Die kompakte Einführung in die Marx’sche Kritik der politischen Ökonomie
Auch im Jahr seines 200. Jubiläums wird Karl Marx vor allem mit seiner Analyse des Kapitalismus als ökonomischem System verbunden; nicht umsonst gilt etwa „Das Kapital“ als sein Hauptwerk. Für neue Aktivist*innen ist so eine schwere Kost aber nicht unbedingt die beste Einstiegslektüre. Umso besser ist es, dass Marx – immer darum bemüht, „den Arbeitern verständlich [zu] sein“ – auch kürzere Texte hinterlassen hat, die jene ökonomischen Verhältnisse erklären, die bis heute zu enormem Reichtum in den Händen Weniger auf der einen und enormer Armut bei immer größeren Teilen der Bevölkerung auf der anderen Seite führen.
von Daniel Kehl, Dortmund
„Lohnarbeit und Kapital“ wurde im April 1849 als Leitartikelserie in der von Marx in Köln herausgegebenen „Neuen Rheinischen Zeitung“ veröffentlicht. Dem Text liegen Vorlesungen zugrunde, die Marx im Dezember 1847 im Deutschen Arbeiterbildungsverein in Brüssel gehalten hatte. Es war damals wie heute für Aktivist*innen der Arbeiter*innenbewegung entscheidend, die tieferen Ursachen zu verstehen, die die materielle Grundlage für gesellschaftliche Auseinandersetzungen und Klassenkämpfe bilden, um in die politischen und wirtschaftlichen Kämpfe einzugreifen. Diese Grundlage – Marx gelangte mithilfe von Engels bereits in den 1840er Jahren zu dieser Erkenntnis – beruht in der Produktions- und Austauschweise der bestehenden Ordnung.
Verkauf der Arbeitskraft
Ausführlich schildert Marx eines der Grundgesetze kapitalistischer Produktion: Um überleben zu können, sind Arbeiterinnen und Arbeiter gezwungen, ihre Arbeitskraft gegen Lohn an Unternehmer zu verkaufen. Die Arbeitskraft wird zur Ware – und auch ihr Preis, der Lohn, bemisst sich wie bei anderen Waren nach ihren Herstellungskosten. Wie aber wird Arbeitskraft „hergestellt“? Indem die Arbeitenden essen, entspannen und schlafen können, um nach einem anstrengenden Tag ihre Kräfte wieder aufzutanken. Der Arbeitslohn, die „Produktionskosten der Arbeitskraft“, so Marx, richten sich also durchschnittlich nach den „Existenz- und Fortpflanzungskosten des Arbeiters“ – Mietkosten, Geld für Nahrung, Kleidung, und so weiter. Dass es für die übergroße Mehrheit der Beschäftigten ein Traum bleiben muss, jemals durch eigene Arbeit reich zu werden, wird dadurch leicht verständlich.
Auch mit dem bis heute bei Liberalen beliebten Satz „Wenn’s der Wirtschaft gut geht, geht’s allen gut“ setzt Marx sich schon in „Lohnarbeit und Kapital“ auseinander. Er zeigt auf, dass die Verbesserung der Profitbedingungen der Kapitalist*innen (zum Beispiel durch niedrige Steuern für Unternehmen, Deregulierung des Marktes oder Flexibilisierung von Arbeitszeiten) zwar kurzfristig auch zu niedrigerer Arbeitslosigkeit oder steigenden Löhnen führen kann, langfristig aber die Kluft zwischen Kapital und Arbeiter*innenklasse weiter aufreißt. Die Reichen werden noch reicher und stärken ihre gesellschaftliche Stellung, während die Lohnabhängigen bei der nächsten Krise alle erreichten Verbesserungen wieder verlieren können.
Kapitalismus und Krisen
Der Krisenhaftigkeit der Marktwirtschaft widmet Marx den letzten Teil seiner Artikelserie. Mit der Teilung der Arbeit in immer kleinere Schritte und der zunehmenden Automatisierung der Produktion durch Maschinen (etwas, das uns heute mit den Debatten um Industrie 4.0 und Digitalisierung nur allzu bekannt vorkommen dürfte) verschärft sich die Konkurrenz unter den Arbeitenden, die Löhne tendieren nach unten. Mit dem Verlangen nach Profit steigt für das Kapital auch das Bedürfnis nach neuen Märkten – fehlen sie und finden die Waren keinen Absatz, brechen periodische Krisen aus, die nicht nur Unternehmen in den Ruin treiben, sondern vor allem unzählige Arbeiterinnen und Arbeiter auf die Straße setzen. Der Kapitalismus erweist sich als unfähig, eine stabile Wirtschaftsentwicklung zu garantieren.
Fast 170 Jahre nach Erscheinen von „Lohnarbeit und Kapital“ bleibt der kleine Text ein absoluter Klassiker in den ökonomischen Schriften des Marxismus und ist eine geeignete Einführungsbroschüre. Dass der Manifest-Verlag das Werk preisgünstig neu aufgelegt hat, wird hoffentlich für einige der Anlass sein, sich intensiver mit antikapitalistischen Ideen zu beschäftigen.