Von kämpferischen Belegschaften, Zugeständnissen und gebrochenen Versprechen
In mehreren Bereichen des Öffentlichen Dienstes kämpfen Beschäftigte erbittert für eine gerechte Bezahlung und bessere Bedingungen. Im Koalitionsvertrag des Rot-Rot-Grünen Senats wurde den Tochtergesellschaften eine Angleichung an TVÖD und den studentischen Beschäftigten eine substantielle Erhöhung versprochen – trotz größeren Zugeständnissen ist daraus nichts geworden. Dagegen muss weiter gemeinsam vorgegangen werden.
von Michael Koschitzki, Berlin
Ganze 51 Tage streikten die Beschäftigten der Vivantes Service GmbH (VSG) im April und Mai 2018 am Stück. Über die VSG wurde Lohndumping bei Reinigung, Bettentransport, Sterilisation und anderen Dienstleistungen betrieben. Während 600 Beschäftigte noch den alten Lohn nach TVÖD erhielten, bekamen 300 Neueingestellte nur Niedriglöhne. Seit Jahren kämpften die Beschäftigten gegen die Folgen der Ausgründung und forderten Rekommunalisierung. Ihnen ging es damit genauso wie ihren KollegInnen der Charité Facility Management (CFM), mit denen sie sich teilweise gemeinsam wehrten und Streiks durchführten.
Als im Jahr 2016 das Abgeordnetenhaus gewählt wurde und der Rot-Rot-Grüne Senat übernahm, keimte die Hoffnung auf, ihre Forderungen könnten schnell erfüllt werden. Schließlich hieß es im Koalitionsvertrag: „Sie [die Koalition] setzt sich zudem dafür ein, dass auch für Landesunternehmen und ihre Tochterunternehmen, die bisher noch nicht tarifgebunden sind, zügig mit dem Ziel der Beschäftigungssicherung und der Angleichung an den TVöD Tarifverträge abgeschlossen werden.“
Hoffnung regte sich auch bei den studentischen Beschäftigten der Berliner Universitäten. Die TutorInnen, wissenschaftliche Hilfs- und Verwaltungskräfte hatten zwar einen Tarifvertrag, aber seit 2001 keine Lohnerhöhung mehr bekommen. Im Koalitionsvertrag hieß es dazu: „Die Koalition wird den bundesweit einzigartigen studentischen Tarifvertrag erhalten und ausbauen. Die Entwicklung der Entgelte für studentische Beschäftigte soll mindestens der Entwicklung der realen Lebenshaltungskosten entsprechen.“
Blockade der Arbeitgeber
Doch die Arbeitgeber wollten in allen drei Fällen nichts davon wissen und schienen auch keine ernsthaften Konsequenzen dafür fürchten zu müssen. Als erstes begannen die KollegInnen der CFM wieder Streiks aufzunehmen. Ihnen wurde entgegnet, man könne über Angleichung erst reden, wenn die privaten Anteilseigner 2019 aus der CFM aussteigen und sie wieder vollständig in öffentlicher Hand ist. Bei der VSG, die in öffentlicher Hand ist, wurde gesagt, man wolle nicht über Angleichung reden. Den studentischen Beschäftigten wurden „Angebote“ vorgelegt, die sie nur als Provokation verstehen konnten. Knackpunkt ist, dass ihnen die Kopplung an den Tarifvertrag der Länder verweigert wird.
Nur über Arbeitskämpfe wurden Arbeitgeber und die Landesregierung stetig an die Versprechen erinnert. Zusätzlich tauchten VSG-KollegInnen überall da auf, wo der Regierende Bürgermeister auftrat. Unzählige Streiks fanden unter erschwerten Bedingungen statt, da gegen die Gewerkschaften hart vorgegangen wurde und aufgrund von unterschiedlicher Bezahlung (Altverträge und Neueingestellte) und niedrigem Organisationsgrad nur eine Minderheit der KollegInnen der Tochterunternehmen streikte. Gemeinsame Streiks der Krankenhaustöchter wurden laut Aussage von KollegInnen auch von der ver.di Bundesspitze erschwert und fanden nur punktuell statt.
Die 51 Tage Kampf der VSG zehrten enorm an den Kräften der KollegInnen. Aber sie zogen von Krankenhaus zu Krankenhaus und von Platz zu Platz, um auf ihre Forderungen aufmerksam zu machen. Besonderen Druck übte zuletzt aus, dass es gelang, OP-Pflegekräfte für Solidaritätsstreiks aufzurufen. Das traf die ohnehin betroffene OP-Versorgung schmerzhaft.
Zugeständnisse
Die studentischen Beschäftigten befinden sich derzeit noch in der vollen Auseinandersetzung und riefen Anfang Juni den MEGASTREIK für zwei Wochen aus, der bereits um eine Woche verlängert wurde. Sie fordern unter anderem eine Lohnerhöhung auf 14 Euro die Stunde und Angleichung an bundesweite Steigerungen. Bei den Krankenhäusern hat es mittlerweile Zugeständnisse gegeben.
Der CFM wurde bereits im März 2018 eine Einigung angeboten. Die Geschäftsführung war bereit, die Bezahlung auf 11 Euro Grundlohn anzuheben. Als sie dieses Lohnniveau zuvor bis 2021 festschreiben wollten, wiesen die KollegInnen es empört zurück. Nachdem sie bereit waren, diesen Grundlohn sicher bis 2019 zu tarifieren, stimmte die Belegschaft zu, das als Zwischenerfolg in Form eines Konsenspapiers zu sichern. Der gewünschte Tarifvertrag ist es noch nicht. Die ver.di Betriebsgruppen Aktivistin Kati Ziemer erklärte sozialismus.info gegenüber: „Die Verkürzung der Laufzeit bis zum 30. Juni 2019, also auf 19 Monate, traf die Akzeptanz der Kolleginnen und Kollegen. Die greifbare Aussicht auf das Ende der Laufzeit ist der Beginn des nächsten Tarifvertrages für die CFM. Dann unter veränderten Bedingungen. Bis dahin ist die CFM eine 100%ige Tochter der Charité, die privaten Anteilseigner sind nicht mehr Verhandlungspartner und können dann keinen Einfluss auf mehr den Tarifabschluss nehmen. Auch das ist ein Sieg, den die Kolleginnen und Kollegen mit den vielen Unterstützerinnen und Unterstützern erreicht haben. Der Weg bis dorthin wird nicht einfach.[…] Wir erwarten vor allem von der Politik die Umsetzung der im Koalitionsvertag geforderten Lohnerhöhung. Unsere Aufgabe ist es, den Druck auf den Arbeitgeber und die Politik aufrecht zu erhalten. Das Thema muss unter den Kollegen weiter diskutiert werden, wir brauchen weiterhin mehr organisierte Kolleginnen und Kollegen in ver.di. Nur dann können wir die Forderung nach dem TVÖD durchsetzen. Es gibt keine Verschnaufpause.“
Ende Mai führte der Druck auch zu einem Ergebnis bei der VSG. Die neu eingestellten KollegInnen erhielten Lohnerhöhungen von 70 und 60 Euro oder 2,1 und 3,5 Prozent je nach Lohngruppe. MitarbeiterInnen der Sterilisation wurden höhergruppiert. Es wurden zudem Verbesserungen beim Mantel angeboten. Auch wenn es sich um ein substantielles Zugeständnis handelt, das bei rund 90 Prozent des Tarifniveaus des TVÖDs liegt, ist es nicht die Umsetzung des Versprechens. Noch immer wird bei der VSG Lohndumping betrieben – noch immer begeht eine öffentliche Tochter Tarifflucht. Und das in einer Zeit wo durch Beschwerde des Landesrechnungshofes bekannt wurde, dass den Managern des Mutterkonzerns Vivantes substantielle Zusatzboni gezahlt wurden.
#BerlinBrennt
Zugeständnisse gab es auch bei der Feuerwehr, die mit einer Mahnwache vor dem Roten Rathaus begannen und danach unter dem Titel #BerlinBrennt eine Welle des Protestes lostraten. Alle Feuerwehrwachen solidarisierten sich. In einer Facebook-Gruppe kamen 45.000 Leute zusammen, es gab Solidaritätserklärungen aus der ganzen Bundesrepublik und zahlreichen -ländern. Die Feuerwehrleute schlossen sich auch der Demonstration von Pflegebeschäftigten an und führten eigene Aktionen durch.
Die Mahnwache am Roten Rathaus wurde beendet nachdem ihnen in Gesprächen mit den Gewerkschaften eine Arbeitszeitverkürzung von 48 auf 44 Stunden pro Woche, die Auszahlung von bis zu 480 Überstunden pro Person und eine Lohnerhöhung von 133,75 Euro angeboten wurde. Die Begeisterung darüber ist bei vielen Feuerwehrleuten eher verhalten. Dass einem bezahlt wird, was man auch erarbeitet hat, empfanden viele eher als Selbstverständlichkeit. Und damit sich die Arbeitsbelastung real reduziert und nicht nur auf dem Papier, ist mehr nötig. Wenn nicht mehr Personal eingestellt wird, häufen sich weiter Überstunden an und die Bereitschaftszeiten sind volle Arbeitseinsätze. Den KollegInnen ging es darum, einen völlig überlasteten Bereich grundlegend mit mehr Personal und durch mehr Investitionen so auszustatten, dass die Arbeit wieder bewältigbar wird und die Stadt für ihre BewohnerInnen sicher ist.
Soziale Offensive nötig
Doch der Berliner Senat will sich Ruhe erkaufen, statt wirklich in die soziale Infrastruktur zu investieren oder gerechte Löhne zu zahlen. Für ein paar Zugeständnisse machen sie ein paar Millionen Euro locker, aber tun nicht, was nötig ist. Das hat auch damit zu tun, dass sie von den Protesten Nachahmungseffekte befürchten. Hätten die Krankenhaustöchter den gleichen Lohn für gleiche Arbeit erreicht, würde jede Tochterfirma den Aufstand wagen. Würde die Berliner Feuerwehr grundlegend besser ausgestattet, würden Beschäftigte der Schulen, Krankenhäuser, Jugendämter, Kindertagesstätten folgen. Und genau das ist richtig und nötig. Die Bereiche müssen zusammenkommen und darüber beraten, wie stark und gemeinsam für mehr Investitionen, mehr Personal und bessere Bezahlung gekämpft werden kann.
Für die Beschäftigten im öffentlichen Sektor braucht ver.di eine Strategie, wie gemeinsam Lohndumping, Ausgründungen und Personalmangel bekämpft werden können. Dafür gibt es 2019 die Möglichkeit bei der Charité, die Angleichung zu erkämpfen und 2021 im Wahljahr die Angleichung für die VSG zusammen mit der Tarifrunde Öffentlicher Dienst durchzusetzen. Dafür sind gemeinsame Streiks und Unterstützung aller Bereiche nötig. Rot-Rot-Grün muss dafür unter Druck gesetzt werden, statt ihnen den Rücken freizuhalten. DIE LINKE sollte sich dabei konsequent an die Seite der Beschäftigten stellen und ihre Kämpfe unterstützen. Die erste Gelegenheit dafür hat sie bereits jetzt beim Streik der studentischen Beschäftigten.