„ Die Befreiung der Arbeiterfrauen kann nur das Werk derer selbst sein“

Vorwort zu Clara Zetkins „Geschichte der proletarischen Frauenbewegung“

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Frauen stehen nicht über Klassenunterschiede hinweg solidarisch zusammen, nur weil sie das gleiche Geschlecht haben. Das hat Clara Zetkin bereits vor über 130 Jahren erkannt und die sogenannte Frauenfrage klar in die Forderungen der bürgerlichen auf der einen und in die der proletarischen Frauenbewegung auf der anderen Seite differenziert.

Von Alexandra Arnsburg

Während die vermögenden Frauen damals vor allem die juristische Gleichstellung wie die freie Verfügung über ihren Besitz und Entscheidungsgewalt bezüglich der Kinder forderten und unter der ihnen zugewiesenen Rolle als Ehefrau und Mutter zu leiden hatten, wurden bürgerliche Frauen vor allem nach dem Verlust des Arbeitsplatzes des Ehemannes oder nach einer Trennung in die Lohnarbeit getrieben und wollten hier gleiche Chancen sowohl in der Ausbildung als auch in der Arbeit für sich geltend machen. Arbeiterinnen waren – wenn auch härter ausgebeutet als ihren männlichen Kollegen – bereits durch ihre gemeinsame Position im Gegensatz von Kapital und Arbeit mit den Männern gleichgestellt. Das heißt, zusätzlich zu der Unterdrückung aufgrund ihres Geschlechts, was zu mehr Arbeit, geringerem Einkommen und dem erhöhten Risiko führt, jeglichen Formen von seelischer und körperlicher Gewalt ausgesetzt zu sein, müssen lohnabhängige Frauen ihre Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt anbieten und das meist unter schwierigeren Voraussetzungen als ihre Kollegen. Daran hat sich bis heute grundsätzlich nichts geändert, auch wenn Frauen (und Kinder) heute zumindest in der sogenannten Ersten Welt nicht mehr unter mörderischen Bedingungen in Fabriken schuften müssen. Obwohl Frauen zumindest in Westeuropa eher bessere Schulabschlüsse absolvieren (Abitur 2015 53,9% Frauen laut WSI/Stat. Bundesamt Mikrozensus) als Männer, verdienen sie im Durchschnitt weniger und arbeiten insgesamt mehr, wenn auch die gesellschaftlich notwendige Arbeit in der Pflege und Erziehung zu Hause mit einbezogen wird.

Stehen wir, Frauen der sogenannten Industrieländer, uns nur selbst beim Bau unserer Karriereleiter im Weg oder bedeutet Feminismus heute „nur noch“ radikale barbusige Outingaktionen weißer Frauen mit Modellmaßen?

Angesichts steigender prekärer Beschäftigung, der aufgrund von niedrigeren Löhnen und Kindererziehungszeiten geringeren Renten und dem Faktor „Kind“ als materielles Abstiegsrisiko Nummer eins für Frauen ist klar: Armut ist weiblich. Frauen leisten 52 Prozent mehr unbezahlte Arbeit als Männer, haben aber 60 Prozent weniger Geld zur Verfügung. Wenn Frauen arbeiten, dann vor allem in Teilzeit oder in Berufen, wo gerade mal der Mindestlohn gezahlt wird. Mehr als die Hälfte der Frauen verdiente 2016 maximal 1500 Euro netto. Mehr als ein Viertel verdiente nur zwischen 500 und 1000 Euro. Und über 13 Prozent der Frauen verdienen gar nichts. In der Einkommensgruppe zwischen 3500 und 4000 sind nur 0,6 Prozent Frauen vertreten. (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 07.03.2017, Gutachten zum zweiten Gleichstellungsbericht) Im Schnitt erhält eine Rentnerin in Deutschland 57 Prozent weniger Geld als ein Rentner (WSI, Hans-Böckler-Stiftung) und während allgemein 15,7 Prozent der Deutschen von Armut bedroht sind, trifft das bei den Alleinerziehenden auf 43,8 Prozent zu. (Armutsgefährdungsquote des Statistischen Bundesamtes) Heute sind noch mehr Alleinerziehende von Armut bedroht als noch vor über zehn Jahren: Gegenüber 2005 stieg die Quote um 4,5 Prozent. Im Jahr 2015 gab es in Deutschland rund 409.000 alleinerziehende Väter und rund 2.331.000 alleinerziehende Mütter (statista.com)

Eine Karriereleiter, die es angeblich nur zu erklimmen gilt, haben die meisten Frauen also nicht zu Gesicht bekommen und werden es wahrscheinlich auch nicht. Und bis heute haben die meisten Frauen nichts mit einer der weltweit 145 Millionärinnen (gegenüber 1022 Millionären) gemeinsam, nicht mal mit der Deutschen BMW-Erbin Susanne von Kletten, außer vielleicht den Geburtsort. Auch wenn inzwischen mehr als ein Drittel Frauen im Bundestag sitzen und wir eine Bundeskanzlerin haben, vertritt „unsere“ Regierung zuallererst die Interessen des Kapitals und hochbezahlter PolitikerInnen, nicht die von uns hier unten und schon gar nicht die Interessen der Mehrheit der Frauen. Der Kampf für die Befreiung der Frau ist also kein linker Traditionalismus oder längst hinfällig, sondern aktuell und mehr als nötig.

Clara Zetkin erwirkte teilweise gegen den Spott und den Druck ihrer eigenen Genossen, dass die damals größte Arbeiterorganisation den Kampf um Gleichberechtigung in ihr Programm aufnahm und schuf mit ihren Publikationen, vor allem mit der Zeitschrift „Die Gleichheit“, eine Grundlage für die Arbeit mit und unter Frauen. Diese Reden, Schriften und Artikel geben auch heute noch Aufschluss, wie der Kampf für eine bessere Welt, für eine sozialistische Gesellschaft, gewonnen werden kann, ohne dabei den Kampf für die Verbesserung der Situation von über der Hälfte der Menschheit in eine ferne Zukunft zu verschieben.

Unter dem Druck der Revolution 1918 musste eine Reihe von Gesetzen erlassen werden, um die Umwälzung der Eigentums- und Produktionsverhältnisse zu verhindern und den Klassengegensatz erträglicher zu machen. Frauen erhielten das Wahlrecht, wurden zu mehr Ämtern und Berufen zugelassen und das Mutterschutzgesetz eingeführt. Die Bewegung gegen den § 218 bekam einen Aufschwung. Dieser Paragraph wurde 1872 im Reichsstrafsgesetzbuch verankert und sah eine Strafe von bis zu fünf Jahren Zuchthaus für Abtreibung vor. Kurzzeitig erfuhr der Arbeitsmarkt, insbesondere im neuen Angestelltenberuf in Büros und Verwaltungen, einen Zustrom vor allem von jungen und unverheirateten Frauen. Viele dieser weiblichen Angestellten wurden schon wenige Jahre später in der Wirtschaftskrise arbeitslos und von der Arbeitslosenunterstützung ausgeschlossen, wenn sie verheiratet waren. Seit der Gründung der NS-Frauenschaft 1931 gingen die NationalsozialistInnen zum offenen Angriff über. Nach der Machtergreifung 1933 wurden alle Frauenverbände aufgelöst und der Deutschen Frauenfront untergeordnet und zahlreiche Aktivistinnen ermordet. Der Feminismus und die begonnene Diskussion zur Sexualreform mussten Folgschaft und Mutterschaft als höchste Ziele weichen. Dem Arbeitszwang für Frauen in der Kriegsindustrie im zweiten Weltkrieg folgte die Heim-und-Herd-Bewegung, die noch mindestens zwei Jahrzehnte mit ihrer Ideologie von der sanften fleißigen Hausfrau bis in die 60er Jahre haften blieb.

Der Aufbruch der Frauen 1968 war keine studentische Eingebung, wie so oft dargestellt, sondern hatte ökonomische Hintergründe. Der lange wirtschaftliche Aufschwung integrierte wieder mehr Frauen in den Arbeitsprozess, wenn auch oft auf Teilzeitbasis, als „Zuverdienerinnen“. Die Pille und bessere Verhütungsmöglichkeiten machten Arbeits- und Familienleben besser planbar. Das erhöhte das Selbstbewusstsein von Frauen und beförderte ihre ideologische Loslösung vom patriarchalen Modell des „Familienernährers“.

Insgesamt nahm der Klassenkampf in den den folgenden zehn Jahren in der BRD stark zu. Nach einer Welle wilder Streiks im September 1969, vor allem in der Montan- und Stahlindustrie, aber auch im Öffentlichen Dienst, setzten die meisten der rund 200.000 Streikenden ihre Forderungen nach höheren Löhnen durch. Bis Ende des Jahres erhielten zudem etwa acht Millionen Beschäftigte „freiwillige“ Lohnerhöhungen, um weiteren Unruhen zuvor zu kommen. Kennzeichnend für die spätere Streikbewegung 1973 war, dass vor allem die am schlechtesten bezahlten Schichten – ausländische Arbeiter und Frauen – eine aktive Rolle in diesen Kämpfen spielten. Die Zunahme der MigrationsarbeiterInnen brachte auch andere und spontane Kampfformen in die Bewegung. Der große Arbeitskampf im Öffentlichen Dienst im Jahr 1974 brachte sogar die Regierung Brandt ins Wanken.

Die feministischen Hauptdiskussionen in Westdeutschland hingegen waren vor allem studentisch geprägt, allen voran durch den Aktionsrat zur Befreiung der Frauen Westberlin des Sozialistischen Deutschen Studentbund (SDS). Aber auch im Ostblock und der DDR bewirkte der Aufstand in Tschechien von 1968 eine Welle von Bürgerrechts-, Frauen- und Friedensbewegungen, die aufgrund der Repression keine großen Kongresse wie der SDS im Westen abhalten konnten, sondern sich in kleinen Zirkeln meist unter dem Schutz der evangelischen Kirche organisierten. Dem SDS gelang es im Westen stellenweise eine Verbindung zu Kämpfen von ArbeiterInnen zu ziehen, wie zum Beispiel beim großen Kitastreik 1969. Die Erzieherinnen forderten kleinere Gruppen, bessere Arbeitsbedingungen und mehr Stellen. Im Streik der koreanischen Krankenpflegerinnen 1977/78 für Aufenthaltsrecht und gegen Entlassungen und 1980 gegen Massenentlassungen bei Telefunken organisierten studentische FeministInnen Unterstützung. Sie griffen Themen wie die Organisation von Frauen, die Arbeit in den Gewerkschaften, Erwerbsarbeit und sexuelle Selbstbestimmung auf.

Die Diskussion wurde in unterschiedlichen Strömungen geführt. Ein Verdienst dieser Zeit ist die generelle Infragestellung von Autoritäten und die unermüdliche Arbeit der Wissenschaftlerinnen zur sozialen und Bildungsarbeit, geschlechtlicher Gewalt, Homosexualität, Kindererziehung, feministischer Medizin und die Arbeit der Aktivistinnen in unzähligen Frauenprojekten, Kinderläden, Netzwerken und in der Umwelt- und Friedensbewegung, an Zeitschriften, in der Kampagne gegen den §218 und der Mobilisierung und Bildung tausender von Frauen bei Kongressen und Akademien zu feministischen Themen. Diese formten auch ein Gegengewicht zu den starren Strukturen der Gewerkschaften und zu den alten formalistischen traditionellen Frauenverbänden. In der Neuen Linken wurde jedoch unkritisch die Frau in ihrer neuen Rolle als Sexobjekt á la Playboy Magazin übernommen und auch auf eigenen Publikationen so dargestellt, wogegen viele Frauen Sturm liefen. Sex ohne die Verpflichtung der Ehe wurde vor allem von Männern gefeiert und Frauen zum Kaffee kochen verdonnert. Kinderläden wurden hauptsächlich von Frauen organisiert. Vergewaltigung war ein Tabu-Thema. Mit diesen Rollenbildern und den Konsequenzen hatten viele Feministinnen dieser Zeit zu kämpfen und das hatte eine abschreckende Wirkung auf zahlreiche Frauen.

Vor allem der sozialistische Feminismus verband die Befreiung der Frau mit der Kapitalismuskritik, prägte den Begriff der gesellschaftlichen Reproduktionsarbeit und bot eine Brücke für soziale Bewegungen und betriebliche Kämpfe, während der bürgerliche Feminismus darüber diskutierte, ob es nicht generell keine Geschlechter gäbe oder die Befreiung über die individuelle Entwicklung erfolgen würde. Sie blieben damit genau wie ihre Vordenkerinnen aus der Wahlrechtsbewegung um die Jahrhundertwende dabei stehen, den Geschlechtern von vornherein unterschiedliche Fähigkeiten zuzuschreiben oder die Diskussion losgelöst von realen Verhältnissen auf einer rein abstrakten Ebene zu führen.

Ab den 80er Jahren integrierte sich die westdeutsche Frauenbewegung zunehmend in Kirchen, Gewerkschaften und Parteien. Die Grünen wurden gegründet und führten Frauenquoten ein. Das wurde 1988 auch von der SPD übernommen. Auf Seiten der CDU entstand der konservative Feminismus als neue Strömung und trat für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Teilhabe und Qualifikation ein. Frauen sollten selbstbewusst sein und sich durchsetzen, die F-Klasse oder das Alpha-Mädchen stehen als Typen dafür. Ein paar Fortschritte gab es in den Verwaltungen: Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte wurden in Gemeinden und Ämtern gewählt. Es gab auch überparteiliche Bündnisse. Gegen die sogenannten Leichtlohngruppen für Frauen wurde ein Erfolg beim Bundesarbeitsgericht 1981 erzielt, wo Angestellte der Firma Heinze geklagt hatten. Es gab breite Bündnisse gegen Betriebsschließungen und die bislang größte Demo von Frauen mit 30.000 Teilnehmenden am 18. September 1983. Prägende Themen in dieser Zeit waren außerdem Gewalt gegen Frauen und Pornografie. Es entwickelten sich mehrere neue Strömungen, die die Lebenslage und die Klassenfrage aufwarfen und kritisierten, dass das Rechtssystem, die Familie und die Politik nicht neutral sind, sondern alles der Festigung des patriachalen Herrschaftssystems dient. Leider blieb es hier bei theoretischen Diskursen.

Seit den 90er Jahren ist von der Geschlechterdemokratie die Rede, eigene Frauenparteien wurden gegründet. Es sollen bis heute auf diesem Weg demokratische Verhältnisse zwischen Frauen und Männern in der Gesellschaft insgesamt sowie konkret in Unternehmen und Organisationen mit Trainings und Quoten hergestellt werden. Die Bewegung gegen den § 218 gewann neuen Auftrieb, als nach dem Zusammenbruch des Stalinismus 1989/90 und der Angliederung der DDR an die BRD, das Abtreibungsverbot im Osten wieder eingeführt und die seit 1972 in der DDR bestehende Fristenlösung abgeschafft werden sollte. Die „Ostfrauen“ litten nach 1990 unter einem enormen Sterilisationsdruck, wenn sie Arbeit finden wollten. In den 90er Jahren gab es einige rechtliche Änderungen, die dem konservativen Feminismus mit dem Fokus auf Teilhabe von Frauen im Parlament Vorschub leisten: Die Gleichstellung in der Verfassung wird 1994 erwirkt, ein Jahr zuvor das Aufenthaltsrecht für Vergewaltigungsopfer verbessert, seit 1997 gilt die Vergewaltigung in der Ehe als Straftatbestand und nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz von 2001 gibt es heute die Ehe für alle. Das sind wichtige Schritte, wenn wir bedenken, dass das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 noch sagte, dass Frauen berechtigt sind „erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“ Die „natürliche Rolle“ der Frau wurde hier noch festgeschrieben und der Ansatz der „Befreiung durch Lohnarbeit“ in der DDR als „Gleichmacherei“ verschrien. Jedoch bleiben dies lediglich Schritte auf dem Papier, denn grundsätzlich wurde der Offensive des Neoliberalismus mit Deregulierung und Privatisierung seit den 90er Jahren nichts mehr entgegengesetzt, auch wenn die ersten globalisierungskritischen Stimmen auf Seiten der Frauenbewegung ertönten. Eine formale Gleichstellung nützt nichts, wenn auf der realen Ebene Brutalität vorherrscht und Frauen massenhaft in die Armut gedrängt werden. Wir müssen die Krise der Sozialsysteme und dieses Wirtschaftssystems ausbaden, indem wir eine Neuauflage der Heim-und-Herd-Ideologie nur mit dem Zusatz der sexuellen Verfügbarkeit erleben. Die Loslösung der Diskussion darüber, wie Diskriminierung entsteht, mit der Fokussierung auf die Einzelnen und der Übertragung der Probleme an Einzelne oder an die Opfer von Gewalt, wie es gerade mit den modern klingenden Begriffen „Identity Politics“ und „Definitionsmacht“ geschieht, bietet keinen Ansatz zur Überwindung von Ungleichheit. Sie bilden auch keinen Ansatz für reale Kämpfe, zum Beispiel für Arbeitsplätze und höhere Löhne, gute Kindergärten und Schulen, gegen § 218, gegen Gewalt, für soziale Einrichtungen und vieles mehr, was die Ausgangssituation für Frauen und Männer verbessern würde, mit Unterdrückung und Gewalt Schluss zu machen.

Clara Zetkin arbeitete in unzähligen Schriften heraus, warum die Befreiung der Arbeiterfrauen nur das Werk derer selbst im Bund mit den Arbeitern sein kann und nicht das Mitleid oder die Almosen bürgerlicher Frauen und Politiker eine dauerhafte Verbesserung für Frauen der unteren Einkommen und mittelloser Frauen herbeiführen wird. „Das ehrliche Empfinden für die Leiden der Arbeiterinnen, Arbeiterfrauen, des gesamten Proletariats paarte sich nicht mit der klaren Erkenntnis der letzten ausschlaggebenden Ursache der Leiden, die die Werktätigen peinigten. (…) Sie erblickten nicht hinter den beklagten widerspruchsvollen Vorgängen in der Welt der Arbeit die Gestalt des profitheischenden Kapitalisten. Der die bürgerliche Gesellschaft gestaltende und zerklüftende unversöhnliche Klassengegensatz von ausbeutender Bourgeoisie und ausgebeutetem Proletariat war ihnen ein fremder, unverstandener, häßlicher Begriff. So waren sie wohl bereit, den Arbeiterinnen zu »helfen«, aber sie verstanden nicht, daß es für diese nur eine wirksame Hilfe gab: ihre Organisierung gemeinsam mit den Klassengenossen zum Kampf gegen den Kapitalismus und seinen Staat, seine soziale Ordnung.“ (Kapitel 3 in diesem Buch)

Frauen erkannten schon zu Zeiten der Pariser Kommune, dass es keine Versöhnung mit dem Großkapital geben kann und kämpften an vorderster Front. Clara Zetkin führt mit dem vorliegenden Buch zur Geschichte der proletarischen Frauenbewegung durch die Höhepunkte und Niederlagen der Frauenbewegung bis nach der Jahrhundertwende. Sie zeigt anhand vieler Bespiele, dass es die Frauen waren, die am meisten unter der Peitsche der Ausbeutung zu leiden hatten. Weil sie es waren, die das Brot auf den Tisch bringen mussten, waren sie meist die ersten, die den Hunger und die Ungerechtigkeit beseitigen wollten und die Männer mit in die Kämpfe zogen. Die auf diese Art radikalisierten Frauen zogen meist schnell weitergehende Schlussfolgerungen und schlossen sich den Revolutionären an und forderten ihre völlige Gleichstellung und die Umorganisation der ganzen Gesellschaft.

Tausende von Frauen kämpften mehrfach in der Geschichte auch mit Waffen für die Verteidigung der Revolution und wurden genauso oft durch Verbote ihrer Organisationen und Erlass restriktiver Gesetze eigens für Frauen geknebelt und zurückgeworfen.

Clara Zetkin schrieb ihren Text voller Hoffnung, dass der Sieg der Revolution auch der Sieg der kommunistischen Frauenbewegung sein würde. Angesichts des ersten Arbeiterstaates, der mit der Sowjetunion nach der Oktoberrevolution 1917, gegründet wurde und der Verbesserungen für Frauen schien das naheliegend: volle Gleichberechtigung für Frauen gesetzlich verankert, ein umfassender Mutterschutz, das Recht auf Abtreibung und freie Eheschließung und Scheidung, Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe und eine Reihe von Einrichtungen zur Vergesellschaftung von Haus- und Pflegearbeit wie Kindergärten, Wäschereien und kostenloses Schulessen – nach dem Motto Trotzkis: „Um die Lebensbedingungen zu ändern, müssen wir lernen, sie mit den Augen der Frauen zu sehen.“ (Trotzki, Fragen des Alltagslebens 1924) Diese Errungenschaften konnten nicht verteidigt werden und der Stalinismus unterwarf Frauen erneut restriktiverer Gesetze und einer rückschrittlichen Ideologie, um die Herrschaft der Bürokratie abzusichern.

Heute – knapp neunzig Jahre nach Veröffentlichung des Buches von Clara Zetkin, mehr als 140 Jahre seit den ersten Erfahrungen von Selbstorganisation der Gesellschaft und von Frauen in der Pariser Kommune und einhundert Jahre nach den zarten Blüten der Frauenbefreiung und weitgehender gesellschaftlicher Maßnahmen in Sowjetrussland, mehr als achtzig Jahre nach den Kämpfen der Frauen im Spanischen Staat gegen die Franco-Diktatur, sind die drängenden Fragen der Menschheit noch nicht gelöst. Im Gegenteil, von sechzig Millionen Geflüchteten weltweit sind achtzig Prozent Frauen, deren Lebensgrundlage durch Unterdrückung, Ausbeutung, Krieg oder Umweltzerstörung vernichtet wurde.

Jedoch gibt es heute auch mehr Protest und größere Mobilisierungen von Frauen als zuvor. Frauen sagen und zeigen weltweit, dass sie nicht die humane Manövriermasse des Kapitals sind und sich nicht gestern in die Produktion schicken lassen und heute nach Hause. Weltweit beteiligen sich jedes Jahr Hunderttausende an Demonstrationen um den Frauentag im März, treten Hunderttausende für sexuelle Selbstbestimmung ein, kämpfen gegen Sexismus wie in Island und Gewalt wie in Indien und der Türkei. Zehntausende nehmen an Frauenstreiks gegen Angriffe auf Abtreibungsrechte wie im Spanischen Staat oder Polen teil. Im Januar 2017 waren bis zu vier Millionen Frauen weltweit aus Protest gegen Trumps Sexismus auf der Straße. Sie zeigen, dass es der Kapitalismus noch nicht geschafft hat, jegliches Selbstbewusstsein von Frauen zu vernichten und dass er an seinen inneren Widersprüchen zusammenbrechen wird.

Alexandra Arnsburg, Mitglied im ver.di Landesbezirksvorstand Berlin-Brandenburg und seit kurzem im ver.di Bezirksfrauenrat Berlin