Asylkompromiss von CDU und CSU markiert weiteren Rechtsruck
Und plötzlich sind alle zufrieden. Nach wochenlangem Streit zwischen CDU und CSU über die Frage, wie AsylbewerberInnen am effektivsten zurückgewiesen werden können, traten VertreterInnen beider Lager vor die Kameras und verkündeten, dass sie ihre jeweiligen Ziele erreicht haben. Seehofer verkündet den Rücktritt vom Rücktritt und bleibt als Innen- und Heimatminister im Amt. Die große Mehrheit der Bevölkerung schüttelt über dieses Schauspiel den Kopf und wird sich darin bestätigt fühlen, dass es den PolitikerInnen vor allem um ihren Machterhalt geht. Schließlich ist das Treiben von Seehofer und seiner CSU nur mit den im Oktober anstehenden Landtagswahlen in Bayern – und der Angst vor dem Verlust ihrer Dominanz über den Freistaat – zu erklären.
Von Sascha Staničić
Während Wohnungsnot und Mietexplosion, Niedriglöhne und unsichere Arbeitsverhältnisse, Pflegenotstand und Altersarmut, Klimawandel und Atomenergie drängende und größer werdende Probleme für die Mehrheit der Bevölkerung sind, beschäftigt sich die Bundesregierung mit einem konstruierten Problem und verschärft damit ein anderes: den wachsenden Rassismus – sowohl in seiner staatlichen und gegen die Rechte der Geflüchteten gerichteten Form als auch im Sinne der Schaffung einer gesellschaftlichen Atmosphäre, die sich mehr und mehr gegen Geflüchtete und MigrantInnen richtet. Heribert Prantl, Journalist der Süddeutschen Zeitung, nennt die Kampagne gegen das Asylrecht treffend das „Erbärmlichste“, was er in der deutschen Innenpolitik je erlebt hat.
Die so genannte Einigung zwischen CDU und CSU sieht die Schaffung von „Transitzentren“ vor, die an den deutschen Grenzen geschaffen werden sollen, um Geflüchtete, die schon in einem anderen EU-Land als AsylbewerberInnen registriert wurden, die Einreise in die Bundesrepublik zu verweigern, sie zu internieren und schnellstmöglich wieder außer Landes zu schaffen. Dabei handelt es sich um einen groben Akt der Unmenschlichkeit. Nennen wir die Dinge beim Namen: im Land der Richter und Henker werden 73 Jahre nach dem Ende des dunkelsten Kapitels der Menschheitsgeschichte wieder Internierungslager gebaut.
Die Einigung von Merkel und Seehofer führt dabei einen Begriff ein, der die Menschenverachtung bürgerlicher Politik zum Ausdruck bringt. Es ist die Rede von „Zurückweisung auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise“. Bedeutet: Menschen reisen ganz real in die Bundesrepublik ein, die Herrschenden machen daraus aber eine „Nichteinreise“ und geben auch noch zu, dass das eine Fiktion, also schlicht und ergreifend gelogen, ist.
Die eigentliche Fiktion ist in der ganzen Geschichte aber die Einigung der Regierungsparteien selbst. Denn das, was da aufs Papier gebracht wurde, wird in der Realität kaum Bestand haben können. Eine Abschiebung direkt nach Grenzübertritt, denn nichts anderes wäre eine „Zurückweisung“ von AsylbewerberInnen, die schon in einem anderen EU-Land registriert wurden, ist rechtlich nur in solche Länder möglich, die dem zustimmen. Beim kürzlichen EU-Gipfel wurden entsprechende bilaterale Abkommen mit Spanien und Griechenland geschlossen (nebenbei gesagt ist es eine Schande, dass ausgerechnet die griechische Syriza-Regierung hier zu Erfüllungsgehilfin Horst Seehofers wird), nicht aber mit Italien, dem Land, in dem die meisten Geflüchteten EU-Boden betreten. Die Einigung zwischen CDU und CSU sagt nun, dass mit Österreich ein Abkommen getroffen werden soll, das eine Zurückweisung in die Alpenrepublik ermöglichen soll. Wenig überraschend hat der österreichische Kanzler der ÖVP-FPÖ-Koalition, Sebastian Kurz, schon erklärt, dass er nicht vor hat irgendwelche Abkommen zu tätigen, die „zu Lasten Österreichs gehen werden“.
Schon die Ergebnisse des EU-Gipfels in der letzten Woche entsprachen mehr einer „Wünsch-dir-was“-Liste als belastbarer Vereinbarungen. Die Verteilung von in Italien ankommenden Geflüchteten auf andere Länder der Europäischen Union – eine zentrale Forderung der italienischen Rechtsregierung – soll beispielsweise auf freiwilliger Basis der Mitgliedsstaaten geschehen. Die letzten Jahre haben ausreichend gezeigt, wie gering die Aufnahmebereitschaft der Regierungen in diesen Staaten ausgeprägt ist.
Was bleibt ist aber eine drastische Rechtsverschiebung der Asylpolitik in Deutschland und der EU. Von dem berühmten Merkelschen Satz „Wir schaffen das“ und der viel gepriesenen Willkommenskultur kann (schon lange) keine Rede mehr sein. Oberstes Ziel ist einmütig die Abschottung der EU-Außengrenzen – mittels der Schaffung von Flüchtlingslagern in Nordafrika und des weiteren Ausbaus von FRONTEX. Und das zu einer Zeit, in der die Zahl der im Mittelmeer ertrunkenen Geflüchteten drastisch angestiegen ist. Geflüchtete werden zum Problem erklärt, dabei fliehen sie nur vor den wirklichen Problemen in ihren Heimatländern, die von den Banken, Konzernen und Regierungen Deutschlands, der EU-Staaten und der kapitalistischen Wirtschaftsordnung verursacht werden.
Wer aber glaubt, die Regierungskrise sei mit dieser Einigung beendet, der täuscht sich. Die letzten Wochen haben offenbart, wie tief der Riss zwischen CDU und CSU geht. Wir haben darauf hingewiesen, dass ein ähnlicher Konflikt durch die CDU selbst geht, auch wenn dieser in den letzten Wochen kaum offen ausgetragen wurde (siehe dazu unser Artikel hier) und erklärt, dass es nicht nur, und nicht einmal in erster Linie, um die Frage des Asylrechts geht, sondern vor allem um die Frage des Verhältnisses von Deutschland zur EU und der zukünftigen Strategie der herrschenden Politik insgesamt.
In einem Kommentar auf SPIEGEL Online wurde die CDU-CSU-Einigung als eine dreifache Verschiebung des Problems bezeichnet: erstens nach Österreich, zweitens zur SPD und drittens (bezogen auf den Konflikt zwischen CDU und CSU) in die Zukunft. Ob Österreich mitmacht ist, wie gesagt, mehr als fraglich. Das trifft auf die SozialdemokratInnen weniger zu. Andrea Nahles und Olaf Scholz haben schon Zustimmungsbereitschaft signalisiert. Vergessen scheint die Ablehnung der SPD von solchen „Transitzentren“ (damals nannte man sie „Transitzonen“) im Jahr 2015. Wer sich mit der Geschichte der SPD seit 1914 etwas auskennt, wird sich nicht darüber wundern, dass diese Partei jeden Grundsatz aufgibt, wenn es darum geht die Stabilität der herrschenden politischen Verhältnisse im kapitalistischen Deutschland nicht zu gefährden.
So wird die SPD für den Moment die Große Koalition und damit auch Merkel und Seehofer retten. Wahrscheinlich bis zur Wahl in Bayern, die ebenso wahrscheinlich in einem Desaster für die CSU enden wird. Aber diese Koalition ist todgeweiht und wird kaum die Legislaturperiode überstehen können. Zu sehr gehen die Vorstellungen auseinander, was sich spätestens beim Europawahlkampf verstärkt bemerkbar machen wird, wenn die AfD die rechts-nationalistischen Kräfte in CDU und CSU wieder vor sich her treiben wird bzw. wenn sich herausstellt, dass die so genannte Einigung kaum in die Realität umzusetzen ist. Zu zerrüttet ist das persönliche Verhältnis zwischen Seehofer und Merkel, was kein unbedeutender Faktor ist. Zu sehr treibt die Legitimationskrise des politischen Establishments einige Teile der Koalition dazu, sich populistisch zu profilieren. Aber vor allem verliert die Regierung mehr und mehr ihre Basis, weil ihre Politik gegen die Interessen der Bevölkerungsmehrheit gerichtet ist. Und das wird sich verstärken, sollten sich die aktuellen Anzeichen eines Konjunkturabschwungs bestätigen und zu einer Phase der Stagnation oder Rezession ausweiten. Spätestens dann stehen wieder Angriffe auf Lebensstandard und Rechte von Lohnabhängigen auf der Tagesordnung und wahrscheinlich sogar Arbeitsplatzabbau und Betriebsschließungen in größerem Stil. Eine solche Entwicklung würde der Regierung mit ziemlicher Sicherheit den Todesstoß versetzen.
Und was tut DIE LINKE? Man ist schon fast erleichtert, dass Sahra Wagenknecht den Streit der Koalitionspartner nicht dazu genutzt hat, ihre Vorstellungen von Restriktionen der Einwanderung zu propagieren und sowohl die Partei- als auch Fraktionsspitze die Abmachungen des EU-Gipfels und zwischen CDU und CSU rundweg zurückweisen. Das ist gut, aber nicht gut genug. Denn die Statements der Partei-, vor allem aber der Fraktionsspitze sind viel zu staatstragend (weil sie die Regierungsunfähigkeit der Großen Koalition geradezu bedauern), nicht offensiv genug und stellen die Frage der Asylpolitik nicht ausreichend auf einen Klassenstandpunkt. Natürlich müssen Transitzentren und Abschottung der Außengrenzen Europas aus humanistischen Erwägungen abgelehnt werden. Letztlich handelt es sich bei solchen Entscheidungen um Todesurteile für Abertausende Geflüchtete. Aber eine sozialistische Partei muss die Klasseninteressen hinter einer solchen Politik darlegen, den staatlichen Rassismus beim Namen nennen und erklären, dass dieser die Funktion hat, von den eigentlichen sozialen Problemen und ihren VerursacherInnen abzulenken und die Betroffenen – Lohnabhängige, Erwerbslose, RentnerInnen, Jugendliche – zu spalten und vom gemeinsamen Kampf abzulenken. Genau diesen gemeinsamen Kampf für soziale Verbesserungen für alle – unabhängig von Nationalität, Hautfarbe und Religionszugehörigkeit – sollte DIE LINKE propagieren und entsprechend ihrer Möglichkeiten voran treiben.
Dies ist umso dringender, weil wir gerade Zeuge eine erheblichen Rechtsverschiebung der herrschenden Politik werden. Diese vollzieht sich in der Bundesrepublik noch nicht massiv auf sozialem Gebiet, sondern geschieht in Bezug auf Rassismus, staatliche Repression und Abbau demokratischer Rechte und Aufrüstung. Diese Bereiche sind miteinander verbunden. Die Transitzentren werden in Zeiten geschaffen, in denen die Bundeswehr massiv aufgerüstet und die internationalen Konflikte um Macht, Märkte und Einflusszonen zunehmen, in Zeiten, in denen dem Staat durch neue Polizeigesetze bisher ungeahnte Möglichkeiten geboten werden, unliebsame BürgerInnen aus dem Verkehr zu ziehen. Die Transitzentren schaffen auch eine staatliche Infrastruktur für die Internierung großer Menschenmengen. Etwas womit sich die herrschende Klasse Deutschlands ja auskennt und was sie heute gegen Geflüchtete anwendet, in Zukunft aber in Zeiten sozialer Unruhen gegen revoltierende Jugendliche und ArbeiterInnen zur Anwendung bringen kann.