Über 300 Delegierte aus allen Landesteilen diskutieren über den Aufbau der sozialistischen Bewegung in den USA
Vom 20. bis zum 22. Oktober dieses Jahres hielt „Socialist Alternative“ die bis dato größte Bundeskonferenz ab, die je in den Vereinigten Staaten stattgefunden hat. Über 300 Sozialist*innen aus dem ganzen Land waren dafür nach Chicago gekommen, um sich über die Krise des globalen Kapitalismus, die immer stärker werdende Welle an Arbeitskämpfen, die wachsende Frauenbewegung, das gestiegene Interesse an sozialistischen Ideen sowie das Erstarken der Neuen Linken in den USA auszutauschen.
Keely Mullen, „Socialist Alternative“ (Sympathisant*innen des CWI in den USA)
Bei der Bundeskonferenz handelt es sich um das höchste beschlussfassende Gremium unserer Organisation, das alle zwei Jahre zusammenkommt. Die Delegierten werden von den Ortsgruppen gewählt, um im Rahmen der Konferenz dann unsere Perspektiven für den Kampf im jeweils bevorstehenden Zeitabschnitt zu diskutieren. Im Mittelpunkt steht die Frage, wann und wo die Möglichkeiten, marxistische Ideen einzubringen, am besten gegeben sind, und wie wir diese Gelegenheiten am sinnvollsten nutzen können.
Bei der diesjährigen Bundeskonferenz legten wir den Schwerpunkt – neben den reichhaltigen Diskussionen über die Entwicklungen in den USA und auf internationaler Ebene – auf die Frage, welche Aufgaben in der kommenden Periode auf Sozialist*innen zukommen werden. Das umfasste natürlich auch die äußerst bedeutsame Kampagne, die wir 2019 führen werden, um die Wiederwahl unserer Genossin Kshama Sawant in den Stadtrat von Seattle sicherzustellen. Wie entschlossen unsere Mitglieder sind, sich zu wehren und einen Beitrag zum Aufbau der Bewegung für eine bessere Welt leisten zu wollen, zeigte sich allein schon am Ergebnis des Spendenappells, bei dem 125.000 Dollar zusammengekommen sind! Das zeigt: während sich die Reichen das Geld in die eigenen Taschen stopfen, sind arbeitenden Menschen dazu bereit, Opfer zu bringen um den Kampf gegen die Milliardär*innen und Fanatiker*innen wie Donald Trump zu finanzieren.
Politische Landschaft der USA verändert sich
Es war unsere erste Bundeskonferenz, die in der Trump-Ära stattgefunden hat. Seine Wahl zum Präsidenten vor zwei Jahren hat in sämtlichen Teilen der Gesellschaft für Schockmomente gesorgt. Trumps Präsidentschaft hat die politische Polarisierung verschärft und die Glaubwürdigkeit der Institutionen des Kapitalismus weiter ausgehöhlt. Das gilt auch für die beiden großen Parteien („Demokraten“ und „Republikaner“). Trumps Präsidentschaft hat einige der größten Demonstrationen der US-Geschichte zur Folge gehabt, mit denen gegen seinen Rassismus, Sexismus und andere reaktionäre Einstellungen protestiert wurde. Doch trotz der Massenproteste war die Regierung unter Trump darin erfolgreich, zwei ihrer Nominierten für den Oberste Gerichtshof und massive Steuererleichterungen für Reiche durchzusetzen sowie eine gefährlich rassistische Polarisierung zu entfachen. Bislang konnten wir keine nachhaltige Massenbewegung ausmachen, die sich auf die gesellschaftliche Macht der Arbeiter*innenklasse gestützt und die Trump und die Agenda der politischen Rechten wirklich herausgefordert oder gar zurückgewiesen hätte.
Und dennoch befindet sich seine Regierungsadministration weiterhin in einem höchst chaotischen Zustand. Alle erwarten die Ergebnisse der Mueller-Untersuchungskommission, und hochrangige Kabinettsmitglieder von Trump sind seit ihrem ersten Tag im Amt in unzählige Skandale verwickelt. Die Partei der „Demokraten“ hat ganz allgemein darin versagt, gegen Trumps Agenda vorzugehen. Das zeigte sich z.B. an ihrem durchweg harmlosen Kampf zur Verteidigung des DACA-Programms (zum Schutz junger Migrant*innen, die ohne Papiere eingereist sind; Erg. d. Übers.) aber auch daran, wie die „Demokraten“ mit der Ernennung von Kavanaugh umgegangen sind. Der wirkliche Test für die Trump-Regierung wird voraussichtlich anstehen, wenn es in den nächsten zwei Jahren zu neuen ökonomischen Krisen kommt. Mit einer steigennden Verschuldung von Privathaushalten, Finanz- und Immobilienmärkte die überhitzen und dem eskalierenden Handelskrieg mit China – deuten alle Zeichen auf eine Rezession oder sogar einen schwerwiegenden Abschwung der Wirtschaft hin, der verheerende Folgen für Schichten der US-Arbeiter*innenklasse haben wird
Aufschwung von feministischen Kämpfen und der Arbeiter*innenbewegung
In der Diskussion über die US-Perspektiven lag der Fokus auf der Arbeiter*innenbewegung, die nach Jahrzehnten des Rückzugs allmählich wieder auf die Beine kommt. 2018 ist es bereits zu mehr Streiks gekommen als in irgendeinem Jahr seit 2000. Das deutet auf ein Wiederaufleben der Ansicht hin, dass der Streik eine Waffe sein kann. Zentral war dabei der Aufstand der Lehrer*innen, der in West Virginia begann und immer noch nicht zu Ende ist. So könnten beispielsweise die Lehrkräfte in Los Angeles in den nächsten Wochen in den Ausstand treten. Diese Rebellion dreht sich aber nicht nur um die Lehrer*innen im Land. Diesen Sommer und Herbst ist es in den Marriott-Hotels überall in den USA zu Streiks gekommen, die große mediale Aufmerksamkeit erregt haben. Die Beschäftigten von UPS haben gegen einen schlechten Tarifvertrag gestimmt, der vom Vorstand der Teamster-Gewerkschaft dennoch durchgesetzt worden ist. Es ging dabei um Formfehler, die geltend gemacht wurden. Auch die Arbeiter*innen der Technologie- und Logistikbranche haben sich radikalisiert. Der Streik bei „McDonald’s“ gegen sexuelle Belästigung zeigt ebenfalls, in welche Richtung es gehen kann.
Die Streiks der Lehrer*innen haben gezeigt, dass es eine neue Führung in der Arbeiter*innenbewegung braucht, wenn man Erfolge erringen will. Die Basis hatte in mehreren Bundesstaaten Facebook-Seiten und Organisationsgruppen gebildet, die nicht unter der Kontrolle der Gewerkschaftsführung waren. Trotz des Drängens der eigenen Führung, die Streiks bald zu beenden, haben die Lehrer*innen es in West Virginia abgelehnt, in die Schulklassen zurückzukehren, bevor ihren Forderungen nicht in vollem Umfang erfüllt wurden. Jetzt wurde sogar ein neuer Fraktionszusammenschluss, bestehend aus Basismitgliedern, gegründet. Sozialist*innen können eine wichtige Rolle spielen, dabei zu helfen die Grundlagen für eine neue, kämpferische Führung der Arbeiter*innenschaft zu schaffen. In der kommenden Periode kann eine solche Führung bereits bestehende Organisationsstrukturen zurückerobern, neue aufbauen und Kämpfe mit Erfolg zu Ende bringen.
Ein weiteres Schwerpunkt-Thema unserer Bundeskonferenz war die anwachsende Frauenbewegung, der in den USA schon jetzt eine ganz wesentliche Bedeutung zukommt. Die Entsendung von Brett Kavanaugh an den Obersten Gerichtshof hat zu neuen massiven Entwicklungen in der „#MeToo“-Bewegung geführt. Wir haben es mit einer unheimlich großen Zahl an Beteiligten zu tun, die ganz krank macht, dass ein Sexualverbrecher bis ans Oberste Gericht gehievt werden konnte. Millionen von Frauen haben die Nase voll von Sexismus und Belästigungen. Sie überlegen, auf welche Weise der Widerstand am ehesten von Erfolg gekrönt sein kann. Viele warten verständlicher Weise sehnsüchtig auf die „midterm elections“ (die im November, nach Niederschrift dieses Berichts stattgefunden haben; Anmerkung des Übersetzers). Sie betrachten diese Wahlen als Möglichkeit, dem vornehmlich männlichen Establishment einen Schlag versetzen zu können. Dabei ist ein nicht unwesentlicher Teil junger Frauen nicht zufrieden damit, einfach nur eine höhere Anzahl an Frauen in der Politik zu haben oder mehr Frauen in den Unternehmensvorständen. Für viele ist eher entscheidend, dass der Kampf gegen Sexismus mit dem Kampf gegen niedrige Löhne, unbezahlbare Kinderbetreuung, für eine Gesundheitsversorgung für alle („Medicare for All“) und Kontrollen bei der Miethöhe verbunden wird. Im Rahmen unserer Bundeskonferenz haben wir somit auch über die alles entscheidende Möglichkeit diskutiert, die Sozialist*innen jetzt haben, um einen an der Arbeiter*innenklasse orientierten Flügel innerhalb der Frauenbewegung zu bilden, der an den Ideen des sozialistischen Feminismus ansetzt. Die Bundeskonferenz hat zudem auf die Bedeutung der Kämpfe der LGBTQ-Community für die bevorstehende Periode hingewiesen.
Bedeutung der „midterm“-Wahlen
Die Bundeskonferenz von „Socialist Alternative“ diskutierte über den möglichen Ausgang der „midterm elections“, bei denen die „Demokraten“ auf Bundesebene und im Repräsentantenhaus zulegen werden. Möglicherweise werden sie sogar die Mehrheit dort zurückgewinnen. Das wird aller Voraussicht nach die Zuversicht von Millionen von Menschen antreiben, die sich Sorgen davor machen, zu was die Agenda der „Republikaner“ am Ende noch führen kann, sollte sie in den nächsten beiden Jahren weiterhin nahezu unwidersprochen durchgesetzt werden. Allerdings wird die „blaue Welle“ sehr begrenzt sein . Und die Kernfrage für die „Demokraten“ (auch die progressiven unter ihnen) wird darin bestehen, was sie nach den Wahlen tun werden.
In diesem Zusammenhang haben wir eine intensive Debatte darüber geführt, was durch die Wahlkampagnen von Alexandria Ocasio-Cortez und Julia Salazar, die sich selbst als Sozialistinnen bezeichnen (und beeindruckende Resultate erzielt haben; Ergänzung des Übersetzers), ausgedrückt wird. Unsere Bundeskonferenz bestätigte den Ansatz, den wir schon im Falle der Präsidentschaftsvorwahlen und der Kandidatur von Bernie Sanders im Jahr 2016 vertreten haben: Wir begrüßen diese Entwicklungen und beteiligen uns daran, weisen aber gleichzeitig darauf hin, dass der Arbeit im Rahmen der von Konzerninteressen dominierten „Democratic Party“ zwangsläufig schwerwiegende Grenzen gesetzt sind.
Dass Sanders nach seiner Wahlkampagne bei den Vorwahlen 2016 und den manipulierten „Primaries“ der „Demokraten“ nicht nicht als Unabhängiger weitergemacht hat, dass er es nicht vermocht hat, die Struktur „Our Revolution“ zu einer echten Mitglieds-Organisation zu machen, die auf der Straße genauso präsent gewesen wäre wie an der Wahlurne, hat seine „politische Revolution gegen die gesellschaftliche Klasse der Milliardär*innen“ geschwächt. Was dazu geführt hat, dass sich viele junge Unterstützer*innen, die für Sanders aktiv waren, stattdessen den „Democratic Socialists of America“ (DSA) zugewandt haben. Mittlerweile kommen sie auf 50.000 Mitglieder.
Innerhalb dieser neuen Linken läuft unterdessen die Debatte darüber, wie wir eine politische Kraft aufbauen können, die die Interessen der arbeitenden und unterdrückten Menschen vertritt, und wie es um das Verhältnis zu den „Demokraten“ bestellt ist.
Wir sind der Ansicht, dass es – wollen wir die mutigen, an den Interessen der Arbeiter*innenklasse ausgerichteten Forderungen von Sanders, Ocasio-Cortez und anderen selbsterklärten Sozialist*innen wirklich durchsetzen – nötig sein wird, eine neue politische Partei außerhalb des Zwei-Parteien-Systems zu formieren, an der sich Millionen von Amerikaner*innen aus der Arbeiter*innenklasse beteiligen können und die sich selbst auf die sozialen Bewegungen stützt. In der nächsten Periode wird es voraussichtlich zu noch tieferen Konflikten zwischen verschiedenen Flügeln in der demokratischen Partei kommen, diese Auseinandersetzungen werden eine wichtige Rolle beim Aufbau einer neuen politischen Partei spielen.
Prioritäten beim Aufbau unserer Organisation
Im kommenden Jahr werden wir von „Socialist Alternative“ unsere größte Prüfung bis jetzt bestehen müssen: den Kampf um die Wiederwahl von Kshama Sawant in den (neunköpfigen; Ergänzung des Übersetzers) Stadtrat von Seattle. Zum ersten Mal gewählt wurde Kshama im Jahr 2013. Ihre Position in Seattle war ein ganz wesentliches Werkzeug für die dortige Arbeiter*innenklasse, um Erfolge wie den ersten Mindestlohn in Höhe von 15 Dollar in den USA zu feiern. Auch die Tatsache, dass Millionen von Dollar für Sozialleistungen und den Bau neuer erschwinglicher Wohnungen durchgesetzt werden konnten, stehen mit unserer Stadträtin in Verbindung.
Kshama ist zu einer Art Leuchtfeuer geworden im Kampf für eine unabhängige linke Politik in den USA. Im Frühjahr haben wir eine Schlüsselrolle in der Kampagne zur Besteuerung der großen Konzerne in Seattle gespielt. Darüber sollte bezahlbarer Wohnraum finanziert werden, und die Kampagne wurde schnell als „Besteuert amazon“-Kampagne bekannt. Diese Kampagne hat Leute wie Jeff Bezos (Chef von „amazon“; Ergänzung des Übersetzers) und andere Vertreter*innen der Milliardärsklasse mitten ins Herz getroffen. Nur mit Hilfe verräterischer „Demokraten“ konnten sie die Rücknahme dieser Steuer erzwingen. Das war kurz nachdem sie im Stadtrat von Seattle beschlossen worden war.
Sicher ist, dass die Eliten aus den Chefetagen der Konzerne im kommenden Jahr entschlossen sein werden, gegen uns zu kämpfen – mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln. Wenn die Kampagne zur Wiederwahl von Kshama erfolgreich sein soll, dann bedarf es des gewaltigen Einsatzes von Ressourcen durch die Menschen aus der Arbeiter*innenklasse in Seattle aber auch bundesweit. Diese Kampagne kann zu einem Lautsprecher für die Kämpfe der arbeitenden Menschen insgesamt werden. Durch sie wird die Energie der Menschen gegen die reichsten Tycoone von Seattle sowie das Polit-Establishment gerichtet, das entschlossen ist, uns zu bezwingen.
Die Bundeskonferenz legte großen wert auf die Feststellung, dass es für unsere Organisation notwendig ist, sich aktiv an den aufkommenden Kämpfen der Arbeiter*innenklasse zu beteiligen. Mitglieder von „Socialist Alternative“ üben wichtige Funktionen in Untergliederungen von Gewerkschaften wie der „Amalgamated Transit Union“ in Minnesota aus. Eine größere Anzahl unserer Genoss*innen spielt eine entscheidende Rolle in der Ortsgruppen der Gewerkschaften im Pflege- und Krankenhaus-Bereich. Wir hoffe, unsere tägliche Arbeit in diesen Gewerkschaften weiter vertiefen zu können aber auch, daran anknüpfen sowie unsere Mitglieder motivieren zu können, Stellen in Branchen mit einer sich radikalisierenden Belegschaft anzunehmen, wie der Bildung, im Gesundheits- oder Logisitkbereich.
Der Mitgliedschaft von „Socialist Alternative“ ist klar, dass 2019 (wie schon dieses Jahr) soziale Kämpfe losbrechen können, die die Verteidigung von Angehörigen der LGBTQ-Community, den Kampf gegen Rassismus oder den Schutz der Umwelt zum Anlass haben können. Angesichts der aktuellen Entwicklungen richten wir jedoch ein besonderes Augenmerk auf die Notwendigkeit, innerhalb der in den USA entstehenden, Frauenbewegung einen sozialistisch-feministischen Flügel aufzubauen. Das bedeutet, dass wir vorbehaltlos für die Bedürfnisse der Frauen aus der Arbeiter*innenklasse, für schwarze Frauen, Frauen aus der LGBTQ-Commnuity und all jene kämpfen müssen, die mit niedrigen Löhnen, unsicheren Wohnverhältnissen oder schlechter Gesundheitsversorgung zu kämpfen haben. Es reicht uns nicht, lediglich mehr Frauen in Ämter zu wählen oder mehr weibliche Unternehmensvorstände zu haben. Die Frauenbewegung muss den Bedürfnissen der großen Mehrheit der Frauen gerecht werden. Es muss um die Frauen gehen, die mit Niedriglöhnen abgespeist werden, die aufgrund von Studiengebühren immense Schulden im Nacken haben, unter unzureichender Gesundheitsversorgung leiden oder von Missbrauch zu Hause betroffen sind und nicht wissen, wo sie schlafen sollen. Wir wünschen uns, zu einer Zusammenarbeit mit den DSA und anderen Kräften zu kommen, um gemeinsam die Kräfte des sozialistischen Feminismus aufbauen zu können.
Im bevorstehenden Jahr 2019 bestehen ganz hervorragende Voraussetzungen für den Aufbau der Kräfte des revolutionären Sozialismus. Und wenn unsere Bundeskonferenz für irgendetwas steht, dann dafür, dass „Socialist Alternative“ bereit ist, diese Möglichkeiten mit aller Kraft zu nutzen!