Thesen des Internationalen Sekretariats des CWI vom 14. Dezember 2018
Wir veröffentlichen im Folgenden die Thesen zu Europa des Internationalen Sekretariats des CWI, die Ende November beschlossen wurden. [Anmerkung: Diese Arbeit wurde vor dem Ausbruch der Massenproteste der Gelben Weste in Frankreich abgeschlossen, die an anderer Stelle auf socialistworld.net berichtet und analysiert werden.]
Der Kapitalismus in Europa ist gekennzeichnet durch eine wachsende Klassen-, politische und soziale Polarisierung. Es besteht die Möglichkeit, dass überall Massenbewegungen ausbrechen. Dies spiegelt sich im Allgemeinen im Aufruhr und Untergang der traditionellen Parteien des Kapitalismus und der ehemaligen Arbeiter*innenparteien wider. Ausnahmen bilden die britische Labour Party, die Sozialistische Partei in Portugal sowie in einigen anderen Ländern. Generell entfaltet sich in ganz Europa eine neue Ära politischer Instabilität und Umbrüche. Wie wir bereits in früheren Artikeln und Dokumenten kommentiert haben, enthält dies Elemente von Revolution und auch der Konterrevolution.
Trotz des Fehlens einer verallgemeinerten Bewegung der Arbeiter*innenklasse in letzter Zeit bleibt die Situation, in der sich der Kapitalismus befindet, politisch und sozial verkrampft. In Belgien, Frankreich und Österreich haben dennoch bedeutende Gewerkschaftsproteste stattgefunden. In einigen Ländern haben wir sehr wichtige soziale Bewegungen erlebt, wie das erfolgreiche Repeal-Referendum in Irland, in welchem unsere irischen Genoss*innen eine zentrale Rolle gespielt haben, sowie die Streiks der weiblichen und männlichen Jugendlichen gegen sexuelle Gewalt und Belästigung im spanischen Staat, zu denen von „Sindicato de Estudiantes“ aufgerufen wurden.
Die EU steht vor wachsenden inneren Konflikten und Spannungen sowohl wirtschaftlicher als auch geopolitischer Natur. Trotz des anhaltenden Wachstums der deutschen Wirtschaft ist die Wachstumsrate der Eurozone insgesamt auf den niedrigsten Stand seit vier Jahren gefallen. Frankreich, die zweitgrößte Wirtschaft der Eurozone, verzeichnete ein Absinken der jährlichen Wachstumsrate von 1,7% auf 1,5%. Selbst in jenen Ländern, die wirtschaftliches Wachstum verzeichneten, hat dies für die große Mehrheit weder zu einer Verringerung der Armut noch zu einem Anstieg des Lebensstandards geführt. In Deutschland, der stärksten Volkswirtschaft der EU, ist ein Zuwachs an „Mini-Jobs“ – einer geringfügigen Beschäftigung mit weniger als 450 € pro Monat – zusätzlich zur regulären Beschäftigung zu verzeichnen. Auch bei prekären Beschäftigungsverhältnissen gibt es anhaltendes Wachstum.
Behauptungen der herrschenden Klasse im spanischen Staat bezüglich einer wirtschaftlichen Erholung stellen sich angesichts der verschlechternden sozialen Situation als Lüge heraus. Nach EU-Berichten liegt die Jugendarbeitslosigkeit weiterhin bei 33,8%. In Wirklichkeit ist sie wahrscheinlich noch höher.
In ganz Europa gibt es eine verheerende Kluft zwischen Arm und Reich. Sparmaßnahmen und Kürzungen hatten in den meisten Ländern katastrophale Auswirkungen auf große Bevölkerungsschichten, während die Superreichen noch reicher wurden. In allen großen Städten Europas herrscht eine allgemeine Wohnungskrise, die besonders für junge Menschen verheerende Auswirkungen hat. Selbst in Deutschland ist trotz des wirtschaftlichen „Wachstums“ heute fast jede*r Fünfte der Bevölkerung von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. In Südeuropa sowie Großbritannien ist die Situation noch schlimmer; gekennzeichnet von Hunger, Obdachlosigkeit und Stagnation der Lebenserwartung mit der Aussicht auf sogar einen zukünftigen Rückgang dieser.
Die Kluft zwischen dem „reichen Norden“ und dem „armen Süden“ in der Eurozone hat sich vertieft und verschärft Spannungen und Konflikte. In der EU ist die Kluft zwischen Westen und Osten bei weitem noch nicht geschlossen. Die Idee, dass „alle Boote gemeinsam angehoben werden“ und Gleichheit herstellen, ist zerstört worden. Nach Angaben des IWF stieg das Pro-Kopf-BIP in Deutschland zwischen 2010 und 2016 um 19%. In Frankreich und den Niederlanden stieg es um 14%. Doch in Südeuropa wuchs es viel langsamer: in Italien um 6%, in Portugal um 10%. In Griechenland sank es um 7%.
Brexit
Die EU und die Eurozone sehen sich wachsenden Spannungen und Krisen ausgesetzt. Der Brexit hat dies am schärfsten gezeigt. Doch wie ein kapitalistischer Kommentator argumentierte: „Der Brexit ist nur ein Nebenschauplatz einer EU, die in einer Krise steckt“ (Daniel Boffey, Observer, 4/11/18). Der Ausgang des Brexit ist nach wie vor unklar.
Es ist nicht im Interesse der entscheidenden Teile der britischen herrschenden Klasse oder der EU, dass Großbritannien ausfällt. Es bleibt am wahrscheinlichsten, dass eine Einigung über einen „weichen Brexit“ erzielt wird. Dies ist jedoch keine Gewissheit. Der Brexit ist allerdings nicht die einzige Krise, mit der die herrschenden Klassen Europas konfrontiert sind. Der Konflikt zwischen Italien und der EU gefährdet nun den Fortbestand des Euro, wie wir in der Vergangenheit schon gewarnt haben. Italien befindet sich laut oben zitiertem Artikel „in einer Kernschmelze“. Mit Kreditaufnahmen von 131% des BIP (an zweiter Stelle nach Griechenland) und der Wirtschaft mit Nullwachstum, hat die rechtspopulistisch geführte Regierung ein Budget vorgelegt, das die EU-Ausgabengrenzen durchbricht. Das bringt sie in direkten Konflikt mit der EU, die nun ein reduziertes Budget fordert.
Die Heuchelei der beiden dominierenden EU-Mächte Deutschland und Frankreich wurde erneut offenbart. Sie haben zuvor diese Regeln – aufgrund ihrer wirtschaftlichen und politischen Macht – ohne folgende Sanktionen verletzt. Die Krise in Italien hat das Potenzial, eine noch größere Krise in der EU und der Eurozone hervorzurufen als das griechische Drama. Der Ernst der Lage wurde von Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire unterstrichen, der davor warnte, dass die Zukunft des Euro nun auf dem Spiel stehe. Es ist möglich, dass die italienische Regierung versuchen wird, einen Kompromiss zu erzielen, obwohl dies alles andere als sicher ist.
Wie bereits erwähnt, werden auch andere wichtige Aspekte von Konflikten zwischen den EU-Mächten durchgenommen. Die Vorschläge von Emmanuel Macron für eine beschleunigte politische und finanzielle Integration der Eurozone wurden von Angela Merkel und dem deutschen Imperialismus vereitelt. Sogar Macrons Vorschläge für ein Bankrettungsabkommen wurden durch den vorsichtigeren Ansatz Deutschlands durchkreuzt – gegen eine „Rettung des restlichen Europas“ im Falle einer neuen Krise.
Gleichzeitig ist die EU mit zunehmenden Konflikten und Zusammenstößen im Osten konfrontiert, mit Polen und Ungarn bzw. den rechtspopulistischen Regierungen, die dort herrschen, sowie wachsenden Spannungen mit Russland. In vielen Ländern Osteuropas gibt es große Veränderungen. Es ist jetzt fast 30 Jahre her, dass die ehemaligen stalinistischen Regimes zusammengebrochen sind. In Ungarn, Polen und einigen anderen Ländern sind nach der Wirtschaftskrise 2007/08 rechtsextreme populistische, autoritäre Regierungen an die Macht gekommen. Obwohl wir auf einer sehr niedrigen politischen Ebene anfangen, haben wir auch bedeutende Bewegungen gegen Korruption, kapitalistische Gangsterregime und Klassenkämpfe erlebt, die beispielsweise auf dem Balkan sowie in der Tschechischen Republik geführt wurden. Im Januar erschütterte ein Massenprotest Rumänien, der zum Sturz des dritten Premierminister innerhalb eines Jahres führte. Ebenso wurde im März der slowakische Premierminister durch Massenproteste aus dem Amt gejagt. Litauen hat Massenproteste erlebt; wie auch andere Länder. Obwohl sich das politische Bewusstsein noch in einem frühen Stadium befindet, sind diese Bewegungen äußerst bedeutsam. Sie spiegeln sich in der Entstehung kleiner, aber möglicherweise bedeutender neuer linker Gruppen wie „Razem“ in Polen und „Radnicka Fronta“ in Kroatien wider.
Zu diesen Krisen kommt die Gefahr des Ausbruchs von Handels-Konflikten mit den USA hinzu. Alle diese Belastungen und Zusammenstöße zeigen, wie wahrscheinlich es ist, dass die Eurozone und möglicherweise die EU selbst, zu einem späteren Zeitpunkt auseinanderbrechen oder neu aufgestellt werden.
Wie das CWI vorausgesehen hat, haben diese Entwicklungen gezeigt, dass der Kapitalismus trotz des Globalisierungs- und Integrationsprozesses der Weltwirtschaft und des Integrationsgrades der kapitalistischen Staaten in EU und Eurozone, die Grenzen des Nationalstaates nicht vollständig überwinden konnte. In der gegenwärtigen Ära der erneuten kapitalistischen Krise haben starke Zentrifugaltrends die Integrationstendenzen, die unmittelbar nach dem Zusammenbruch der früheren stalinistischen Regime stattfanden, teilweise umgekehrt.
Die rechtsextremen und populistischen Parteien, die in letzter Zeit in Europa an Schwung und Unterstützung gewonnen haben, konnten diese Krisen in der EU nutzen, um Nationalismus und Rassismus zu verstärken. Es ist wichtig, dass das CWI dies politisch konfrontiert, indem es sich gegen die kapitalistische EU stellt, aber betont, dass die arbeitenden Bevölkerungen Europas zusammenkommen müssen und als Alternative für eine sozialistische Konföderation Europas auf demokratischer und freiwilliger Basis kämpfen müssen.
Historische Aushöhlung der Unterstützung der kapitalistischen Parteien
Seit der letzten Sitzung des Internationalen Exekutivkomitees des CWI im Winter 2017 hat sich die europäische politische Krise verschärft. Dies spiegelt sich in einer historischen Aushöhlung der Unterstützung der traditionellen kapitalistischen Parteien wider. Die Krise der konservativen Partei in Britannien, die CDU/CSU in Deutschland und das, was sich in Italien entwickelt hat, gehören zu den heftigsten Beispielen dafür. Der Zusammenbruch der ehemaligen traditionellen kapitalistischen Parteien in Frankreich brachte die herrschende Klasse dazu, eine neue kapitalistische Kraft in Form der „La République en Marche“ von Macron (LREM – Republik in Bewegung) wiederzubeleben.
Das verblüffendes Merkmal gegenwärtig ist die „Krise der 3 Ms“: Macron, May und Merkel. Bei den deutschen Parlamentswahlen im September 2017 erlitt Merkel eine ziemliche Abfuhr. Ähnlich Theresa May bei den britischen Parlamentswahlen. Seitdem hat sich der Verfall Mays fortgesetzt. Bei jüngsten Umfragen erhielt die CDU/CSU nur 26% Unterstützung. Nach einem Zusammenbruch der Unterstützung bei den jüngsten Wahlen in Bayern und Hessen war Merkel gezwungen, in der konservativen CDU zurückzutreten. Sie kündigte an, dass sie 2021 keine Wiederwahl anstreben wird. Dies führte zu einer politischen Debatte innerhalb der CDU über ihren Nachfolger, mit zwei Kandidaten vom rechten Flügel, die die von Merkel verteidigte politische Position anfechten. Es ist wahrscheinlich, dass ihre Regierung vor dem Ende der Amtszeit fallen wird. Diese Entwicklungen bedeuten eine große Veränderung der politischen und sozialen Situation in Deutschland.
In ähnlicher Weise musste Macron dfen Fall der Unterstützung für LREM auf magere 19% mitansehen, während seine eigene Zustimmungsrate auf 28% gefallen ist. Während es bundesweit wichtige Kämpfe der Eisenbahner*innen gab, hat die Rolle der Gewerkschaftsbürokratie dafür gesorgt, dass sich diese Bewegung nicht zu einem verallgemeinerten Kampf gegen die Regierung entwickelt hat. Die Regierung konnte einen Teilsieg erzielen, allerdings mit einem hohen Preis für Macron. Seine Unterstützung fiel unter die des früheren „sozialistischen“ Präsidenten François Hollande in derselben Phase seiner Präsidentschaft. Während Streiks von Arbeiter*innen anderer Sektoren aufgenommen wurden, blieben diese isoliert und – zu diesem Zeitpunkt – zersplittert.
Die verhasste Regierung von May ist von Krise zu Krise gestolpert. In früheren Zeiten wäre ihre Regierung durch jede einzelne davon zusammengebrochen. Sie konnte sich mit letzter Kraft an die Macht klammern, weil befürchtet wurde, dass rechtsgerichtete Tories eine Wahl auslösen könnten, die die Tories verlieren könnten, was dazu führen würde, dass eine von Corbyn geführte Regierung an die Macht käme.
Gleichzeitig hat ihr Jeremy Corbyns Schwäche, keine ernsthafte Massenkampagne zur Erzwingung von Neuwahlen zu starten, zusätzlich ermöglicht, sich festzuklammern. Die Situation ist jedoch so explosiv, dass sie aus dem Amt gedrängt werden und jederzeit Wahlen ausgerufen werden könnten.
Die Untergrabung der sozialen Basis der traditionellen Parteien der herrschenden Klasse war ein wesentliches Merkmal dieser Zeit. Dies ist mittelfristig für die herrschende Klasse äußerst gefährlich. Dies spiegelt sich in einem noch verheerenderen Zusammenbruch der Unterstützung für die ehemaligen Arbeiter*innen-Parteien wider, mit Ausnahme der Labour Party in Großbritannien, der Sozialistischen Partei in Portugal und einiger anderer Länder. Es gibt einen historischen und möglicherweise endgültigen Niedergang dieser Parteien. Er zeigt, wie weit sie sich nach rechts bewegt und die neoliberale Politik und den Kapitalismus akzeptiert haben. Dem Gemetzel der griechischen Pasok bei den Wahlen folgte die verheerende Niederlage von Hollande und der „Sozialistischen Partei“ in Frankreich 2016.
Dieser Prozess wiederholt sich in ganz Europa. In Deutschland liegt die Unterstützung der SPD bei nur 14%. In einem verzweifelten Versuch, die schwindende Basis zu halten, besteht der Druck, aus der Koalition mit der CDU/CSU wegzubrechen. Dies würde die Regierung weiter schwächen und möglicherweise Neuwahlen auslösen.
In Schweden hatten die Sozialdemokraten das schlechteste Wahlergebnis seit 1908. Sie erzielten nur 28,3% der Stimmen. Die schwedische herrschende Klasse konnte bislang immer noch keine Regierung bilden. Die Schwierigkeit, nach Wahlen Regierungskoalitionen zu formen, ist zu einem gemeinsamen Merkmal geworden, was die bestehende politische Instabilität widerspiegelt. Es gibt und es wird eine Tendenz hin zu verstärkten parlamentarischen bonapartistischen Herrschaftsmethoden geben.
Eine kämpferische sozialistische Alternative anbieten?
Infolge des Niedergangs der traditionellen Parteien hat sich in einigen Ländern ein massives Vakuum entwickelt. In vielen Fällen konnten rechtspopulistische und nationalistische Parteien eingreifen. Das Anwachsen dieser Kräfte ist – potentiell – eine sehr gefährliche Entwicklung, da diese Parteien instabil und keine verlässlichen Vertreter der Interessen der herrschenden Klasse sind. Das Wachstum dieser Parteien ist zum Teil auf die Schwäche und das Versagen der neuen linken Formationen, eine Alternative zu bieten, zurückzuführen.
In einigen Ländern sind neue linke Kräfte entstanden, die anfänglich eine große Unterstützungsbasis gewinnen konnten. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Massenbewegung und der Aufstand der griechischen Arbeiter*innen und Jugendlichen gegen die Sparpolitik und der Verrat der Pasok den Weg für Syriza bereiteten, bei Wahlen – zeitweise – Massenunterstützung zu erhalten. Es war der Verrat durch Alexis Tsipras und die Syriza-Regierung, der dann zum Zusammenbruch der Unterstützung für Syriza geführt hat. Nun besteht sogar die Möglichkeit, dass die rechtsgerichtete Partei „Neue Demokratie“ – derzeit in den Umfragen voran – wieder an die Macht kommt.
In Spanien führten der Aufstand der „Indignados“ und die Massenbewegung gegen die Sparpolitik zur Entstehung von Podemos. In Portugal hat der Linksblock eine Reihe von Auf und Abs durchlaufen. In Britannien drückte sich dies in der Wahl Corbyns zum Labour-Vorsitzenden und einem beträchtlichen Wachstum an Labour-Mitgliedern aus.
Wie auch immer; alle diese Formationen haben auf unterschiedliche Weise gezeigt, dass sie nicht in der Lage sind, eine sozialistische Kampfalternative anzubieten. Mit der Verschärfung der Krise bei den verschiedenen Sachlagen haben sich alle diese Formationen als keine Alternative erwiesen und wurden kompromittiert. Dies spiegelt das äußerst begrenzte Programm dieser Organisationen und ihrer Führungen wider, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal mit dem linken Reformismus und Zentrismus der 70er und 80er Jahre vergleichbar sind. Sie verteidigen häufig ein Programm, das formal sogar rechts der ehemaligen bürgerlichen Arbeiter*innenparteien sowie den alten linken Reformist*innen steht. In gewisser Hinsicht ist die „neue Linke“ die „alte Rechte“!
Sogar die alten rechten ReformistInn*en verwiesen auf eine sozialistische Gesellschaft in dunkler und ferner Zukunft. Die meisten „neuen Linken“ tun nicht einmal dies. „Die Linke“ ist in Deutschland auf dem Papier formal nach links gerückt und steht formal für ‚demokratischen Sozialismus‘. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass unsere deutschen Genoss*innen öffentliches Eigentum im Bereich der „Kommandohöhen der Wirtschaft“ sowie die Enteignung beispielsweise der großen Wohnungsunternehmen gefordert haben. Die Partei „Die Linke“ hat sich jedoch nicht konsequent für diesen Aspekt ihres Programms eingesetzt.
Für die neue Generation wirkte die von der neuen Linken befürwortete Politik jedoch äußerst radikal, mitunter „revolutionär“. Dies ist ein Maß für das relativ geringe politische Bewusstsein im Vergleich zu den 70er und 80er Jahren; und das in vielen Ländern.
Der Verrat von Podemos während der revolutionären Ereignisse in Katalonien spiegelte deutlich die Schwäche dieser Kräfte wider. Nun ist Podemos einen Schritt weiter gegangen und hat mit der neuen pro-kapitalistischen PSOE-Regierung eine Vereinbarung gesucht. Gleiches gilt für die Führung des Linksblocks in Portugal, die sich immer mehr dazu bewogen hat, die Regierung der „Sozialistischen Partei“ auf einer faulen Basis zu unterstützen. Dies ist eine Warnung für eine von Corbyn geführte Regierung in Britannien.
Beschwichtigung gegenüber dem Blairismus
In Britannien ist die „Revolution“ in der Labour Party in eine Sackgasse geraten, als die Corbynistas weiterhin mit den Blairistinn*en und Rechten nach Frieden streben und sich weigern, gegen sie vorzugehen, indem sie ein obligatorisches System der automatischen Neuwahl der Labour-Abgeordneten einführen. Die „Revolution“ ist im Sumpf der Beschwichtigung der kapitalistischen Rechten in der Partei festgefahren. Infolgedessen beherrscht der rechte Flügel immer noch die parlamentarische Labour Party. Jener Block, der möglicherweise sogar den Schritt machen wird, May zu unterstützen, um ein Abkommen über den Brexit zu erzielen. Ein Flügel der herrschenden Klasse fordert die Blairistinn*en auf, in der Labour Party zu bleiben und Corbyn zu sabotieren, falls er eine Wahl gewinnen sollte. Gleichzeitig zeigt sich die politische Schwäche der Corbynistas in allen großen Städten, da sie Labour-Abgeordnete verteidigen, die brutale Kürzungen umsetzen, weil sie „keine Alternative haben“ und keine haushaltspolitische Strategie ohne Kürzungen annehmen. Wir sind ständig gezwungen gegen sie vorzugehen. Auf lokaler Ebene werden wir uns in einigen Bereichen gegen rechte Labour-Politiker*innen stellen, die üble Kürzungen vornehmen.
Das Programm der neuen linken Formationen läuft auf Vorschläge für einen „reformierten“ „humaneren“ Kapitalismus hinaus. Es ist eine relativ moderate und zentrisitisch keynesianische utopische Politik, die Europa in die „goldene Ära“ des Kapitalismus nach 1945 zurückbringen will. Trotzdem fürchtet die herrschende Klasse, dass eine von Corbyn geführte Regierung oder weitere linke Formationen andernorts an die Macht kommen. In einigen Ländern, in denen die neuen linken Verbände ihre Verlässlichkeit für den Kapitalismus unter Beweis gestellt haben, werden Teile der herrschenden Klasse offener dafür, sie in die Regierung zu lassen und die Interessen ihres Systems zu verteidigen.
Der Kapitalismus ist so prekär, dass nach 30 Jahren Neoliberalismus selbst ein relativ begrenztes Programm, das sich lediglich dem Neoliberalismus widersetzt, aber im Kapitalismus verbleibt, äußerst radikal erscheint. Die herrschende Klasse wendet sich sogar gegen das eingeschränkte Reformprogramm der „neuen Linken“. Es befürchtet auch, dass diese Parteien und Führer*innen kein verlässliches Beiwerk für den Kapitalismus sein werden. Unter dem starken Druck sozialer Massenbewegungen und der Umbrüche fürchtet die herrschende Klasse, dass diese Parteien in eine radikalere Richtung gedrängt werden könnten und gezwungen werden, Schläge gegen die Interessen des Kapitalismus zu auszuführen.
Wie bereits erwähnt spiegelt der begrenzte Charakter der neuen linken Parteien zum Teil den kleinbürgerlichen und gemischten Klassencharakter der meisten an ihnen beteiligten Kräfte wider. Während einige, wie Podemos, eine Schicht von Arbeiter*innen anzog (v.a. bei Wahlen), haben sie in der Regel eine radikalisierte Schicht von Teilen des Kleinbürgertums eingebunden, die von der Krise 2007/08 betroffen waren und begonnen haben, Methoden der Arbeiter*innenklasse im Kampf anzunehmen. Diese neuen linken Kräfte gründeten nicht direkt auf starken Bewegungen in ihren Reihen der Arbeiter*innenklasse. Sie spiegeln auch das nach wie vor relativ geringe politische Bewusstsein im Vergleich zu den 70er und 80er Jahren wider und zeigen, wie weit die Erwartungen – vorübergehend – gesunken sind.
Trotz der politischen und sozialen Krise in Deutschland und einer Reihe von Massenmobilisierungen gegen Rechtspopulismus und Klimawandel sowie zunehmende Proteste gegen die Immobilienkrise und Streiks in Krankenhäusern, hat „Die Linke“ davon nicht ernsthaft profitieren können. Jüngsten Umfragen zufolge liegt sie landesweit zwischen neun und 11%. Bezeichnenderweise hat die Partei jedoch im Westen des Landes in begrenztem Umfang Stimmen gewonnen, wo sie radikaler und aktivistischer auftritt, aber im Osten verloren, wo sie weitgehend als Teil des Establishments gesehen wird.
Die Reaktion gegen das Wachstum der rechtspopulistischen AfD und gegen die Politik der SPD führt weitgehend zur Stärkung der Grünen bei Wahlen, welche in Umfragen bei 23% liegen. Trotz mehr als 10.000 neuer Mitglieder seit Anfang 2017 zeigt dies, dass die Führung von „Die Linke“ die Chancen nicht genutzt hat, eine glaubwürdige Alternative anzubieten und und Wurzeln in der Arbeiter*innenklasse zu schlagen. Die zunehmende Unterstützung der Grünen ergibt sich aus kleinbürgerlichen und jugendlichen Schichten sowie Teilen der besser verdienenden Arbeiter*innenklasse. Sie sehen die Grünen in ihrem Umfeld als glaubwürdiger an und stehen gegen Rassismus.
Der Zusammenbruch der französischen „Sozialistischen Partei“ steht dem Aufstieg von France Insoumise (FI) von Jean-Luc Mélenchon gegenüber. FI hat viele Merkmale einer „Bewegung“ und nicht einer politischen Partei, was ein gemeinsames Merkmal vieler der neuen linken Formationen ist.
„Die Linke“ war eine der Ausnahmen im Hinblick auf solch eine Parteistruktur, ihre relativ demokratische Gliederung sowie die Beteiligungsmöglichkeiten der Mitglieder. Jedoch rückte die Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht, die in der Vergangenheit Hauptfigur des linken Flügels der Partei war, bezüglich Migrationspolitik massiv nach rechts. Sie hat eine neue Bewegung namens „aufstehen“ ins Leben gerufen, die sich politisch rechts von der Partei befindet und das Ziel hat, Teile von Die Linke, der SPD und der Grünen zusammenzubringen. Es ist zunehmend wahrscheinlich, dass dies zu einer Spaltung in Die Linke und der Entstehung einer radikalen linken Formation führen wird, die bei Wahlen mit einigen Merkmalen von PODEMOS in Spanien antreten könnte. Unsere Genoss*innen in Deutschland haben sich zu Recht gegen die Bildung von „aufstehen“ ausgesprochen, verteidigen Die Linke und kämpfen gleichzeitig für eine stärkere sozialistische Ausrichtung, die von der Partei übernommen werden soll.
In Belgien hat die PTB/PVDA weiterhin einige Fortschritte bei Wahlen erzielt, jedoch mit einem begrenzten reformistischen Programm und ohne für andere Kräfte und demokratische Debatten offen zu sein. Die Parteiführung wollte die Kontrolle behalten. Auf lokaler Ebene gelangte die PTB/PVDA, nachdem sie in einigen Gemeinden im wallonischen Raum und in Brüssel zu keiner Einigung gelangte, schließlich zu einer Mehrheit in Flandern, ohne jedoch die in der Kommunalverwaltung vorhandene budgetäre Zwangsjacke in Haushaltsfragen in Frage zu stellen.
Trotz der politischen Schwäche des FI haben Macron und die herrschende Klasse Schritte unternommen, um einen Schlag auszuführen, indem sie Razzien in den Parteibüros auslösten, die angeblich einen Missbrauch von Parteigeldern aus EU-Kassen zum Grund haben. Sie fürchten eindeutig das Potenzial des FI, weitere Gewinne zu erzielen, da die Unterstützung für Macron nachlässt.
Sozialistisches Bewusstsein
In Europa kam es infolge der Krise von 2007/08 zu einer Radikalisierung der Linken und zu einem Anstieg von Kämpfen. Es hat jedoch nicht zur Entstehung eines starken sozialistischen Bewusstseins geführt. Dies war auf eine Reihe von Faktoren zurückzuführen, vor allem auf die anhaltenden Auswirkungen des Zusammenbruchs der stalinistischen Regimes und die ideologische Offensive gegen die Idee einer Planwirtschaft und „Sozialismus“. Ebenso wichtig ist die politische Schwäche der neuen Linken, die als Bremse wirkte und der neuen Generation, die in Kämpfe eintrat, nur wenig weiter half, um weiterreichende sozialistische Schlussfolgerungen zu ziehen. Diese Bewegungen stießen auf die Realität des Kapitalismus und die Entschlossenheit der herrschenden Klasse, ihre Interessen zu verteidigen und die Arbeiter*innen- und Mittelschichten anzugreifen.
Die nationale Frage ist in vielen Teilen Europas ein wichtiges Thema, einschließlich in Katalonien, Schottland, Irland, Zypern, Mazedonien/Griechenland und anderswo. Es kommt als Problem wieder an die Oberfläche zwischen Österreich und Italien, zwischen Ungarn und seinen Nachbarn sowie in einigen anderen Ländern. Wie wir bereits in anderen Artikeln erläutert haben, steht das CWI für die demokratischen Rechte aller Bevölkerungsgruppen, einschließlich des Rechts auf Unabhängigkeit, falls sie dies fordern sollten. Wo es angebracht ist, die Forderung nach nationaler Unabhängigkeit zu erheben, tun wir dies auf sozialistischer Grundlage. Wir erklären die Notwendigkeit der Einheit aller Werktätigen und die Notwendigkeit, den Kampf für die Unabhängigkeit mit der Überwindung des Kapitalismus und der Errichtung einer sozialistischen Konföderation der betreffenden Staaten zu verknüpfen. Auf kapitalistischer Basis gibt es in der modernen Welt keine Lösung der Nationalen Frage. Das Versagen der neuen linken Kräfte, dazu ein entsprechendes Programm vorzulegen, ist eine ihrer Hauptschwächen.
Der Verrat durch Podemos während der Massenbewegung in Katalonien ebnete den Weg für die PSOE-Regierung, jetzt mehr repressive Maßnahmen gegen die Anführer*innen der Unabhängigkeitsbewegung anzukündigen. Dies geschah trotz der massiven Demonstrationen für Unabhängigkeit bzw. zur Unterstützung politischer Gefangener, die im September in Barcelona am Diada (Unabhängigkeitstag von Katalonien) stattfand. Dies zeigt, dass die Nationale Frage in Katalonien und anderswo im spanischen Staat ungelöst bleibt, wie dies auf kapitalistischer Grundlage unvermeidlich ist.
Die neuen linken Kräfte haben im Allgemeinen eine völlig falsche Einstellung zur Nationalen Frage. Corbyns Weigerung, das Recht auf ein weiteres Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands zu unterstützen, kann dazu führen, dass Labour die nächsten Parlamentswahlen in Britannien verliert.
Das entstandene Vakuum und das Versagen der „neuen Linken“, diese mit einer echten Alternative zu füllen, hat dazu geführt das rechtsradikale populistische Kräfte dieses Vakuum füllen können. Sie spielen mit den vorhandenen Ängsten der Arbeiter*innenklasse, Teilen der Mittelklasse und einigen der am meisten heruntergekommenen Schichten. Die extreme Rechte hat den Rassismus auf populistische Weise aufgepeitscht, um Unterstützung zu gewinnen, zusammen mit dem Nationalismus und einer vorgetäuschten Opposition gegen die „Eliten“. In Deutschland liegt die AfD in den Umfragen bei rund 16%. In Frankreich haben wir die RN (Rassemblement National) gesehen, die die Nachfolge des FN antrat und Macrons LREM bei den Wahlabsichten für die EU-Wahlen im Mai 2019 überholte. Auch in Italien hat die Lega ihre Unterstützung verstärken können, und die FPÖ in Österreich hat ihre Position bislang beibehalten. In Schweden erhielten die rassistischen „Schwedendemokraten“ mit über 17% ihren höchste Stimmenanteil bei den Parlamentswahlen. Dies fand in anderen nordischen und skandinavischen Ländern Widerhall. Selbst bei den jüngsten irischen Präsidentschaftswahlen konnte der Rechtspopulist Peter Casey 20% gewinnen.
In Osteuropa wurde das Thema Migration von den Rechtsextremen genutzt. In vielen Ländern wurde der Zustrom von Migrant*innen aus der Ukraine hergenommen, um Spaltung zu säen. Zwischen 2002-17 wanderten schätzungsweise 6,3 Millionen Ukrainer*innen „ohne Rückkehrpläne“ aus. Viele gingen in Länder wie Polen und die Tschechische Republik. Wo sie auf ihrem Weg nach Westeuropa die Länder Osteuropas durchquert haben, hat dies die Rechtsextremen angefacht; beispielsweise in Ungarn.
Die rassistische Propaganda der rechtsextremen Parteien wurde auch von einigen Rechtsaußen der traditionellen kapitalistischen Parteien aufgegriffen, wie in der deutschen CDU/CSU oder den britischen Tories.
Dies ist ein brennendes Problem für das CWI und die Arbeiter*innenklasse. Wir müssen Forderungen stellen, Rassismus bekämpfen und die Rechte von Migrant*innen verteidigen. Aber wir müssen Antworten geben: mit konkreten Forderungen in Bezug auf soziale Fragen, Wohnraum, Bildung, Einkommensgerechtigkeit, Gewerkschaftsrechte usw., um den echten Ängste der Arbeiter*innen zu begegnen und die Idee der Einheit der Arbeiter*innenklasse zu verteidigen. Die von den Rechtsextremen ausgehende Bedrohung darf nicht unterschätzt werden. Es ist jedoch wichtig, dass wir auch sehen, wie sie als „Peitsche der Konterrevolution“ fungieren und von anderen Schichten der Gesellschaft eine Gegenreaktion hervorrufen können. Die enorme Demonstration von bis zu 250.000 in Berlin gegen die Rechte, bei der unsere Genoss*innen wirksam interveniert haben, ist dafür ein Beispiel.
Diese Entwicklungen in Europa, zusammen mit Donald Trump in den USA und jetzt dem Sieg von Jair Bolsonaro in Brasilien, haben dazu geführt, dass eine Schicht von AktivistInnen und Jugendliche zu dem Schluss kommen, dass in der anstehenden Periode „faschistische“ Regimes an die Macht kommen werden. Es wäre ein Fehler für uns, diese Befürchtungen zu ignorieren, insbesondere bei unerfahrenen Jugendlichen. Jedoch ist die soziale Basis für faschistische Massenkräfte, die das Ziel verfolgen, die Organisationen und demokratischen Rechte der Arbeiter*innenklasse vollständig zu zerschlagen, in der modernen Ära nicht vorhanden. Dies bedeutet natürlich nicht, dass, wenn rechtsextreme Parteien an die Macht kommen, in einigen Ländern nicht versucht wird, extrem repressive Maßnahmen zu ergreifen. Wie wir gesehen haben können faschistische Kräfte und Gruppen in gewissem Maße existieren und wachsen, jedoch als Hilfskraft der Herrschenden. In Ungarn gibt es zu diesem Zeitpunkt ein solches Element. In Deutschland sind einige der kleineren faschistischen Gruppen ermutigt worden. Aber noch wichtiger ist, dass die rechtspopulistische AfD nach rechts geschwungen ist, wobei der rechte Flügel offener rassistischer und sogar faschistischer wird. Die antirassistischen und antifaschistischen Kämpfe müssen weiterhin eines der Hauptaugenmerke der Arbeit des CWI in vielen europäischen Sektionen, insbesondere der Jugendarbeit, bleiben.
Das Wachstum der Rechtsextremen spiegelt eine gewisse Sackgasse im Klassenkampf und das Versagen der neuen Linken wider, eine solide Basis innerhalb der Arbeiter*innenklasse aufzubauen. In einigen Ländern beruht sie auf der verzweifelten Situation, mit der Teile der Arbeiter*innenklasse konfrontiert sind, und der Angst vor den Auswirkungen auf die sozialen Bedingungen, die sich aus der Migrations-Krise ergeben können.
Die wachsende Unterstützung rechtsextremer Parteien wird jedoch zu eigenen Widersprüchen führen und diese zunehmend offen legen. Spaltungen öffnen und werden sich in diesen öffnen. Wenn sie auf lokaler oder nationaler Ebene an der Macht sind, wird ihre tatsächliche Wirtschafts- und Sozialpolitik getestet und offensichtlich. Die Einführung eines gesetzlichen 12-Stunden-Tages durch ÖVP/FPÖ in Österreich, der einen Massenprotest von Arbeitnehmer*innen hervorgerufen hat, zeigt dies auf. Die Gewerkschaftsführung lehnte es ab, zu diesem Thema einen Streik einzuleiten, obwohl Umfragen solch einen Schritt eindeutig unterstützten.
Die massive soziale und politische Polarisierung, die sich in ganz Europa und weltweit entwickelt, wird jedoch nicht einfach dahinschwinden. Es könnte ein semi-permanenter Aspekt der Situation werden, der die objektive Realität des heutigen Kapitalismus widerspiegelt. Die rechtsextremen Parteien und rassistischen Stimmungen in mancher Schicht werden zwangsläufig abebben und anschwellen. Sie werden ein Faktor bleiben, bis die Arbeiter*innenklasse mächtige neue Massenparteien aufbaut, die die Situation entscheidend prägen und eine sozialistische Alternative bieten können.
Ein entscheidendes Element in unseren Perspektiven wird die Auswirkung sein, die die nächste Rezession oder Krise auf die politischen Perspektiven der Arbeiter*innenklasse und der Jugend haben wird. 2007/8 führte zu einer Radikalisierung in der Stimmung eines Teils der Jugend- und Arbeiter*innenklasse. Sie begannen, den Kapitalismus in Frage zu stellen. Dies führte jedoch nicht zur Entwicklung eines breiten sozialistischen Bewusstseins.
Trotz der Widersprüche und Komplikationen, die sich in der gegenwärtigen Situation entwickelt haben, wäre es ein großer Fehler, wenn wir zu dem Schluss kommen, dass eine erneute Wirtschaftskrise einfach die gleichen Auswirkungen auf die politischen Aussichten haben wird. Nach den Erfahrungen des letzten Jahrzehnts kann eine neue Krise, begleitet von großen sozialen und politischen Umwälzungen, mithilfe unserer Intervention zu einer noch stärkeren Radikalisierung als zuvor und zur Kristallisation eines breiteren sozialistischen Bewusstseins führen. Das CWI kann in vielen Ländern eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung dieses Prozesses spielen.
In allen Ländern hat die Gewerkschaftsbürokratie im Wesentlichen als massive Bremse gewirkt, die die Arbeiter*innenbewegungen zurückhält. Dies war in der letzten Zeit ein wesentlicher Faktor, der dazu beigetragen hat, dass es in Europa keine machtvolle Bewegung der Arbeiter*innenklasse gab. Trotz der Schwächung der traditionellen Sektoren der Arbeiter*innenklasse in Produktion und Industrie besteht diese Schicht immer noch. Kräftige Sektoren der Arbeiter*innen konzentrieren sich auf Transport, Logistik und – in einigen Ländern – auch weiterhin auf das produzierende Gewerbe. Wenn diese Schichten in Kämpfe geraten, werden sie einen entscheidenden Effekt haben. Darüber hinaus haben wir neue Schichten der Arbeiter*innenklasse im Prozess der Entstehung gesehen. Ebenso greifen Teile der ehemaligen Mittelklasse Methoden von Arbeitskämpfen auf.
Die kleinen embryonalen aber sehr bedeutenden Anfangsbewegungen haben zu „McStrike“ sowie Streiks und Aktionen prekär Beschäftigte bei Deliveroo, Wetherspoons und TGI Friday in Britannien, Lloyds Chemists in Irland, Foodora, Deliveroo und Just East in Italien, Hyatt rue de la Paix in Frankreich und anderen und auch in Deutschland geführt. Dies sind Vorboten dafür, wie sich diese Schichten in der nächsten Periode bewegen werden. In jüngster Zeit war der weltweite Streik gegen sexuelle Belästigung und Rassismus durch Google-Techniker*innen in den USA, Britannien, Irland, den Niederlanden, Spanien und anderen Ländern von größter Bedeutung. Dies ist die erste Bewegung der „neuen qualifizierten Arbeiter*innenklasse“, die potenziell eine immense wirtschaftliche Macht hat. Nach diesem Streik begannen die ersten vorsichtigen Schritte zur Gründung oder Reform von Gewerkschaften, wie dies schon in der Luftfahrtindustrie der Fall ist.
Gewerkschaften
Die konkrete Situation in den Gewerkschaften ist in jedem Land sehr unterschiedlich. Unsere genaue Taktik und Orientierung muss dies berücksichtigen. Während im Privatsektor in vielen Ländern der gewerkschaftliche Organisierungsgrad zurückgegangen ist, bleibt sie im öffentlichen Sektor deutlich stärker. Es ist äußerst wichtig, dass wir die wichtige Rolle der Gewerkschaften für Marxist*innen und die Arbeiter*innenklasse als Ganzes anerkennen, selbst in Sektoren mit derzeit geringem Organisationsgrad. Ohne die offiziellen Strukturen wie einen Fetisch zu behandeln, ist es wichtig, dass wir einen ultra-linken oder sektiererischen Ansatz vermeiden bezüglich wie wir uns engagieren und unsere Forderungen stellen. Gleichzeitig sollten wir, dort wo nötig, bereit sein, direkt zu den Arbeitsplätzen zu gehen, und uns gegebenenfalls für inoffizielle ad-hoc-Gruppen und -Kampagnen gegen die Gewerkschaftsbürokratie einzusetzen, während wir weiterhin die offiziellen Gewerkschaften dazu auffordern, Maßnahmen zu ergreifen. Dieser Punkt der Arbeit ist von entscheidender Bedeutung für den Aufbau einer festen und soliden Basis in der Arbeiter*innenklasse.
Die herrschenden Klassen Europas sind sich des Ausblicks sozialer Massenexplosionen der Arbeiter*innenklasse in der kommenden Zeit bewusst. Ein Merkmal der jüngsten Periode ist die Tendenz zu verstärkter Repression und zu autoritären Methoden bei Polizeiarbeit und Herrschaftsausübung. Dies wird sicherlich zunehmen. Die Frage der Verteidigung der demokratischen Grundrechte auf Organisation, Protest und Streik müssen wir in unserer Propaganda und unseren Forderungen berücksichtigen. Darüber hinaus werden die wachsenden Umwelt-Krisen, in einigen Ländern ausgedrückt durch Hitzewellen und darauffolgende Dürren, zunehmend zu Angelegenheiten werden, die riesige Bewegungen hervorrufen können.
CWI
Die allgemeine Schlussfolgerung, die wir aus dieser Analyse ziehen müssen, lautet, dass Klassenunterschiede größer werden und soziale und politische Polarisierungen stattfinden. Dies geht einher mit einem Niedergang oder gar dem Zusammenbruch der traditionellen Parteien und Herrschaftsinstrumente der kapitalistischen Klasse.
Das CWI muss sich auf weitere abrupte Änderungen vorbereiten. Neue Möglichkeiten und Perspektiven für den Aufbau unserer Parteien werden sich ergeben. Wir müssen auf große Kämpfe der Arbeiter*innenklasse und anderer Schichten der Gesellschaft vorbereitet sein; insbesondere der Jugend, die aufgrund des Kapitalismus in eine katastrophale Situation gerät. Um die Möglichkeiten zu ergreifen, müssen wir bereit sein, mutige und rasche Veränderungen in unseren Taktiken und Interventionen vorzunehmen und für unser prinzipienfestes sozialistisches Programm zu kämpfen, mit dem Ziel, unsere Basis und Unterstützung in allen Sektoren der Arbeiter*innenklasse, der Jugend und aller vom Kapitalismus Ausgebeuteten aufzubauen und zu stärken.