Chinas Regime stoppt Schuldenabbau um private Unternehmen zu unterstützen
Vor dem Hintergrund des Handelskrieges mit den USA und wachsenden Protesten steht die chinesische Wirtschaft auch vor großen ökonomischen Problemen innerhalb des Landes, die das Regime zu einem bedeuteten Kurswechsel im Umgang mit der gigantischen Staatsverschuldung gezwungen haben. Eine Entwicklung die bedeutende Auswirkungen auf die Situation in China und die Weltwirtschaft haben könnte.
Wir veröffentlichen die übersetzte Version des Leitartikels der Winterausgabe des chinesischen Magazins „Sozialist“ (original: 社会主义者).
Inmitten der schwerwiegendsten Krise im chinesisch-US-amerikanischen Verhältnis der letzten 40 Jahre nimmt die wirtschaftliche Verlangsamung in China immer drastischere Formen an. Bislang ist der Handelskrieg mit dem unberechenbarem US-Präsidenten Donald Trump jedoch nicht die Hauptursache für die ökonomischen Probleme des Landes.
Chinas Exporte (einschließlich der Ausfuhren in die USA) haben trotz der Strafzölle von Trump zugenommen. Die Zölle sind im Juli eingeführt und im September noch ausgeweitet worden. Aufgrund von unterschiedlichen Faktoren (z.B. Vorauszahlung bei Exportgütern, um der Einführung von Zöllen zu entgehen, aber auch wegen des starken Dollarkurses) sind die Exporte Chinas in den ersten neun Monaten des Jahres 2018 um 12 Prozent angestiegen. Demzufolge ist das Handelsdefizit der USA gegenüber China im dritten Quartal auf 106 Milliarden US-Dollar angewachsen, ein deutlicher Anstieg gegenüber 92 Milliarden Dollar im Vorjahreszeitraum.
Chinas größte Probleme sind im Land selbst zu finden. In erster Linie geht es dabei um eine folgenschwere Kreditklemme, verschlimmert durch eine 18 Monate dauernde Kampagne unter Xi Jinping, mit dem Ziel das Schuldenlevel (Schuldenabbau) und den Schattenbankensektor unter Kontrolle zubringen. Diese Kampagne hat negative Auswirkungen auf die Konsumausgaben und erschwert es vielen hochverschuldeten Unternehmen zahlungsfähig zu bleiben. Die Datenlage für den Monat Oktober deuten auf sinkende Verkaufszahlen in den Schlüsselbranchen der Wirtschaft hin (Kraftfahrzeuge, Immobilien und Elektroartikel). Angaben des chinesischen Verbands der Automobilhersteller zufolge sind die Verkaufszahlen bei Kraftfahrzeugen im Oktober verglichen mit dem Vorjahr um 11,7 Prozent zurückgegangen. Bei China handelt es sich mit Abstand um den größten Automarkt der Welt.
Bis vor kurzem noch hat sich Team von Xi geweigert die Kampagne zum Schuldenabbau zu stoppen, trotzt der heftigen Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, die im Frühjahr eingesetzt hatte. Man weiß, dass die derzeit extremen Schulden-Stände wie eine Zeitbombe wirken, die in der Zukunft eine Gefahr für das Bankensystem und – als Ergebnis daraus – für das Regime insgesamt bedeuten.
Niedrigstes Wachstum seit zehn Jahren
Doch die Kreditknappheit hat besonders den Privatsektor getroffen, mit einem starken Anstieg an Zahlungsausfällen und einer zunehmenden Anzahl an Privatunternehmen, die von der Zentralregierung und lokalen Verwaltungen mit Rettungspaketen bedacht werden mussten. Während das allgemeine Wirtschaftswachstum im dritten Quartal 6,5 Prozent aufwies (das war der niedrigste Wert seit der globalen Finanzkrise zehn Jahre zuvor), sieht es im Privatsektor wesentlich schlechter aus, mit Bedingungen, die einer offenen Rezession ähneln.
Viele Ökonom*innen stellen Chinas offizielle Angaben in Frage und gehen davon aus, dass das eigentlich Wachstum zwischen drei und vier Prozent rangiert. Das bedeutet, dass die Wirtschaft der USA, die mit rund zwei Billionen Dollar aus Trumps Stimulations- und Konkunkturpolitik angekurbelt worden ist, aktuell vielleicht schneller wächst als die Chinas.
„Wir befinden uns in verzweifelten Zeiten“, meint Wang Xiangwei in der „South China Morning Post“. Und weiter: „Das Vertrauen in Chinas privaten Sektor, der für 60 Prozent des BIP und 80 Prozent der Arbeitsplätze steht, ist auf einem historischen Tiefpunkt“.
Folgt man Ding Anhua, Chefökonom der „China Merchants Bank International“, so gibt es „Hinweise, dass Chinas Privatsektor sich in einer ernstzunehmenden Krise befindet, die es in den letzten 40 Jahren an kapitalistischen Wirtschaftsreformen so noch nicht gegeben hat“.
Krise wegen Kreditsicherheiten
Dies steht in Verbindung zu den schroffen Wertverlusten an Chinas Börsenmärkten. Der wichtigste Index (CSI 300) ist seit Januar um 30 Prozent gefallen, was allein für dieses Jahr schon Verluste für Aktienbesitzer*innen im Umfang von rund 21 Billionen Yuan (drei Billionen US-Dollar) bedeutet. Das entspricht fast dem Zehnfachen aller chinesischer Investitionen in den 70 Staaten, die „Belt and Road Initiative“ (neue Seidenstraße) umfasst.
Beinahe in allen „Schwellenländern“ sind die Börsenkurse in diesem Jahr stark eingebrochen, und seit Oktober hat der Ausverkauf auch die USA und andere Börsen der „entwickelten Länder“ erreicht. Das ist Ausdruck einer Reihe von miteinander zusammenhängenden Faktoren. Ein ganz wesentlicher Grund sind jedoch die Sorgen der Kapitalist*innen angesichts des Handelskriegs zwischen den USA und China sowie die immer düsterer werdenden Aussichten für die Weltwirtschaft.
Doch im Falle Chinas hat der Abschwung an den Börsen noch weitere Gefahren zur Folge, da viele Privatunternehmen ihre Aktienpakete als Sicherheiten für erhaltene Kredite angegeben haben. Diese Praxis wurde wegen des harten Durchgreifens der Regierung zur Abwehr von Finanzrisiken noch ausgeweitet. Den Privatunternehmen wurde viele alternative Kanäle, die es im Schattenbankensektor gab, um sich dort noch mit Krediten zu versorgen, abgedreht. Von den 3.491 Unternehmen, die an den beiden Börsenplätzen Chinas gelistet sind, haben alle bis auf 13 ihre gehaltenen Aktienanteile als Sicherheiten für Bankkredite hinterlegt.
Der verstärkte Fall der Aktienmärkte im Oktober hat dazu geführt, dass viele der Aktien, die als Sicherheiten angegeben waren, unter ein Level gefallen sind, dass Banken vorschreibt sie abzustoßen, was bedeutet hätte sie in einen fallenden Markt zu verkaufen. Am 12. Oktober wiesen die Zahlen der Regierung darauf hin, dass 35 Prozent der Wertpapiere, die in China als Sicherheiten für Kredite dienen und einen Wert von rund 890 Milliarden Yuan hatten, unter das erforderliche Maß gefallen sind. Weitere 61 Prozent befanden sich nahe am „gefährlichen Niveau“, so die entsprechenden Daten.
Diese „Krise aufgrund von Kreditsicherheiten“ drohte einen gefährlichen Kreislauf in Gang zu setzen: „Sinkende Aktienwerte führen zu Verkäufen und Verkäufe führen zu noch weiter sinkenden Aktienwerten“, so ein Investment-Manager gegenüber der „South China Morning Post“. Um diese Spirale zu durchbrechen, hat die Regierung eine Reihe von neuen Maßnahmen durchgeführt. Damit wurde versucht, den Aktienkursen ein neues Fundament zu verschaffen.
Über verschiedene staatliche Vermittlungsgeschäfte hat die Regierung damit begonnen mehr Geld in den Aktienmarkt zu pumpen um die Unternehmen zu unterstützen, bei denen die Risiken am größten sind. Es wurden auch einige Regeländerungen angekündigt, die es Unternehmen einfacher machen, eigene Aktien zurückzukaufen. Das ist ein Trick, der an der „Wall Street“ üblich ist und dazu führen kann, dass die Kurse zeitweilig aufgepumpt werden. Kurzfristig haben diese Maßnahmen die Abwärtsspirale an den chinesischen Börsen aufgehalten. Die Frage ist allerdings, wie lange dieser Effekt andauern wird – vor allem dann, wenn die Bedingungen in der Realwirtschaft und auf globaler Ebene sich weiter verschlechtern sollten.
Der Staat greift ein …
Im Zusammenhang mit diesen hektischen staatlichen Interventionen an den Börsen und weiteren politischen Maßnahmen, mit denen Privatunternehmen unterstützt werden sollen, steht eine breit angelegte Propaganda-Offensive der Regierung bevor. An deren Spitze sich kein geringer als Xi persönlich gestellt hat, mit dem Ziel die Sorgen der Kapitalist*innen aus der Privatwirtschaft abzubauen. Das damit ausgesendete Signal zielt aber auch in Richtung US-amerikanischer und anderer ausländischer Kapitalist*innen, die in größer werdender Zahl erwägen, ihre Produktion von China in andere Niedriglohnländer ohne Gewerkschaften zu verlagern, sollte der Handelskrieg weitergehen.
Im November erklärte Guo Shuqing, der den Vorsitz des Kontrollgremiums „China Banking and Insurance Regulatory Commission“ innehat, dass mindestens ein Drittel der neu vergebenen Kredite für Privatunternehmen reserviert werden sollten und dass dieser Anteil in drei Jahren auf 50 Prozent ansteigen müsse. Die Aussagen von Guo wurden am 16. November von der Zentralbank noch verstärkt: In einer entsprechenden Erklärung wies sie die Banken an „ihre politische Positionierung zu verbessern“, indem sie mehr Kapital in die Realwirtschaft leiten. All dies folgte den Daten für Januar bis August, die das schwächste Wachstum in Anlageinvestitionen seit 2003 aufwiesen.
Xi sicherte sogleich die „unentwegte“ Unterstützung für den privatwirtschaftlichen Sektor zu, den er als „zu unserer Familie dazugehörig“ beschrieb. Xi wiederholte diese Punkte bei einem Symposium im November, das als „beispiellos“ bezeichnet wurde. 50 Top-Kapitalist*innen aus der Privatwirtschaft waren dort anwesend, darunter die Milliardäre Robin Li Yanhong von „Baidu“ und Pony Ma Huateng von „Tencent“. „Jegliche verbalen Äußerungen oder Aktionen, die die Privatwirtschaft schwächen, sind falsch“, sagte der Staatschef zu ihnen, so die staatliche Nachrichtenagentur „Xinhua“.
Dieses Signal soll der weit verbreiteten Auffassung entgegenwirken – für die es einige Beweise gibt – nach der sich der staatliche Sektor auf dem aufsteigenden Ast befindet, während der Privatsektor auf dem Rückzug ist (chin.: „guo jin min tui“). Das liegt allerdings an der Krise des Kapitalismus und daran, dass die Kapitalist*innen aus Chinas Privatwirtschaft von staatlicher Unterstützung abhängen. „Ideologische“ Motive oder ein Verlangen seitens des Regimes der KPC (der sogenannten „Kommunistischen Partei Chinas“) die Zeit zurück zu drehen bis in die Tage der Planwirtschaft und des „Sozialismus“, spielen wohl kaum eine Rolle.
Die Schulden von Chinas gelisteten Unternehmen haben sich in den letzten fünf Jahren auf beinahe 33 Billionen Yuan verdoppelt, so die Informationen der Tageszeitung „Asia.Nikkei“ und ohne neue Kredite werden die Firmen nicht in der Lage sein, ihre schon bestehenden Verbindlichkeiten bedienen zu können.
Schuldenabbau vertagt
Regionalregierungen und lokale Verwaltungen haben neue „Rettungsfonds“ angekündigt, und eine ganze Reihe von Rettungspaketen der öffentlichen Hand hat in der Praxis bereits dazu geführt, dass mehrere an den Börsen gelistete Unternehmen (bislang mindestens 30) in das Eigentum lokaler Regierungen übergegangen sind. Dennoch haben Regierungsvertreter*innen sich alle Mühe gegeben zu betonen, dass diese Interventionen nur zeitweilig angewendet werden und sie sich nicht in Management dieser Unternehmen „einmischen“ werden. Darüber hinaus sollen die Einsätze der Regierungen zurückgezogen werden, „wenn der Markt sich beruhigt“ (aus: „South China Morning Post“, 17. November).
Dies wurde von Vizepremier Liu He, dem obersten Wirtschaftsberater von Xi, unterstrichen. Er sagte gegenüber der „People’s Daily“, dass die Rettungsfonds der Regierung zeigen würden, wie öffentlicher und privater Sektor nebeneinander existieren und kooperieren. „Der Staat kann sich zurückziehen, sobald die Geschäfte der Privatunternehmen wieder an Fahrt aufnehmen“, sagte Liu.
Diese jüngsten staatlichen Interventionen sind natürlich eine Abkehr der Schuldenabbau-Kampagne der Regierung. Regionalregierungen, deren Schulden bereits enorm waren, fühlen sich nun berufen, weitere Schulden zu machen, um in Not geratenen Privatunternehmen unter die Arme zu greifen. Auf der Grundlage der kapitalistischen Ökonomie, in der es keine Planung oder demokratische Kontrolle durch die Arbeiter*innenklasse gibt, wird das Problem der Überkapazitäten und der verlustmachenden „Zombies“ nur noch verstärkt.
All dies stellt einen umfassenden Kurswechsel in der Politik des Xi-Regimes seit Oktober dar. Zumindest für die absehbare Zukunft ist die Kampagne des Schuldenabbaus damit zurückgestellt. Das ist eine Entwicklung, die wir vorhergesagt haben. In den vergangenen Monaten hat die „National Development and Reform Commission“ (NDRC) Infrastruktur-Projekte im Wert von mindestens 130 Milliarden Yuan (18,7 Milliarden US-Dollar) gebilligt. „Eine derartige Politik legt nahe, dass der Schuldenabbau Chinas mehr oder weniger unterbrochen worden ist“, sagte Li-Gang Liu, Chef-Ökonom für China bei „Citi“.
Versteckte Schulden
Dabei gilt es, zwei Dinge besonders hervorzuheben: Zunächst haben vor allem Liu He aber auch Xi selbst, der Liu letztes Jahr ins Politbüro geholt hat, enorm viel persönliche, politische Autorität investiert um den Schuldenabbau voranzutreiben. Dass dieser nun aufgegeben wurde, unterstreicht wie ernst die ökonomische Lage ist und liefert einen begrüßenswerten Realitätscheck hinsichtlich des Images vom „starken Mann“, das Xi und seine Fürsprecher*innen präsentieren wollen. Es bestätigt, dass die Möglichkeiten des Regimes für Manöver in der Wirtschaftspolitik deutlich geschrumpft sind, worauf wir bereits in der Vergangenheit hingewiesen haben.
Der zweite Aspekt, der hervorzuheben ist, ist, dass Chinas aufziehende Schuldenkrise noch drastischer auszufallen droht. „Ich bin nicht optimistisch, dass es 2019 zu einem signifikanten Schuldenabbau kommen wird und das bedeutet, dass die bestehenden Schuldenstände wahrscheinlich auf demselben Niveau verharren oder sogar noch steigen werden, was katastrophal wäre“, so die Einschätzung von Andrew Collier von „Orient Capital Research“ in Hong Kong. „Irgendwann wird es in verschiedenen Bereichen des Systems zu Zahlungsausfällen kommen“, ergänzte er gegenüber CNBC.
Zwischen 2004 und 2008 lag der Verschuldungsgrad Chinas stabil bei 170 Prozent bis 180 Prozent des BIP. Aber Angaben des „Institute for International Finance“ zufolge ist dieser Anteil geradezu explodiert. Seit Ende 2008 (als die weltweite Finanzkrise einsetzte) bis zum ersten Quartal dieses Jahres schnellte der Wert von 171 Prozent auf 299 Prozent des BIP nach oben.
Außerdem könnten aktuelle Berechnungen zu Chinas Schuldenständen die reale Situation unterschätzen. Ein Bericht von „S&P Global Ratings“ vom 16. Oktober warnte davor, dass sogenannte „versteckte“ Schulden der Regionalregierungen in verschiedenen Teilen des Schattenbankensektors schlummern. Diese könnten bis zu 40 Billionen Yuan (5,76 Billionen Dollar) umfassen. Diese Summe entspricht mehr als dem Dreifachen der offiziellen Zahlen bezüglich der Schulden von Regionalregierungen und -verwaltungen (demnach angeblich 16,6 Billionen Yuan und somit rund 2,4 Billionen Dollar im Januar 2018). „Es geht um einen Schuldenberg, der immense Kreditrisiken mit sich bringt“, so die Warnung im Bericht von S&P.
Internationale Konflikte und die Möglichkeit, dass der weltweite Kapitalismus in der nächsten Periode in eine neue Wirtschaftskrise eintritt, sind neben dem zunehmenden Trend, dass die Kämpfe der chinesischen Arbeiter*innen besser organisiert und stärker miteinander koordiniert werden, sind allesamt Faktoren, die den Druck auf das Regime Xi erhöhen. Die übliche Antwort darauf – mehr Repression – ist nicht länger eine Garantie für „Stabilität“. In den kommenden Monaten und Jahren besteht die Aufgabe darin, eine klare sozialistische Alternative der Arbeiter*innenklasse zur Xi-Diktatur und dem von Schulden belasteten Staatskapitalismus Chinas zu organisieren.
Das Magazin „Sozialist“ (original: 社会主义者), wird von der Schwesterorganisation der SAV in China, Hong Kong und Taiwan herausgegeben. In China können Mitglieder unserer Schwesterorganisation, aufgrund der Repression des Regimes, nur unter illegalen Bedingungen arbeiten. Weitere Analysen auf: chinaworker.info