Bericht vom Digitalisierungskongress von ver.di und input Consulting am 12/13. April 2018 in Berlin
von Alexandra Arnsburg, Mitglied im ver.di LBV Berlin-Brandenburg (nur zur Kenntlichmachung der Person)
Bereits zum fünften Mal, diesmal unter dem Motto „Gemeinwohl in der digital vernetzten Gesellschaft“, organisierten die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di und die gewerkschaftsnahe Gesellschaft „input Consulting“ einen Kongress zum Thema Digitalisierung.
Die Plätze waren sehr begehrt, ungefähr 140 TeilnehmerInnen diskutierten in mehreren Plenen und 12 Workshops mit VertreterInnen von ver.di, dem DGB aus der Wissenschaft und aus der betrieblichen Praxis. „Wir arbeiten dran“, so der zuversichtliche Untertitel des Kongresses. Das lässt vermuten, dass dies erst der Beginn der Auseinandersetzung mit diesem Thema ist. Viele Fragen bleiben am Ende des zweitägigen Kongressen offen.
Die Diskussion war sehr vielfältig und teilweise kontrovers. Vertreter der Verbraucherzentrale und des Frauenhofer Instituts forderten „Codes nach ethischen Grundsätzen“, also das Hinterlegen von sogenannten gesellschaftlichen Werten durch ProgrammiererInnen. Der Arbeitgebervertreter vom BDA rief nach der „Einheit von Arbeitgebern und Gewerkschaften“, was von einem Gewerkschaftsvertreter mit dem Wunsch nach einem Update der Mitbestimmung und einer Robotersteuer geschmückt wurde. Letztere Wünsche wurden nicht näher erläutert, aber der aktuellen Diskussion auf mehreren Konferenzen zufolge ist damit die Erweiterung der bestehenden betrieblichen Mitbestimmung auf Themen des digitalen und mobilen Arbeitens und eine Steuer auf Rationalisierungsgewinne durch den Einsatz von Robotern gemeint.
Der Vertreter vom „Chaos Computer Club“ brachte die Frage nach Entscheidungsmacht und Eigentum an Technologien und Daten in die Debatte und bekam großen Applaus dafür. Was die Bundesregierung mache, wäre nur Selbstbeschäftigung der NGOs, damit keine wirklichen Strategie entwickelt werde, sagte Rieger und machte seine Kritik an Bündnissen á la „Zukunft der Industrie“ und an wirtschaftsdemokratischen Ansätzen deutlich.
Damit sprach er die Kernfragen der Debatte an: Wie soll sich die Gewerkschaftsbewegung ausrichten? Lässt sich der Kapitalismus in Bündnissen zähmen? Steuern wir auf die nächste Krise zu? Können wir der zunehmenden Prekarisierung nur mit Gesetzen für das Recht auf Qualifizierung und einigen guten Betriebsvereinbarungen beikommen? Sind letztere nur für die besser verdienenden, besser geschützten, tarifierten Beschäftigten möglich? Oder muss die Systemfrage auf die Tagesordnung gesetzt werden, beginnend mit einem Kampf um Arbeitszeitverkürzung und Umverteilung des Reichtums?
Demokratische Smart City – das Modell Barcelona
Ein interessanter Ansatz wurde durch Francesca Bria, „Technologie und Innovation Officer“ der Stadt Barcelona, dargestellt. Sie stellte ein völlig neues Konzept der Städteplanung und Verwaltung vor. Ihrer Aussage nach bekomme hier die Bevölkerung per „Open Source Plattformen“ und öffentliche Investitionen in Schulung und Personal mehr Transparenz über Daten wie Verkehr, Müll und Umweltfaktoren und könne sich dadurch auch selbst einbringen. Dabei würde sie nicht die Kontrolle über ihre Daten abgeben. In Barcelonas Städteplanung werden laut Bria neue Technologien im Sinne der NutzerInnen durch sie selbst genutzt und kontrolliert. Ganz anders sähe es bei dem Modell der Smart City im Stadtteil von Toronto in Kanada aus, wo die Daten an Google verkauft werden. In Großbritannien wurden PatientInnendaten erst vor kurzem an Deep Mind (Google) durch das noch staatliche britische NHS abgegeben.
Betriebliche Praxis
Immer wieder drehte sich die Diskussion um die Grenzen von Mitbestimmung durch Betriebs- und Personalräte und Gewerkschaften. Die von den Gewerkschaften geforderte Teilhabe wäre eine Teilhabe an nichts, da man nichts regulieren könne, was einem nicht gehört, konstatierte der Betriebsrat Kahlert von den Wasserwerken Westfalen. Viele Bespiele aus der Praxis bestätigten das. Eine Betriebsrätin bei T-Systems veranschaulichte, wie trotz guter Arbeitsbedingungen und vielfältige Mitsprache der Beschäftigten, die meisten dennoch unter dem großen Druck, ständiger Erreichbarkeit und steigender Arbeitsintensität durch digitalisiertes Arbeiten leiden. Gleiches hat eine Sonderstudie des DGB ergeben, die kürzlich veröffentlicht wurde. Eine Betriebsrätin von zeit-online beklagte trotz verbesserter gewerkschaftlicher Organisierung der größtenteils mobil arbeitenden Beschäftigten , einschließlich „Crowdworker“, eine immer noch sehr hohe Befristungsquote von 70 Prozent. Ein Beitrag aus der Pflege zeigte Licht und Schatten von eingesetzten Technologien. Diese sollten Beschäftigte unterstützen und PatientInnen und zu Pflegende mehr Selbstständigkeit zusichern, aber nicht die persönliche Pflege durch Fachpersonal ersetzen.
Eigentumsfrage stellen
Auch Lothar Schröder vom ver.di Bundesvorstand fragte, wie angesichts von Machtkonzentration bei einigen wenigen Konzernen wie Facebook, Google, Amazon, Apple, und im Lichte von Datenskandalen und Missbrauch zugunsten von Profiten der Prozess der Digitalisierung zu demokratisieren sei. Mehrmals warfen RednerInnen und ReferentInnen die Frage auf, wem die Digitalisierung eigentlich gehöre.
Diese Kernfrage muss auch in den Gewerkschaften diskutiert werden. Solange die neuen Technologien im Besitz der Herrschenden und Besitzenden ist, wird auch der Fortschritt in ihrem Interesse genutzt. Die Produktionsmittel und die Konzerne müssen in Gemeineigentum überführt werden, damit Forschung und Fortschritt demokratisch kontrolliert werden können und sie so nach den Bedürfnissen der Mehrheit auszurichten. Der Einsatz von neuen Technologien führt nicht von selbst zu besseren Arbeitsbedingungen. Bislang mussten alle Verbesserungen von ArbeiterInnen erkämpft und den Kapitalinteressen abgerungen werden.
Gegenwehr statt Co-Management
Die Technologie, um alles zu ändern, ist vorhanden, die Gewerkschaften wollen jedoch vor allem den Status Quo beibehalten, so Frank Rieger vom „Chaos Computer Club“ weiter. Um den Kampf gegen Arbeitshetze, Entgrenzung, Arbeitsplatzvernichtung, Prekarisierung und gegen den „Blackbox-, Plattform- und Überwachungskapitalismus“ zu gewinnen, muss es einen Kurswechsel der Gewerkschaften weg vom Co-Management hin zur Gegenwehr geben. Das bedeutet, nicht vor einem „allmächtigen Kapitalismus“ zu kapitulieren. Die Gewerkschaften dürfen auch vor Forderungen nicht zurückschrecken, die die herrschenden Eigentumsverhältnisse angreifen. Die derzeitige Diskussion um Arbeitszeiten sollten die Gewerkschaften in eine Kampagne für eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich gießen, die auf breiter Basis diskutiert und umgesetzt wird.