Ausbildung = systematische Ausbeutung
Der DGB hat den Ausbildungsreport für 2017 veröffentlicht. Bei diesem handelt es sich um eine jährlich erscheinende Analyse über die aktuelle Situation von Azubis, wobei diese Jahr die Berufsschulsituation als Schwerpunktthema behandelt wurde.
von Jule Lange, Hamburg
Obwohl festgestellt worden ist, dass 71,9 Prozent der Azubis mit ihrer Ausbildung grundsätzlich zufrieden sind, darf einen diese scheinbar so positive Zahl nicht täuschen. Denn es gibt gravierende Probleme.
Es fängt damit an, dass viele junge Menschen gar keinen Ausbildungsplatz bekommen oder einen Beruf erlernen müssen, den sie nur als „Notlösung“ sehen und nicht als etwas, das sie wirklich machen wollen, doch wie kommt das, wenn es zugleich mehr als 43000 unbesetzte Ausbildungsplätze gibt?
Hinzu kommt noch, dass 24,9 Prozent der Azubis ihre Ausbildung abbrechen und über 80 Prozent überlegen das zu tun. Diese Zahl zeigt bereits deutlich, das grundsätzliche Problem, nämlich das für Jugendliche extrem unattraktiv ist, eine Ausbildung auch nur anzufangen. Doch warum?
Wenn doch zugleich Friedrich Esser (Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung) das duale System als „Exportschlager“ Deutschlands bezeichnet und betont, wie gut die Qualität des selbigen sei, da man sowohl theoretisches, berufsspezifisches Fachwissen erhalte und zugleich schon einen großen Praxisbezug habe. Doch bei einer genauen Betrachtung der im Schnitt 3 Jahre dauernden Ausbildung ergibt sich ein anderes Bild.
Überstunden
Viele Azubis müssen Überstunden leisten (im Schnitt 4,2h/Woche), welche oft weder bezahlt, noch durch Freizeit ausgeglichen werden. Dies ist gerade für junge Menschen, die frisch aus der Schule komme sehr schwierig und eine große Belastung. Die Branchenunterschiede sind wie insgesamt bei der Ausbildung auch hier groß. Bei KöchInnen sind es 7,6 Stunden pro Woche. Es gibt Azubis, die 20(!) Überstunden pro Woche machen (1,2 Prozent). Mehr als jeder neunte minderjährige Azubis arbeitet rechtswidrig über vierzig Stunden die Woche.
Keine fachliche Ausbildung
Es müssen betriebsfremde Aufgaben, wie Kaffee kochen, einkaufen gehen oder das Auto des Chefs putzen erledigt werden, da Azubis als billige Arbeitskräfte missbraucht und nicht richtig ausgebildet werden. Bezeichnend dafür ist auch, dass in vielen Fällen der gesetzlich vorgeschriebene Ausbildungsrahmenplan, in welchem festgelegt wird, in welcher Woche der Ausbildung bestimmte Inhalte vermittelt werden sollen, nicht an die Azubis ausgehändigt wird, was zur Folge hat, dass die Qualität der Ausbildung sinkt.
Hinzu kommt auch, dass oftmals keine Lehrgespräche stattfinden und der Ausbilder kein kompetenter Ansprechpartner ist. Dies sorgt dafür, dass die Azubis in den Betrieben nicht nur fachlich schlecht eingearbeitet werden, sondern sich auch noch menschlich unwohl fühlen, da sie nicht wissen, an wen sie sich mit ihren Fragen wenden sollen. Auch das Berichtsheft sollte eigentlich während der Arbeitszeit geführt werden könne, was in der Regel nicht möglich ist.
Schule
Oft muss vor oder nach der Berufsschule gearbeitet werden, obwohl gesetzlich vorgeschrieben ist, dass Azubis für die Schule freizustellen sind und der Schulbesuch als voller Arbeitstag gilt. Eigentlich sollte es so sein, dass die theoretische und praktische Ausbildung einen gleichen Stellenwert haben, doch in vielen Betrieben wird die Schule nur als notwendiges Übel gesehen.
Um ein Beispiel aus meiner letzten Ausbildung zu nennen. Mein Chef hat mir damals erklärt, dass er mich für die Schule freistellen muss. Dies bedeutet, dass ich ab 8.00 morgens freigestellt bin, da die Schule um 8.30 anfängt. Mein Arbeitsbeginn war jedoch nachts um null Uhr und natürlich wurde erwartet, dass ich dann zur Arbeit erscheine, denn die Personalsituation war so schlecht, dass die Arbeit für die Kollegen sonst nicht zu schaffen gewesen wäre. Er hat mich also in mehrerer Hinsicht unter Druck gesetzt, da man ja die anderen nicht hängen lassen möchte und als Azubi in ja auch vom Wohlwollen des Chefs abhängig ist, wenn dieser auch in der Gesellenprüfungskommission sitzt. Zudem ist man als junger Mensch, der zum ersten mal einen Job hat ja auch noch nicht so selbstbewusst, sondern eher unsicher, da man fürchtet, die Ausbildungsstelle zu verlieren und vor dem Nichts zu stehen.
Gerade solche Aktionen, wie das Arbeiten vor der Schule, oder viele Überstunden, haben zur Folge, dass die Azubis in der Schule müde, unkonzentriert und desinteressiert sind, was letztendlich dazu führt, dass sie schlechter auf ihre Gesellenprüfung vorbereitet werden, beziehungsweise in dieser Prüfung schlechter abschneiden, was zur Folge hat, dass sie auf dem Arbeitsmarkt größere Schwierigkeiten haben, einen neuen Job zu finden.
Hinzu kommt noch, dass auch die Schulen oft sehr schlecht ausgestattet sind. So müssen Fachbücher von den Azubis selbst gekauft werden, die Räume für den Praxisunterricht sind oft schlecht ausgestattet und die Klassen sind mit im Schnitt 21,5 Personen sehr groß, vor allem da in einer Berufsschulklasse die Vorbildung der Schüler sehr unterschiedlich ist und der Lehrer so nicht in der Lage ist, auf die Bedürfnisse der Schüler einzugehen.
Übernahme
Gegen Ende der Ausbildung, während man gerade mitten in der Prüfungsvorbereitung steckt, stellt sich immer noch die Frage, ob man auch übernommen wird, da es dafür keine Garantie gibt. Das bedeutet im Endeffekt, dass zusätzlich zur regulären Arbeit und der zeitintensiven Prüfungsvorbereitung nun auch noch das Schreiben von Bewerbungen kommt oder der Gang zum Amt, um schon einmal präventiv Arbeitslosengeld zu beantragen, was natürlich beides Zeit kostet und die unsichere Situation in der man sich befindet, ist auch noch eine große Belastung.
Vergütung
Laut Tarif sollte die durchschnittliche Ausbildungsvergütung 854 Euro betragen, was nicht viel ist, doch da die Arbeitgeber den Tarif um bis zu 20 Prozent unterschreiten dürfen, sieht auch hier die Realität anders aus. Es kommt sogar noch der „gender pay gap“ zum tragen, da es eher männlich und eher weiblich dominierte Berufe gibt. Bei den eher von Männern dominierten Berufen liegt die tatsächliche Höhe der Vergütung bei 789 Euro, bei den von Frauen dominierten Berufen bei 683€. Und jeder der schon mal in einer Stadt Miete gezahlt hat, weiß, dass 683€ zum Leben zu wenig sind. Viele Azubis sind auf Ausbildungsbeihilfe, Wohngeld oder Zuschüsse ihrer Eltern angewiesen – defakto ein Kombilohn, der es den Arbeitgebern möglich macht, so geringe Vergütungen zu zahlen.
Perspektiven
Trotz alle dem sind 71,9 Prozent „zufrieden“. Das zeigt deutlich, wie wenig junge Menschen von der Ausbildung erwarten, obwohl diese eigentlich etwas sein wollte, dass einen auf die Zukunft in der Arbeitswelt vorbereitet. Doch worauf soll man sich auch freuen, da auch die Perspektiven nach der Ausbildung die Perspektiven für Viele nicht besonders viel versprechend sind. Sie erwarten Minijobs, Zeitarbeit, befristete Arbeitsverträge, ein Mindestlohn von 8,84 Euro und eine Rente mit frühestens 67 und selbst dann besteht noch das Risiko in Armut zu leben.
In all diesen Dingen zeigen, wie wenig Wertschätzung Arbeit erfährt und was für ein Menschenverachtendes System der Kapitalismus ist. Doch um dies zu verändern, müssen wir selbst aktiv werden, indem wir in die Gewerkschaften eintreten, uns organisieren und bei Streiks auf die Straße gehen.