LINKE gibt Anpassungsdruck nach
Die Umfragespatzen pfeifen es von Bremens Dächern: Der rot-grüne Senat wird bei den Bürgerschaftswahlen am 26. Mai seine Mehrheit verlieren. Der temporäre Höhenflug der Grünen wird die strukturelle Krise der SPD nicht ausgleichen können. Ausgerechnet DIE LINKE könnte der SPD das Bürgermeisteramt retten.
Von Sebastian Rave, Bremen
Hundert Jahre nach der Zerschlagung der Bremer Räterepublik, angeordnet durch den Sozialdemokraten Noske, zeigte sich Kristina Vogt (Fraktionsvorsitzende der LINKEN in der Bremischen Bürgerschaft) bei einer gemeinsamen Veranstaltung von SPD und LINKE versöhnlich: Die Spaltung der Linken müsse überwunden werden, gemeinsam könne man sich jetzt auf den Weg machen. Wohin, blieb offen – aber das Signal ist klar: Die Mehrheit in der LINKEN will nicht mehr Oppositionspartei sein, sondern „Verantwortung übernehmen“, „Sachen durchsetzen“, „Politik gestalten“.
LINKE auf dem Weg zur Regierungsbeteiligung?
Seit dem Einzug der LINKEN in die Bürgerschaft vor zwölf Jahren hat sich die Fraktion, und mit Verzögerung auch die von der Fraktion dominierte Partei insgesamt, dem Anpassungsdruck zunehmend gebeugt. Aus der Taktik, Anträge zu stellen, die aus dem SPD-Programm kommen könnten, um die SPD vorzuführen, wurde ein politischer Trend. So wurde aus einem Parteitagsbeschluss für kostenlosen öffentlichen Personennahverkehr in der Bürgerschaft eher ein „Sozialticket Plus“. Das Wahlprogramm wurde zum größten Teil von der Fraktion geschrieben und geht an kaum einer Stelle über Absichtserklärungen hinaus, den kapitalistischen Status Quo besser zu verwalten.
Bremer Haushalts- und Wirtschaftsperspektiven
Ein gewichtiges Argument der Befürworter*innen einer Regierungsbeteiligung ist, dass mit der Neuregelung des Länderfinanzausgleichs Bremen ab 2020 Sanierungshilfen von 400 Millionen Euro im Jahr erwarten kann. Die CDU drängt darauf, dieses Geld in den Schuldendienst zu stecken – angesichts maroder Schulen und öffentlicher Gebäude, Kita-Notstand, Wohnungsmangel und Krankenhauskrise natürlich ein Schreckensszenario. Regierungslinke wie Klaus-Rainer Rupp argumentieren deshalb dafür, dass DIE LINKE in den Senat müsse, um das zu verhindern und stattdessen in Soziales zu investieren. Doch das Loch, das jahrzehntelange Kürzungspolitik und unbearbeiteter Sanierungsstau gerissen hat, ist mindestens drei Milliarden Euro tief. Die 400 Millionen Sanierungshilfe reichen also nicht, um eine wirklich linke, vorwärtsweisende Politik zu machen. Der Geldsegen ist zudem konjunkturabhängig: Eine nicht ganz unwahrscheinliche wirtschaftliche Krise könnte zu bösem Erwachen für eine LINKE im Senat führen. Der Senat wäre beim Ausbleiben der Sanierungshilfe mit einer in der Verfassung festgeschriebenen Schuldenbremse konfrontiert, und zum weiteren Sparen gezwungen. Das, was sich DIE LINKE in den letzten zwölf Jahren an Glaubwürdigkeit und gesellschaftlicher Verankerung aufgebaut hat, würde dann in kürzester Zeit wieder zusammenbrechen.
Angesichts dieser Situation warnt der linke Flügel der Partei seit Jahren vor einer Regierungsbeteiligung. Die reale Politik der Koalitionspartner in spe, SPD und Grüne, gibt auch keinen Anlass, von einer Partnerschaft zu träumen. Die bisherigen Senatsparteien haben alle bedeutenden Anträge der LINKEN abgelehnt, DIE LINKE hat zurecht die Kürzungs- und Armutsverwaltungspolitik des Senats immer bekämpft. Etwas mehr als ein Drittel der Mitglieder sind deshalb gegen eine Regierungsbeteiligung und für antikapitalistische Forderungen. Die Mehrheit will aber in die Regierung und argumentiert mit den hohen Zustimmungsraten für Rot-Rot-Grün und damit, Schlimmeres verhindern zu wollen. Diese Mehrheit hat sich zunächst durchgesetzt. Wahlprogramm und Kandidat*innen zeugen von der Regierungsbereitschaft der Partei. Dafür wurde auch in Kauf genommen, die Pluralität der Partei zu beschädigen. Der bisher dem regierungskritischen Flügel zugehörige Kreisverband Links der Weser wurde bei der Kandidat*innenaufstellung nach weit hinten auf der Liste verbannt. In Folge dieser Niederlage kommt es aktuell zu Streitigkeiten, Austritten, Spaltungen und Neuformierungen innerhalb des linken Flügels. Das ist umso bedauernswerter, da im Falle einer Regierungsbeteiligung eine kritische Parteilinke umso wichtiger ist, um den Senat von links unter Druck setzen zu können.
Vielleicht aber auch doch Jamaika?
Es könnte alles aber auch ganz anders kommen: Die Grünen signalisieren nämlich auch Bereitschaft für eine Jamaika-Koalition mit CDU und FDP. Das wäre sicherlich nicht die bessere Variante für die 80.000 Bezieher*innen von Sozialleistungen oder die dreißig Prozent der Kinder, die in Armut aufwachsen. Die SAV wird deshalb dafür werben, dass DIE LINKE eine rot-grüne Minderheitsregierung hilft, ins Amt zu bringe, ohne dieser beizutreten oder durch einen Tolerierungsvertrag einen Blankoscheck auszufüllen. Durch eine Einzelfallpolitik im Parlament könnte eine LINKE Fraktion jeder Maßnahme der Regierung zustimmen, die zu Verbesserungen für die arbeitende Bevölkerung führt und jede ablehnen, die den Reichen und Mächtigen dient. Entscheidend wird ohnehin sein, was außerhalb von Rathaus und Bürgerschaft passiert: In den Nachbarschaften und an den Arbeitsplätzen, gegen Armut und Ausbeutung – es braucht Bewegung in Bremen, und eine linke Kraft, die eine antikapitalistische Perspektive in diese hinein trägt.