#aufstehen oder nicht?

By xtranews.de (Flickr: IMG_1962.jpg) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons
Zu Sahra Wagenknechts neuer Sammlungsbewegung

Zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe der Solidarität ist noch nicht wirklich viel über die von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine neu ins Leben gerufene Sammlungsbewegung #aufstehen bekannt. Der öffentliche Start findet am 4. September statt. Seit Anfang August konnte man sich auf einer Webseite eintragen, um regelmäßig informiert zu werden. Das haben nach Angaben der InitiatorInnen mittlerweile über 80.000 Menschen gemacht – obwohl viele Positionen noch gar nicht klar sind.

Von Sascha Staničić (Artikel aus Solidarität – Sozialistische Zeitung, Nr. 179, September 2018)

#aufstehen verspricht Druck zu machen für soziale Politik. Auf der Webseite stehen Slogans wie „Es darf nicht mehr an den Interessen und Bedürfnissen der Mehrheit vorbei regiert werden!“ und „Die Wirtschaft muss auf den Menschen ausgerichtet sein! Nicht auf den maximalen Profit!“. Solchen Aussagen werden Millionen zustimmen, die seit vielen Jahren von der an den Interessen der Banken und Konzerne ausgerichteten herrschenden Politik enttäuscht sind. Auch der  Anspruch von #aufstehen, eine „soziale und demokratische Erneuerungsbewegung“ zu sein, bei der von der Kassiererin bis zur Ärztin alle mitmachen können, wo offen und demokratisch diskutiert und entschieden wird, wird auf viele Sympathien stoßen. Warum dann die ganze Kontroverse in der LINKEN um dieses Projekt? Geht es hier wieder einmal nur um Macht und Einfluss oder abstrakte Prinzipienreiterei? Nein, ein genauer Blick lohnt sich, um festzustellen, dass alles dafür spricht, dass #aufstehen nicht hält, was es verspricht.

National oder international?

Während die wenigen inhaltlichen Aussagen auf der Webseite von #aufstehen bisher sich allgemein gegen Fremdenhass und die AfD positionieren, war Sahra Wagenknecht in den letzten zwei Jahren vor allem damit aufgefallen, dass sie die Migrationspolitik der LINKEN kritisierte, Zuzugsbeschränkungen für EinwandererInnen forderte und auch schon mal Terrorismus pauschal mit Zuwanderung in einen Zusammenhang brachte. Ihre Politik markiert einen gefährliche Rechtsverschiebung in der Migrationsfrage im Vergleich zur Haltung der LINKEN, die in ihrer Programmatik (leider nicht im Handeln in den von ihr mitgeführten Landesregierungen) sich klar in Solidarität mit MigrantInnen, gegen Abschiebungen usw. ausspricht. Wir treten für den gemeinsamen Kampf aller Betroffenen für niedrige Mieten, Ausbau der sozialen Infrastruktur, angemessene Löhne etc. ein. Wagenknechts Position stellt die Einheit der sozial Benachteiligten und Lohnabhängigen in Frage und macht Spaltungslinien auf. Spaltung der Betroffenen macht es schwerer für ein besseres Leben zu kämpfen.

Ein Projekt für rot-rot-grün

Wenn man genau hinschaut, dann ist das Ziel des Projekts, SPD, Grüne und LINKE dazu zu bewegen, ein Regierungsbündnis einzugehen. Dazu soll in den drei Parteien Druck gemacht werden. SPD und Grüne sollen sich nach links öffnen, DIE LINKE soll sich nach rechts öffnen. Dementsprechend klingt das Gerede davon, dass durch #aufstehen die Menschen das Schicksal in die eigene Hand nehmen sollen, recht hohl. #aufstehen will eine pressure group in den bestehenden Parteien links der CDU und FDP sein.

#aufstehen soll zweifelsfrei auch ein Mittel sein, um die Kräfteverhältnisse innerhalb der LINKEN, wo eine Mehrheit deutlich gegen die migrationspolitischen Positionen von Sahra Wagenknecht besteht, zu ändern. Dass in ihren Überlegungen auch die Gründung einer neuen „Volkspartei“ (die politisch irgendwo zwischen SPD und LINKE angesiedelt wäre) vorkommt, hat sie in Interviews zum Jahresanfang deutlich gemacht. Alle Erfahrung zeigt aber: ohne einen Anspruch auf grundlegende Veränderung der Wirtschaftsweise, ohne sozialistische Perspektive, landen „Mitte-Links“-Regierungen oder -Parteien immer bei der Verteidigung der kapitalistischen Verhältnisse und beteiligen sich früher oder später an Sozialabbau, Lohnkürzungen und Militarismus.

Glaubwürdigkeit

Es muss einem schon zu denken geben, wenn ausgerechnet aktuelle und ehemalige Führungsfiguren bestehender Parteien nun davon sprechen, dass die Parteien versagt haben und aufgerüttelt werden müssen. Niemand hätte mehr als Sahra Wagenknecht oder Oskar Lafontaine in der Vergangenheit die Möglichkeit gehabt, DIE LINKE zu formen. Ludger Vollmer, der nun auch das Projekt unterstützt, war Vorsitzender der Grünen und Staatssekretär in der rot-grünen Bundesregierung. Auch an dem Demokratiebekenntnis ist zu zweifeln, wenn man bedenkt, dass Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine ihr Projekt innerhalb der Partei DIE LINKE niemals zur Diskussion oder Abstimmung gestellt haben. Insgesamt handelt es sich bei #aufstehen bisher um ein internetbasiertes Top-Down-Projekt, das zwar vorgibt die einfachen Leute ansprechen und einbinden zu wollen aber selbst im Gründungsprozess nur auf Prominente setzt und bisher keine Mitarbeit ermöglicht.

Bewegung

#aufstehen spricht viel von Bewegung und davon die Interessen der einfachen Menschen zu vertreten, aber schaut man genau hin, ist #aufstehen iunterm Strich ein gänzlich auf die Veränderung der parlamentarischen Verhältnisse ausgerichtetes Projekt. Es sind interessanterweise gerade Kräfte in der LINKEN, die dem Wagenknecht-Projekt kritisch gegenüberstehen, die die Krankenhaus-Streiks massiv unterstützen und die Kampagne zu den Themen Pflege und Wohnen voran bringen.