Resolution des Internationalen Vorstands des CWI vom Dezember 2017
„Seit dem Weltkongress (des CWI; Anm. d.Ü.) ist die Krise des Weltkapitalismus noch tiefer und die bürgerlichen Strategen sind von noch düstereren Vorahnungen über die Perspektiven ihres Systems erfüllt. Ein Dauerthema ist die ‚Legitimationskrise‘ des Kapitalismus: im Bereich der Wirtschaft, in den internationalen Beziehungen, in der Umweltfrage, beim Klimawandel und den sozialen und politischen Auswirkungen davon. Über all dem schwebt eine, wenn auch weitestgehend unausgesprochene, begründete Angst davor, dass das Versagen des Kapitalismus die Welt an den ‚Rand des Vulkans‘ treibt. Die Bürgerlichen reden von Massenaufruhr und sogar revolutionärer Veränderung.“ (Thesen über die Weltperspektiven, IEK-Sitzung Dezember 2016)
Dem ist nur hinzuzufügen, dass sich die weltweite Krise des Kapitalismus – ungeachtet des oberflächlichen Bildes vom „Aufschwung“ – verschlimmert hat. Die internationale Bourgeoisie ist mit einer weiteren Erosion ihrer politischen „Legitimation“ konfrontiert, indem sich die Spaltungen innerhalb der herrschenden Klasse verschärft haben und immer offener zutage treten. In einer Reihe von Ländern propagiert die Bourgeoisie die Idee einer wirtschaftlichen Erholung und nutzt dabei die, in Wirklichkeit recht schwachen, Wachstumszahlen. Aber diese “Erholung” führt nicht zu wirklichen verbesserungen für die Arbeiterklasse. Sie ist auch alles andere als eine wirkliche Erholung oder ein Aufschwung, weil die tieferliegenden Widersprüche des Kapitalismus nicht gelöst wurden, sondern tatsächlich sogar verstärkt wurden.
Es besteht eine andauernde und umfassende Stagnation in den entwickelten kapitalistischen Ländern. In Afrika und Lateinamerika ist die Hoffnung auf eine „strahlende Zukunft“ verflogen, nachdem der Rohstoff-Boom der vergangenen Periode trotz eines teilweisen Exportanstiegs in einigen Ländern nun weitgehend verpufft ist. Das wiederum führte in einigen Ländern – wie Brasilien – zur größten Wirtschaftskrise der Geschichte, in deren Folge es zu Generalstreiks und politischen Tumulten kam, die sich in der kommenden Periode verstärken werden.
Dies führte zur Absetzung der Regierung Dilma Rousseffs, die von Massenprotesten der Gewerkschaften begleitet wurde. Die Idee, dass sich diese Länder auf kapitalistischer Basis auf dem Weg zum Wohlstand befänden, wurde komplett zertrümmert. Auch in Asien ist der Glanz verblasst, nicht nur in Indien (sofern es ihn denn dort überhaupt gegeben hat), sondern auf dem ganzen Kontinent.
Die Tatsache, dass der Lebensstandard der Arbeiterklasse, trotz des “Wachstums”, weiter angegriffen wird, zeigt, dass die krise des Kapitalismus nicht vorbei ist und dass es keinen Spielraum für dauerhafte Zugeständnisse gibt – trotz der Propaganda von einem Aufschwung. Dies hat Spannungen zwischen den gesellschaftlichen Klassen in Europa (einschließlich Osteuropa) und den USA angeheizt. In den Vereinigten Staaten hat die Peitsche der Reaktion – repräsentiert durch Präsident Trump – die innere und internationale Position des US-Imperialismus enorm geschwächt.
Die Spannungen zwischen Russland und den USA, der EU und sogar zu einem gewissen Grad mit China verschlechtern sich. Die anfängliche Unterstützung des Kremls für Trump ist vergessen, da der Konflikt imperialistischer Interessen in Syrien, Nordkorea und anderswo sich fortsetzt. Die gibt Putins Regime die Möglichkeit zu Hause antiwestliche Rhetorik zu verwenden, die durch die Schließung ihrer Botschaft in den USA und der andauernden Kontroverse über die “Trolle” des Kremls und deren Einmischung bei westlichen Wahlen angeheizt wird. Die permanente Sackgasse der Minsker Verhandlungen und das Scheitern von einem Waffenstillstand nach dem anderen führen dazu, dass sich Millionen Menschen weiterhin nicht trauen, in ihre Häuser in der Ostukraine zurückzukehren. Dass der Konflikt auf niedrigem Level unvermindert weitergeht, zeigt die kürzliche Anerkennung der Tatsache durch das ukrainische Verteidigungsministerium, dass zehntausend ukrainische Soldaten ums Leben gekommen sind (viele durch Krankheiten und Mobbing).
In der neokolonialen Welt, wo viele Länder weiterhin an die – stockende und teilweise zurückgehende – Rohstoffproduktion gefesselt sind, haben sich die Aussichten mit dem Einbruch der Rohstoffpreise verschlechtert. Das Ziel Afrikas, Lateinamerikas und Asiens, bald Einkommen und Status der „ersten Welt“ zu erreichen, ist immer noch in weiter Ferne.
Das daraus resultierende Fortbestehen bitterer Armut geht einher mit dem Niedergang der Gesundheitsversorgung und vernichtet die Hoffnung darauf, uralte Not und mittelalterliche Seuchen wie die Pest auszumerzen. Die Elemente der Barbarei, in der neokolonialen Welt allgegenwärtig, wurden gestärkt. Das zeigt sich etwa in Simbabwe, wo sich fünfzig verzweifelte arbeitslose Menschen um den grausamen Job des staatlichen Henkers bewerben! Nationale Spannungen haben sich vervielfacht, nicht nur in der neokolonialen Welt – siehe die Vertreibung der Rohingya in Myanmar –, sondern inzwischen sogar im Herzen Europas, in Katalonien.
Katalonien und die nationale Frage
Die britische Bourgeoisie mit ihrer langen historischen Erfahrung neigt dazu, elastisch auf den „Wind der Veränderung“ zu reagieren. Im spanischen Staat, wo immer noch starke Elemente des Franco-Systems bestehen und wo Francos Erben in Form der regierenden Partido Popular (PP, Volkspartei) das Ruder in der Hand haben, nimmt die Bourgeoisie hingegen instinktiv Zuflucht zur Repression, so wie gegenwärtig im Kampf gegen die katalanische Unabhängigkeit. Das kann nur die Opposition gegen den spanischen Staat anheizen und die nationale Frage verschärfen.
Die Herangehensweise der spanischen Bourgeoisie kann zu einer weitaus größeren Eskalation von Klassenkämpfen und einer Vertiefung der politischen Krise führen, was deren revolutionäre Elemente verstärken und ähnliche Bewegungen im Baskenland und Galicien auslösen könnte.
Wegen der Geschichte der Unterdrückung durch den spanischen Staat stellt sich die nationale Frage momentan in Katalonien deutlich brennender als in Großbritannien. Aber wenn die britische Bourgeoisie mit Schottland so umgegangen wäre, wie es die spanische herrschende Klasse gerade mit Katalonien macht, hätte das eine enorme Beschleunigung der Bewegung für die schottische Unabhängigkeit bedeutet, die sich gerade im „Pausenmodus“ befindet, da die von der Scottish National Party (SNP) geführte schottische Regionalregierung das Austeritätsprogramm der britischen Tory-Regierung ausführt.
In Katalonien gab es bedeutende Veränderungen in der Bevölkerung in den 1950er, 1960er und 1970er Jahren, da es im großen Maß zu innerer Zuwanderung aus Gegenden wie Andalusien und Extremedura, vor allem in die Großstädte wie Barcelona kam. Viele dieser EinwandererInnen bildeten den “roten Gürtel” der katalanischen hauptstadt und formierten ein Bollwerk der sozialdemokratischen und stalinistischen Linken in der 1970ern und 1980ern. Diese Schicht wurde bis heute noch nicht entscheidend von der Unabhängigkeitsbewegung beeinflusst, was vor allem (aber nicht ausschließlich) an den bürgerlichen Nationalisten liegt, die historisch das politische Instrument der katalanischen Oligarchie waren. Diese katalanischen bürgerlichen Nationalisten waren besonders rassistisch und arbeiterfeindlich gegenüber diesen Teilen der Arbeiterklasse. Das bedeutet aber nicht, dass diese Schicht von ArbeiterInnen geschlossen die PP oder den rechten, reaktionären Block unterstützen würden. Eine große mehrheit dieser ArbeiterInnen respektiert das Recht des Volkes auf Selbstbestimmung, was sich im Erfolg von PODEMOS bei den letzten beiden katalanischen Parlamentswahlen zeigte. Unter den Jugendlichen in diesen Arbeitervierteln ist die Stimmung für Unabhängigkeit deutlich größer als in den früheren Jahren. Unter breiten Teilen von ArbeiterInnen, vor allem den beschäftigten im Gesundheits- und Bildungswesen und der öffentlichen Verwaltung – die an der Spitze der kämpfe gegen Kürzungen in den letzten Jahren standen – gibt es eine sehr starke Unterstützung für Unabhängigkeit.
Es gibt eine wirkliche Sorge vor einem “Dominoeffekt”, der große Auswirkungen im Rest Europas haben könnte, wo es viele ungelöste nationale Fragen gibt, welche zur Zeit oftmals nicht im Vordergrund stehen, die aber schnell wieder ausbrechen können. In Italien gibt es zum Beispiel Bewegung für eine größere Autonomie der Regionen Venetien und Lombardei. Die nationale Frage ist ein Lackmustest für die Arbeiterbewegung und insbesondere für eine marxistische Organisation , die einen Weg zu den Massen der Arbeiterklasse finden will. Nicht alle haben diesen Test bestanden und laufen deshalb Gefahr, unter die Räder der Geschichte zu geraten. Unsere Sektion hat diesen Text, vor allem durch die hervorragende SchülerInnen- und Studierendengewerkschaft, vorbildlich bestanden durch ihre großartige Intervention in den stürmischen Ereignissen in Katalonien und dem Rest des spanischen Staates.
Viele der MigrantInnen aus anderen Teilen des spanischen Staates leben im „roten Gürtel“ um Barcelona und andere Städte. Und sogar diese Bevölkerungsschicht hat sich in nennenswerten Teilen der Forderung nach Unabhängigkeit angeschlossen, vor allem unter Jugendlichen. Es gibt die reale Angst vor einem Dominoeffekt mit großen Erschütterungen im Rest Europas, wo in vielen Fällen die nationale Frage ungelöst ist – diese Konflikte ruhen derzeit, können aber sehr schnell angefacht werden. In Italien beispielsweise gibt es Bewegungen für mehr Autonomie in den Regionen Venetien und Lombardei.
Die nationale Frage ist ein Lackmustest für die Arbeiterbewegung und insbesondere für eine marxistische Organisation, die den Weg zur Masse der Arbeiterklasse finden will. Nicht alle haben diesen Test bestanden und riskieren als Konsequenz, unter die Räder der Geschichte zu kommen. Unsere Sektion im spanischen Staat hat vor allem durch ihre Arbeit in der großartigen Schülergewerkschaft mit ihrer unglaublichen Intervention in die stürmischen Ereignisse in Katalonien und im Rest des spanischen Staates diesen Test mit Bravour bestanden.
Wir stehen für die Verteidigung der nationalen Bestrebungen aller unterdrückten Gruppen und Nationalitäten, solange dies nicht in die Rechte anderer eingreift. Wir sind im Sinne der von Lenin entwickelten Herangehensweise an die nationale Frage gegen den geringsten Zwang gegen noch so kleine nationale Gruppen. Gleichzeitig treten wir für die größtmögliche Einheit der Arbeiterklasse ein, welche alle nationalen, rassistischen und sonstigen Grenzen im Kampf für demokratische Arbeiterstaaten überwindet, welche die Rechte aller Nationalitäten gewährleisten und verteidigen werden.
Der Marxismus wendet sich gegen alle noch so kleinen Zugeständnisse an den bürgerlichen Nationalismus, welcher versucht, die Massen zu spalten und entlang „nationaler“ und separatistischer Linien in die Irre zu führen. Das beinhaltet den Kampf um das Recht auf Selbstbestimmung, nicht nur in Katalonien sondern im ganzen spanischen Staat, während wir gleichzeitig die Idee eines unabhängigen sozialistischen Kataloniens als Teil eines sozialistischen Spaniens und Europas verbreiten.
Jahrestag Oktoberrevolution
In diesem Jahr jährt sich die Russische Revolution zum hundertsten Mal und wir sollten die internationale Arbeiterbewegung an das großartige theoretische Erbe erinnern, das uns Lenin mit seiner Herangehensweise an die nationale Frage hinterlassen hat. Ohne die richtige Herangehensweise an diese Frage wird es unmöglich sein, die sozialistische Revolution zu erreichen, was an der Russischen Revolution selbst zu sehen ist. Es geht nicht nur um das Recht auf Selbstbestimmung, sondern um die praktische Umsetzung dieses Rechts (z. B. in Finnland) direkt nachdem die Bolschewiki an die Macht gekommen waren. Die Bevölkerung des zaristischen Russlands bestand zur Zeit der Revolution nur zu etwa 43 Prozent aus RussInnen und zu 57 Prozent aus angehörigen unterdrückter Nationalitäten.
Ein Bündnis der Massen in ganz Russland – ohne das das Scheitern der ganzen Revolution riskiert worden wäre – wäre unmöglich gewesen ohne die Verteidigung des Rechts auf Selbstbestimmung in Verbindung mit der Idee einer demokratischen sozialistischen Föderation durch die Bolschewiki. Dieser Ansatz drückt sich auch heute noch in unseren Forderungen aus.
Die nationalen Fragestellungen schossen in der Moderne wie Pilze aus dem Boden. Es gibt viele gemeinsame Eigenschaften aber auch besondere Ausprägungen, die von uns eine sorgfältige Analyse erfordern, vor allem in Hinblick auf politische Slogans, um uns den Weg durch das Labyrinth der nationalen Frage zu bahnen. Alte nationale Konflikte können wieder aufbrechen, während sich gänzlich neue „nationale“ Themen durch Wirtschaftskrisen und Krieg in den Vordergrund drängen können.
Die nationale Frage ist eine Schlüsselfrage für den Nahen Osten, wo das Erbe der imperialistischen Unterdrückung und Besatzung einen Flickenteppich von Staaten hinterlassen hat, deren Grenzen mitten durch ethnische Gruppen und Völker gezogen wurden und diese auseinander gerissen haben. Das wurde in letzter Zeit durch die Kriege in der Region massiv vertieft. Diese Kriege führten zwar zu einer Art „Sieg“ über den sogenannten Islamischen Staat (IS bzw. Daesh), aber auch zu einem Berg von Opfern, massenhafter Vertreibung (elf Millionen SyrerInnen und vier Millionen IrakerInnen), der Verwüstung von Städten und letztlich zu riesigen Flüchtlingsströmen. Dieser „Sieg“ wirkt eher wie eine vernichtende Niederlage!
Die Ereignisse haben deutlich gemacht, dass nur die Bewegung der Arbeiterklasse – mit einer korrekten Politik zur nationalen Frage – die Massen im Nahen Osten mobilisieren kann. Nur diese Kraft kann einen gerechten und demokratischen Frieden erreichen und den gegenwärtigen Horror beenden.
Vierzehn Jahre nach dem Beginn des Irakkrieges, der eine neue demokratische und wohlhabende Zukunft für das Land und die Region einleiten sollte, scheint der Frieden so unerreichbar wie eh und je. Die Schrecken werden ohne eine absehbare Lösung weitergehen. Die militärischen Niederlagen des IS in Mossul und Raqqa – der Hauptstadt des Möchtegern-„Kalifats“ – und seine mögliche Verdrängung aus dem restlichen Syrien bedeuten nicht das Ende seiner terroristischen Methoden und seiner Organisation. Das CWI hatte bereits erklärt, dass die faschistischen Methoden des IS nicht auf Dauer erfolgreich sein würden und er zwangsläufig eine militärische Niederlage gegen den Imperialismus mit seiner überwältigenden Feuerkraft erleiden würde. Der IS machte den entscheidenden Fehler, alle „imperialistischen“ Kräfte gegen sich zu vereinen, ebenso die SchiitInnen und all die anderen Minderheiten.
Der IS konnte sich, vor allem in Raqqa, überhaupt nur so lange halten, weil er sprichwörtlich in den Untergrund gegangen ist, nachdem er die schiitische und zunehmend die sunnitische Bevölkerung gegen sich aufgebracht hatte. So wie der Vietcong im Vietnamkrieg hat der IS rund um Raqqa ein riesiges Tunnelsystem angelegt. So konnten die Auswirkungen der oberirdischen Angriffe abgemildert werden. Dass der IS dieses Tunnelsystem durch Sklavenarbeit errichten ließ, zeigt die extrem sektiererische Natur dieser Organisation.
Damit „imitiert“ der IS lediglich die schlimmsten Auswüchse des „modernen“ Kapitalismus, der heute weltweit mehr Sklavenarbeit ausbeutet als zur Zeit des Sklavenhandels zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert (damals wurden 13 Millionen Menschen als SklavInnen verkauft, heute sind es schätzungsweise 21 bis 46 Millionen, mit denen 150 Milliarden US-Dollar Profit erwirtschaftet werden!).
Zudem hat der IS aufgrund seiner „messianischen“ Methoden die Masse der Völker des Nahen Ostens und anderswo abgestoßen. Das bedeutet nicht, dass er völlig am Ende ist. Er wird im Irak und anderen Ländern zu seinen ursprünglichen Guerilla-Methoden zurückkehren. Darunter wird sich auch Afghanistan befinden und möglicherweise wird der IS seine Präsenz in Pakistan ausbauen. Wahrscheinlich wird es den Versuch geben, verstärkte Terrorkampagnen in Europa, den USA und in anderen Teilen der Welt, vor allem in Asien, wo die meisten MuslimInnen der Welt leben, durchzuführen.
Kirkuk
Ein sozialistischer und marxistischer Ansatz, der die Einheit aller Völker des Nahen Ostens anstrebt, ist einer der Schlüssel, um die Probleme der Armut und der sektiererischen Spaltung zu lösen. Nehmen wir die „kurdische Frage“, die mit dem Referendum für einen kurdischen Staat im Nordirak um die ölreiche Stadt Kirkuk eine neue Wende – nicht unbedingt zum Besseren – genommen hat. Diese Stadt wird von KurdInnen, TurkmenInnen und irakischen AraberInnen beansprucht. Der einzige Weg, all diese Ansprüche – vor allem die der Arbeiterklasse und Mittelschichten – zu befriedigen und einen weiteren grausamen Bürgerkrieg zu verhindern, ist der Kampf um einen Sonderstatus für Kirkuk.
Einen ähnlichen Ansatz verfolgen das CWI und unsere belgische Sektion bezüglich Brüssel, wo zwar überwiegend französischsprachige Menschen leben, das aber innerhalb der flämischsprachigen Region liegt. Wir sprechen uns für das Recht auf Selbstbestimmung aller Bevölkerungsgruppen und Regionen aus innerhalb einer sozialistischen Föderation in Belgien mit einem Sonderstatus der Region Brüssel, was ihre Beziehungen zu den anderen Teilen des Landes angeht.
Das ist der einzige Weg, alle Seiten zufriedenzustellen und die Einheit der Bevölkerung, vor allem der Arbeiterklasse, zu stärken. Das Referendum über die „Unabhängigkeit“ der Region um Kirkuk wurde trotz Bedenken der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) durchgeführt, welche in letzter Zeit in die meisten Kämpfe gegen den IS involviert war. Dies könnte wiederum zu weiteren Konflikten zwischen anderen irakischen Bevölkerungsgruppen und den KurdInnen führen – Kirkuk steht derzeit unter der Besatzung der irakischen Regierung und pro-iranischer Truppen und es droht die Gefahr, dass somit dem Gemetzel der letzten Zeit ein neuer Konflikt hinzugefügt wird.
Als vor vierzehn Jahren die amerikanisch-britische Invasion des Iraks begann, sagten wir, dass das diktatorische Saddam-Regime perspektivisch durch drei getrennte Staaten oder staatenähnliche Gebilde – schiitisch, sunnitisch und kurdisch – ersetzt werden könnte, was auf kapitalistischer Grundlage drei neue Diktaturen bedeutet! Der einzige Weg, ein weiteres blutiges Kapitel in der Geschichte der Region zu vermeiden, ist die Übereinkunft der Völker derzeit vor allem des Iraks und Syriens auf einer sozialistischen und demokratischen Grundlage. Dasselbe gilt für alle Länder des Nahen Ostens, die heute an ethnischen und nationalen Linien gespalten sind.
In Tunesien ist der herrschenden Klasse sehr bewusst, dass die 2011 begonnene revolutionäre Periode noch nicht beendet ist. Wenn es auch gegenwärtig einen gewissen Stillstand gibt, mit negativen Auswirkungen wie dem Erstarken des individuellen Terrorismus, so sind doch neue soziale Explosionen und Aufstände in der Situation angelegt. Die sogenannte „Regierung der nationalen Einheit“ ist angesichts wirtschaftlicher Stagnation von Instabilität und Popularitätsverlust gebeutelt. Der Internationale Währungsfonds (IWF) übt Druck auf die Regierung aus, eine weitgehende Austeritätsoffensive durchzuführen. Vor diesem Hintergrund wird die Rechtsentwicklung der Führung der Gewerkschaft UGTT seit ihrem letzten Kongress – der Generalsekretär appellierte kürzlich in einer Rede an die ArbeiterInnen, mit der „Forderungskultur aufzuhören“ – in nächster Zeit zu verschärften Konflikten mit der Gewerkschaftsbasis führen. Unter dieser Schicht und unter Jugendlichen wird die Notwendigkeit einer klaren sozialistischen Alternative immer mehr Zustimmung erfahren.
Lateinamerika
Mit den Perspektiven für Lateinamerika beschäftigen wir uns an anderer Stelle. Wir wollen hier nur darauf hinweisen, dass sich in Lateinamerika, Asien und Afrika ein ähnliches Bild darstellt: Die Vertiefung der wirtschaftlichen Krise, scharfe Polarisierung zwischen den Klassen, politische Krisen, verschärft durch Korruption, und die Unfähigkeit der „nationalen Bourgeoisie“, sofern sie überhaupt als zusammenhängende Klasse existiert, der Gesellschaft einen Weg nach vorne zu zeigen.
Brasilien, das größte und einst florierendste Land Lateinamerikas, macht eine grundlegende Krise durch, die nach der Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff (Arbeiterpartei, PT) – einem „sanften Putsch“ – beinahe zu politischem Stillstand geführt hat. Es wurde offengelegt, dass der vorige Vizepräsident Temer, der ihre Absetzung in die Wege geleitet hat und ihren Platz eingenommen hat, in gewaltige Bestechung und Korruption verwickelt ist.
Er ist mit massivem Widerstand der Gewerkschaften und der Arbeiterklasse konfrontiert. Die Gewerkschaften haben bereits Generalstreiks gegen ihn organisiert und seine Amtsenthebung gefordert. Sein riesiges Privatisierungsprogramm, das sogar den Verkauf der staatlichen Münzanstalten vorsah, wurde vom brasilianischen und internationalen Kapital gefeiert, stößt aber auf den starken Widerstand der Arbeiterbewegung.
Die bürgerliche Presse spekuliert darüber, dass die öffentliche Stimmung gegen die Privatisierungswelle zugunsten der Opposition und der Gewerkschaften sei und Brasilien bei den Wahlen in eine „populistische“ Richtung – eine weitere Radikalisierung der Arbeiterbewegung – drücken könnte. Argentinien bietet mit der Wahl Mauricio Macris dasselbe Bild wirtschaftlichen und politischen Stillstands; anstatt neue Wege zu eröffnen, bleibt alles beim Alten.
Die soziale, politische und wirtschaftliche Krise in Venezuela hat sich verschlimmert. Die herrschende Klasse hat weltweit versucht, dies auszunutzen, um die Idee des „Sozialismus“ zu diskreditieren – so, wie sie es bereits nach dem Zusammenbruch der stalinistischen Regimes Osteuropas getan hatte. Doch die gesamte Weltlage, die Krise des globalen Kapitalismus wird diese Versuche schwächen. Das Maduro-Regime ist weiter nach rechts gerückt und kämpft um seinen Machterhalt, um die Interessen der herrschenden bürokratischen Elite, einschließlich der führenden Militärs, zu verteidigen. Gleichzeitig ist die reaktionäre rechte Opposition damit gescheitert, ausreichend Unterstützung und Schwung zu erhalten, um das Regime zu stürzen. Derzeit befindet sich das polarisierte Land in der Sackgasse. Wie sich dieser Prozess genau entwickeln wird, ist derzeit nicht sicher zu sagen. Die aktuelle Krise ist natürlich nicht das Scheitern des Sozialismus, sondern eine Konsequenz daraus, dass versäumt wurde, mit dem Kapitalismus zu brechen – wir warnten schon lange davor. Die Kräfte des CWI in Venezuela arbeiten unter extrem schwierigen Bedingungen gerade unter „Chavez‘ DissidentInnen“ daran, die Lehren aus dem Fehler zu ziehen, nicht mit dem Kapitalismus zu brechen und eine wirkliche sozialistische Alternative umzusetzen.
Im südlichen Afrika befinden sich Großgrundbesitz und Kapitalismus auf dem selben toten Gleis. Die Schlüsselländer in dieser Gegend für das CWI sind Nigeria (das bevölkerungsreichste Land mit 192 Millionen EinwohnerInnen) und Südafrika (das meist industrialisierte Land). In Südafrika sind die zentralen Entwicklungen die fortschreitende Krise des ANC – mit dem möglichen Ausschluss Ramaphosas aus Zumas Kabinett – und deren Widerhall in der Arbeiterbewegung. Die Frage einer neuen Massenarbeiterpartei ist immer noch eine Überlebensfrage für die Arbeiterbewegung.
Die aus der Krise von 2007-08 geerbte Klassenpolarisierung hat weiterhin schwere Auswirkungen auf die Vereinigten Staaten, Europa und andere Teile der „entwickelten“ Welt, während sich die Probleme in der neokolonialen Welt weiter verschlimmern.
Welt im Chaos
Unter der Peitsche der Krise haben sich die Konflikte zwischen den kapitalistischen Hauptmächten und Blöcken weiter verschärft. Dadurch entsteht der Eindruck einer Welt im Chaos, nicht zuletzt in den Reihen der herrschenden Klasse selbst, die in großen Teilen der Welt die Kontrolle über die Ereignisse verloren hat.
Es gibt die weitverbreitete öffentliche Wahrnehmung, dass dies in der Wirtschaft, in den sozialen und politischen Beziehungen und beim Klimawandel der Fall ist. Eine Reihe verheerender Erdbeben, Hochwasser und Wirbelstürme – einige davon „menschengemacht“ – verstärken das Bild sozialer und politischer Ohnmacht und völliger Handlungsunfähigkeit der Regierungen, speziell der US-Regierung unter Trump. Die Beschwerden Puerto Ricos, nach dem Hurricane keine ausreichende Hilfe vom Präsidenten erhalten zu haben, könnten bei seiner nächsten Kandidatur auf ihn zurückfallen. Vier Millionen PuertoricanerInnen mit US-Staatsbürgerschaft wären wahlberechtigt, falls sie sich entscheiden sollten, in die USA zu ziehen.
Die herrschenden Klassen sind weltweit uneinig und die Spaltungstendenzen entwickeln sich derzeit in offene Risse – die Revolution beginnt immer von oben! In der Gesellschaft gibt es ideologischen Aufruhr, was die Bourgeoisie zwingt, nach einer Politik zu suchen, mit der sie ihre Krise ökonomisch lösen und diesen Prozess politisch und gesellschaftlich in den Griff kriegen kann.
Auf nationaler Ebene zerlegt sich die herrschende Klasse bei der Suche nach der Politik und den Methoden, um die Massenbewegungen von unten abzuwürgen, in verschiedene Gruppen – diese Fraktionen können zur Entstehung unterschiedlicher Parteien führen. Die Konservative Partei in Großbritannien ist so gespalten wie nie zuvor und könnte komplett zusammenbrechen, wie es die italienischen Christdemokraten in den 1990ern taten, als mit dem Zusammenbruch des Stalinismus als von außen drohendem Schreckgespenst der Klebstoff verschwand, der die Partei zusammenhielt.
Trump
„Wen die Götter vernichten wollen, den machen sie zuerst verrückt,“ sagten die alte Griechen und dachten dabei offenbar an Donald Trump. Sein Wahl„sieg“ war ebenso eine verzögerte Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise von 2007-08 wie der fast errungene Sieg Jeremy Corbyns bei den britischen Wahlen. Wir sagten, dass eine Präsidentschaft Trumps ein vollkommenes Desaster für den US- und Weltkapitalismus wäre. Er würde sich benehmen, als sei er der beste Werbefachmann für Massenkämpfe und sozialistische Ideen – nicht nur in Amerika.
Und so war es dann auch. In weniger als einem Jahr hat er innen- wie außenpolitisch das Geschirr des Weltkapitalismus zerdeppert, indem er gewütet hat wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. Er hat einen kleinen Nachahmer in Boris Johnson, nominell britischer Außenminister, dem von seinen RegierungskollegInnen wegen seiner undiplomatischen Ausrutscher nur Misstrauen entgegengebracht wird. Hinter vorgehaltener Hand munkeln sie über ihren Wunsch, er würde die ganze Zeit schlafen, damit man ihn unter Kontrolle behalten könnte.
Trump hat implizit angedroht, Nordkorea mit einem „taktischen“ Nuklearangriff auszuradieren und seinen „Raketenmann“ Kim Jong-un zu stürzen. Südkorea hat berechtigte Angst davor, denn es könnte dabei von der Erdoberfläche radiert werden.
Trumps „liberale“ bürgerliche KritikerInnen, darunter die Köpfe der Demokratischen Partei, würden es gerne damit abtun, dass es nicht das erste Mal sei, dass der US-Imperialismus mit den Säbeln gerasselt habe, gerade in Asien. Kuba und Russland wurde einst wegen der geplanten Stationierung sowjetischer Atomraketen auf Kuba der Einsatz von Atomwaffen angedroht.
In unserem Buch über Vietnam haben wir außerdem aufgezeigt, wie zur Zeit der Umzingelung der französischen Truppen bei Dien Bien Phu 1954 durch die Viet Minh der republikanische US-Vizepräsident und später in Ungnade gefallene Präsident Richard Nixon enthüllte: „In Washington hat der Generalstab einen Plan mit dem Namen ‚Operation Vulture‘ über den Einsatz dreier kleiner taktischer Atombomben entworfen … um die französische Garnison zu befreien.“ Später dann hat Präsident Clinton Pläne für einen „taktischen“ Atomangriff auf Nordkorea entwickelt. Dabei war die Aussicht, Millionen von Menschen einfach auszulöschen, zweitrangig.
Die nordkoreanische Bevölkerung war nur Kleinkram für Clinton und den US-Imperialismus. Er hielt seine Finger nur still wegen der zu erwartenden politischen Folgen, weltweiter Empörung mit Massendemonstrationen und Aufständen, welche die Existenz des Kapitalismus an sich hätten bedrohen können. Das wäre nämlich der Fall wenn auch nur eine Atombombe abgeworfen oder es „aus Versehen“ eine nukleare Explosion geben würde.
Trump hat inzwischen auch den Iran attackiert und dabei sowohl die Absprachen über das iranische Atomprogramm als auch das wackelige Gleichgewicht im von Kriegen zerrütteten Nahen und Mittleren Osten gefährdet. Statt die iranischen Hardliner in den Reihen der „Revolutionsgarden“, die durch Korruption und Privatisierung zu Reichtum gekommen sind, zu schwächen, könnten Trumps Vorschläge, wenn sie ausgeführt würden, diese Leute sogar stärken.
Seine Politik hat ihn nicht nur mit der Arbeiterklasse und den Mittelschichten, sondern sogar mit nennenswerten Teilen seiner „eigenen Seite“, den Republikanern im Kongress, zusammenprallen lassen. Er scheint zwar weiterhin die Unterstützung seiner „Wählerbasis“ halten zu können, welche bedeutende Teile abgehängter und entfremdeter ArbeiterInnen umfasst. Aber seine Umfragewerte liegen unter denen jedes anderen Präsidenten nach dieser Zeit im Amt. Er hatte ernsthafte Zusammenstöße mit den dominierenden Kräften der amerikanischen herrschenden Klasse und mit traditionellen „Verbündeten“ der USA.
Seine „Militarisierung“ der US-Regierung mit einem großen Anstieg der Zahl der Generäle in der Administration auf Kosten von ZivilistInnen, die üblicherweise direkt die Macht ausgeübt haben, führt weniger zu Verärgerung als zu einem Befreiungsgefühl unter der US-Bourgeoisie. Sie werden als eine Art Zügel des ansonsten unkontrollierbaren Trump betrachtet. Das wird natürlich nicht ausreichen, um Trump zu bremsen. Ähnlich wie zu Zeiten der Nixon-Präsidentschaft (späte 1960er, frühe 1970er) sammelt sich anlässlich verschiedener Themen massenhafte Opposition, deren gemeinsamer Druck noch vor den Zwischenwahlen im November 2018 Trump zum Rücktritt zwingen könnte.
Sein launisches Benehmen, sein parlamentarischer Bonapartismus – Balancieren in den Reihen seiner eigenen Partei, den Republikanern, und Hofieren der Demokraten, etwa durch Anhebung des Rahmens der öffentlichen Verschuldung – hat ihn von der republikanischen Kongress-Fraktion entfremdet. Und möglicherweise hat sein Wahnsinn Methode. Er liebäugelt offenbar mit der Idee, die Republikanische Partei zu spalten, was, wenn es ihm gelingen würde, die erste erfolgreiche Spaltung der Partei seit Abraham Lincoln vor dem US-Bürgerkrieg wäre. Trump könnte seine eigene neue „populistische“ Partei gründen. Steve Bannon, der aus Trumps Kabinett herausgedrängt wurde, arbeitet offenbar schon auf dieses Projekt hin.
Eine ähnliche Entwicklung könnte es auch innerhalb der Demokratischen Partei geben, falls sich Bernie Sanders und seine Leute rund um „Our Revolution“ von der Partei abspalten und eine neue Formation gründen sollten. Diese könnte sich in absehbarer Zeit zu einer neuen radikalen linken Alternative oder sogar zu einer neuen Massenarbeiterpartei entwickeln.
Vier Parteien würden dann in den Wettbewerb um Stimmen und Einfluss treten. Eine neue Massenpartei oder auch nur radikale Formation würde für die Arbeiterklasse der USA einen großen Schritt nach vorne bedeuten. Die fortgesetzte Krise des amerikanischen Kapitalismus wird diesen Prozess vorantreiben und großartige Möglichkeiten für unsere GenossInnen von Socialist Alternative schaffen, zu wachsen und eine bedeutende Kraft zu werden.
Proteste
Selten befand sich die Welt in einer kritischeren Phase als heute, wo die Krise alle Bereiche umfasst, alle Kontinente, ohne jede Hoffnung für die Bourgeoisie, ihr System vor ernsten Krisen und der daraus erwachsenen Massenopposition beschützen zu können. Die Arbeiterklasse hat begonnen, wichtige Veränderungen ihres Bewusstseins durchzumachen. Das führt nicht immer und automatisch zu einer sofortigen Zunahme von Kämpfen zu wirtschaftlichen Fragen, sondern kann seinen Ausdruck auch in verschiedenen Protesten zu sozialen Fragen finden. Um davon nur einige zu nennen: die andauernde Proteste gegen Vergewaltigungen in Indien, in Irland und Polen zum Thema Abtreibung, die #metoo-Kampagne auf der ganzen Welt, die internationalen Frauenstraiek in 58 Ländern am Internationalen Frauentag, die andauernde “Ni una Menos”-Kampagne in Lateinamerika und die historischen Frauenmärsche gegen Trump im Januar 2017. Eine Generation junger Frauen akzeptiert nicht den krassen Unterschied zwischen formeller Gleichheit und der Wirklichkeit von Niedriglöhnen, Belästigungen und Bevormundung. Wir befinden uns möglicherweise am Beginn einer Frauenbewegung, die sich gemeinsam mit einem Wiedererwachen der Arbeiterbewegung entwickelt.
Ökonomische Stagnation mit einer stotternden wirtschaftlichen „Wiederbelebung“ – vor allem in schlecht bezahlten, unsicheren Jobs, in wenigen Regionen und Ländern – hat in der Masse der Bevölkerung zu wachsender Unruhe und Zweifeln an der Tragbarkeit dieses Systems geführt, vor allem unter denen „hier unten“, der Arbeiterklasse und den Armen.
Das führt zu praktisch ständiger politischer Instabilität, besonders deutlich in den kürzlichen Wahlen in Europa, wo die traditionellen Parteien geschwächt wurden sowohl rechtspopulistische als auch neue reformistische, linke Organisationen, Erfolge erzielen konnten. Diese Kräfte verlieren jedoch schnell ihre Popularität. Es gibt eine Beschleunigung der Ereignisse, verbunden mit baldiger Enttäuschung der Massen, die sich oft sehr schnell in der Unbeliebtheit jener Parteien ausdrückt, die eben noch als die Sieger galten.
Die Alternative für Deutschland (AfD) zum Beispiel hat bei den Bundestagswahlen einen Durchbruch geschafft, womit jetzt Rechtsextreme im Bundestag sitzen, während gleichzeitig die Sozialdemokraten (SPD) das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte erlitten haben. Dieser Schlag der Reaktion hat aber eine Gegenstimmung erzeugt, die sich nur drei Wochen später in den verbesserten Ergebnissen für die SPD und der Niederlage der rechten Parteien in Niedersachsen ausdrückte. Das ist nur ein Beispiel für die derzeitige Unbeständigkeit, und das in dem Land, das bis vor kurzem – zumindest oberflächlich – als das stabilste Land Europas galt.
Ein neuer Aufschwung in der Stimmung gegen das kapitalistische System, ein ausdrücklicher Antikapitalismus, hat sich durchgesetzt und die Corbyn-Bewegung in Großbritannien, die Entwicklungen um Bernie Sanders in den USA und die Bewegung um Mélenchon in Frankreich vorangetrieben.
Davon erschüttert haben sich die Bourgeoisie, ihre Parteien und „Institutionen“ versucht, als „Garanten der Veränderung“ zu präsentieren (Macron in Frankreich, Kurz in Österreich). Sogar Theresa May in Großbritannien versucht, mit Themen wie Studiengebühren, öffentlichem Wohnungsbau und genereller Kritik am System „Corbyn die Hosen zu klauen“. Das Mantra dieser Leute beinhaltet die Verurteilung von Ungleichheit. Während sich nach der Krise 2007-08 viele auf die Suche nach einem „besseren Kapitalismus“ gemacht haben, verlangen heute immer mehr ArbeiterInnen und Jugendliche eine grundlegende Alternative zum kapitalistischen System.
Weiterhin dunkle Wolken über der Weltwirtschaft
Diese neue Stimmung zwang die kapitalistischen Wirtschaftsinstitutionen wie den IWF und die Weltbank, als Anwälte oder gar als Apostel für Lohnerhöhungen aufzutreten. Das sind dieselben Stimmen, die bisher immer weltweite Lohnsenkungen als Teil brutaler Austerität gefordert haben und bereit waren, Griechenland und andere Länder ans Kreuz zu nageln, um diese zu erzwingen. Das Ergebnis war „endlose Austerität“ , wodurch Teile Europas und manche Länder auf anderen Kontinenten zur Katastrophe der Depression der 1930er zurückkehrten. Wenn diese Institutionen des Kapitalismus nun zumindest in Worten ihren Ton geändert haben, liegt das daran, dass sie keine andere Möglichkeit sehen, auf der bisherigen Schiene die „Nachfrage“ zu steigern. Dies bleibt das zentrale Problem des Kapitalismus; es gibt keine Alternative zur Erhöhung der Löhne, selbst wenn dies das Risiko wiederkehrender Inflation und steigende Staatsverschuldung bedeutet.
Trotzdem werden einzelne oder Gruppen von Kapitalisten sich gegen solche Maßnahmen stellen. In den USA sorgen sich die Kapitalisten im Allgemeinen und Trump im besonderen mehr um die Steigerung ihrer Aktiengewinne und somit die Rendite der Bosse und Aktienbesitzer als um die Schaffung realer Werte in Form von Arbeitsplätzen. Sie sind nicht einmal bereit, ihre riesigen Profite aus dem Ausland in die USA zurückzubringen ohne die Zusicherung, dass es keine Steuererhöhungen gebe.
Überdies gestatten die gegenwärtigen Staatsfinanzen der meisten Länder den Regierungen nicht, einzugreifen und den „Markt“ durch gesteigerte öffentliche Ausgaben anzukurbeln. Im Gegenteil sehen die meisten von ihnen keine Alternative zur Fortsetzung ihrer halsbrecherischen Austeritätspolitik.
Wie Trotzki erklärte, war Roosevelts bedeutende Ankurbelung der Wirtschaft durch gesteigerte öffentliche Ausgaben damals nur möglich, weil die USA, anders als die meisten anderen kapitalistischen Mächte, „fette Ersparnisse“ angehäuft hatten. Aber sogar dieses Programm, das etwa durch den Bau von Dämmen die Infrastruktur maßgeblich voran brachte und durch die Schaffung von Arbeitsplätzen die Wirtschaft „stimulierte“, verlief in den späten 1930ern im Sande. Ein neuer Crash zeichnete sich 1937 ab, vor allem wegen Kürzungen der öffentlichen Ausgaben und Maßnahmen, die die Kreditvergabe einschränkten (was denselben Effekt hatte wie heutige Zinserhöhungen) – aber diese Maßnahmen wurden eiligst zurückgenommen, als deutlich wurde, dass sie eine bereits instabile ökonomische Situation erschüttern würden. Den USA gelang die Verhinderung eines neuen Abschwungs, der verheerender als der von 1929-33 geworden wäre, nur durch gesteigerte Waffenproduktion in Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg.
Die Bourgeoisie, bspw. in Großbritannien und den Vereinigten Staaten, läuft Gefahr, heute durch Zinserhöhungen denselben Fehler zu wiederholen und ihre wirtschaftlichen Probleme dadurch zu verschärfen. Sie glauben, sie hätten „die Banken gesäubert“ und könnten die aufgestauten Probleme vermeiden, die in der letzten Weltwirtschaftskrise durch die Oberfläche brachen.
Schulden angehäuft
Der derzeitige wirtschaftliche „Aufschwung“ in den USA und Europa wurde hauptsächlich durch das Einspritzen von Liquidität und kolossale Verschuldung, wiederum ermöglicht durch niedrige Zinsen, befördert. Ein Jahrzehnt der „quantitativen Lockerung“ hat dazu geführt, dass die großen Zentralbanken nun ein Fünftel der öffentlichen Schulden besitzen! Die neuen „Verschuldungsjunkies“ mit einem hohen Grad an Verschuldung sind unter anderem Australien, Kanada, Südkorea, Schweden und Norwegen. Die meisten dieser Länder wurden von der letzten Krise nicht so stark getroffen, werden dies aber beim nächsten unausweichlichen Niedergang, was zu einer scharfen sozialen Polarisierung und katastrophalen politischen Entwicklungen führen wird, wie wir sie im Rest der Welt gesehen haben.
Und bei diesem Ausblick sind noch nicht einmal die angehäuften Probleme in China berücksichtigt, das von einigen Ökonomen als riesiges Ponzi-Schema (System des Betrügers Charles Ponzi; Anm.) bezeichnet wird. Seit 2008 machte Chinas kreditgetriebenes Wachstum mehr als die Hälfte des weltweiten Wachstums aus.
Die chinesische „Kommunistische“ Partei wird wohl keinerlei sofortige oder langfristige Lösung für diese Krise anbieten. Ihr Hauptzweck war es, die Autorität von Xi Jinping als unangefochtenem Führer „der Partei“ und somit der Regierung zu zementieren. Er machte deutlich, dass „die Partei“ – also die herrschende Elite – weiterhin die Armee, die Wirtschaft usw. kontrollieren wird. Er sieht sich als auserwählt, durch diesen Plan und die Entwicklung eines neuen Kultes, „Xi-Denken“ („Xi Jinping thought“, politische „Theorie“ Xi Jinpings; Anm.), auf einer Ebene mit den vorigen chinesischen Führern Mao Zedong und Deng Xiaoping zu stehen.
Doch solche Zurschaustellung unangefochtener Macht ist keine Garantie für Stabilität – sondern das Gegenteil. Die Macht wird aus Angst vor den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Stürmen zentralisiert, die auf China zukommen. Mit der (nominellen) Konzentration der Macht in den Händen eines Mannes wird sich die Opposition ebenso auf dieses Individuum konzentrieren wie das Regime, dass ihn unterstützt. Und die Opposition ist gewachsen. Teile der Bevölkerung, vor allem die sehr Armen und in erster Linie die Mittelklasse unterstützt oder vielmehr toleriert das Regime. Aber das wird nicht ewig andauern.
Die Ein-China-Politik und ihre brutale Umsetzung durch die Repression in Hongkong erwecken den Eindruck, kurzfristig erfolgreich zu sein, sind aber langfristig zum Scheitern verurteilt. In Zeiten moderner Massenkommunikation über soziale Medien ist es nicht möglich, ein ganzes Volk in Ketten zu halten, vor allem wenn es eine längere Erfahrung mit (wenn auch beschränkter) bürgerlicher „Demokratie“ gesammelt hat, was in Hongkong der Fall ist. Es ist das großartige Verdienst unserer chinesischen GenossInnen und der CWI-Sektionen, die sie mit ihren Kundgebungen unterstützt haben, dass wir in dieser Situation nennenswerten Einfluss erlangen konnten.
Hemmungslose Spekulation
Die Angst vor einer neuen Wirtschaftskrise ist allgegenwärtig in den Diskussionen zwischen den kapitalistischen „Denkern“ von IWF, Weltbank und der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ). Die Banken und Finanzhäuser sind jetzt mit Geld vollgepumpt und machen riskante Wetten mit der selben Hemmungslosigkeit wie vor 2007-08. Nach der Krise war sich die Bourgeoisie – wie immer – einig, dass sie „nie wieder“ rücksichtslose und „unverantwortliche“ Risiken gestatten würde, die das ganze System gefährden können. Aber das war schnell vergessen oder relativiert, sobald die „Lebenskräfte“ des Kapitalismus wieder da waren. Es gibt eine neue Gefahr für die (immer noch nicht umgebauten) Finanzsektoren: die Rückkehr der „besicherten Darlehensverbindlichkeiten“ – Bündeln minderwertiger Darlehen, verpackt in attraktiven „Produkten“, die sich alleine dieses Jahr auf 75 Milliarden US-Dollar summieren. Die Ratingagenturen haben sie mit „Triple-A“ ausgezeichnet.
Die allgemeine Schlussfolgerung aus der vorausgehenden Analyse – gemeinsam mit den Berichten auf unserer Website über die Entwicklungen in den Ländern, in denen das CWI präsent ist – ist, dass der Weltkapitalismus objektiv nicht vorwärts geht, sondern stagniert und in einigen Regionen rückwärts geht. Das hat insgesamt eine objektiv vorrevolutionäre Situation geschaffen – vor allem in der entscheidenden Wirtschaftssphäre – vergleichbar mit den 1930er-Jahren.
Wie Trotzki oft erklärt hat, erfordert der Übergang dieser vorrevolutionären in eine revolutionäre Situation das Eingreifen des subjektiven Faktors, Massenbewegungen der Arbeiterklasse, bewaffnet mit einem klaren revolutionären Programm und angeführt von revolutionären Massenparteien, die um die Macht kämpfen.
Die aus der Krise hervorgegangenen Ereignisse hatten einen schwerwiegenden Effekt auf die Veränderung des Bewusstseins der Massen weltweit. Wir sehen jetzt, wie sich bedeutende Schichten vom Neoliberalismus abkehren, eine Idee, die Jeremy Corbyn zum Ausdruck gebracht hat und die in den letzten Jahren ein Dauerthema in den Analysen des CWI ist. Das führte zu einer verallgemeinerten Phase linker Radikalisierung in der internationalen Arbeiterbewegung. Sogar in Neuseeland hat die neue Labour-Vorsitzende Jacinda Ardern – die einst im Büro von Tony Blair in Großbritannien arbeitete, aber behauptet, ihn niemals getroffen zu haben (!) – die Wahlen gewonnen und eine Regierungskoalition mit den Grünen und den NationalistInnen von „New Zealand First“ gebildet.
Diese Phase der linken Radikalisierung kann einen „entschiedeneren“ Linksreformismus zur Folge haben und zu einem internationalen Phänomen werden. Unter den Hammerschlägen der bevorstehenden Ereignisse wird dieser einer entschlosseneren Klassenstimmung und Bewusstsein der Arbeiterklasse und vor allem der Jugend den Weg frei machen.
Chancen für das CWI
Auf dieser Grundlage bieten sich uns große Möglichkeiten, die neuen Schichten für ein klares revolutionäres Programm und Organisation zu gewinnen. Die Kräfte des CWI brauchen weiterhin Mut für das Eingreifen in der nächsten Periode. Gleichzeitig ist es lebenswichtig, den Rhythmus der Ereignisse zu verstehen, die sich auf den ersten Blick manchmal scheinbar langsam vollziehen, die aber den Grund für gewaltige politische Erschütterungen bereiten, aus denen heraus wir wachsen und zu einer einflussreichen Kraft werden können. Wir müssen uns beeilen, aber wir brauchen auch Geduld im Umgang mit den sich entwickelnden Massenbewegungen, die nicht nur eine bloße Wiederholung der Vergangenheit sein, sondern neue Eigenschaften aufweisen und neue Fragen aufwerfen werden, auf die wir eingehen müssen, um die nationalen Sektionen und unsere Internationale aufzubauen.