Frankreich: Hunderttausende gegen Macron

Auftakt zu einem Herbst der Massenproteste?

Vorbemerkung: In den letzten Wochen erschüttern Massenproteste gegen die Arbeitsmarktpolitik Macrons Fran

 

kreich. Vor wenigen Tagen beteiligten sich 150.000 an einer vom linken Politiker Jean-Luc Mélenchon aufgerufenen Demonstration. In der Woche zuvor hatte die Gewerkschaft CGT mobilisiert. Wir veröffentlichen hier einen Bericht von SAV-Aktiven aus Dortmund, die sich solidarisch an dieser Gewerkschaftsdemonstration beteiligten.Macron hat sein umstrittenes Gesetz mittlerweile als dekret erlassen. Die Kämpfe dagegen sind aber noch nicht vorbei. 

 

„Tous ensemble“ schallt es an diesem Dienstagnachmittag mehrmals lautstark durch die Megaphone der Gewerkschaft CGT (Confédération générale du travail). Hunderttausende sind dem Aufruf der größten, radikalen Gewerkschaft in Frankreich gefolgt. Landesweit gab es an bis zu 200 Orten Streiks und Demos gegen die geplante Arbeitsmarktreform des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der damit nach dem Vorbild der Agenda 2010 Lockerungen im Arbeitsrechts durchdrücken will (siehe unten). Arbeitsniederlegungen bei der Staatsbahn, der Fluggesellschaft Air France, in den Raffinerien oder im Stromsektor legten Verkehr und Logistik lahm. In Marseille, Le Havre oder Paris kamen anschließend hunderttausende ArbeiterInnen, RentnerInnen, SchülerInnen, Studie

 

 

rende etc. beim ersten landesweiten Protesttag seit Macrons Präsidentschaft zusammen. Die Gewerkschaft CGT spricht von 400.000 TeilnehmerInnen. Am Rande der Demo in Paris setzte die Polizei Tränengas und Wasserwerfer ein.

 

An der Großdemonstration beteiligten sich auch Mitglieder der SAV, die innerhalb von linksjugend[’solid], DIE LINKE oder der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di aktiv sind, um die Arbeit der Gauche Révolutionnaire (Revolutionäre Linke, Schwesterorganisation der SAV) zu unterstützen. Vor Ort setzen sich die GenossInnen dafür ein, die Kämpfe zu verbinden und gemeinsame, antikapitalistische Massenproteste gegen die Politik von Macron zu koordinieren.

Denn trotz der steigenden Unzufriedenheit und des zunehmenden Potentials für soziale Kämpfe innerhalb der ArbeiterInnenklasse in Frankreich wird das von der organisierten Linken nicht ausreichend aufgegriffen, um breite Massenproteste aufzubauen. So hat die CGT zwar bisher eine kämpferische Kampagne initiiert, die bürokratische Führung beschränkt diese jedoch bloß auf einen Kampf gegen das geplante Arbeitsgesetz Macrons, statt diesen mit Protesten gegen weitere, unbeliebte Maßnahmen der Macron-Adminstration zu verbinden

 

Zudem wirkt die organisierte Linke sehr zerstritten: Zwischen CGT und der linkspopulistischen La France insoumise („Unbeugsamens Frankreich“) herrscht fast eine Konkurrenzsituation (erst sehr kurzfristig rief Parteichef Mélenchon zur Teilnahme am Streik auf), hinzu kommen sektiererische Einwände der Kommunistischen Partei (KPF) und der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA )an den Aufrufen zum Streik am 12. September und dem Aktionstag von France insoumise am 23. September. Angesichts der zunehmenden Unzufriedenheit ist es den meisten Menschen jedoch egal, ob sie an einer gewerkschaftlichen oder politischen Demo teilnehmen, um gegen Macrons Politik zu protestieren. Auch Gauche Révolutionnaire unterstützt beide Aufrufe, um den Kampf gegen Macrons Politik zu vereinen – und aufzuzeigen, dass der Widerstand gegen Macron nicht bloß ein gewerkschaftlicher Kampf ist, sondern eine politische Perspektive benötigt.

Jean-Luc Mélenchon selbst trägt mit polemischen Bemerkungen zum Teil dazu bei, dass die Linke in Frankreich zerstritten ist. Immerhin: Der linke Oppositionsführer schlägt in der Öffentlichkeit einen zunehmend kämpferischen Ton an. Der ehemalige Vorsitzende der Parti de Gauche, der bei den Wahlen im Mai noch knapp Macron unterlag, gehört laut Umfragen zu den beliebtesten PolitikerInnen in Frankreich. Er macht Druck auf die Regierung und stellt die Machtfrage; Macrons Arbeitsmarktreform nannte er einen „sozialen Staatsstreich“.

Zurecht. Denn Macron will seine neoliberale Umstrukturierung des Arbeitsmarktes per Dekret durchdrücken, erst danach soll das Parlament (in dem Macrons Partei sowieso die Mehrheit hat) das Gesetz abnicken. Der sogenannte „Code du travail“, der über den Sommer mit Konzernchefs und korrupten Gewerkschaftsspitzen verhandelte wurde, sieht massive Angriffe auf Lohnabhängige vor: Kündigungen sollen erleichtert werden – unter anderem durch gedeckelte Abfindungen; ArbeitnehmerInnen-Gremien zusammengelegt und damit geschwächt werden; Regelungen zur Arbeitszeit, zu Sicherheitsbestimmungen, Überstunden und Löhnen sollen verstärkt auf Unternehmensebene geführt werden.

Geschickt holte Macron bei den Verhandlungen zum Arbeitsmarktgesetz die Bürokratiespitzen der Gewerkschaften Force Ouvrière (FO) und CFDT ins Boot. Die Folge: Beide Gewerkschaften riefen nicht zu Streiks auf und verkündeten, lieber hinter verschlossenen Türen Einfluss auf das Gesetz nehmen zu wollen. Bei der Basis kam das nicht ganz an. Tausende Mitglieder beider Gewerkschaften nahmen an den Massenprotesten teil. Dazu beigetragen hat sicher auch Macrons Äußerung, keine Zugeständnisse machen zu wollen – „nicht den Faulenzern, nicht den Zynikern, nicht den Hardlinern“. Auf den Straßen gab es wütende, polemische Antworten – auf Bannern, auf Transparenten oder in Sprechchören. Doch der ehemalige Finanzminister der Hollande-Regierung will das Arbeitsrechtsgesetz um jeden Preis, gegen alle Widerstände durchdrücken. Er wäre nicht der erste, der daran scheitert. Schon die konservativen Regierungschefs Chirac und Sarkozy zogen ihre neoliberalen Reformpläne nach Massenprotesten zurück. Auch im letzten Sommer folgten Hunderttausende dem Streikaufruf der Gewerkschaften. Am Ende konnte die Hollande-Regierung ihre Reform nur zum Teil durchdrücken. Nun also Macron.

Die Umfragewerte des 39-Jährigen fallen seit Wochen dramatisch. Gleichzeitig nehmen die Proteste zu. Am 18.9. blockierten Lastwagenchauffeure die Zufahrt zu einigen Städten und riefen ChauffeurInnen aller Gewerkschaften und Linksparteien zum Streiktag auf. Damit zielen sie auch auf die Zerstrittenheit der Linken um Mélenchon oder Martinez (Vorsitzender der CGT). Denn ohne eine vereinigte, kämpferische Linke wird es Macron leicht haben, sein Gesetzesvorhaben durchzudrücken. Für die GenossInnen von Gauche Révolutionnaire geht es nun darum, diese Kämpfe zu vereinen und den Widerstand gegen die neoliberalen Maßnahmen mit einer politischen Perspektive zu verknüpfen. Fest steht schon jetzt: Macron und seiner Regierung droht ein heißer Herbst mit Massenprotesten.