Schwere Bedingungen für Gewerkschaften
Die Wahl des Socialist Party-Mitglieds Amy Murphy zur Präsidentin der Gewerkschaft der Einzelhandelsbeschäftigten USDAW im Februar diesen Jahres hat viele in der britischen Gewerkschaftsbewegung überrascht. Immerhin war die USDAW jahrzehntelang unter der Kontrolle des rechten Gewerkschafts-
flügels.
Von Rob Williams, London
Die USDAW-Führung war ein Beispiel für die schlimmste Form der Sozialpartnerschaft mit den Bossen der großen Supermarktketten. Innerhalb des Gewerkschaftsdachverbands TUC agierte die USDAW-Führung als Blockade gegen Versuche, verallgemeinerte Streikaktionen gegen Kürzungspolitik durchzusetzen. Nun fand im Juni der erste Streik der USDAW seit sieben Jahren statt – von ArbeiterInnen der Supermarktkette TESCO in London.
Die Wahl von Amy Murphy ist ein kleiner Hinweis auf die unter der Oberfläche existierende Unzufriedenheit in der Arbeiterklasse. Obwohl die Anzahl von Streiks weiterhin auf einem historisch niedrigen Niveau liegt, hat es in den letzten zwei Jahren einen kleinen, aber wichtigen Anstieg von Arbeiterprotesten gegeben. Trotzdem war die konservative Regierung in der Lage im letzten Jahr die ohnehin schon undemokratischen Anti-Gewerkschaftsgesetze weiter zu verschärfen.
Neue Gesetze
Viele der rechten GewerkschaftsführerInnen und auch einige auf der Linken haben die pessimistische Schlussfolgerung gezogen, dass die neu eingeführten Regeln bei Urabstimmungen es verhindern werden, dass landesweite Streikabstimmungen gewonnen werden können. Die selben FührerInnen haben aber praktisch nichts unternommen, um dieses neue Gesetz zu verhindern.
Die Streiks, die stattgefunden haben, fanden vor allem auf betrieblicher und lokaler Ebene statt und hatten zum Ziel, den sinkenden Lebensstandard etwas entgegenzusetzen – das Durchschnittseinkommen britischer ArbeiterInnen ist im letzten Jahrzehnt um fünfzehn Prozent gefallen.
Streiks bei der Bahn
Es gibt außerdem Aktionen der Eisenbahnergewerkschaften, vor allem der RMT, gegen den Abbau von Sicherheitspersonal, der zum Verlust tausender Arbeitsplätze führen könnte und einen Angriff auf eine der kämpferischsten Gewerkschaften darstellt. Diese Auseinandersetzung läuft schon über zwei Jahre in fünf verschiedenen Eisenbahngesellschaften.
Und es gab erfolgreiche landesweite Urabstimmungen für Streiks. Die Beschäftigten der Post (Royal Mail) waren die ersten, die die neuen Hürden schafften und die Zustimmung war so überwältigend, dass die Arbeitgeber ein Angebot machen mussten, was eine Verkürzung der Arbeitszeit um zwei Stunden vorsah und von den KollegInnen angenommen wurde.
Nach einem zweiwöchigen Streik haben UniversitätsdozentInnen es geschafft, ihre Rentenansprüche gegen Angriffe der Arbeitgeber zu verteidigen. Im Verlauf dieser Auseinandersetzung wollte die Gewerkschaftsführung einen Kompromiss abschließen, was zu einer Explosion des Unmuts unter den Mitgliedern führte. Hunderte versammelten sich vor dem Gewerkschaftssitz und große Streikversammlungen lehnten das Angebot ab, was dazu führte, dass der Kampf fortgesetzt wurde und die Arbeitgeber letztlich nachgaben.
Das neue Gesetz hat scheinbar die ungewollte Wirkung, dass Streiks mit einer höheren Intensität geführt werden, weil die ArbeiterInnen nach sechs Monaten eine neuerliche Urabstimmung durchführen müssen. Das führt dazu, dass Streiks schneller eskaliert werden müssen, statt der bisher oft angewendeten Praxis von nur eintägigen Streiks über einen längeren Zeitraum.
NSSN
Mitglieder der Socialist Party und des Nationalen Vertrauensleute-Netzwerks (NSSN) haben in vielen dieser Arbeitskämpfe eine wichtige Rolle gespielt, entweder direkt oder durch Solidaritätsarbeit.
Gleichzeitig scheint es nicht zu einer landesweiten koordinierten Streikbewegung für bessere Bezahlung im öffentlichen Dienst zu kommen, weil in verschiedenen Kommunen und dem Nationalen Gesundheitswesen (NHS) Abschlüsse erzielt wurden. Dafür ist vor allem die Führung der größten Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes, UNISON, verantwortlich. Diese wird durch eine neue Vernetzung der Gewerkschaftslinken, UnisonAction, herausgefordert, an der sich Mitglieder der Socialist Party beteiligen.
Die Schwäche der Tory-Regierung ist aber auch ein Faktor. Nach dem unerwartet guten Abschneiden von Labour aufgrund von Jeremy Corbyns radikalem Anti-Kürzungs-Wahlprogramm bei den letzten Wahlen, hängt die Regierung am seidenen Faden und wird nur durch ein Bündnis mit der Democratic Unionist Party aus Nordirland aufrecht erhalten. Ergebnis davon ist, dass sie dazu gezwungen war, Lohnerhöhungen über der seit acht Jahren bestehenden Grenze von einem Prozent zuzugestehen.
Die Gewerkschaft der Staatsangestellten, PCS, plant nun landesweite Streiks gegen das Einfrieren von Löhnen. Am 12. Mai fand nun auch endlich eine Demonstration des TUC statt, nachdem kämpferische Gewerkschaften und Gruppen wie das NSSN dafür Druck gemacht hatten. Eine solche Demo hätte aber schon vor einem halben Jahr stattfinden sollen, um das Selbstbewusstsein der KollegInnen im öffentlichen Dienst zu stärken. Es ist daher die Verantwortung der Gewerkschaftsführung, dass die Demonstration mit einer Beteiligung von 30.000 deutlich kleiner ausfiel als die große Anti-Kürzungs-Demonstration von 750.000 im Jahr 2011. Aber die PCS konnte die Demonstration trotzdem nutzen, um für die Streik-Urabstimmung zu mobilisieren. Auch die Lehrergewerkschaft NEU plant eine Streikabstimmung im Herbst und Schichten von jungen, prekarisiert Beschäftigten, wie bei McDonald’s, haben sich der Gewerkschaft angeschlossen und begonnen zu kämpfen..
Das Potenzial für große Bewegungen, die die krisengeschüttelte Tory-Regierung herausfordern könnten, ist da. Trotz ihres Mitgliederrückgangs haben die Gewerkschaften immer noch sechs Millionen Mitglieder und große potenzielle Macht. Diese kann eingesetzt werden, wenn eine kämpferische Führung sich mit der Basis verbindet und diese mobilisiert. Dieser Aufgabe stellen sich Gewerkschaftslinke in der aktuellen instabilen Lage.