#Metoo: Es geht um Macht

Widerliche Normalität in hierarchischer Gesellschaft

Seit einigen Wochen machen mit dem Hashtag #metoo Frauen (und auch einige Männer sowie Trans- und LGBTQ+Personen) auf die sexuellen Übergriffe aufmerksam, die sie erleben mussten.

von Sonja Grusch, Wien

Sexuelle Belästigung ist kein neues Thema, mindestens drei Viertel aller Frauen und ein Viertel der Männer und viele Trans- und LGBTQ+ Personen waren im Erwachsenenalter betroffen. Sexuelle Belästigung hat wenig mit Sex, aber viel mit Macht zu tun. Die Täter sind meistens Männer – nicht weil sie „sexueller“ oder „triebgesteuerter“ sind, sondern weil sie in der Regel in der mächtigeren Position sind.

Grenzüberschreitung

Die Täter wissen sehr genau, dass sie Grenzen überschreiten, wenn sie einer Frau in einer Bar an den Hintern greifen, ihr auf der Straße anzügliche Bemerkungen nachrufen oder beim Vorstellungsgespräch in den Ausschnitt starren. Der Unterschied zwischen Belästigung und ungeschicktem Flirten besteht im Machtgefälle, dem Weitermachen und der Ignoranz gegenüber der anderen Person. Jede und jeder von uns ist das Produkt dieser Gesellschaft – wir alle wachsen mit Rollenbildern, rassistischen und sexistischen Vorurteilen auf, die uns prägen. Ein Scherz oder eine Bemerkung, die beim Gegenüber Unbehagen auslöst – das ist so gut wie jedem/r schon passiert. Die Frage ist: Wie geht man selbst damit um? Ignoriert man die Reaktion? Macht man einfach weiter? Versucht man das Gegenüber als humorlos, bigott etc. zu diffamieren, oder ist man in der Lage, zu reflektieren und die Betroffenheit beim Gegenüber wahrzunehmen und darauf auch entsprechend zu reagieren – sich zu entschuldigen und das Verhalten zu ändern.

Sich gemeinsam wehren

Viele Betroffene wollen sich ersparen, in der Öffentlichkeit oder vor Gericht ein weiteres Mal gedemütigt zu werden. Es ist gut, die Häufigkeit von Übergriffen mit Kampagnen wie #metoo sichtbar zu machen. Aber eine Web 2.0. Kampagne bleibt individuell. Es fehlt die Stärke des gemeinsamen Wehrens. Denn viele Betroffene können es sich nicht leisten, sich zu wehren, weil sie in einem (meist finanziellen) Abhängigkeitsverhältnis zum Täter stehen.

Sexuelle Belästigung ist Ergebnis und Bestandteil einer Gesellschaft, die auf Hierarchien und Ausbeutung aufgebaut ist. Sie muss im Hier und Jetzt bekämpft werden, kann aber nur mit der Überwindung dieser Gesellschaft beendet werden. Es ist gut, dass das Thema so breit diskutiert wird. Das macht vielen Mut. Bieten wir nun auch die Proteste, die Kampagnen und die Strukturen an, dass aus einem Aufschrei ein Umsturz der herrschenden Verhältnisse wird.

Sonja Grusch ist Bundessprecherin der Sozialistischen Linkspartei in Österreich. Eine Langfassung des Artikels findet sich auf www.slp.at