, einen bundesweiten Einfluss aufrecht zu erhalten, aber auch durch die Bildung einer rechteren und populistischer auftretenden konservativen Partei, der AfD einen Teil ihrer Wähler*innenbasis streitig zu machen. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass Seehofer zum Bauernopfer für die verlorene Bayern-Wahl gemacht wird und dadurch versucht wird, die Spannungen innerhalb der Großen Koalition für eine Zeit abzumildern. Wie lange das gut gehen kann, ist aber angesichts der im kommenden Jahr anstehenden Landtagswahlen in mehreren ostdeutschen Bundesländern offen. Die letzten Monate haben gezeigt, wie instabil diese Regierung ist und wie sehr der Druck in der und auf die SPD steigen kann, den Ausbruch aus der Umklammerung Angela Merkels in der Großen Koalition zu wagen. Bisher hat sich in der SPD noch das staatsmännische Verantwortungsbewusstsein und die Angst vor dem Ende mit Schrecken durchgesetzt. Aber ein Schrecken ohne Ende wird die Partei auch nicht ewig mitmachen können. Es ist wahrscheinlich, dass die Bundesregierung vor dem Ende dieser Legislaturperiode, möglicherweise schon nach den Europa- oder ostdeutschen Landtagswahlen 2019 auseinanderbricht.
Für die Kapitalistenklasse stellt sich die Frage, wie sie eine Regierung erreichen kann, die deutlicher ihre Klasseninteressen vertritt. In der gegenwärtigen Konstellation wäre eine Jamaika-Koalition dafür die einzige Perspektive, ggf. sogar ohne CSU. Kurz- oder mittelfristig ist Einbeziehung der AfD in eine Bundes- oder auch Landesregierung nicht vermittelbar und würde die politische Instabilität weiter anheizen und eine Gegenreaktion nach links auslösen. Dass aber erste CDU-Politiker öffentliche Überlegungen in diese Richtung anstellen ist ein Hinweis darauf, dass die strategisch denkenden Teile des Bürgertums natürlich eine Integration der AfD in das politische System und in Regierungsverantwortung als einzigen Weg sehen, der Partei ihre populistische Anti-Establishment-Spitze zu nehmen und sie als Waffe gegen die Arbeiter*innenklasse einzusetzen. Zweifellos schauen einige Kapitalist*innen neidisch nach Österreich, wo Sebastian Kurz vordergründig eine autoritär-konservative Erneuerung der ÖVP gelungen ist und er nun im Bündnis mit der FPÖ massive Angriffe auf die Arbeiter*innenklasse durchsetzen will. Friedrich Merz‘ Versuch den CDU-Vorsitz zu gewinnen, ist ein Versuch eine solche Entwicklung einzuleiten. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass – vor allem als Folge einer Wirtschaftskrise – auch eine neue bürgerliche Partei entsteht, ähnlich wie Macrons „En Marche“ in Frankreich und es zu völlig neuen Regierungskonstellationen kommt.
Autoritäre Herrschaftsformen
Die herrschende Klasse ist sich bewusst, dass die ökonomischen und gesellschaftlichen Verwerfungen der Zukunft große Klassenkämpfe und Widerstandbewegungen auslösen können. Darauf bereitet sie sich unter anderem dadurch vor, dass autoritäre Herrschaftsformen ausgeweitet werden und demokratische Rechte weiter abgebaut werden.
Der Polizeieinsatz beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg wurde von Aktivist*innen zurecht als Aufstandsbekämpfungstest bezeichnet. Auch der massive Polizeieinsatz im Hambacher Forst stellt in vielerlei Hinsicht eine neue Qualität dar, nicht zuletzt weil die CDU/FDP-Landesregierung so offensichtlich und mit einer so fadenscheinigen Begründung zur Erfüllungsgehilfin von RWE wurde.
Hinzu kommen die neuen Polizeiaufgabengesetze in Bayern, NRW und nahezu allen anderen Bundesländern, die die Befugnisse der Polizei ausweiten und die Verflechtungen von staatlichen Institutionen mit Rechtspopulist*innen und Faschisten. Schon die Aufdeckung des NSU brachte zutage, dass der Verfassungsschutz tief drin steckt im braunen Sumpf. 2018 wurde dann bekannt, dass der damalige Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen mehrere Treffen mit AfD-Vertreter*innen hatte und diesen augenscheinlich Informationen hat zukommen lassen, wozu er nicht berechtigt war. Wessen Geistes Kind Maaßen ist, hätte jedem klar sein müssen, der sich mit seiner Biographie beschäftigt hat. Deutlich wurde das aber nach den Ereignissen von Chemnitz, als er in einem Interview in der BILD-Zeitung die Authentizität eines Videos, das die Hetzjagd auf Migranten zeigte, in Frage stellte, Verschwörungstheorien verbreitete und die Übergriffe der Faschisten relativierte. Es ist klar, dass Maaßen nur die Spitze des Eisbergs war und es ist kein Zufall, dass bei der „Hutbürger“-Affäre um den Polizeieinsatz gegen ein ZDF-Team ein BKA-Mitarbeiter im Mittelpunkt stand und der Haftbefehl gegen einen der Tatverdächtigen von Chemnitz an die Öffentlichkeit geleakt wurde. Auch bei Angehörigen des Staatsapparates gibt es das Gefühl, die Welt sei „aus den Fugen“. Innerhalb weniger Monate wurden bei Polizei und Armee mehrere faschistische oder rechtsnationalistische Gruppierungen bekannt, so bei der Polizei Frankfurt und rund um ehemalige KSK-Angehörige und den Verein Uniter. Dort fantasieren Angehörige der bewaffneten Formationen – den ökonomischen und sozialen Krisen vorauseilend – von Putschplänen und der Inhaftierung oder gar Ermordung politischer Gegner*innen. Diese Entwicklungen zeigen das weiterhin gefährliche Potenzial des rechten Terrorismus, gerade in Verbindung mit Rechtsentwicklungen in den Repressionsapparaten und sind eine klare Warnung für die Linke und die Arbeiterbewegung.
Bedeutsam ist aber auch, dass sich die Herrschenden in diesen Fragen nicht einfach durchsetzen können, sondern im Falle des Hambacher Forsts und von Maaßen zurück rudern und dem großen gesellschaftlichen Druck nachgeben mussten.
Angesichts von wachsender politischer Instabilität und zu erwartenden sozialen Konflikten, wird diese Tendenz zu autoritären Herrschaftsformen weiter gehen. Es ist auch zu erwarten, dass angesichts der immer unübersichtlicher werdenden Verhältnisse im Bundestag und der schwachen Mehrheiten für Bundesregierungen im Parlament, die Tendenz zunimmt am Parlament vorbei zur regieren.
SPD
Es hat in den letzten zwei Jahren zwei Situationen gegeben, die verzerrt zum Ausdruck gebracht haben, dass es ein Potenzial in der Arbeiter*innenklasse und unter Jugendlichen für ein deutsches „Corbyn-Phänomen“ gäbe, die SPD aber strukturell und personell nicht in der Verfassung ist, dafür die Plattform zu bieten. Sowohl der Aufstieg und Fall von Martin Schulz als auch die #NoGroKo-Kampagne einschließlich der darauffolgenden Wahl von Andrea Nahles zur Parteivorsitzenden haben vor allem offenbart, dass die SPD weitgehend verbürgerlicht ist und es kaum Potenzial für eine authentische linke Opposition gibt.
2017 waren im Zuge des so genannten Schulz-Hypes über 30.000 neue Mitglieder in die SPD eingetreten, aber auch fast 14.000 ausgetreten. 36 Prozent der SPD-Mitglieder geben an, über einen Austritt nachgedacht zu haben. Auch im Zuge der #NoGroKo-Kampagne soll es zu Eintritten in fünfstelliger Größenordnung gekommen sein, nach Eintritt in die GroKo aber auch wieder zu vielen Austritten. Das drückt Hoffnungen auf eine SPD mit „wirklich“ sozialdemokratischer Politik in Teilen der Arbeiter*innenklasse aus und ist auch ein Hinweis darauf, dass ein rot-rot-grünes Regierungsprojekt, das sich einen Politikwechsel auf die Fahnen schreibt, Hoffnungen und zeitweilig sogar Begeisterung auslösen könnte (wie es ja auch die rot-grüne Koalition 1998 tat). Gleichzeitig zeigt der Verlauf der Ereignisse aber, dass die SPD so tief mit der herrschenden Klasse verschmolzen ist, dass sie so durch und durch parlamentarisch-staatstragend ist und dass es keine Arbeiter*innenbasis gibt, die von unten die Verhältnisse in der Partei wirklich zum Tanzen bringen könnte. Kevin Kühnert hat sich geschickt zum Führer der innerparteilichen Opposition gegen die GroKo inszeniert, um nach dem Eintritt in die GroKo dann Andrea Nahles als neue Parteivorsitzende gegen die Flensburger Bürgermeisterin Simone Lange zu unterstützen und damit deutlich zu machen, dass er eine „loyale Opposition der Majestät“ und kein Rebell ist. In der SPD gibt es schlicht und einfach keinen Corbyn – kein Wunder: in Deutschland wäre Jeremy Corbyn schon lange Mitglieder der LINKEN geworden. Bei weiteren Niederlagen bei den Landtags- und Europawahlen 2019 ist eine vorzeitige Beendigung der GroKo möglich. In einem solchen Fall würde die SPD aus der GroKo aussteigen und verstärkt links blinken. Die Aussage „Hartz IV hinter uns lassen“ und auch Peer Steinbrücks Satz „Die SPD braucht einen Sanders, nur dreißig Jahre jünger“ sind Ausdruck davon. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Kevin Kühnert, möglicherweise in einer zukünftigen Doppelspitze Parteivorsitzender wird. Auch wenn die SPD mehr Vertrauen und Unterstützung verloren hat als jemals zuvor und den meisten Arbeiter*innen nicht als glaubwürdig gilt, könnte eine solche Entwicklung, auch mit Unterstützung der Gewerkschafts- und LINKE-Führung und wider besseren Wissens bei vielen neue vorübergehende Hoffnungen auslösen.
Die schwache Resonanz unter SPD-Mitgliedern auf das aufstehen-Projekt ist ebenfalls ein Hinweis auf den Charakter, die Zusammensetzung und das fehlende Potenzial der SPD-Mitgliedschaft für eine Linkswende. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die SPD dasselbe Schicksal ereilt, wie ihren Schwesterparteien in den Niederlanden, Griechenland und Frankreich, die mittlerweile nur noch einstellige Ergebnisse erzielen und kurz vor der politischen Bedeutungslosigkeit stehen. Das wäre für die deutsche Bourgeoisie ein erhebliches Problem, denn die Sozialdemokratie kann weiterhin über ihre engen Verbindungen zum Gewerkschaftsapparat eine disziplinierende und bremsende Wirkung auf die Arbeiter*innenklasse ausüben.
Grüne und FDP
Die Geschichte von Grünen und FDP in den letzten Jahren könnte den Titel „Totgesagte leben länger“ tragen. Letztlich haben beide Parteien davon profitiert, dass sie – mit Ausnahme einer kurzen Phase für die FDP, für die sie mit dem Ausscheiden aus dem Bundestag 2013 zahlte – seit Jahren nicht Teil der Bundesregierung sind und sich als Oppositionsparteien aufspielen können.
Die Grünen liegen in Meinungsumfragen mittlerweile bei bis zu 23 Prozent und damit weiter vor der SPD. Sie gewinnen Stimmen sowohl von der SPD als auch der Union. Ihnen gelingt dabei der Spagat einerseits in Landesregierungen prokapitalistische Politik mit SPD (Niedersachsen, Hamburg, Bremen), CDU und FDP (Schleswig-Holstein), SPD und LINKE (Berlin und Thüringen) und CDU (Baden-Württemberg und Hessen) umzusetzen, sich jeder Regierungsbildung anzubiedern (Jamaika im Bund und mit der CSU in Bayern) und andererseits trotzdem als Opposition gegen Rechtsruck und Klimawandel zu erscheinen. Die Debatte um Migration hat die Grünen in Umfragen gestärkt, besonders spürbar bei der Bayernwahl im Oktober 2018. Die gesellschaftliche Polarisierung nach links drückt sich verzerrt in den Grünen aus, die die Migrationsfrage als eine Wertedebatte führen: flüchtlingsfreundlich gegen flüchtlingsfeindlich. Durch ihre Präsenz bei antirassistischen Protesten schaffen sie es, ihre unsoziale, rassistische Abschiebe-Politik in Regierungen zu verschleiern und das moralische „Bunt statt braun“ zum Kern der Debatte zu machen. Die Grünen werden besonders als Gegenpol zur AfD wahrgenommen, weil sie einerseits sich als „urbane und weltoffene“ Partei etabliert haben und ihre moralbasierten und unverfänglichen Positionen auf ein breiten Konsens bei AfD-Gegnern trifft. Andererseits allerdings auch, weil DIE LINKE durch Wagenknechts Äußerungen viel Glaubwürdigkeit beim Thema Migration und Flüchtlinge verloren hat und DIE LINKE nur unzureichend den gemeinsamen Kampf von Einheimischen und Zugewanderten für soziale Verbesserungen aller und gegen Fluchtursachen in den Mittelpunkt stellt. So wie sie nach dem Reaktor-GAU von Fukushima von der Anti-Atomkraft-Stimmung profitierten, so profitieren sie jetzt vom gestiegenen Bewusstsein über den Klimawandel. Das hängt auch damit zusammen, dass sie ihr Spitzenpersonal ausgewechselt haben und kaum ein Mitglied der engeren Parteiführung noch mit der Schröder-Fischer-Regierung in Verbindung gebracht wird und es ihr auch gelungen ist, trotz ihrer Beteiligung an Landesregierungen, die zum Beispiel in NRW die Fortsetzung des Braunkohleabbaus zu verantworten haben, die Verbindung zur Umweltbewegung aufrechtzuerhalten. Die Grünen haben auch immer wieder eine starke Präsenz bei Umwelt und Antifa-Demonstrationen.
Aus Sicht des Bürgertums ist es höchste Zeit für eine Koalition von CDU und Grünen auf Bundesebene. Zum einen würde das den Grünen die letzten Reste linker Rhetorik, wie die Forderung nach Abschaffung von Hartz IV, nehmen und die Regierungsoptionen für das Kapital erweitern. Rechnerisch ist das aber nur im Bund mit einer dritten Partei, SPD oder FDP, möglich. Der FDP hat es in Umfragen geschadet, dass sie die Jamaika-Verhandlungen haben platzen lassen. Es ist nicht auszuschließen, dass nach einem Scheitern der GroKo eine Jamaika-Koalition gebildet wird, die dann als amtierende Regierung in Neuwahlen gehen würde, so wie es 1982 den kalten Machtwechsel von der sozialliberalen zur schwarz-gelben Koalition gegeben hat.
AfD
Wir haben uns in vielen Artikeln und in dem Buch „Brandstifter“ ausführlich mit der AfD und dem Thema Rechtspopulismus auseinander gesetzt. Unsere grundlegenden Analysen haben sich bestätigt und müssen hier nicht im Detail wiederholt werden.
Der Rechtspopulismus ist ein internationales Phänomen des heutigen krisenhaften Kapitalismus, der Periode der kapitalistischen Globalisierung und wurde durch die Auswirkungen der Krise von 2008/09 massiv gestärkt. Er nutzt und verstärkt die massenhafte Entfremdung breiter Teile der Arbeiter*innenklasse und der Mittelschichten mit dem politischen Establishment, wendet die Abstiegsängste gegen Migrant*innen und kann aufbauen auf der jahrelangen nationalistischen und rassistischen Politik und Propaganda der Herrschenden und sich als die Kraft inszenieren, die diese Propaganda in die Tat umsetzen will. Dabei konnte er die Stärke nur erlangen aufgrund des Fehlens einer starken und klassenkämpferischen sozialistischen Arbeiterpartei. Auch wenn, vor allem im Fall der AfD, die Wähler*innen sehr durch ihre migrant*innenfeindlichen Einstellungen geprägt sind, so ist das Wachstum des Rechtspopulismus auch eine verzerrte Form des Aufbegehrens gegen das neoliberale Establishment. Die AfD kann nicht dadurch zurück gedrängt werden, dass man ihren Forderungen nach Einschränkungen der Zuwanderung und weiterer Diskriminierung von Migrant*innen nachgibt, sondern nur in dem die Linke eine deutliche klassenbasierte Antwort auf soziale Ungleichheit und Zukunftsängste gibt und Klassenkämpfe voran getrieben werden.
Die AfD lässt sich als eine rechtspopulistische, rassistische, aggressiv-nationalistische Partei charakterisieren; mit einer offenen Flanke Richtung faschistischer Ideen und einem organisierten potenziell faschistischen Flügel um Björn Höcke, der versucht, mit sozialer Demagogie und Straßenmobilisierungen zu agieren und Kontakte zu Pegida und faschistischen Organisationen unterhält. Diese Kräfte wurden in der AfD in den letzten Jahren gestärkt, nachdem zuerst der Gründer Bernd Lucke und dann seine Nachfolgerin Frauke Petry die innerparteilichen Machtkämpfe gegen die rechten Kräfte verloren haben und die Partei verließen. Diese Stärkung rechtsextremer und faschistischer Kräfte macht die AfD aber noch nicht zu einer faschistischen Partei und auch nicht zu einer „faschistischen Partei im Werden“, wie es Teile der LINKEN formulieren, für die die Entwicklung der AfD weitgehend ausgemacht ist.
Wir verteidigen die trotzkistische Analyse des Faschismus als einer besonderen Form (klein)bürgerlicher Reaktion, die auf der Mobilisierung breiter Teile der Bevölkerung (in der Vergangenheit vor allem kleinbürgerlicher Schichten) gegen die Arbeiter*innenklasse und gegen Minderheiten basiert, die das Ziel hat die Arbeiter*innenbewegung und alle Formen demokratischer Rechte zu zerschlagen. Das dazu nötige Mittel ist der Terror und physische Gewalt. Die AfD vertritt weder in ihrer Mehrheit diese Ziele, noch verwendet sie faschistische Methoden. Sie ist auch bisher nicht zum Sammelbecken faschistischer Aktivist*innen geworden. Das haben unter anderem die Ereignisse von Chemnitz gezeigt, wo Nazi-Organisationen wie DIE RECHTE, der III. Weg, die Identitären und andere die entscheidende Rolle bei den Straßenmobilisierungen und den Übergriffen auf Migrant*innen, Journalist*innen und Antifaschist*innen gespielt haben. So bedeutend der Schulterschluss des Höcke-Flügels mit den Nazis und mit Pegida in Chemnitz war, so sehr war es auch nur ein Schulterschluss und keine Vereinigung.
Welle von Massenprotesten
2018 war ein Jahr der Massenproteste gegen Rechts. Die Wahlerfolge der AfD, die rassistischen Kampagnen von Seehofer und Co., das Sterben von Geflüchteten im Mittelmeer und die staatlichen Aktionen gegen die Seenotrettung, die neuen Polizeigesetze, die Nazi-Mobilisierungen in Chemnitz haben eine Welle von Massenmobilisierungen ausgelöst, die hunderttausende aktiviert hat. Hier haben wir buchstäblich gesehen, wie die Peitsche der Konterrevolution zu Massenaktivität führt. Der von uns zwischenzeitlich konstatierte Gewöhnungseffekt an die AfD war von kurzer Dauer, weil sich bei vielen die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die Lage sehr ernst ist und die etablierten Parteien und der Staat die AfD nicht aufhalten werden.
Ohne Anspruch auf Vollständigkeit hier eine Liste der Massenmobilisierungen: im Frühjahr 70.000 gegen den AfD-Aufmarsch in Berlin, 40.000 in München und 20.000 in Düsseldorf bei den Demonstrationen gegen die Polizeigesetze, über 100.000 bei den #Seebrücken-Aktionen in über neunzig Städten mit Demonstrationen in teilweise fünfstelliger Größenordnung, wie in Berlin und Hamburg, 50.000 bei der #ausgehetzt-Demo in München, 65.000 bei dem #wirsindmehr-Konzert in Chemnitz, 10.000 bei der von uns organisierten antirassistischen Demonstration in Berlin nach den Ereignissen von Chemnitz, 10.000 bei einer antirassistischen Demo in Köln, zehntausende beim Refugee-Marsch in Hamburg im September, Demonstrationen von 8.000 in Frankfurt/Main, 2.500 in Kassel, und tausenden in Darmstadt und anderen hessischen Städten im Rahmen des Landtagswahlkampfes gegen die AfD, mehrere Demo gegen Rechts in vierstelliger Größenordnung in Rostock, 40.000 bei der „Jetzt gilt‘s“-Demo am 3.10. in München, 242.000 bei #unteilbar am 13.10 in Berlin, 12.000 gegen PEGIDA in Dresden. Hinzu kommen noch tausende bei den sonntäglichen Waldspaziergängen im Hambacher Forst, nach dem Beginn der polizeilichen Räumung 50.000 auf der Großdemonstration am 6.10., größere Mieter*innenproteste, Demos gegen den Pflegenotstand, die Mobilisierungen im Rahmen der IG Metall-Tarifrunde, die Proteste am internationalen Frauentag, die Aktionen gegen die Verurteilungen von Ärzt*innen nach §219a und einiges mehr.
#unteilbar ist in dem Zusammenhang von großer Bedeutung. Die Demonstration war nicht nur zahlenmäßig eine der größten in der Geschichte der Bundesrepublik, sie war auch eine breite antirassistische Mobilisierung, die die soziale Frage mit in den Mittelpunkt, und nicht ausgespart, hat und die sich nicht nur gegen AfD und Faschisten wendete, sondern allgemein gegen Rassismus und Ausgrenzung von Migrant*innen und so eindeutig auch die EU-Abschottungspolitik und staatlichen Rassismus kritisierte. Sie hat in bisher einmaliger Art und Weise soziale Bewegungen und Aktivist*innen aus sehr vielen unterschiedlichen Bereichen zusammen gebracht. Das hätte ein Ausgangspunkt für eine neue, breite und massenhafte soziale Bewegung sein können. Leider haben die Initiator*innen den günstigen Moment verpasst und nicht schnell nach der Demonstration nächste Schritte eingeleitet, wie wir sie zum Beispiel vorgeschlagen hatten. #unteilbar kann weiterhin ein Bündnis sein, dass wichtige Mobilisierungen anstößt, aber eine Chance scheint erst einmal verpasst worden zu sein.
Das Bewusstsein unter den Teilnehmenden an diesen Protesten ist vielschichtig. Den Schritt von der Teilnahme an einer Demonstration zur Mitarbeit in einer Initiative oder politischen Organisation sind bisher nur relativ wenige gegangen. In DIE LINKE waren 2017 über achttausend Neumitglieder eingetreten, 2018 waren es über dreitausend. In Bayern, wo es besonders viele Bewegungen gab, sind 2017 und 2018 (bis Oktober) 1.500 neue Mitglieder eingetreten, davon zwei Drittel unter 36 Jahre. Gruppen der #Seebrücke-Initiative haben sich bundesweit gebildet, wobei dort viele aktiv geworden sind, die vorher schon in anderen Zusammenhängen aktiv waren.
Hinsichtlich des politischen Bewusstseins gibt es eine große Wut auf CSU und Staatsorgane, aber gleichzeitig auch wenig Verständnis für die Rolle von SPD und Grünen, wenn es um das Aufkommen der AfD und die Stärkung des Rassismus geht. Die Beteiligung bürgerlicher Kräfte, das Auftreten von Bürgermeister*innen und etablierten Politiker*innen bei Protesten gegen AfD oder Pegida wird kaum in Frage gestellt. Bei den Protesten gegen den Braunkohletagebau im Hambacher Forst konnte man einerseits schnell über die Macht der Konzerne und den Kapitalismus reden, gleichzeitig führten die Gerichtsentscheidungen zum vorläufigen Rodungsverbot und der Genehmigung der polizeilich verbotenen Demo auch zu Illusionen in die „Unabhängigkeit“ der Gerichte.
Es kann uns nicht verwundern, dass diese Proteste von einem relativ niedrigen und verwirrten Bewusstseinsstand ausgehen. Durch Erfahrungen mit dem Staatsapparat und den etablierten Parteien und durch ein energisches Eingreifen sozialistischer Kräfte kann sich dieses Bewusstsein aber rasant entwickeln.
Hinsichtlich sozialer Bewegungen müssen wir ein größeres Augenmerk auf die Umweltbewegung und auf die vielfachen Proteste gegen Sexismus und die Benachteiligung von Frauen legen. Die Umweltbewegung ist in Deutschland traditionell stark und immer wieder in der Lage zu großen Mobilisierungen. Angesichts der Tatsache, dass der Klimawandel die Existenz der menschlichen Zivilisation in der uns bekannten Art bedroht und durch die Häufung extremer Wetterphänome immer mehr Menschen konkret ins Bewusstsein rückt, können wir davon ausgehen, dass sich zu dieser Frage kontinuierlich vor allem junge Menschen politisieren und aktivieren. Wir haben dazu gutes Material erarbeitet, bisher aber nur in Proteste interveniert und keine direkte Rolle dabei gespielt. Es spricht viel dafür, dem Thema mehr Aufmerksamkeit zu widmen und in unsere tägliche Arbeit in der LINKEN und der linksjugend[‚solid] zu integrieren. Hinsichtlich der neuen Frauenbewegung gibt es in der Bundesrepublik zwar aufgrund der unterschiedlichen objektiven Voraussetzungen noch nicht einen mit anderen Ländern wie Spanien, Irland oder Argentinien vergleichbaren Aufschwung, aber eine eindeutige Politisierung und Aktivierung, die sich in den letzten Jahren auch bei den Protesten gegen den Marsch der Lebensschützer*innen in Berlin und den Demos am Frauenkampftag zeigten. Dennoch sind diese neuen Streiks und Proteste bisher nicht von der Arbeiter*innenklasse geprägt. Ähnlich wie ’68 dominieren akademische Einflüsse und postmoderne Ideen. Dass diese Einflüsse so präsent sind, liegt vor allem an dem niedrigen Klassenbewusstsein der Arbeiter*innenklasse. Deshalb ist es besonders wichtig, feministische Kämpfe und Arbeiter*innenkämpfe zusammenzuführen. Die gesellschaftlichen Symptome der patriarchalen Klassengesellschaft werden vielen Frauen bewusster, was nicht zuletzt die #metoo-Kampagne 2017 eindrucksvoll verdeutlicht hat. Frauen werden unvermindert Opfer von sexuellen Übergriffen, Vergewaltigungen, häuslicher Gewalt und müssen tagein tagaus sexistische Diskriminierung ertragen. Das sind die gesellschaftlichen Aspekte von Sexismus, die viele Frauen politisieren. Wir wollen bürgerliche Ideen in der Frauenbewegung mit sozialistischem Feminismus herausfordern. Für 2019 wird nun von Aktivistinnen ein feministischer Streik am 8. März geplant. Es ist richtig, sich an dem enorm erfolgreichen feministischen Streik in Spanien ein Beispiel zu nehmen und sich dieses Ziel auch für Deutschland zu stellen. Ohne eine breite Kampagne vor allem in den Gewerkschaften, werden größere Streikaktionen schwer umsetzbar sein, aber es ist nicht auszuschließen, dass eine Schicht von Frauen an diesem Tag Urlaub nimmt, krank feiert, Überstunden abbummelt und andere Wege findet, um nicht am Arbeitsplatz zu erscheinen. Wir haben mit unserem neuen Frauenprogramm beste Voraussetzungen für unser Eingreifen in die neue Frauenbewegung geschaffen und setzen uns in dieser für einen sozialistischen Feminismus und eine Orientierung auf Arbeiter*innen und das Aufgreifen sozialer Fragen ein.
Betriebe und Gewerkschaften
Die Gewerkschaftsführungen opfern in allen wichtigen Fragen, die die Klasse betreffen, die Interessen der Klasse.. Sie haben die Große Koalition unterstützt und im Kampf gegen Rechtspopulismus und Rassismus so gut wie keine Rolle gespielt. Die Quitung dafür sind sinkende Mitgliederzahlen in bestimmten Bereichen sowie Verluste bei Betriebsratswahlen. Nicht nur „Freie“ oder z.B. DBB Listen profitieren davon sondern auch Rechte Betriebsratslisten konnten zulegen und nutzen die Kritik an Sozialpartnerschaft und Comanagement um für ihre menschenverachtenden Inhalte zu werben.
Die Gewerkschaftsbürokratie lässt mutwillig jede Chance zur Synchronisierung von Tarifkämpfen in den bundesweit bedeutenden Tarifrunden verstreichen. Ohne die Initiativen aus Belegschaften, von linken Organisationen und von unteren und mittleren Funktionär*innen von ver.di wäre der Kampf für mehr Personal in den Krankenhäusern wahrscheinlich schon eingeschlafen, von einer bundesweiten Strategie der ver.di-Fachbereichsführung fehlt jede Spur. Folge dieser Gewerkschaftspolitik ist, dass die Mitgliederverluste weiter gehen.
Die großen Tarifrunden in Bund und Kommunen sowie in der Metallindustrie waren einmal mehr vertane Chancen für Streiks und die Durchsetzung der beschlossenen Forderungen. Die Ergebnisse waren zu schlecht, um Euphorie unter den Kolleg*innen auszulösen und nicht schlecht genug, um breite Empörung und Widerstand gegen die Annahme auszulösen. Die eintägigen Warnstreiks in der Metallindustrie waren eine neue Kampfform, ein neu eingeführter Eskalationszwischenschritt zwischen den bisherigen kürzeren Warnstreiks und Urabstimmung und Vollstreik. Die Beteiligung zeigte die Kampfbereitschaft in vielen Betrieben und war ein Schritt voran. Gleichzeitig bestätigte sich aber auch unsere Warnung, dass die Gewerkschaftsbürokratie durch diese Maßnahme die Möglichkeit hat, möglichen Druck für ernsthafte Streikmaßnahmen abzufedern.
In der Metall-Tarifrunde wurde das Thema Arbeitszeitverkürzung erstmals seit langer Zeit wieder auf die Tagesordnung gesetzt. Das ist Ausdruck davon, dass viele Kolleg*innen den Arbeitsdruck und die Belastungen nicht mehr aushalten und vielen bessere Arbeitsbedingungen wichtiger sind als mehr Lohn und Gehalt. So sehr die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung in allgemeiner Form ein wichtiger Fortschritt war, so gefährlich war die konkrete Art und Weise, wie die IG Metall das Thema aufgegriffen und letztlich auch mit den Kapitalisten abgeschlossen hat. Von einer Verkürzung kann keine Rede sein, durchgesetzt wurde lediglich die Möglichkeit zur befristeten Teilzeit für einige Gruppen von Beschäftigten, wie es in vielen anderen Bereichen ohnehin schon praktiziert wird, meist mit weniger Beschränkungen. Im Gegenzug wurden den Unternehmen Instrumente in die Hand zu geben, die 35-Stunden-Woche auszuhebeln und die Arbeitszeit zu verlängern.
Ausgehend von den Streiks an der Charité, wo SAV-Genoss*innen eine entscheidende Rolle gespielt hatten, hat sich in den letzten Jahren eine bundesweite Bewegung für den Kampf um mehr Personal in den Krankenhäusern entwickelt. 2018 kam es zu langen Streiks an den Uni-Klinika in Essen und Düsseldorf, die mit einem Tarifabschluss endeten, der von den Aktiven als Fortschritt im Vergleich zum Abschluss an der Charité gesehen wird. Im Saarland haben die Arbeitgeber nach einer ernsthaften Streikdrohung und -vorbereitung Zugeständnisse nachgezogen, auch in Augsburg konnten die Kolleg*innen einen Erfolg erzielen. An der Charité ist die Situation etwas komplizierter, da der Tarifvertrag zwar zu Neueinstellungen geführt hat, aber ein unzureichendes Konsequenzenmanagement besteht und die Lage weiterhin nicht zufriedenstellend ist. Noch mehr verkompliziert wird die Lage durch den Eintritt des Arbeitgebers in den Kommunalen Arbeitgeberverband. Hier ist es zur Zeit offen, wie die Auseinandersetzung weitergehen wird. Das Thema war schon im Bundestagswahlkampf von Bedeutung und der gesellschaftliche Druck ist so groß geworden, dass der neue Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ebenfalls erste Zugeständnisse machen musste hinsichtlich der Finanzierung neu einzustellender Krankenpfleger*innen, insgesamt aber eine Mogelpackung als Pflegepersonalstärkungsgesetz vorgelegt hat. In Berlin, Hamburg, Bremen und Bayern sind Volksbegehren für mehr Personal in den Krankenhäusern gestartet worden, die überall auf eine sehr gute Resonanz stoßen. Dass Aktivist*innen, mit unserer Beteiligung, diesen Weg eingeschlagen haben, ist aber auch Ausdruck davon, dass die Gewerkschaftsführung keine Strategie für eine betriebliche Kampagne entwickelt hat. Trotzdem sind die Kämpfe der Krankenhausbeschäftigten ein Beispiel dafür, dass innerhalb der Gewerkschaften von unten Bewegung durchgesetzt werden kann und etwas erreicht werden kann. Die von Genoss*innen der SAV mitgetragene Initiative mit der Zeitschrift „Herzschlag“ Kolleg*innen aus den Betrieben eine Stimme zu geben und ein Mittel zur Vernetzung zu schaffen, kann eine sehr wichtige Rolle für die weitere Entwicklung der Bewegung spielen, wenn es uns gemeinsam mit den anderen Unterstützer*innen gelingt, das Projekt auf breite Beine zu stellen.
In den letzten Jahren gab es eine Reihe wichtiger Kämpfe um Tarifverträge und die Rechte von prekarisiert Beschäftigten, die teilweise Jahre dauerten oder noch anhalten. Dazu gehören die Kämpfe in Berlin an der CFM, bei Vivantes, um den TV-Stud, beim Botanischen Garten und andere wie die jahrelange Auseinandersetzung bei amazon. Hier entwickelt sich eine neue Schicht von Arbeiteraktivist*innen, die wichtige Erfahrungen gesammelt haben, zum Teil durch die Unterstützung durch uns und andere linke Organisationen in Kontakt mit sozialistischen Ideen gekommen sind und sich politisiert haben.
Das Operieren von multinationalen Konzernen macht eine internationale Koordinierung von Streiks und Arbeitskämpfen immer wichtiger. Die Gewerkschaftsbewegung in ganz Europa hinkt der Notwendigkeit der Vernetzung dabei meilenweit hinterher. Der EGB ist weiterhin nichts als ein bürokratischer Papiertiger, der sich auf Lobbying bei den EU-Institutionen beschränkt. Da, wo es eine internationale Vernetzung gab, konnten Erfolge erzielt werden: Unter anderem in den Häfen, vor allem aber bei Ryanair. Die europaweit koordinierten Streiks haben den für seine Gewerkschaftsfeindlichkeit berüchtigten Billigflieger gebrochen. Bei einer Kundgebung in Bremen konnte ein irischer Genosse reden, und hilfreiche Hinweise für die Kolleg*innen liefern. Das zeigt, dass unsere Internationale ein wichtiger Hebel für die Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit sein kann.
In solchen und anderen Streiks der letzten Jahren sind Belegschaften nicht selten an die Grenzen offizieller Gewerkschaftspolitik geraten und von der Bürokratie ausgebremst worden. Gleichzeitig sind in verschiedenen Gewerkschaften neue, junge, linke Sekretär*innen eingestellt worden, die eine kämpferischere Herangehensweise haben, als die traditionellen Führungen. Es hat verschiedene Initiativen und Projekte zum Austausch bzw. zur Vernetzung dieser neuen Aktiven und Hauptamtlichen gegeben. Dazu gehört die alle zwei Jahre stattfindende so genannte Streikkonferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung, neue Zusammenschlüsse von ver.di- bzw. IG Metall-Sekretär*innen oder das Projekt OKG (organisieren, kämpfen, gewinnen). Die Streikkonferenz dient jedoch nur als Ort des Austauschs, von dem bisher keine konkrete und nachhaltige Vernetzung ausgegangen ist. Die Initiativen der Hauptamtlichen in ver.di und IGM treten kaum in Erscheinung und agieren bisher weitgehend klandestin und öffnen sich nicht für betriebliche Kolleg*innen. Daneben existieren einige der alten Zusammenschlüsse der Gewerkschaftslinken und oppositionelle Betriebsgruppen, die aber in der Regel schwach und überaltert sind und denen es nicht gelungen ist, eine Generation neuer Aktiver zu organisieren. Dieses Fehlen einer organisierten und handlungsfähigen Vernetzung ist eine große Schwäche für die Organisierung gewerkschaftlicher Kämpfe und bremst die Politisierung der Gewerkschaften. Objektiv schreit die Situation nach einer Vernetzung der linken und klassenkämpferischen Kräfte in den Gewerkschaften. Leider sind unseres Kräfte zu schwach, um ein solches Projekt alleine auf den Weg zu bringen. Deshalb haben wir versucht, dafür einen Anstoß zu geben, indem wir die bestehenden Kräfte angesprochen und die Durchführung einer Konferenz zur Gründung einer neuen Vernetzung vorgeschlagen.
2019 steht der ver.di Bundeskongress an, bei dem Frank Bsirske als Vorsitzender abtreten wird. Sein designierter Nachfolger Frank Werneke kommt aus der traditionell linkeren IG Druck und Papier (bzw. dann IG Medien und Fachbereich 8 bei ver.di). Eine grundlegend andere Ausrichtung von ver.di ist von ihm jedoch nicht zu erwarten. Auch lokal und in einigen Fachbereichen stehen personelle Veränderungen im Rahmen der Organisationswahlen an, mit denen wir uns auseinander setzen müssen. Es gibt offensichtlich den Versuch innerhalb von ver.di Streiks im öfffentlichen Dienst zu flexibilisieren. Stundenweise Streiks sind hierbei im Vergleich zu ganzen Warnstreiktagen ein Rückschritt und werden von der großen Mehrheit der Beschäftigten abgelehnt. Wir wollen beim Bundeskongress eingreifen und es ist uns schon gelungen einen Antrag zum Thema Arbeitszeitverkürzung einzubringen.
DIE LINKE
Der Linkspartei haben wir aufgrund ihrer Bedeutung für die Arbeiter*innenklasse und die Arbeit unserer Organisation eine gesonderte Resolution gewidmet. Deshalb sollen hier nur die wichtigsten Punkte kurz zusammen gefasst werden.
Wir unterstützen DIE LINKE und unsere Mitglieder sind Teil von ihr, weil wir sie als einen möglichen Ansatz für den Aufbau einer breiten sozialistischen Arbeiterpartei betrachten. Es ist ihr gelungen eine Partei links der Sozialdemokratie parlamentarisch zu verankern, die einen sozialistischen Anspruch hat und das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zugunsten der Arbeiter*innenklasse beeinflusst. Sie ist ein Forum zur Debatte für linke Gesellschaftsveränderung und bietet kämpfenden Belegschaften und sozialen Bewegungen in vielen Fällen praktische Unterstützung und Ressourcen. Das ist die eine Seite der LINKEN.
Die andere Seite der Partei ist ihr staatstragendes und systemstabilisierendes Verhalten in den Landesregierungen von Berlin, Brandenburg und Thüringen und in der Leitung vieler Kommunen in Ostdeutschland. Hier wirkt sie als linker Teil des Establishments, setzt immer wieder arbeiterfeindliche Maßnahmen mit um und bremst Kämpfe statt sie zu fördern. In der Vergangenheit haben grob gesprochen zwei Richtungen in der Partei gerungen: der, vor allem aus der alten PDS stammende, so genannte Reformer*innenflügel, der eine rein parlamentarische Orientierung hat, antikapitalistische Perspektiven auch verbal nicht mehr vertritt und an Regierungsbeteiligungen mit SPD und Grünen keine wirklichen Bedingungen stellt. Und ein aus Linksreformist*innen und Revolutionär*innen bestehender Teil, der eine aktive Mitgliederpartei mit außerparlamentarischem Schwerpunkt aufbauen will und Regierungsbeteiligungen mit prokapitalisischen Parteien entweder grundsätzlich ablehnt oder diesen sehr kritisch gegenüber steht und sie an Bedingungen (rote Haltelinien) knüpft. Deshalb sprachen wir in der Vergangenheit davon, dass DIE LINKE zwei Parteien in einer ist.
Mit der politischen Rechtsentwicklung von Sahra Wagenknecht, ihrem so genannten Hufeisenbündnis mit Teilen des Reformer*innenlagers um Dietmar Bartsch und der Gründung des „aufstehen“-Projekts haben sich die Konfliktlinien innerhalb der Partei sehr kompliziert verschoben und es ist kein einfaches Rechts-Links-Schema mehr anzuwenden. Anders als andere Kräfte aus der Parteilinken haben wir uns nie an machtpolitisch motivierten Blöcken beteiligt, sondern uns immer ausschließlich inhaltlich positioniert. Wir richten unsere Kritik in Richtung Sahra Wagenknecht aufgrund ihrer migrationspolitischen Positionen, weil „aufstehen“ sich als ein spalterisches Projekt rechts von der derzeitigen Programmatik der LINKEN entpuppt und weil sie sich demokratischen Diskussions- und Entscheidungsprozessen entzieht. Wir richten unsere Kritik in Richtung Katja Kipping aufgrund ihrer Unterstützung für ein rot-rot-grünes Regierungsprojekt, ihrer Illusionen in die EU und ihrer Propagierung des bedingungslosen Grundeinkommens. Wir richten unsere Kritik in Richtung Bernd Riexinger aufgrund seiner schwankenden Haltung zur Frage der Regierungsbeteiligung und seiner oftmals kompromisslerischen Haltung gegenüber der Parteirechten. Und wir kämpfen gegen die Regierungspolitik der Reformer*innen von Ramelow bis Lederer in Ostdeutschland. Wir vertreten unsere marxistischen Positionen und helfen beim Aufbau der Antikapitalistischen Linken (AKL) als der linken Strömung in der Partei. Wir setzen uns für eine neue Kooperation der klassenkampforientierten und internationalistischen Kräfte in der Partei ein, die die migrationspolitischen und strategischen Positionen von „aufstehen“ nicht teilen. Wir streiten zusammen mit „aufstehen“-Unterstützer*innen gegen das bedingungslose Grundeinkommen und unterstützen Sahra Wagenknecht, sollte sie in Fragen der EU-Politik eine kritischere Position einnehmen, als die, die von Katja Kipping oder Bernd Riexinger zu erwarten ist. Wir verteidigen zusammen mit Reformer*innen die Versuche die migrationspolitischen Grundsätze der Partei aufzuweichen und kritisieren diese gleichzeitig für die Abschiebepraxis in Bundesländern mit LINKE-Regierungsbeteiligung. Und wir unterstützen Katja Kipping und Bernd Riexinger kritisch in ihrem Anspruch, die Partei demokratischer zu strukturieren und stärker auf Bewegungen zu orientieren.
Wir verteidigen DIE LINKE gegen den Versuch von Sahra Wagenknecht und ihren Unterstützer*innen, die migrationspolitischen Positionen nach rechts zu verschieben und gegen die drohende Gefahr einer Spaltung. Unsere Verteidigung basiert aber nicht auf einer Unterstützung des status quo der Partei, sondern auf dem Kampf für eine Linksverschiebung der Partei hin zu klar sozialistischen Positionen und einer ebensolchen Praxis.
DIE LINKE in ihrer Gesamtheit wird den Erfordernissen der Zeit nicht gerecht und läuft Gefahr an der Herausforderung durch das „aufstehen“-Projekt zu scheitern. Das kann dadurch geschehen, dass Sahra Wagenknecht und ihre Unterstützer*innen doch eine Mehrheit in der Partei gewinnen oder dadurch, dass sie die Partei verlassen und ein neues linkssozialdemokratisch-populistisches Parteiprojekt starten, das bei Wahlen möglicherweise stärker werden könnte als DIE LINKE. Die beste Strategie diese beiden Entwicklungsvarianten zu verhindern, wäre es in der Partei eine klare Wende hin zu klassenkämpferischer, bewegungsorientierter, die EU scharf kritisierender Politik einzuleiten. Ob dies geschehen wird, ist leider fraglich. Das kann zu einer sehr komplizierten Situation für unsere Organisation führen. Sollte sich DIE LINKE spalten, eine neue Wagenknecht-Partei auf der Wahlebene erfolgreicher sein und eine geschwächte Partei zurück lassen, die aus dem Spaltungsprozess heraus aber nicht mehr Klarheit und inhaltliches Profil gewinnt, sondern weiterhin das Spektrum von Reformer*innen bis Revolutionär*innen abdeckt, ist die Gefahr groß, dass sich diese übrig gebliebene LINKE zerlegt. (…)
Bewegte Zeiten
In Deutschland ist viel in Bewegung geraten: die Parteienlandschaft, hunderttausende gegen Rechtspopulismus und Rassismus und die Partei DIE LINKE. Die politische Instabilität hat eine neue Qualität erreicht und eine weitgehende Neuordnung der Parteienlandschaft, so wie dies in anderen Ländern geschehen ist, ist möglich. Eine neue Wirtschaftskrise wird solche Prozesse beschleunigen und möglicherweise politische Verwerfungen auslösen, die heute noch nicht absehbar sind. Sie wird aber auch früher oder später die soziale Frage wieder stärker in den Mittelpunkt rücken und große Klassenkämpfe auslösen. In diesen werden wir mit einer gestärkten und in mehr Städten vertretenen Organisation eingreifen und diese beeinflussen können auf dem Weg zur Schaffung einer starken revolutionär-marxistischen Organisation in Deutschland.