Interview mit Volker Lösch
Der Regisseur Volker Lösch bringt in seinem „Theater der Partizipation“ Prostituierte, Ex-Knastis und MigrantInnen auf die Bühne. Und macht so politische Themen wie Pegida unmittelbar und intensiv erlebbar. Sozialismus.info sprach mit ihm über die Rolle von Theater in Zeiten von Netflix, die Arbeit mit Betroffenen und seinen Antrieb.
In Zeiten von YouTube und Netflix: Welche Daseinsberechtigung hat Theater für dich heute?
Theater ist live. Es ist direkt, pur und unvermittelt. Es ist der einzige Ort auf der Welt, wo spielerisch ein unmittelbarer Kontakt mit einem Publikum hergestellt werden kann. Eine Gemeinschaft erlebt in engstem Kontakt miteinander und zu den SpielerInnen im besten Fall die Verhandlung von gesellschaftsrelevanten Fragen anhand von dramatisierten Vorgängen. Theater wird es solange geben, solange es Menschen gibt: Es deckt Grundbedürfnisse nach gemeinschaftlichem Erleben und sozialer Interaktion ab. Vor dem Fernseher sitzt man in der Regel allein oder zu zweit und schaut sich eine Konserve an. Das hat auch seine Qualitäten, aber Theater ist etwas völlig anderes.
Du machst „Theater der Partizipation“. Kannst du kurz erläutern, was sich dahinter verbirgt?
Ich beziehe in meinen Arbeiten häufig soziale Gruppen ein, die ein bestimmtes Thema vertreten, und aus erster Hand davon berichten können. Die sogenannten „Experten des Alltags“ können selbst am besten beschreiben, wie es um ihre Situation steht, welche Forderungen sie haben, unter welchen Ängsten sie leiden. „Partizipation“ deshalb, da sie häufig selbst auf der Bühne stehen: Im Probenprozess werden sie mit den Profis des jeweiligen Spielensembles zu einer Darsteller-Einheit geformt. Dabei ergeben sich sehr oft spannende Konstellationen – und es macht beim Arbeiten großen Spaß, da die Proben viel unberechenbarer und weniger vorauszuplanen sind als reine Profi-Veranstaltungen.
Weibliche, ehemalig politische Gefangene der Militärdiktatur in der Inszenierung „Antígona Oriental“ in Montevideo, Uruguay (2013).
Ein großer Teil deiner Arbeit scheint auch die Recherche über Missstände in der Gesellschaft zu sein. Wie kommst du zu deinen Themen? Und wie lange dauert es, bis die Stücke umgesetzt sind?
Auf die Themen komme ich durch alles Mögliche: durch Zeitunglesen, Romane, Gespräche in den jeweiligen Städten mit allen möglichen Leuten, dadurch, dass ich mit offenen Augen durch die Städte laufe, durch Vorschläge der Theaterleitungen, aber hauptsächlich durch mein Interesse an politischen und gesellschaftlichen Fragestellungen. Die Themen kommen meist organisch und ganz von selbst auf mich zu. Oder sie liegen auf der Straße. An manchen Orten drängen sie sich geradezu auf. Der Arbeitsvorlauf ist lang, die Vorbereitungen dauern mehrere Monate, der konkrete Probenprozess in der Regel acht bis neun Wochen.
Welche Rolle spielt für dich der Laienchor und wie ist die Arbeit mit „Betroffenen“ – auch im Verhältnis zu den professionellen Schauspielern?
Es ist ein aufeinander Zuarbeiten von zwei völlig verschiedenen Seiten: Die Einen sind angefüllt von einem Thema, können aber noch nicht spielen. Die Anderen sind Schauspielprofis, stehen aber mehr auf der Bühne als in den wichtigen Themen des Lebens. Die Einen lernen beim Proben jeweils von den Anderen. Ich unterscheide dann auch nicht zwischen diesen beiden Gruppen: Die Anforderungen an beide Fraktionen sind gleich hoch. Je länger man gemeinsam probt, desto mehr verwischen die Grenzen zwischen der so genannten Hochkultur und dem Anderen, dem Draußen. Es entwickelt sich immer ein hochkomplexes und spannendes Miteinander, dem oft ein solidarischer und utopischer Moment eingeschrieben ist.
Du adaptierst bestehende Stücke und verbindest sie mit aktuellen Themen wie Pegida oder entwickelst neue Stücke zum Beispiel über den Filz in Köln. Wie ist die Resonanz auf deine Stücke?
Die Resonanz auf meine Arbeiten ist gerade in den letzten Jahren sehr hoch. Das mag an den politischeren Zeiten liegen, aber auch an den unterschiedlichen theatralen Formen, der Fokussierung meiner Themen und der Auswahl der MitspielerInnen. Ich versuche immer mehr, eine Art „Volkstheater“ im besten Wortsinn zu entwickeln, verbunden mit der Hoffnung, auch andere Zuschauer zu gewinnen als die notorischen Theatergänger. Das gelingt auch immer mehr, und der nächste Schritt wäre, außerhalb der Theater und heiligen Kunsttempel aufzutreten. Mit der Kunst dahin zu gehen, wo sie am dringendsten benötigt wird.
Du bist ein politischer Theaterregisseur, engagierst dich gegen Pegida und Stuttgart 21 und mischst dich in politische Debatten ein. Was ist dein Antrieb?
Mein größter Antrieb ist nach wie vor Wut. Die Empörung über offensichtliche Ungerechtigkeiten, über falsche Systeme und über die Ausgrenzung von denen, die schwach sind, die keine Lobby und keine gesellschaftliche Stimme haben. Ich glaube daran, dass man menschenverachtenden, faschistischen oder rein profitorientierten, egoistischen Energien solidarische und menschenfreundliche Kräfte entgegensetzen muss. Solange ich es kann, werde ich die Verpflichtung verspüren, es zu tun. Auch für all diejenigen, die nicht mehr genügend Kraft haben, sich gegen Unterdrückung, Ausbeutung und falsche Politik zu wehren.
Zur Person
Volker Lösch gehört zu den profiliertesten Regisseuren des Gegenwartstheaters und hat bisher über achtzig Inszenierungen realisiert. Er arbeitet in seinen Inszenierungen häufig mit Profis des jeweiligen Schauspielensembles und VertreterInnen unterschiedlicher sozialer Gruppen. Von 2005 bis 2013 war er Hausregisseur und Mitglied der künstlerischen Leitung am Staatstheater Stuttgart. 2006 wurde Volker Lösch für den deutschen Theaterpreis »Faust« nominiert, 2009 zum Berliner Theatertreffen eingeladen. 2013 hat er den renommierten Lessingpreis des Landes Sachsen erhalten. Neben seiner Theaterarbeit unterrichtet er an Theaterhochschulen im In- und Ausland.