Über die Rolle des Einsatzleiters der Polizei bei den G20-Protesten
Selbst in den bürgerliche Medien gerät der Chef des Polizeieinsatzes beim G20-Gipfel mehr und mehr in die Kritik
von Steve Hollasky, Dresden
Schütteres Haar, Brille und Polizeiuniform – manchmal kommen Recht und Ordnung ganz bieder daher. Wer da aussieht wie ein netter Dorfpolizist, der Kinder über die Straße bringt, ist verantwortlich für einige der fragwürdigsten Polizeieinsätze in der Geschichte der Bundesrepublik.
Ein erzkonservativer Workaholic
Dabei liebt Dudde seinen Job scheinbar abgöttisch. Selbst seine Gesundheit setzt er schon mal aufs Spiel: Als Hartmut Dudde im April einen Herzinfarkt erlitt, meldete er sich schon fünf Tage später wieder zum Dienst!
Sein Aufstieg begann ausgerechnet mit Ronald Barnabas Schill, dem Rechtsaußen, der mit seiner „Partei rechtsstaatliche Offensive“ (PRO) 2001 in einer Koalition mit der CDU Hamburg regierte. Schill wurde zweiter Bürgermeister und Innensenator. Der „Richter Gnadenlos“, wie Schill ganz gern genannte wurde, erklärte die Kriminalität in Hamburg bekämpfen zu wollen. Damit meinte Schill selbstverständlich nicht die Verarmung weiter Bevölkerungsschichten, die man im Angesicht ungeheurer gesellschaftlicher Reichtümer etwas polemisch als kriminell bezeichnen könnte, und er wollte auch nicht die Ursachen von Verbrechen angehen, also die Armut bekämpfen. Schill wollte die harte Hand gegen Diebstähle und Drogenkriminalität. Also brauchte der Mann, der bald schon mit einem youtube-Video von sich reden machte, auf dem er Kokain konsumierte, Untergebene, die seine Linie mit vollstrecken sollten. Deshalb holte Schill Hartmut Dudde aus Karlsruhe und machte den Polizisten zum Chef der Hamburger Bereitschaftspolizei.
Am Rande der Rechtsstaatlichkeit
Der setzte fortan das durch, was man als „Hamburger Linie“ bezeichnete. Die Polizei sollte Stärke zeigen. Man könnte auch einfach sagen, sie griff, gerade gegen linke Demonstrationen, mit aller nur erdenklichen Härte durch. Grundlage war der irre polizeiliche Grundsatz, nach dem das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit ein derart hohes Gut sei, dass man es offensiv gegen alle Störungen aus der Demonstration heraus verteidigen muss. Das rechtfertigte jeden noch so brutalen Einsatz gegen Demonstrationen.
Was Dudde eigentlich im Schilde führte soll nur ein Beispiel zeigen – das vielleicht bekannteste: Am 7. Februar 2015 marschierte die NPD durch Hamburg. Die GegendemonstrantInnen waren in großer Zahl erschienen und demonstrierten angemeldet und friedlich – zu friedlich für den Geschmack des Herrn Dudde. Nach Ende der NPD-Kundgebung wies der an, dass der NPD-Lautsprecherwagen durch die Gegendemonstration fahren solle, obwohl auch andere Wege vom Demonstrationsgelände möglich gewesen wären. Und das gewollte Ergebnis sollte nicht lange auf sich warten lassen. Die Lage eskalierte, es kam zu Auseinandersetzungen zwischen Polizeikräften und GegendemonstrantInnen. Interessant, dass hiernach mehrere hochrangige Polizeikader, die Eskalationen dieser Art vermeiden wollten, um Versetzung baten. Deutlicher kann man seinen Protest gegen solch ein Vorgehen innerhalb eines hierarchisierten Betriebs wie der Polizei kaum äußern!
Duddes Karriere tat das keinen Abbruch. Genauso wenig wie die ständigen Gerichtsverfahren, die sich nach Ende der von ihm geleiteten Polizeieinsätze immer wieder die Rechtswidrigkeit seines Vorgehens feststellten. Wanderkessel, schikanöse Auflagen und brutales Vorgehen – auch nach dem politischen Untergang des Herrn Schill wollten weder SPD noch CDU auf die unverwechselbaren Charakteristika des Herrn Dudde verzichten.
G20-Gipfel
Wer Dudde holt, der will, dass die Situation eskaliert. Und genau damit passt sich die Ernennung Duddes in das Gesamtkonzept des G20-Gipels. Als dieser nach Hamburg verlegt wurde, war das Ziel Bilder zu produzieren, die den Protest gegen G20 und Kapitalismus in den Augen der Bevölkerung diskreditieren sollten. Man konnte sich sicher sein – und das ist die bittere Pille für die ganze Linke – das Teile der Autonomen in der von den staatlichen Organen gewünschten Weise auf diese Provokation reagieren würden.
Hartmut Dudde machte, von diesem Standpunkt aus, einen tadellosen Job: Die rechtswidrige Räumung der Camps, die Schikanen und das martialische Auftreten des Großteils der versammelten Bereitschaftspolizei erschreckte und machte wütend zugleich, weil es den GipfelgegnerInnen von Anfang an vor Augen führen sollte, dass sie dem staatlichen Gewaltpotential hilflos ausgeliefert sind. Die Darstellungen des anwaltlichen Notdienstes bezeugen wiederkehrende Grundrechtsverletzungen, die erschreckend sind. Das Tüpfelchen auf das „I“ setzte Herr Dudde dann am Donnerstag mit seinem Einschreiten gegen die „Welcome-to-hell“-Demo. Man habe die gewaltbereiten und vermummten Autonomen von den friedlichen Demonstrierenden trennen wollen, damit die letztgenannten ihre Demo fortsetzen konnten. Was sich in der Polizeidarstellung des Herrn Dudde liest wie eine Dienstleistung am friedlichen Protest gegen G20, war alles andere als das:
Ja, Teile der Autonomen waren vermummt und sie müssen sich fragen lassen, ob ihre Strategie und Taktik nicht erschreckend kontraproduktiv ist, schon deshalb, weil sie das Vorgehen der Polizei eben scheinbar legitimiert. Doch der Einsatz, den Herr Dudde da zu verantworten hatte, war völlig unverhältnismäßig, nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass große Teile der Vermummten ihre Vermummung nach der polizeilichen Aufforderung ablegten!! Er war unglaublich riskant, weil er Menschen von gleich mehreren Seiten attackierte, ohne ihnen eine Fluchtmöglichkeit zu geben. Er griff in das Recht zu demonstrieren ein, ebenso wie in das Recht auf Pressefreiheit.
JournalistInnen erklärten immer wieder unmotiviert von PolizistInnen mit Pfefferspray attackiert worden zu sein. Rufe wie „Fuck the press!“ waren nach diesen Darstellungen keine Seltenheit, ebenso wie tätliche Angriffe auf JournalistInnen.
Am Donnerstagabend hatte die Polizei nach Meinung der „Süddeutschen Zeitung“ den Kampf um die öffentliche Meinung verloren. Selbst Dudde schien zu wissen, dass das so nicht besonders lief.
Genau daraus erklärt sich das stundenlange Abwarten der Polizei am Schanzenviertel. Warum griff eine derart auf Krawall gebürstete Ordnungsmacht am Freitag nicht so durch wie am Donnerstag? Die Geschichte, man habe befürchtet von einem Dach aus angegriffen zu werden und habe das Sondereinsatzkommando holen müssen, ist schon deshalb absoluter Unsinn, weil die Einsatzkräfte über andere Straßen hätten ins Schanzenviertel gelangen können und dabei nicht einmal hätten Barrikaden zur Seite räumen müssen.
Das freitägliche Vorgehen der Dudde-Truppe erklärt sich nur, wenn man versteht, dass Dudde die Bilder brauchte, um der deutschen Öffentlichkeit zu erklären, wie schlimm diese „linken Randalierer“ doch seien und wie sehr sie Leib und Leben Unbeteiligter und der PolizistInnen gefährden würden.
Nebenbei wurde gleich mehrere rote Linien überschritten: Schwerbewaffnete SEK-Trupps marschieren in Stadtteilen wie in Feindesland ein, JournalistInnen dürfen keine Bilder machen, obwohl die Einsatzkräfte eh alle vermummt, nicht gekennzeichnet und damit immunisiert gegen jede rechtliche Verfolgung im Nachhinein waren. Aber die produzierten Bilder der Krawalle brachten die Pressemeinung und die Meinung der Öffentlichkeit zum Kippen. Nun war die Dudde-Truppe, die so sehr in Kritik gestanden hatte, der Retter in der Not. Vergessen schienen die Prügelorgien der Vortage, vergessen das Vorgehen gegen die Presse, über das sich selbst der Deutsche JournalistInnenverbad mit Recht echauffierte.
Teile der Autonomen, die sich als Bezwinger der Polizei feierten, verstanden nicht, dass sie sich zu StatistInnen in einem von den Herrschenden gewünschten Bühnenstück hatten herabwürdigen lassen und mit ihrem Vorgehen dem Massenprotest gegen den Kapitalismus schadeten und der Polizei den Vorwand für ihr enthemmtes Auftreten lieferten.
Boomerang?
Hartmut Duddes Vorgehen während der Gipfelproteste war geplant, so wie er es bei so vielen Gelegenheiten vorher geplant hatte. Dudde weiß genau, wie er Situationen zum Platzen bringen lassen kann und genau das tat er auch während der Proteste zum G20-Gipfel.
Jetzt gerät er aber selbst von Seiten der CDU unter Kritik. Freilich, weil er denen noch zu gemäßigt vorgegangen ist. So könnte seine Taktik wie ein Boomerang zu ihm zurückkehren. Ein Erfolg der Autonomen wäre unterdessen auch Duddes Rücktritt bzw. seine Entlassung nicht. Genug Duddes stehe in den Startlöchern, um dessen Vorgehen zu perfektionieren.
Hartmut Dudde trägt mit seinem Vorgehen einen großen Teil der Verantwortung für die Eskalation der Gewalt auf dem G20-Treffen. Doch wer sich zu sehr auf diese Person einschießt, dem sei gesagt, dass die Eskalation gewollt war, seitdem der Gipfel nach Hamburg verlegt worden war. Dies war die eigentlich Provokation! In Zeiten, in denen die Luft für die Herrschenden dünn wird, müssen sie all jene diskreditieren die gegen Kapitalismus, Krieg und Umweltzerstörung auf die Straße gehen. Leider – und darüber gilt es innerhalb der Linken zu diskutieren und grundsätzlich Lehren zu ziehen – wurde Menschen wie Andy Grote oder Scholz oder Hartmut Dudde indirekt durch die autonome Strategie jede polizeiliche Provokation zum Anlass für Auseinandersetzungen zu nehmen, unterstützt. Antikapitalistischer Kampf geht anders!