Die Paradise Papers offenbaren den kapitalistischen Normalzustand
7,9 Billionen Euro wurden von den Superreichen in die Steuerparadiese der Welt geschafft. Ausgeschrieben: 7.900.000.000.000! Es brauchte keine Paradise Papers, um zu wissen, dass die Konzerne und der KapitalbesitzerInnen gierig sind. Aber der Leak hat – nach den Panama Papers im letzten Jahr – gezeigt, welche Dimension Steuerflucht annimmt. Und dass das alles, oder zumindest größtenteils, mit rechten Dingen zugeht, macht die ganze Sache umso schlimmer.
Von Sascha Staničić
Der ganz legale Betrug offenbart den kapitalistischen Normalzustand. Kapitalisten machen aus der Arbeit von Millionen ArbeiterInnen Geld, aus diesem Geld machen sie mehr Geld – und machen damit dann nichts, was für die Gesellschaft sinnvoll wäre, sondern horten es, lassen es „arbeiten“, spekulieren, tun alles, damit es nicht im Interesse der Weltbevölkerung eingesetzt wird. Und sie können das so machen, weil sie den entscheidenden Einfluss auf Staaten und Gesetzgebungen haben, weil diese Staaten kapitalistische Staaten sind, die im Interesse der Kapitalisten handeln. Jede Empörung von PolitikerInnen angesichts der Enthüllungen ist reine Heuchelei. Da ist Wolfgang Schäuble zumindest ehrlich, der den Kampf gegen Steuerhinterziehung als „Kampf gegen Hydra“ bezeichnete. Fragt sich nur, ob er und seine KollegInnen tatsächlich kämpfen und der vielköpfigen Hydra überhaupt schon einen Kopf abgeschlagen haben? Einmal mehr bestätigt sich Horst Seehofers (ja, der von der CSU …) wahrer Satz, den er in seiner seltenen lichten Momente gesagt hat: „Diejenigen, die entscheiden, werden nicht gewählt. Und die, die gewählt werden, haben nichts zu entscheiden.“ (In der Fernsehsendung „Pelzig unterhält sich“ vom 28.5.2010) Offenbar gilt das auf jeden Fall, wenn es um das Steuerrecht geht.
61 Jahre den Hunger beenden …
Die Süddeutsche Zeitung hat darauf hingewiesen, was mit diesen 7,9 Billionen Euro gemacht werden könnte: alle Hunger leidenden Menschen auf der Welt für 61 Jahre ernähren, jedem Menschen auf der Welt eintausend Euro aushändigen oder alle Kinder auf der Welt, die keinen Zugang zu Bildung haben, viereinhalb Jahre in eine Schule deutschen Standards schicken. Aber so etwas interessiert die Männer und Frauen in den Chefetagen von Nike oder Facebook genauso wenig, wie den selbst ernannten Gutmenschen und Verräter am Rock’n’Roll Bono oder die Queen von England.
Und Deutschland? Die SZ schreibt: „In Deutschland führen die Spuren zu rund tausend Kunden, Begünstigten oder sonstwie Involvierten – ohne dass sich damit automatisch rechtliches Fehlverhalten verbinden würde. Unter den Offshore-Nutzern sind Milliardäre, Adelige, Unternehmer, Erben, Investoren, verurteilte Betrüger und ehemalige Politiker, etwa der frühere Bundeskanzler Gerhard Schröder, aber auch Firmen wie Sixt, die Deutsche Post oder die Hotelkette Meininger, Siemens, Allianz, Bayer oder die Deutsche Bank.“
Achtig Prozent der Offshore-Vermögen gehören 0,1 Prozent der Weltbevölkerung. Diese Zahl allein zeigt, wo das Problem liegt. Während der Bundestagswahlkampf dominiert war von einer medial inszenierten Debatte um Zuwanderung und deren Folgen, seit Jahren über angebliche Parallelgesellschaften von Muslimen und Muslimas schwadroniert wird, die vor allem von denjenigen entdeckt werden, die kaum mit Muslimen und Muslimas zu tun haben, offenbaren die Paradise Papers eines ganz deutlich: es gibt eine Minderheit, die auf Kosten der großen Mehrheit lebt. Parasiten, die ihre Kohle ins (Steuer-)Paradies schaffen. Superreiche, die sich in Privatjets und -yachten fortbewegen, in „gated communities“ leben und eine tatsächliche und gefährliche Parallelgesellschaft bilden, weil ihre Entscheidungen Millionen und Milliarden Menschen betreffen. Höchste Zeit gegen diese Leute vorzugehen.
Kapitalismus überwinden
Aber wie? Natürlich brauchen wir Steuererhöhungen für die Reichen und für Banken und Konzerne. Natürlich müssen Steuerschlupflöcher abgeschafft und die Steuerfahndung ausgebaut werden. Der Bundestagsabgeordnete der LINKEN, Fabio de Masi, hat Recht, wenn er „saftige Quellen- bzw. Strafsteuern auf Finanzflüsse in Steueroasen“ fordert und schreibt: „Schwarze Listen von Steueroasen sind witzlos, wenn weder Steueroasen wie die USA oder die Niederlande noch Länder mit Nullsteuersätzen darauf landen und keine wirksamen Sanktionen wie die Kündigung von Doppelbesteuerungsabkommen verabredet werden. Alle abziehbaren Zahlungen wie fiktive Versicherungsprämien, Zinsen und Lizenzgebühren müssen künftig an der Quelle besteuert werden, bevor sie das Land verlassen.“
Doch Schäuble hat auch Recht mit seinem Hydra-Vergleich, aber nur weil wir in einem Gesellschaftssystem leben, das die Hydra füttert und am Leben erhält. Steuerhinterziehung gehört zum Kapitalismus, wie das Weihwasser in die katholische Kirche. Effektive Maßnahmen dagegen werden von den wirklich Mächtigen in den Bank- und Konzernzentralen unterlaufen und verhindert. Dagegen hilft nur die Enteignung von privaten Banken und Versicherungen und deren Überführung in Gemeineigentum bei demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung. Dann kann verhindert werden, dass die Superreichen ihr Geld ins Ausland schaffen. Um aber die Triebkraft, die hinter diesem Billionen-Betrug steht abzuschaffen, muss das kapitalistische System selbst überwunden werden. Einhundert Jahre nach der erfolgreichen Oktoberrevolution, wo dies erstmals gelang, ist es aktueller denn je, die Herrschaft des Profits in Frage zu stellen.