Sahra Wagenknechts „Sammlungsbewegung“ geht online
Vorbemerkung: Unter www.aufstehen.de hat die lange angekündigte Sammlungsbewegung von Sahra Wagenknecht einen Internet-Auftritt gestartet. Tatsächlich an die Öffentlichkeit geht die LINKE-Fraktionsvorsitzende im Bundestag aber erst am 4. September mit dem Projekt, dem sich bisher angeblich vierzig Prominente angeschlossen haben. Dann sollen die Namen und auch ein Gründungsaufruf veröffentlicht werden. In den Medien wird berichtet, dass dieser im Vergleich zu dem im Juni bekannt gewordenen Text entschärft worden sein soll in Fragen der Migrationspolitik. Wir veröffentlichen hier einen Artikel vom 22. Juni, der sich mit dem damals bekannt gewordenen Textentwurf und dem Projekt grundsätzlich auseinander setzt. Weitere Analysen werden auf sozialismus.info folgen.
Weder Bewegung, noch wirklich links
So ganz ist die Katze immer noch nicht aus dem Sack. Aber mit dem im Mai an die Öffentlichkeit gelangten Entwurf eines Selbstverständnistextes der Sammlungsbewegung von Sahra Wagenknecht und der Ankündigung des SPD-Veteranen Rudolf Dressler, das Projekt zu unterstützen, gibt es nun eine greifbarere Vorstellung, wohin die Reise gehen soll. DIE LINKE sollte sich nicht auf diesen Weg begeben – aus vielen Gründen.
Von Sascha Stanicić, Berlin
Seit Monaten redet Sahra Wagenknecht von der Notwendigkeit einer linken Sammlungsbewegung. Der Text zeigt, worauf wir seit Monaten hinweisen: in diesem Projekt steckt keine Bewegung und es ist kein Schritt nach links, sondern nach rechts.
Top-Down
Es gibt international eine Reihe von linken politischen Projekten, die immer wieder als Beispiel für die viel beschworene linke Sammlungsbewegung herhalten müssen: La France Insoumise in Frankreich, Momentum in Großbritannien, Podemos in Spanien, die Bewegung um die Kandidatur von Bernie Sanders in den USA. Wagenknechts Initiative hat damit wenig zu tun. Diese Projekte erwuchsen aus massenhaften Basisbewegungen und/oder sie hatten sehr konkrete Ziele, die Massen mobilisierten. Das deutsche Projekt ist eine Kopfgeburt ohne Bewegung, ein Top-Down-Projekt, dass sich nicht an Linke in Bewegungen wendet, sondern an Prominente und BerufspolitikerInnen. Es beginnt nicht mit einer breiten Debatte von unten, zu der Aktive aus Gewerkschaften, Mieterkämpfen, antirassistischer Bewegung, Frauenbewegung etc. eingeladen würden, sondern an seinem Anfang steht das Ergebnis in Form einer programmatischen Erklärung, die von Einzelpersonen unterschrieben werden wird. Das mag zu medialer Resonanz führen, aber nicht zu Begeisterung unter den vielen tausend, die sich vor Ort, im Betrieb oder an der Hochschule täglich für linke Politik engagieren. Da der Text auch mit keinem Wort zur Selbstorganisation, zum aktiven Protest, Streik oder gar Klassenkampf aufruft, zeigt er nicht nur keinen Weg zu gesellschaftlicher Veränderung auf – er sagt auch viel über das Politikverständnis der AutorInnen: Stellvertreterpolitik statt Selbstermächtigung der Betroffenen.
Schritt nach rechts
Der politische Inhalt ist stocksozialdemokratisch und ausgehend von der Programmatik der Linkspartei ein Schritt nach rechts. Der Text verkennt völlig den Zustand der kapitalistischen Weltökonomie und vertritt die Illusion, dass Neoliberalismus und kapitalistische Globalisierung ausschließlich Folge politischer Fehlentscheidungen sind und nicht vielmehr Ausdruck der Profitabilitätskrise des kapitalistischen Systems. Es ist ein geradezu naiver Appell für ein Zurück zu den guten alten Zeiten sozialdemokratischer Reformpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg. Der systemverändernde Anspruch der LINKEN wird mal eben über Bord geworfen.
DIE LINKE wird mit keinem Wort erwähnt, aber von „den Parteien“ gesprochen, die gezwungen werden sollen „unseren Interessen Rechnung zu tragen“. Deutlicher kann man die über 60.000 LINKE-Mitglieder nicht übergehen und zum Ausdruck bringen, dass ihre (relativ) demokratischen Parteistrukturen bei der Gestaltung der geplanten “Sammlungsbewegung” keine Rolle spielen werden – was nicht überrascht, denn für Sahra Wagenknecht spielen Gremien und Basis der Linkspartei schon lange keine Rolle mehr in der Festlegung ihrer politischen Arbeit.
National beschränkt
Natürlich ist vieles richtig an dem Aufruf. Die Beschreibung der gesellschaftlichen Zustände sind es weitgehend, die sozialpolitischen Forderungen auch, nur sind diese wenig konkret und gehen nicht weit genug, um anschlussfähig für SozialdemokratInnen zu sein.
Spannend wird es dann beim Thema Migration und Nationalstaat. Während die AfD mit keinem Wort erwähnt wird, werden „Hassprediger eines radikalen Islam“ erwähnt, die das gesellschaftliche Klima vergiften. Anstatt darauf hinzuweisen, dass bei einer Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums genug Geld da wäre, um Einheimischen und MigrantInnen ein auskömmliches Leben zu sichern, einschließlich gut bezahlter Arbeitsplätze, günstigem Wohnraum, Kita-Plätzen und Bildungszugang, wird betont, dass die Einwanderung von Geflüchteten die Konkurrenz um diese Dinge anheizt. Das spaltet da, wo die gemeinsamen Interessen von Lohnabhängigen und sozial Benachteiligten betont werden sollten. Wenn dann als Forderung nur das Asylrecht für Verfolgte unterstützt wird und die Lösung der Flüchtlingsfrage ausschließlich in deren Herkunftsländer verlegt wird, dann ist diese Logik recht kompatibel mit rechten Argumentationen und weit entfernt davon wichtige Prinzipien linker Politik zu verkörpern: Internationalismus und die Einheit aller von den sozialen Problemen Betroffenen unabhängig von Nationalität und Herkunft.
Aussichten
Es ist nicht zu erwarten, dass ein solch uninspiriertes Top-Down-Projekt in breiteren Teilen der Arbeiterklasse und der Jugend Begeisterung auslöst. Wahrscheinlich wird es bis zum Jahresende nicht mehr sein als eine Unterschriftenliste und ein Banner unter dem die eine oder andere größere Veranstaltung durchgeführt werden wird. Passive Unterstützung in Form von guten Werten bei Meinungsumfragen sind aber nicht auszuschließen. Eine Bewegung im eigentlichen Sinne des Wortes, mit lokalen Basisstrukturen, lebendiger Debatte und Eingreifen in gesellschaftliche Auseinandersetzungen vor Ort und im Betrieb wird diese Initiative sicher nicht. Aber: das ist wohl auch gar nicht das Ziel der InitiatorInnen. Ziel ist es, den Boden zu bereiten, um in der LINKEN auf breiter Front offene Wahllisten durchzusetzen auf denen dann Prominente kandidieren sollen, die nicht Mitglieder der Partei sind und dementsprechend auch der Basis gegenüber nicht rechenschaftspflichtig sind. Und die natürlich die Politik Sahra Wagenknechts unterstützen. Deshalb ist diese Art der Sammlungsbewegung ein potenziell zerstörerisches Projekt für DIE LINKE.