Warum DIE LINKE konsequenter für inklusive Gerechtigkeit streiten sollte
Im Programm der Partei DIE LINKE heißt es: Wir kämpfen für eine Gesellschaft, in der kein Kind in Armut aufwachsen muss, in der alle Menschen selbstbestimmt in Frieden, Würde und sozialer Sicherheit leben und die gesellschaftlichen Verhältnisse gestalten können. Und weiter hinten im Programm bekennt sich DIE LINKE, dass sie für eine inklusive Gesellschaft kämpfen will, in der jeder Mensch Rahmenbedingungen findet, in denen er seine Fähigkeiten, Fertigkeiten und Talente entfalten kann, niemand außerhalb der Gesellschaft steht und jede und jeder sich einbringen kann.
Gastbeitrag von Margit Glasow
Damit hat DIE LINKE klar umrissen, was sie unter Inklusion versteht: Eine gerechte Gesellschaft für alle Menschen. Um dies zu erreichen, so das Programm, braucht es ein anderes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus. Soweit das Ziel. Doch wir leben in einer kapitalistischen Gesellschaft, in der viele Menschen genau diese Rahmenbedingungen nicht finden.
Besonders deutlich wird das am Beispiel von Menschen mit Behinderungen. Ihre Arbeitslosenquote ist mit 13,4 Prozent doppelt so hoch wie die von Menschen ohne Behinderungen. Sie sind deutlich länger von Arbeitslosigkeit betroffen, arbeiten im Schnitt häufiger in Teilzeit und erhalten geringere Stundenlöhne. Mehr als 300.000 Menschen arbeiten in Werkstätten ohne Arbeitnehmerstatus und für ein Taschengeld von durchschnittlich 180 Euro.
Ein ähnliches Bild zeigt sich in der Bildung. Nur 22 Prozent der Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf besuchen allgemeine Schulen. 75 Prozent der SchülerInnen an Förderschulen erreichen keinen Hauptschulabschluss. Sie haben kaum eine Chance auf einen Berufsabschluss, der ihnen ein annähernd selbständiges Leben ermöglichen würde. Erschwerend kommt hinzu, dass es überall im öffentlichen Raum an Barrierefreiheit fehlt. Da wundert es nicht, dass auf der politischen Bühne kaum Menschen mit Behinderungen auftauchen.
Inklusion gescheitert?
Müssen wir diese Frage spätestens nach der Wahlschlappe in NRW bejahen? Wo es seit dem Schuljahr 2014/15 einen Rechtsanspruch auf den gemeinsamen Unterricht gab und die neue Landesregierung 2017 nun ein Moratorium der Förderschulschließung verhängte? Ist es eine Bankrotterklärung, dass im Abschlusspapier der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD kein einziges Wort über Inklusion steht? Zeigt die SPD einmal mehr ihr neoliberales Gesicht? Die SPD, die mit dem Bundesteilhabegesetz ein Spargesetz auf den Weg brachte, statt die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu verbessern?
Kann DIE LINKE wirksam in die Debatte um Inklusion eingreifen? Wie ernst nimmt sie die Frage der Durchsetzung der in der UN-Behindertenrechtskonvention formulierten Menschenrechte? In welchem Maße gelingt es ihr, zunächst innerhalb ihrer eigenen Reihen Inklusion, Barrierefreiheit, Teilhabe und Selbstvertretung verbindlich umzusetzen? Vor allem aber: Wie konsequent nutzt sie in den Ländern, in denen sie mitregiert, die ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten?
Protestbewegungen mit Potential
2016, in dem Jahr, als das Bundesteilhabegesetz verabschiedet wurde, gab es von Seiten der Selbstvertretungsorganisationen der Menschen mit Behinderungen eine Reihe von Protesten. Sie zeugten von einem großen Potential, gemeinsam für ein besseres Leben und mehr Teilhabe zu kämpfen. Proteste von diesem Ausmaß hat es seit der Krüppelbewegung der 80er Jahre nicht mehr gegeben. Nur durch die Stärke dieser Aktionen konnten die schlimmsten Folgen dieses Gesetzes verhindert werden.
Aber: Es gelang nicht, die verschiedenen Selbstvertretungsorganisationen wirklich zu vereinigen. Statt gemeinsame politische und ökonomische Interessen zu definieren und zu vertreten, werden oftmals Einzelinteressen kultiviert. Der österreichische Philosoph Robert Pfaller sagt dazu: „Jeder und jede schaut nur noch auf seine Identität, egal welcher Art, und achtet nicht mehr darauf, hinsichtlich welcher Perspektiven man sich mit anderen Gruppen verbinden könnte, weil die ökonomischen Interessen eigentlich viele Gruppen zusammenschließen und es ermöglichen würden, dass man etwas für alle erreicht.“ Diese Aufgabe müsste DIE LINKE übernehmen. Aber sie schaffte es nicht, sich mit ihren menschenrechtlichen Forderungen an die Spitze dieser Proteste zu stellen.
Welche Rolle DIE LINKE übernehmen muss
Ein erster wichtiger Schritt wäre, Inklusion viel weiter zu denken als in Bezug auf Menschen mit Behinderungen – Inklusion als Chancengerechtigkeit für alle Menschen, die in irgendeiner Weise von Teilhabe ausgeschlossen sind. Also gleichermaßen Menschen in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen, Flüchtlinge, alte Menschen usw. Mit einer breit angelegten Inklusionsdebatte hätte DIE LINKE große Chancen, ihr Profil und ihre Akzeptanz als antikapitalistische Kraft zu schärfen. Sie darf dabei keine Angst haben, Position zu beziehen, wenn es um Fragen wie die Abschaffung von Sonderstrukturen geht. Sie muss allerdings konkrete Alternativ- und Umsetzungsvorschläge auf den Tisch legen, diese breit in den Basis- und Kreisorganisationen und anderen Mitgliedsstrukturen diskutieren. Und in ihrer Argumentation damit überzeugen, dass eine inklusive Gesellschaft tatsächlich eine gerechte Gesellschaft für alle ist.
Notwendig wäre als ein zweiter Schritt, gemeinsames Handeln zu organisieren und entsprechende politische Forderungen durchzusetzen. Die verschiedenen Gruppen miteinander zu solidarisieren und zu zeigen, wo die gemeinsamen Interessen liegen. Menschen im ALG-II-Bezug sind ebenso von Armut und Perspektivlosigkeit betroffen wie viele MigrantInnen, viele alte Menschen und Menschen mit Behinderungen. Maßstab linker Politik muss sein, ein gutes Leben für alle zu erkämpfen – getreu dem Marxschen Leitspruch „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen.“ Bei einem solchen Kampf muss DIE LINKE die Führung übernehmen. Sie sollte sich dieser Herausforderung stellen.