Große Chance für die Linke nach Mélenchons Erfolg
Dass Marine Le Pen (vom rassistischen und rechtspopulistischen Front National) die Stichwahl erreichen und am 7. Mai über zehn Millionen Stimmen erhalten konnte, ist eine ernste Warnung, denn sie ist die größte Feindin der arbeitenden Klasse: sie spaltet sie durch ihre rassistische Propaganda, sie ist gewerkschafts- und freiheitsfeindlich trotz ihrer arbeiterfreundlichen Heuchelei und sozialen Demagogie.
Von Marie-Christine Rosa, Bonn
Aber dieser Stärkung der Rechten setzt sich ein anderen Trend entgegen: eine Radikalisierung nach links. Am 7. Mai waren in Frankreich 47,5 Millionen Menschen wahlberechtigt. Die Zahl der Menschen, die weder für Macron noch für Le Pen stimmten, ist historisch hoch: die Anzahl der NichtwählerInnen war mit zwölf Millionen die höchste seit 1969 (ein Jahr nach dem revolutionären Mai 1968). Die Anzahl der ungültigen Stimmen ist mit vier Millionen ein Rekord in der Geschichte der 5. Republik und zeigt die große Ablehnung gegen das herrschende politische System.
Auch die Wahlen in der ersten Runde zeigen die Radikalisierung nach Links. Mélenchon und sein Programm gegen die Politik für Reiche und Superreiche, seine Forderungen für kostenlose Kinderbetreuung, Bildung und Gesundheit, für die Lohngleichheit der Geschlechter, und für die demokratische Verwaltung der Produktion zum Schutz der Umwelt erhielt mehr als sieben Millionen Stimmen! Während der Wahlkampagne haben Zehntausende, davon viele Jugendliche an seinen Veranstaltungen teilgenommen. Tausende sind während der Kampagne aktiv geworden. Zwei Millionen Euro sind von insgesamt 83.000 SpenderInnen gesammelt worden. Diese Dynamik, diese Bewegung ist die Fortsetzung der Kämpfe im Frühling letzten Jahres gegen das Arbeitsgesetz „El Khomri“ und erinnert stark an die Bewegung für Bernie Sanders in den USA.
Macron – Liebling der Kapitalisten
Obwohl die größten Medien in Frankreich Macron unterstützten und mit allen Mitteln versucht haben, ihn als jung und modern, mutig und dynamisch, sogar visionär darzustellen, lassen sich Millionen von ArbeiterInnen und Arbeitslosen, SchülerInnen und StudentInnen nicht täuschen. Sie erwarten von seiner Präsidentschaft dieselbe Politik des letzten Jahrzehnts: die Fortführung der Austeritätspolitik von Sarkozy (Les Républicains) und Hollande (Parti Socialiste) mit denselben undemokratischen Mitteln: Nutzung des Artikels 49-3, also Verabschiedung von Gesetzen ohne Abstimmung in der Nationalversammlung, Verlängerung des Ausnahmezustandes als Mittel gegen Versammlungen und Demonstrationen.
Macron steht für die weitere „Lockerung“ der Arbeitsgesetze zugunsten der Konzerne, für die Kürzung der Arbeitslosenhilfe, für den weiteren Abbau des Öffentlichen Dienstes mit Streichung von mehr als Hunderttausend Arbeitsplätzen. Deshalb muss er gar nicht entlarvt werden. Er wird schon jetzt als die bloße Marionette der Banken und Multinationalen gesehen. Laut den Meinungsumfragen vom 7. Mai befürworteten lediglich 16 Prozent der Macron-WählerInnen sein Programm.
Diese widersprüchliche politische Situation zeigt zum einen, wie klein und instabil die Unterstützung für den neuen Präsidenten und für seine Politik ist. Vor allem beweisen die Wahlen und die aktive Unterstützung für Mélenchon, wie groß das Potential für eine neue politische Kraft in Frankreich ist, die das Ziel hätte, die Gesellschaft grundlegend zu verändern.
Er ist nicht unser Präsident!
Es ist jetzt notwendig, den herrschenden Unmut und die Dynamik rund um die Kampagne für Mélenchon in Kämpfen gegen die Fortführung der Austeritätspolitik und der Repression umzuwandeln. Diese Kampagne war ein wichtiger Schritt in Richtung einer neuen politischen Vertretung der „99 Prozent“ gegen die Macht der Banken und Konzerne. Die Angriffe und Hysterie gegen Mélenchon seitens der Journalisten und der etablierten Parteien zeigen ihre Angst vor der massenhaften Unterstützung seines Programms.
Die französische Sektion des Komitees für eine Arbeiterinternationale, La Gauche Révolutionnaire, war aktiv in der Kampagne für Mélenchon. Trotz inhaltlicher Differenzen, zum Beispiel über das Programm, sieht sie die Chancen für eine neue politische Vertretung der Arbeiterklasse: Eine kämpferische Massenpartei der Arbeitenden, Jugendlichen und aller, die von der kapitalistischen Diktatur genug haben; eine Partei, die durch und durch demokratisch aufgebaut ist und eine reale Opposition gegen den Einheitsbrei der kapitalistischen Parteien und Politik werden kann. Auch die nächste Wahlkampagne für die Parlamentswahlen am 11. und am 18. Juni könnten dafür genutzt werden, diese Idee nach einer neuen Arbeitervertretung und der Notwendigkeit einer sozialistischen Demokratie zu verbinden, zu diskutieren und zu verbreiten.