Rede von SAV-Bundessprecher Sascha Staničić
Wir dokumentieren hier die Rede des SAV-Bundessprechers Sascha Staničić vor zehntausend TeilnehmerInnen der Demonstration gegen rechte Gewalt am 30. August in Berlin-Neukölln:
Liebe Antirassistinnen und Antirassisten,
wir sind alle entsetzt und wütend über die Ereignisse von Chemnitz. Aber lasst uns heute nicht nur über die Nazi-Banden reden, über ihre Menschenverachtung, ihre Gewalt, ihren Hass und ihren Rassismus. Diese Nazis sind eine aufgehende Saat.
Lasst uns auch über diejenigen sprechen, die diese Saat seit Jahren gesät haben.
Lasst uns über die BILD-Zeitung und ihre rassistischen Schlagzeilen sprechen. Wir sind im fünfzigsten Jahrestag der 68er-Revolte. Damals war ein Slogan „Enteignet Springer!“. Auch heute gilt: Enteignet Springer! Schluss mit dem Rassismus der BILD-Zeitung!
Lasst uns über die Seehofers und Söders sprechen mit ihrem Gerede von „Asyltourismus“, ihrer Ausgrenzungspolitik und Hetzkampagne gegen Geflüchtete.
Lasst uns über die Polizei und den Verfassungsschutz reden, über die Tatsache, dass Menschen nicht-weißer Hautfarbe von racial profiling betroffen sind, über die Verstrickungen von NSU und Verfassungsschutz und darüber, dass der Witz, es waren genug Polizisten in Chemnitz, nur viele davon nicht in Uniform, wahrscheinlich leider kein Witz ist.
https://www.facebook.com/savberlin/videos/1141350692669571/
Lasst uns über staatlichen Rassismus sprechen, über Sondergesetze für Nichtdeutsche, über fehlendes Wahlrecht und über Abschiebungen.
Und wenn wir darüber sprechen, müssen wir auch über die Merkel-CDU und die SPD sprechen, die sich gerne als flüchtlingsfreundlich darstellen und in den letzten Jahren aber ein ums andere Mal die Asylgesetzgebung veschärft haben.
Und wenn wir die SPD erwähnen, sollten wir Thilo Sarrazin nicht vergessen, der heute sein neues Buch gegen den Islam vorgestellt hat und immer noch SPD-Mitglied ist. Was für ein Skandal!
Ohne all diese Damen und Herren und Insttutionen hätte es kein Chemnitz gegeben!
Weil sie den Boden bereitet haben durch ihre Propaganda, Geflüchtete seien ein Problem. Dabei sind sie es, die für die wirklichen sozialen Probleme verantwortlich sind. Sie haben den Boden bereitet mit ihrem Nationalismus und ihrer Ausgrenzungspolitik.
Aber auch mit ihrer Arroganz der Macht, ihrer Politik für die Profite der Banken und Konzerne, ihrem Sozialabbau, mit Agenda 2010 und Hartz IV, worunter Millionen leiden müssen.
Das ist der Grund, weshalb sich dann in Chemnitz neben den Nazis einfache Leute finden, die ihren Frust jetzt an noch Schwächeren auslassen, weil sie das Gefühl haben, gegen die da oben“ ist eh nicht anzukommen.
Und genau darum geht es bei Rassismus. Es geht um Teile und Herrsche und um Ablenkung von den wirklichen Problemen und ihren Verursachern. Rassismus ist ein Herrschaftsinstrument, um uns unten zu halten.
Aber wir machen das nicht mehr mit. Wir sind entsetzt und wütend. Aber wir verwandeln unsere Wut in Widerstand. Und nicht nur in Widerstand gegen die Nazis, sondern auch gegen Rassismus und soziale Ungleichheit und Ungerechtigkeit.
Wir müssen uns zusammentun uns wehren und uns organisieren weil wir uns auf Polizei und Staat nicht verlassen können. Nicht im Kampf gegen Rechts und nicht im Kampf für soziale Rechte.
Und wenn dann der FDP Politiker Sebastian Czaja twittert „Antifaschisten sind auch Faschisten“, kann ich nur sagen: welch ein Beweis für das Versagen des Bildungssystems.
Lasst mich auch einen Satz sagen zu denen, die angesichts der Ereignisse von Chemnitz gegen Selbstjustiz sprechen und so tun als ob es bei den rechten Demos um Selbstjustiz gegangen sei. Die Angriffe des Nazi-Mobs hatten nichts, aber auch gar nichts, mit Selbstjustiz zu tun. Das war Rassismus, das war Terror und sonst nichts.
Das Gerede gegen Selbstjustiz soll uns davon abhalten, uns zu verteidigen gegen Nazis. Wir sollen uns auf eine Polizei verlassen, die untätig ist. Aber wenn der Staat uns nicht schützt, müssen wir uns zusammen schließen und uns verteidigen.
Deshalb ist auch mein Appell: geht weiter auf die Straße, fahrt nach Chemnitz in den nächsten Tagen. Aber geht nicht nur auf die Straße, Diskutiert mit Euren NachbarInnen und KollegInnen und tut das auch, wenn diese migrantenfeindliche Vorurteile haben. Erklärt ihnen, dass wir nur gemeinsam für günstigere Wohnungen, bessere soziale Leistungen kämpfen können. Und organisiert Euch in antirassistischen Initiativen, in linken Organisationen, in Mieterinitiativen, in der Gewerkschaft und lasst uns gemeinsam für unsere Interessen kämpfen.