Das Verfahren im Aachener Container-Prozess wurde eingestellt
Mit Kundgebungen, Demonstrationen, intensiver Presse-Arbeit, öffentlichen Container-Touren und vor allem über 125.000 Unterschriften hat ein Bündnis in Aachen über ein Jahr gegen die Kriminalisierung von Containernden gekämpft. Einen Tag vor dem für den 9.6. angesetzten Gerichtsprozess wurde die Einstellung des Verfahrens bekannt gegeben.
von Christian Walter, Aachen
Es war ein langer Kampf – aber er hat sich gelohnt! Im Sommer 2015 wurden zwei junge Aachener von der Polizei in der Nähe eines Supermarkt-Müllcontainers aufgegriffen. Ihnen wurde vorgeworfen, dort containert zu haben. „Containern“ ist ein Begriff, der verwendet wird für das Entnehmen genießbarer Lebensmittel aus Supermarkt-Müllcontainern. Weil Müll in Deutschland Eigentum ist – entweder gehört es dem Supermarkt, oder dem Entsorgungsunternehmen – ist es streng genommen Diebstahl, wenn man etwas entnimmt.
Schwerer Diebstahl?!
Die Anzeige gegen die beiden Aachener war besonders krass: Schwerer Diebstahl. Schwer soll er deswegen gewesen sein, weil der „Warenwert“ der entnommen Lebensmittel (also der Preis, den man an der Kasse bezahlt hätte) den Wert von 50 Euro überschritten habe. Es gab viele Widersprüchlichkeiten in diesem Fall. So wurden „Beweisbilder“ von Lebensmitteln vorgelegt, die es in dem Laden, wo die beiden containert haben sollen, gar nicht zu kaufen gibt. Auch hat der betroffene Supermarkt keinen Strafantrag gestellt, dahinter steckte die Aachener Staatsanwaltschaft. Diese Behörde ist für ihr hartes Vorgehen gegen alle Unangepassten bekannt: So wurde vor kurzem ein mehrtägiger Prozess gegen einen jungen Antifaschisten organisiert, dem vorgeworfen wurde, im letzten Jahr bei einer Demonstration das Glasflaschen-Verbot nicht konsequent genug durchgesetzt zu haben. Neonazis und andere Rechte kommen dagegen oft ohne oder mit geringen Strafen selbst für körperliche Angriffe davon. Die Aachener Staatsanwaltschaft beschäftigt auch lokale AfD-Prominenz.
Proteste
Ich betreibe die Facebook-Seite „Aachen Containert“. Über Umwege bekam ich im Frühjahr 2016 von dem drohenden Prozess mit, danach ging alles Schlag auf Schlag: Ein Treffen mit einem der Angeklagten wurde organisiert, ein Solidaritäts- und Protestbündnis gegründet, die Presse informiert, Kundgebungen organisiert. Das Bündnis „Containern ist kein Verbrechen!“ nahm an Demonstrationen teil und organisierte öffentliche Container-Touren, lud also via Presse und Facebook öffentlich zum gemeinsamen „Diebstahl“ (in der Augen der Staatsanwaltschaft) ein. Eine Petition gegen das Verfahren, aber auch generell gegen die Kriminalisierung von Containernden und gegen Lebensmittelvernichtung, bekam schnell zehntausende Unterschriften (aktueller Stand: 126.938, siehe change.org/containern). Die lokale und vereinzelt auch überregionale Presse berichtete. Doch statt der schnellen Verfahrenseinstellung wurde der Gerichtstermin mehrfach verschoben, die Strategie dahinter war es vermutlich, die Proteste auszusitzen und uns zu demotivieren. Das hat nicht geklappt.
Einstellung
Heute (Donnerstag, 8.6.2017), einen Tag vor dem zuletzt angesetzten Prozesstermin, wurde das Verfahren endlich eingestellt. Gestern, am Mittwoch, hatten wir die über 125.000 Unterschriften übergeben und die Verantwortlichen damit nochmal auf die Tragweite aufmerksam gemacht. Für den morgigen Prozess hatte das Bündnis zu Protesten und zur solidarischen Prozessbegleitung aufgerufen. Spätestens dieser Stelle werden Verantwortliche festgestellt haben, dass sie ihr harte Linie aufgeben müssten und nur mit einer Einstellung aus der Affäre herauskommen. Das zeigt: Der harte Kampf – über ein Jahr – hat sich gelohnt!
Containern entkriminalisieren!
Auch wenn jetzt erst einmal Feiern angesagt ist: Gewonnen ist nur der konkrete Fall in Aachen. Durch den Kampf haben Aktivist*innen Selbstbewusstsein erlangt, es wurden bundesweite Vernetzungen und damit bessere Bedingungen für kommende Auseinandersetzungen geschaffen. All das sind positive Ergebnisse der Kampagne. Das Containern an sich ist aber nicht entkriminalisiert – um das zu erreichen, muss noch mehr passieren.
Im Herbst wird eine bundesweite Kampagne mit genau diesem Ziel starten. Durch Aktionen, Presse-Arbeit und eine Petition soll so viel Druck auf die Bundesregierung gemacht werden, dass der Diebstahl-Paragraph angepasst und und Supermärkte verpflichtet werden, einen freien Zugang zu genießbaren, für den Müll bestimmten Lebensmitteln zu gewähren. Die prominenteste Unterstützerin dieser Kampagne ist DIE LINKE, getragen wird sie von verschiedenen lokalen Initiativen. Wir werden hier berichten, wenn die Kampagne anläuft.
Überproduktion bekämpfen!
Das Containern kann ein gutes Werkzeug sein, um auf die massive Lebensmittelvernichtung hinzuweisen. Um etwas grundsätzlich zu ändern, muss aber viel früher angesetzt werden – bei der Produktion. Containert werden kann nur, wenn so viel weggeworfen wird. Und das passiert, weil viel zu viel produziert wird. Das wiederum ist eine direkte und notwendige Folge des kapitalistischen Wirtschaftssystems: Hier konkurrieren verschiedene Wettbewerber um Marktanteile, was dazu führt, dass sie alle mehr Produkte auf den Markt werfen, als sie erfahrungsgemäß verkaufen können. Das ist ein Problem, was man versuchen kann (und sollte); durch Maßnahmen einzudämmen – grundsätzlich wird es sich im Kapitalismus jedoch nicht lösen lassen. Deswegen sollte der Kampf gegen Überproduktion und das große Wegschmeißen auch als Kampf gegen den Kapitalismus geführt werden.
Lesehinweis:
CHRISTIAN WALTER
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