Neue Etappe der Bewegung – Für das Recht auf Selbstbestimmung!
Die gesamte europäische Linke sah mit Schrecken, wie der spanische Staat mit aller Gewalt gegen das Referendum am 1. Oktober in Katalonien vorging.
von René Arnsburg, Berlin
Völlig zurecht wird die Aberkennung der Autonomierechte der Region und das Vorgehen der konservativen Regierung unter Mariano Rajoy vielerorts abgelehnt. Doch damit endet nicht nur in der deutschen Linken die Einigkeit über die katalanische Frage.
Dabei ist die Frage keine rein katalanische. Sowohl die Ursachen für die Unabhängigkeitsbestrebungen, als auch deren Lösung sind international. Nur nicht auf die Art und Weise, wie sie von Gysi als Vorsitzenden der Europäischen Linken vorgeschlagen wird: unter Vermittlung durch die Europäische Union. Denn weder hat diese ein Interesse an der Unabhängigkeit Kataloniens, noch ist sie ein Instrument, um die Frage im Interesse der Mehrheit der in Katalonien Lebenden zu beantworten.
Trotzdem Katalonien eine der wohlhabenderen Regionen des spanischen Staates ist, bekam die Bevölkerung die Auswirkung der globalen Wirtschaftskrise 2008 in verheerendem Maße zu spüren. Das lag nicht zuletzt daran, dass die pro-kapitalistische Regierungspartei PDeCAT die von Deutschland und der EU geforderten und in Madrid beschlossenen Kürzungsprogramme in der eigenen Region sogar noch über das geforderte Maß hinaus umsetzte.
Die Unterdrückung der katalanischen Kultur und Sprache durch die Franco-Diktatur hat sich tief in das kollektive Gedächtnis der KatalanInnen eingebrannt. Nach der Phase des “Übergangs” zur Demokratie gingen die Sozialistische Partei (PSOE) und die Volkspartei (PP) einen Kompromiss mit den alten Kräften des Francismus und der Monarchie ein und retteten so den Kapitalismus. Mit der PP ist seit 2011 wieder die Partei an der Regierung, die aus der francistischen Bewegung hervorging. Auf Grund der Geschichte des Landes verwundert es nicht, dass die soziale Misere in Folge der kapitalistischen Krise den Menschen in Katalonien als von einer spanischen Regierung verursacht erscheint, die nicht ihre eigene ist.
Sozialer Kern
Daher verbirgt sich in der Auseinandersetzung, die sich an der nationalen Frage entfacht, ein sozialer Kern. Während die Bourgeoisie Nationalismus immer zur Rettung ihrer eigenen Pfründe verwendet, kämpfen die Menschen in Katalonien im Wesentlichen für ein besseres Leben, welches nur selbstbestimmt und ohne spanische Dominanz geschehen kann.
Es gibt auch in einem unabhängigen, aber kapitalistischen Katalonien kein besseres Leben. SozialistInnen sollten jedoch nicht für die Einheit in einem Staat gegen die Bewegung eintreten, der die Rechte seiner Bevölkerung mit den Füßen tritt.
Der spanische Staat und dessen Einheit sind Eckpfeiler der EU. Schafft es Katalonien, sich durchzusetzen, selbst mit einer bürgerlichen Regierung, wird es den Spanischen Staat enorm schwächen. Und ein Erfolg für die Unabhängigkeit würde gegen den erklärten Willen der EU-Führung und ihres neoliberalen Kurses geschehen und könnte andere ermutigen, sich dem auch entgegen zu stellen. In Schottland und anderen Ländern verfolgen die Leute Katalonien sehr genau. Aber es kann auch eine neue Dynamik in Ländern wie Portugal, Frankreich oder Griechenland entfachen.
Die Gefahr der Spaltung
Trotzdem die Bewegung für Unabhängigkeit große Schritte nach vorn gemacht hat, sich dutzende Komitees zur Verteidigung des Referendums (CDR) gegründet haben, und viele Menschen mit der Frage nach Unabhängigkeit weitergehende, sozialistische Schlussfolgerungen verbinden, gibt es die Gefahr der Spaltung.
Zwar war die Demonstration der “schweigenden Minderheit” für die Einheit des spanischen Staates in Barcelona nach dem Referendum weitgehend inszeniert. Dennoch gingen dort Teile der ansässigen nicht-katalanischen Bevölkerung hin, weil sie Sorgen haben, in welche Lage sie in einem unabhängigen Katalonien geraten würden und wie sich ihre Lebensverhältnisse entwickeln würden. Das nutzt die Zentralregierung gerade gezielt aus und gebiert sich als Beschützerin der gesamtspanischen Interessen. Und das, während sie 16.000 PolizistInnen nach Katalonien schickt, um ein Referendum zu unterdrücken und die Flächenbrände zur Zeit in Galizien weitgehend ohne Hilfe aus Madrid bleiben.
Ein Programm für die Einheit der Arbeiterklasse
Der Gefahr des Nationalismus hat die revolutionäre Arbeiterbewegung immer den Internationalismus entgegen gestellt. SozialistInnen sollten in einer Situation wie Katalonien die Dynamik nutzen, um die Bewegung möglichst weit in Richtung eines sozialistischen Programms zu treiben. Dazu ist nicht nur notwendig, das Recht auf Selbstbestimmung Katalonien anzuerkennen, sondern genauso bedingungslos für die Rechte der Nicht-KatalanInnen einzutreten und sie in die Bewegung einzubeziehen. Das wird nur gelingen, wenn die Arbeiterklasse insgesamt als von bürgerlichen Strömungen unabhängige Kraft die Bühne betritt – wie im letzten Generalstreik. Durch ein Programm, das soziale Forderungen an oberste Stelle setzt, können alle Teile der Arbeiterklasse Kataloniens einbezogen werden, organisatorisch wie politisch.
Die Bewegung steht einem gut vernetzten Feind gegenüber: dem internationalen Kapital, gerade in Form der spanischen Herrschenden. Deshalb ist internationale Solidarität unabdingbar. Ein unabhängiges Katalonien wird Angriffen von allen Seiten ausgesetzt sein und sich nur behaupten können, wenn der Schulterschluss mit den Bewegungen in anderen Regionen – innerhalb und außerhalb des Staates – getätigt wird. um den Boden für eine Föderation sozialistischer, wirklich demokratischer Staaten auf freiwilliger Grundlage zu bereiten.