Der Konflikt droht zu eskalieren
Der Test einer Bombe am 3. September, der der bisher schwerste war, den Nordkorea bislang durchgeführt hat, und die kriegslüsterne Reaktion der USA belegen, wie instabil und gefährlich die Situation auf der Halbinsel und in der gesamten Region ist.
Von Niall Mulholland
Die heftige Detonation im Norden des Landes war bis nach Südkorea und China zu spüren. Das Regime behauptet, es habe eine Wasserstoffbombe gezündet, die bis zu 14-mal stärker war als beim letzten Test einer Bombe.
Einige Stunden später hat dann Südkorea mit Unterstützung der USA Militärübungen durchgeführt und Raketen abgefeuert. Ein Angriff auf Nordkorea wurde simuliert.
Angesichts der auf beiden Seiten an Schärfe zunehmenden Kriegsrhetorik wird in den nächsten Tagen von weiteren Bombentests durch Nordkorea ausgegangen.
Nachvollziehbarer Weise sind viele Menschen in der Region und weltweit voller Sorge, dass die aggressiven Aktionen der USA und die Waffenprogramme Nordkoreas zu einem bewaffneten Konflikt führen können – mutwillig oder „zufällig“ herbeigeführt. Sogar ein atomarer Krieg scheint nicht ausgeschlossen. Der Gedanke an einen bewaffneten Konflikt zwischen beiden Staaten, der Folgen für den ganzen Planeten hätte (die Rede ist von einem durch eine Kernreaktion ausgelösten „nuklearen Winter“). Unzählige Menschenleben wären in Gefahr und es könnte zu schweren Folgen für die Umwelt kommen. Diese Option hält Millionen von Menschen in Atem.
Das Waffenarsenal Nordkoreas ist zwar entsetzlich, aber nichts im Vergleich zu den 7.000 Atomsprengköpfen, mit denen die Supermacht USA aufwarten kann. Und die USA sind das einzige Land, das jemals Atomwaffen eingesetzt hat: 1945 wurden die japanischen Städte Nagasaki und Hiroshima bombardiert, was hunderttausende Tote zur Folge hatte.
Während Trump die nordkoreanische Bedrohung für den „Weltfrieden“ verurteilt, ist es die imperialistische Supermacht USA, die in diesem Jahr bereits über 6.000 Bomben in verschiedenen Ländern abgeworfen hat. Dabei sind tausende Unschuldige ums Leben gekommen, in den meisten Fällen vollkommen verarmte Menschen.
Die Trump-Administration hat auf den Bombentest Nordkoreas sehr unterkühlt reagiert. Auf die Frage, „Werden sie Nordkorea angreifen?“, antwortete Trump: „Das werden wir noch sehen.“
US-Verteidigungsminister James „Mad Dog“ Mattis warnte, Nordkorea drohe „eine massive militärische Antwort“ auf alle Drohungen in Richtung der USA und seiner Verbündeten. Das würde zur „völligen Vernichtung“ Nordkoreas führen. Gleichzeitig erklärte Mattis, dass die USA keine Pläne für einen „Regimewechsel“ hätten. Das ist Ausdruck der sehr begrenzten Optionen, die das „Weiße Haus“ hat, und ist Beleg für die sich widersprechenden Haltungen, die in der Administration vorzufinden sind.
Sanktionen
Nikki Haley, der US-amerikanische Botschafter bei den Vereinten Nationen, erklärte, dass Kim Jong-un „um Krieg bettelt“ und forderte den Abbruch sämtlicher Handelsbeziehungen zu Nordkorea. Schon werden neue Sanktionen diskutiert – die ersten Sanktionen der USA reichen bis 1950 zurück. Die neuen Forderungen beinhalten das Ende aller Öllieferungen und Finanztransaktionen sowie einen Einreisestopp für nordkoreanische ArbeiterInnen (schätzungsweise sind mehr als 50.000 ArbeiterInnen aus Nordkorea in China und Russland beschäftigt, die ausländische Devisen ins Heimatland zurücksenden).
Das wiederum ist eine direkte Bedrohung für die Interessen Chinas. Das Land gilt als wichtigster Handelspartner Nordkoreas und erster Öllieferant.
Gerade erst sind wieder UN-Sanktionen gegen Nordkorea beschlossen worden, darunter auch ein Stopp von Lieferungen von Kohle, Blei, Fisch und Meeresfrüchten im Wert von einer Milliarde Dollar jährlich bzw. einem Drittel der Jahreseinnahmen.
Auf Twitter drohte Trump, „jeglichen Handel mit Ländern zu beenden, die mit Nordkorea Geschäfte machen“. Diese lebensmüde Politik würde dazu führen, dass der Handel zwischen den USA und China, den beiden größten Wirtschaftsmächten der Welt, eingestellt werden müsste. Das würde heftige Handelskriege nach sich ziehen und die Weltwirtschaft ins Chaos stürzen. Am wahrscheinlichsten wäre in dem Fall eine schwere wirtschaftliche Depression.
Das Regime in China hat den jüngsten Atomtest Nordkoreas als „Fehler“ bezeichnet und entschieden dazu aufgerufen, die Krise „friedlich“ zu lösen.
Die sogenannten „Freeze for freeze“-Vorschläge Chinas und Russlands, wonach die USA und Südkorea mit ihren massiven Militärmanövern an der Grenze zu Nordkorea aufhören sollen und Pjöngjang im Gegenzug die Atombomben- und Raketentests einstellt, um zu Gesprächen zu kommen, werden vom „Weißen Haus“ in den Wind geschlagen.
Sowohl China als auch Russland grenzen an Nordkorea und konkurrieren mit den USA in der Region Eurasiens. Sie kritisieren das Atomwaffenprogramm Pjöngjangs unter anderem deshalb, weil der US-Imperialismus damit einen Vorwand für die massive Aufrüstung auf der koreanischen Halbinsel bekommt.
Gleichzeitig leisten China und Russland unentwegt Widerstand gegen schwerwiegende Sanktionen (z.B. ein Ölembargo), weil das zu sozialem Chaos in Nordkorea oder gar zum Zusammenbruch des Regimes in Pjöngjang führen könnte. Die Folge wären Millionen von Flüchtlingen, die nach China oder auch Russland einreisen wollen würden. Man fürchtet das Ende des nordkoreanischen „Puffers“, weil danach ein „wiedervereinigtes“ Korea unter US-amerikanischer Kontrolle entstehen könnte. Dieses Korea könnte Massenvernichtungswaffen bekommen, die direkt vor ihrer Haustür auf China und Russland gerichtet werden könnten. Es ist wahrscheinlich, dass die beiden Länder für nur abgeschwächte Sanktionen sorgen werden, nachdem die USA und ihre Verbündeten bei der UNO für eine Verschärfung plädiert haben.
In einer wütenden Reaktion auf drohende Sanktionen wandte Russlands Präsident Putin ein, dass Kim Jong-un nicht „verrückt“ ist, wie die westlichen Medien den nordkoreanischen Diktator gerne beschreiben, sondern dass er vernünftig handelt. „Wir alle erinnern uns gut daran, was mit dem Irak und mit Saddam Hussein passiert ist. Hussein hat aufgehört, die Massenvernichtungswaffen zu produzieren . . . Und auch in Nordkorea weiß man das und erinnert sich genau“, so Putin weiter. „Und Sie glauben, dass Nordkorea [seinen Kurs] wegen einiger Sanktionen aufgeben wird?“.
Tatsächlich macht das Regime von Kim Jong-un den Anschein, als würde es sein Atomwaffenprogramm mit beschleunigtem Tempo verfolgen, um es als „Abschreckung“ gegen einen von den USA angeführten Militärschlag ins Feld zu führen. Gaddafi, der Diktator von Libyen, hat 2003 sein Atomprogramm aufgegeben und dafür Zusagen erhalten, ins Handelsgeflecht mit aufgenommen zu werden und Teil von Sicherheitsabsprachen mit dem Westen zu werden. 2011 haben die USA und ihre Verbündeten aber die Aufständischen gegen Gaddafi unterstützt. Das hat zum Sturz seines Regimes und zum grausigen Ende von Gaddafi selbst geführt.
Welche Sanktionen auch immer gegen Nordkorea verhängt werden: Leiden müssen die arbeitenden Menschen in dem Land, und das Regime in Pjöngjang betrachtet die Atomwaffen als seine einzige echte Verhandlungsmasse und Überlebenschance.
Stalinismus
Die Bomben- und Raketentests des Regimes in Nordkorea erhöhen mit Sicherheit das Risiko eines Konflikts, doch die Hauptverantwortung für diese gefährliche Situation in Nordostasien liegt bei der aggressiven und waghalsigen Trump-Administration.
Beim Regime in Nordkorea handelt es sich um eine besonders groteske Form des Stalinismus. Aber die Entwicklung dieses Regimes ist stark dadurch beeinflusst worden, dass der US-Imperialismus über Jahrzehnte hinweg eine militärische Bedrohung dargestellt hat.
1910 hat der japanische Imperialismus Korea brutal annektiert. Die Unabhängigkeitsbewegung Koreas wandte sich in den 1930er Jahren dem bewaffneten Widerstand zu. Kim Il-sung, der Großvater Kim Jong-uns, führte über 13 Jahre einen Kampf an, der 1945 schließlich mit dem japanischen Kontrollverlust über Korea endete.
Zum Ende des Zweiten Weltkriegs befürchteten die USA, dass die in den Norden der Halbinsel eindringenden SowjetsoldatInnen – zusammen mit zehntausenden koreanischen Guerillas unter Führung der Koreanischen Kommunistischen Partei – ganz Korea unter ihre Kontrolle stellen würden. Das US State Department teilte Korea entlang des 38. Breitengrades und 25.000 US-Truppen besetzten den Süden Koreas, um eine brutale Militärregierung zu etablieren.
Nach einer Reihe von südkoreanischen Einfällen im Norden brach am 25. Juni 1950 Krieg aus. Der US-Oberbefehlshaber, General MacArthur, schlug vor, zwanzig oder dreißig Atombomben über dem Norden abzuwerfen (für diese Unüberlegtheit wurde er durch US-Präsident Eisenhower des Kommandos enthoben). Unter dem Banner der UN (inklusive 60.000 britischer Truppen) bedeutete die konventionelle Bombardierung des Nordens, welche zuvor die industrialisierteste Region Koreas war, massive Opfer. Zwei Millionen ZivilistInnen starben und die Infrastruktur des Landes wurde massiv zerstört.
Zeitgleich ging das südliche Militärregime mit brutaler Repression gegen jeden und jede vor, die/der auf der politischen Linken vermutet wurde. Schätzungen gehen von mindestens 300.000 Menschen aus, die in den ersten Kriegsmonaten im Süden in Gewahrsam genommen, hingerichtet wurden oder „verschwunden“ sind. Viele der Verantwortlichen dienten zuvor den japanischen Herrschern und wurden von den Amerikanern wieder eingesetzt.
Der Korea-Krieg endete 1953 mit der Grenze, an der er anfing. Es gab keinen formalen Friedensvertrag und die USA weigerten sich die „Demokratische Volksrepublik Korea“ anzuerkennen.
Der Krieg und die Jahrzehnte der militärischen Bedrohung durch die USA führten dazu, dass Nordkorea zu einer immer mehr isolierten, monolithischen Form des Stalinismus wurde. Kim Jong-un ist der erbbedingte Führer eines Regimes, welches für seine Fremdenfeindlichkeit, seinen Personenkult und seine Scheinideologie namens „Juche“ (Selbstversorgung) berüchtigt ist. Das totalitäre Regime hält hunderttausende politische Gefangene in Arbeitslagern gefangen.
Reaktionäre Regime in Südkorea und die fortgesetzte, militärische Bedrohung gaben dem stalinistischen Regime Raum, seine Herrschaft zu legitimieren. Die USA, welche „operative Kontrolle“ über die koreanische Armee ausübt, sah tatenlos zu, wie in Südkorea zwei rechte Militärputsche stattfanden – 1961 und 1980.
In den ersten Jahrzehnten seiner Existenz konnte Nordkorea auf Basis einer geplanten Wirtschaft den Süden wirtschaftlich überholen. Der Lebensstandard konnte beachtlich gehoben werden, ebenso wie der Grad an Alphabetisierung, an Gesundheitsversorgung und an Bildung. Das Land wurde großflächig urbanisiert und industrialisiert.
Doch wie in allen stalinistischen Staaten untergrub die von oben nach unten organisierte und bürokratische Herrschaft die Erfolge der Planwirtschaft und wurde letztlich zu einem grundlegenden Hindernis für die weitere Entwicklung. Der Militärapparat, welcher rund eine Million Truppen und ein riesiges Spektrum konventioneller Rüstung umfasst, ist eine riesige Bürde für die Wirtschaft.
Die nordkoreanische Wirtschaft
Die Wirtschaft wurde besonders durch den Zusammenbruch der Sowjetunion 1990 getroffen. Billige Importe waren nicht mehr zugänglich. Das wurde durch Überschwemmungen und daraus resultierende Hungersnöte in den Jahren 1995 und 1996 noch verstärkt.
Die Führung unter Kim Jong-il musste die Entwicklung privater, landwirtschaftlicher Märkte erlauben. 2002 verkündete das Regime die Entstehung zweier Sonderwirtschaftszonen.
Sowohl die Zahl der offiziellen als auch die der Schwarzmärkte sind gestiegen – ebenso die Zahl privater Unternehmen. 2013 verkündete Kim Jong-un seine „Byungjin“-Linie – eine Politik, die sowohl die Wirtschaft als auch die Atomwaffenbestände entwickeln soll. Damit wurden 400 Märkte neu erlaubt. Gleichzeitig machen Schwarzmärkte mittlerweile siebzig bis neunzig Prozent des gesamten Haushaltseinkommen aus. Die südkoreanische Zentralbank gab im letzten Monat an, dass die Wirtschaft des Nordens 2006 um 3,9 Prozent gewachsen ist – das schnellste Tempo seit 17 Jahren. Jedoch ist die Wirtschaft „weit davon entfernt, sich bis auf Vorkrisen-Niveau zu erholen“, laut Professor Byung-Yeon Kim von der Seoul National University.
Kapitalisten in ganz Ostasien wollen selbstverständlich Nordkoreas billige Arbeitskräfte ausbeuten.
Nur wirkliche, demokratische Arbeiterkontrolle und -verwaltung auf allen Ebenen der nordkoreanischen Gesellschaft könnten das volle Potenzial der geplanten Wirtschaft verwirklichen. Das beinhaltet den Sturz des Kim Jong-un-Regimes sowie den Schulterschluss mit der Arbeiterklasse in Südkorea im Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus.
Obwohl Trump gegen Nordkoreas nukleare Bestrebungen wettert, waren es die USA die Nuklearwaffen erst auf die koreanische Halbinsel im Jahr 1958 brachten. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden sie wieder abgezogen. Seit 1991 führten die USA regelmäßige Flüge von mit Atomwaffen bestückbaren Bombern im südkoreanischen Luftraum durch und atomwaffenfähige U-Boote der USA befuhren die umliegenden Gewässer. Die USA behalten ebenfalls eine massive „konventionelle“ Militärpräsenz in Südkorea bei.
Nukleare Leistungsfähigkeit
Als Reaktion darauf beging Nordkorea den langen Weg in Richtung des Aufbaus von Nuklearkapazitäten und testete 1992 seine erste Mittelstreckenrakete und 1998 seine erste Langstreckenrakete. Es nutzte die von seinernNuklearwaffen ausgehende Bedrohung und das riesige konventionelle Arsenals, um die US-Supermacht in Verhandlungen zu zwingen. Das Regime brauchte ökonomische Zugeständnisse um nicht zusammenzubrechen und strebte nach einem Ende der strategischen Belagerung durch die USA, welche selbige seit Ende des Korea-Kriegs aufrecht erhielt.
US-Präsident Bill Clinton gab zu, dass „wir tatsächlich Pläne für Angriffe auf Nordkorea und zur Zerstörung ihrer Reaktoren entwarfen und wir sagten ihnen, dass wir angreifen würden, wenn sie ihr Atomprogramm nicht einstellten.“ Doch in Anbetracht der nackten Fakten (eine Million Tote bei einem Krieg auf der Halbinsel, inklusive 100.000 AmerikanerInnen und Kosten in Billionenhöhe) schlug der US-Imperialismus eine andere Richtung ein und begründete ein verhandeltes „Rahmenabkommen“ mit Nordkorea.
Laut dem Deal würde Nordkorea sein Nuklearwaffenprogramm aussetzen. Die USA würden wirtschaftliche Unterstützung leisten – in Form von Öl, Lebensmitteln und dem Bau zweier Leichtwasserreaktoren (welche kein Plutonium produzierten) zur Elektrizitätserzeugung. Außerdem würden die USA auf eine „volle Normalisierung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen“ hinarbeiten.
Der Handel führte dazu, dass alle Plutonium-Anlagen im Norden für acht Jahre (1994 bis 2002) heruntergefahren wurden. Teilweise wurden Schritte in Richtung Ausmusterung der nordkoreanischen Raketen unternommen. Die USA erfüllten aber nie ihre Versprechen, was dazu führte, dass Nordkorea geheim seine Nuklearwaffenpolitik erneuerte.
Ein großer Teil der Kapitalistenklasse in Südkorea war hingegen stark für ein Abkommen mit dem Norden, um einen Zusammenbruch und eine große Flüchtlingskrise zu verhindern. Das führte zu einem Gipfeltreffen zwischen Nord- und Südregime im Juni 2000.
Doch die militaristische Administration unter George W. Bush ließ das Rahmenabkommen fallen und brach alle Gespräche mit Nordkorea ab. In seiner berüchtigten Rede zur Lage der Nation 2002 erklärte Bush Nordkorea zum Teil einer „Achse des Bösen“.
Nichtsdestotrotz begannen 2003 die „Sechs-Parteien-Gespräche“ zwischen Nord- und Südkorea, den USA, Russland, China und Japan. Nordkorea bekäme wirtschaftliche Unterstützung, wenn es sich im Gegenzug verpflichtet dir Arbeit an seiner Nuklearbewaffnung einzustellen. Im Juli 2007 bestätigte die Internationale Atomenergie-Organisation, dass der Plutonium produzierende Reaktor in Yongbyon heruntergefahren war.
Doch der gegenseitige Argwohn und das Misstrauen zwischen Nordkorea und den USA erwiesen sich als unüberbrückbar. Nordkorea war wütend über die nicht endenden Forderungen nach Informationen über sein Nuklearprogramm und die USA behaupteten, dass Nordkorea ein geheimes Uran-Anreicherungs-Programm fortsetzen würde.
Unter der Obama-Administration gab es keinen bedeutenden Politikwechsel betreffs Nordkorea – trotz der abgemilderten Kriegsrhetorik. Der Amtsantritt der aggressiven, rücksichtslosen Trump-Administration läutete wiederum eine gefährliche Zunahme der Spannungen ein.
Eingeschränkte Möglichkeiten des US-Imperialismus
Trump ist wie vorherige US-Präsidenten mit denselben eingeschränkten Optionensmöglichkeiten konfrontiert – heute umso mehr, da Nordkorea kurz vor dem Besitz atomwaffenbestückter Raketen zu stehen scheint. Pjöngjang behauptet, dass diese das amerikanische Festland erreichen können.
Kurz bevor er vom Weißen Haus gefeuert wurde, beschrieb Steve Bannon, Mitglied der Alt-right-Bewegung und ehemaliger Trump-Berater, die Beziehung zwischen den USA und Nordkorea als ein Beispiel für einen „Wirtschaftskrieg“ mit China. Bannon stellte fest, dass es „keine militärische Lösung“ gäbe um Nordkoreas Atom- und Raketenprogramm zu stoppen.
„Vergesst es“ teilte er dem Magazin American Prospect mit (16. August). „Bis jemand den Teil der Gleichung löst der verhindert, dass 10 Millionen Menschen in Seoul in den ersten 30 Minuten durch konventionelle Waffen sterben, verstehe ich nicht wovon man redetet, es gibt hier keine militärische Lösung, sie haben uns in der Hand“
Aufgrund des massiven Artillerieaufgebots, an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea, vermuten Militäranalytiker, dass 100.000 Menschen in Seoul in den ersten Tagen eines Konfliktes sterben könnten. Und es gibt keine Garantie darauf, dass ein US-Militärschlag alle versteckten Teile des nordkoreanischen Atomprogramms zerstören könnte.
Viele führende und ehemalige US-Beamte teilen Bannons Ansicht. „Er hat absolut recht“, kommentierte zum Beispiel der frühere, für die Verhandlungen über Nordkoreas Atomprogramm zuständige Joel S. Wit, die Situation. „Dieser (US-Erstschlag) ist keine glaubwürdige Drohung und war es auch in Wirklichkeit nicht mehr seit den 1990ern. Wir haben so getan als ob es glaubwürdig ist, aber in Wirklichkeit ist es nicht so.“
Der Leitartikel (5. September) der Financial Times stellte unverblümt fest: „Die Welt hat keine andere Wahl als mit einem atomar bewaffnetem Nordkorea leben zu müssen. Die USA können diesen Fakt nicht ändern ohne ein katastrophales Risiko einzugehen.“
Im August, gab der südkoreanische Präsident Moon Jae-in ähnliche Kommentare ab: „Ich kann selbstbewusst sagen, dass es keinen Krieg auf der koreanischen Halbinsel geben wird.“
Nach dem nordkoreanischen Bombentest am 3. September beschuldigte Trump Südkorea Beschwichtigungspolitik zu betreiben und stellte auch die Weiterführung des Freihandelsabkommen zwischen den US und Südkorea in Frage – ein sehr provokatives Statement von dem sich das Weiße Haus schnell wieder distanzierte.
Moon Jae-in selbst steht enormem Druck im Land gegenüber, nachdem Massenproteste die Amtsenthebung seines rechten Vorgängers erzwungen haben. Er versprach repressive Sicherheitsgesetze zurückzunehmen, um die Aussöhnung mit Nordkorea zu fördern und auch, dass Seoul eine von den USA unabhängigere Außenpolitik einnehmen würde. Während sich Moon Jae-in unter intensivem Druck befindet mehr US-Raketen zu akzeptieren, wird berichtet, dass seine Regierung ein eigenes Atomwaffenprogramm erwägt.
Instabil und gefährlich
Trotz der überwältigenden Zahl an Fakten, die gegen einen US-Erstschlag sprechen, bleibt die Situation instabil und gefährlich. Die Protagonisten Kim Jong-un und Donald Trump sind unberechenbar. Die New York Times warnt, dass Trump Gespräche mit Kim Jong-un in die Wege leiten soll „bevor Absichtserklärungen und Fehleinschätzungen zum Krieg führen.“ Falsch kalkulierte, „taktische“ Militärmanöver und -scharmützel oder „unbeabsichtigte“ Vorfälle können zu einer Spirale ausgeweiteter, zerstörerischer Konflikte führen.
Das Weiße Haus veröffentlicht widersprüchliche Statements, wie es beabsichtigt mit Nordkorea umzugehen. Das spiegelt nicht nur den instabilen Charakter der Präsidentschaft Trump sondern auch die intensiven Debatten und Uneinigkeiten innerhalb der herrschenden Kreise der USA wider.
Teile des US-Establishments raten zu aggressiveren Aktionen. In einem kampfeslustigen Leitartikel ruft das Wall Street Journal nach der Stationierung von Atomwaffen in Südkorea und ermutigt nordkoreanische „Eliten überzulaufen oder einen staatsinternen Putsch anzuzetteln.“ In eiskalter Manier fährt der Artikel fort, Massenaushungerung als Waffe gegen Pjöngjang zu nutzen: „Das Vorenthalten von Lebensmittelzufuhren wäre normalerweise unethisch, doch Nordkorea ist ein Ausnahmefall.“ (WSJ, 5. September 2017)
Ein bewaffneter Konflikt auf der koreanischen Halbinsel würde riesige antiimperialistische und gegen den Krieg gerichtete Proteste auf der ganzen Welt hervorrufen. Selbst revolutionäre Bewegungen wären möglich – zumindestens in den USA, in denen die Trump-Administration schon jetzt von großen Teilen der amerikanischen Bevölkerung verabscheut wird.
In Südkorea fanden diese Woche Proteste gegen die Installation neuer US-Raketen statt. Die südkoreanische Arbeiterklasse hat eine stolze Geschichte voller Massenkämpfe gegen Militarisierung aufzuweisen. Außerdem haben Massenbewegungen frühere Militärdiktaturen gestürzt.
Auf lange Sicht muss sich die USA wahrscheinlich mit der Perspektive abfinden, in Verhandlungen mit Nordkorea zu treten und einen Deal auszuhandeln, der versucht das mit Atomwaffen ausgerüstete Nordkorea zu zügeln. Die Washington Post berichtet, dass die USA und Nordkorea „einen stillen diplomatischen Kanal in den letzten Monaten offen gehalten haben, welcher für nachhaltigere Verhandlungen genutzt werden könnte.“
Doch der einzige Weg, um langfristigen Frieden und Stabilität in der Region zu sichern, ist der Aufbau einer starken internationalen Opposition der Arbeiterklasse gegen die Trump-Administration, gegen die Militarisierung der koreanischen Halbinsel und für die weltweite Vernichtung aller Atomwaffen.
Damit verbunden ist der Kampf der Arbeiterklasse – auf der nordkoreanischen Halbinsel, der gesamten Region und in den USA – für eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft, die sich nach den Bedürfnissen der Menschen und nicht nach Profiten richtet. Die Vereinigung Koreas auf einer wirklich sozialistischen Basis und die Gründung einer freiwilligen und gleichberechtigten, sozialistischen Föderation in der Region würde der Klassenausbeutung und den Kriegen ein Ende setzen.
Niall Mulholland ist Mitglied des Internationalen Sekretariats des Komitees für eine Arbeiterinternationale. Dieser Artikel erschien zuerst am 09. September 2017 auf www.socialistworld.net