Systemkritik klappt nur von Links
Es gab immer mal wieder Zeiten, in denen Musik Teil von Bewegungen war – und dabei klargemacht hat, dass es eine herrschende Klasse gibt, in deren Interesse dieser Staat wirkt.
Von David Schultz aka Holger Burner
Victor Jara hat bei allen Kampagnen der Unidad Popular in Chile mitgewirkt, den Kampf für die Enteignung der Kupferkonzerne mit seiner Musik begleitet. In Liedern wie „Las Casitas del Barrio Alto“ beschreibt er das Leben der Superreichen Chiles. John Lennon besingt in „Working Class Hero“ wie der kapitalistische Staat uns ArbeiterInnen auf täglicher Basis fertig macht und uns unsere Zukunft raubt. Und allein die Aufzählung von Rappern, die den Rassismus der Polizei in den USA nach den Schlägen auf Rodney King in ihren Texten offengelegt und konfrontiert haben, wäre zu lang für diesen Artikel.
Jetzt gibt es im Mai 2017 eine Debatte über einen Song, der die Politiker als Marionetten charakterisiert, die Tatsachen verdrehen und sich an Unschuldigen vergehen. So weit, so unspektakulär, denn diese Aussage an sich ist noch kein rechtes Statement. Niemand erwartet von den Medien in einem bürgerlichen Staat, dass sie sich freuen, wenn jemand so was sagt.
Reichsbürger Naidoo
Was ist dann das Problem? Ich würde sagen, es gibt zwei Probleme: Es wird eine Anzahl von Menschen geben, die die aktuellen Artikel in Feuilletons lesen und deren Logik übernehmen: Dass Kritik an den Herrschenden antisemitisch und rechts ist. Dass dieser Staat die Freiheit verteidigt und Künstler, die ihn angreifen Demokratiefeinde sind. Und dass es dabei eigentlich egal ist, ob diese Kritik von Links oder von Rechts kommt, weil sowohl Links als auch Rechts gleichermaßen für unmenschliche Gewalt stehen würden.
Das größere Problem ist aber wahrscheinlich die instinktive Reaktion der meisten Menschen, die täglich erleben wie Politiker im Interesse des Kapitals handeln und dann mitbekommen wie die Medien Xavier Naidoo angreifen. Diese Reaktion wäre nämlich erst mal eine Solidarisierung mit Naidoo: wenn man einen Text wie „Marionetten“ liest oder hört und dann erlebt mit was für absurden Pseudoargumenten er angegriffen wird, denkt man vielleicht entweder „dann ist der ganze Rest den die über ihn schreiben wahrscheinlich auch Schwachsinn“ oder „wenn er mit den Marionetten Recht hat, dann vielleicht auch mit dem Rest“. Leider ist Xavier Naidoo aber eben kein Victor Jara, kein John Lennon und auch kein Chuck D. Er ist tatsächlich der Überzeugung der sogenannten „Reichsbürger“ : Dass Deutschland ein besetzter, unsouveräner Staat sei, der nur deswegen schlechte Sachen macht, weil die USA ihn dazu zwingen. Das ist Schwachsinn, aber gefährlicher Schwachsinn. Wenn wir die Herrschenden in Deutschland konfrontieren wollen, müssen wir skandalisieren was das deutsche Kapital für mörderische Verbrechen begeht. Es braucht nämlich keine USA damit Rheinmetall Panzer an Erdogan verkauft oder die Deutsche Bank griechischen Rentnern die letzten Brotkrumen wegnimmt. Und Schröder hat die Agenda 2010 nicht mit irgendeinem Bush, Kennedy oder Clinton geplant sondern unter anderem mit dem ehemaligen VW-Manager Peter Hartz. Und um zum “Marionetten”-Text zurückzukommen: Wenn man nicht sagt, dass am anderen Ende der Fäden die Banken und Konzerne stehen, sondern impliziert, dies seien “die USA”, handelt es sich auch um keine fortschrittliche oder gar antikapitalistische Kritik.
Ganz abgesehen davon, dass Xavier Naidoos politische Ansichten Unsinn sind: Er wäre auch nicht gerade das beste Beispiel dafür wie ein politischer Künstler dem Gegenwind der Medien begegnet. Seine Erklärung ein paar Tage nach den Medienreaktion strotzt von Rechtfertigungen: Dass er sich von Melodien treiben lässt und seine Texte gar nicht bewusst formuliert – und immer wieder das Mantra, dass er jeglichen Extremismus ablehne und grundliberal sei. Und eine Tour auf der das Lied nicht mal gespielt wird.
Gegen die Herrschenden – überall!
Bleibt festzuhalten: Naidoos “Kritik” an diesem Staat führt in die falsche Richtung. Statt sich über Xavier Naidoo zu unterhalten kann man sich lieber anhören was Killer Mike von Run The Jewels über Bernie Sanders sagt. Oder die wunderschönen Worte von R.A. the Rugged Man über Trump und Clinton, leicht zu finden bei Youtube. Denn es geht nicht darum ob die USA, Deutschland, China oder Russland Verbrechen im Namen des Profits begehen. Sondern darum, dass wir als ArbeiterInnen uns gegen unsere Herrschenden richten, in Solidarität mit den Unterdrückten in anderen Ländern. Und politische Bewegungen werden sich immer auch ihre eigenen Künstler schaffen oder bereits vorhandene radikalisieren und politisieren. Wenn wir uns in Deutschland massenhaft solidarisch bewegen, demonstrieren und streiken, dann lesen die Menschen SOLIDARITÄT statt den SPIEGEL – und hören ganz bestimmt bessere Musiker als Xavier Naidoo.