Durchbruch auf Wahlebene stellt große Herausforderung für die „Arbeitspartei“ dar
Wenn heute in der Wallonie Wahlen zum Regionalparlament stattfinden würden, dann käme die PVDA/PTB („Arbeitspartei“) dort nach der liberalen Partei MR des belgischen Premierministers Michel auf den zweiten Platz. Die alte, sozialdemokratische PS läge dahinter an dritter Stelle. In Brüssel würde die PVDA/PTB drittstärkste Kraft werden und hätte noch erheblichen Vorsprung vor den Grünen von der Partei „Ecolo“, der frankophonen FDF (die sich mittlerweile „DéFI“ nennt) und der christdemokratischen CDH. In Flandern würde die PVDA/PTB über die Fünf-Prozent-Hürde und auf drei Sitze kommen. Insgesamt käme sie auf 16 Sitze.
Von Eric Byl, LSP/PSL (Schwesterorganisation der SAV und Sektion des CWI in Belgien)
Mit ähnlichen Ergebnissen bei den Kommunalwahlen könnte die PVDA/PTB sogar die Grundlage für noch mehr Sitze in den Regionalparlamenten und im Föderalparlament von Brüssel legen. Das bedeutet hunderte von Parlaments- und FraktionsmitarbeiterInnen sowie phänomenale Geldströme in Form der Parteienfinanzierung, die die Freistellung von wahrscheinlich Dutzenden von Hauptamtlichen für die Parteiarbeit ermöglicht. Was die Gemeinderatswahlen angeht, so wird sich das in hunderten gewählter Kommunalräte niederschlagen. Es geht hierbei bislang zwar nur um Prognosen, dennoch deutet alles darauf hin, dass die PVDA/PTB vor einem historischen Durchbruch steht.
Die Schuld der Sozialdemokratie
Diese Entwicklung ist kein Zufall, sondern ein Phänomen, das weltweit zu verzeichnen ist. Die einst so mächtige PASOK in Griechenland ist von SYRIZA ausgestochen worden. In Spanien hat die Partei PODEMOS die dortige sozialdemokratische PSOE eingeholt. In Portugal sind der „Linksblock“ und die „Kommunistische Partei Portugals“ der Sozialdemokratie dicht auf den Fersen. In den Niederlanden ist die sozialdemokratische PvdA (die nicht mit der belgischen PVDA/PTB verwechselt werden darf; Anm. d. Übers.) bei den jüngsten Wahlen regelrecht von der Landkarte gefegt worden und steht weit hinter der radikaleren „Socialistische Partij“. In Deutschland hat die SPD mit der Partei DIE.LINKE zu kämpfen. Die britische „Labour Party“ erlebt mit der Wahl von Jeremy Corbyn zu ihrem neuen Vorsitzenden zur Zeit zwar eine Renaissance, doch Corbyn muss mehr Angriffe des eigenen rechten Parteiflügels abwehren als von der konservativen Partei, den „Tories“. In Frankreich stand der linke Kandidat Mélenchon kurz davor, bei den Präsidentschaftswahlen in die entscheidende zweite Runde zu kommen. Der offizielle Kandidat der sozialdemokratischen PS ist demgegenüber auf 6,2 Prozent abgesackt!
Die Sozialdemokratie hat all dies einzig und allein sich selbst zu verdanken: eine jahrzehntelange neoliberale Politik der Einschnitte, herablassendes Verhalten gegenüber der traditionellen Wählerschaft, Emporkömmlinge anziehen (die nur die eigene Karriere im Sinn haben), die sozialistische Vergangenheit abstreifen, Verwicklung in zahllose Skandale, Geschacher an der Parteispitze … – all das hat die Bewegung unsagbar klein werden lassen. Dieselben Führungspersonen, die dafür verantwortlich sind, mögen sich nun beschweren, dass das Programm von Corbyn, Mélenchon oder der PVDA/PTB uns an den ökonomischen Abgrund führen wird. Von der übergroßen Mehrheit der „einfachen“ Leute wird dies jedoch völlig anders gesehen. Sind die Vorstände der Sozialdemokratie so weltfremd, noch nicht einmal zu begreifen, dass so viele Menschen bereits den Abgrund herunter gestürzt sind? Diese befinden sich weit entfernt von dem Luxusleben, das die Parteioberen für sich in Anspruch nehmen.
Durchbruch für die PVDA/PTB
Die PVDA/PTB verweist zurecht darauf, dass die von ihr ins Parlament geschickten VertreterInnen nicht mehr als den durchschnittlichen Facharbeiterlohn erhalten. Sie besuchen Streikposten, nehmen an Friedenskundgebungen teil, sind bei Demonstrationen in den Wohnviertel dabei. Die PVDA/PTB ist eine Basis-Partei und will dies auch bleiben. Anstatt ihre Untergliederungen verkommen zu lassen, baut sie diese auf und arbeitet aktiv mit ihnen zusammen. Sie sensibilisiert, mobilisiert, organisiert und tut all das, was die Sozialdemokratie schon seit Jahren hat schleifen lassen. Im Gegensatz zur Sozialdemokratie, die mit unverständlichen Maßnahmen daherkommt, welche jedes Mal so abgewogen werden, dass sie am Ende nur zum Nachteil der „einfachen“ Leute sind, tritt die PVDA/PTB mit konkreten Maßnahmen auf den Plan, die sie mit sozialen Aktionen verbindet. Sie verknüpft die Tagespolitik mit einer Parlamentsfraktion, die den „einfachen“ Leuten im Parlament und bei politischen Debatten eine Stimme gibt.
Anstatt den „einfachen“ Leuten vorzuwerfen, sie seien rechts geworden, womit man sie den Nationalisten und den „Recht und Ordnung“-Parteien überlässt, setzt die PVDA/PTB auf Solidarität. Ihre perfekt beide Sprachen beherrschenden Abgeordneten in Lüttich wird die PVDA/PTB nutzen, um auch in Flandern den Kampf gegen Rechts aufzunehmen. Genauso haben es die Vorläuferorganisationen der Sozialdemokratie damals gemacht: Fläminnen und Flamen wurden auch in der Region Wallonie zur Wahl gestellt! Die Vorläuferorganisation unserer heutigen LSP/PSL ist jahrelang als marxistischer Flügel in der (alten sozialdemokratischen) SP aktiv gewesen. Von der Parteibasis sind wir als sehr aktive und ideologisch gefestigte Kraft betrachtet worden. Der Parteivorstand stellte uns hingegen als eingeschleuste Fremdkörper dar, die ausgeschlossen werden müssen. Doch wer infiltriert in Wirklichkeit? – Es sind diejenigen, die die Bewegung für ihre eigenen Zwecke und zur Selbstbereicherung missbraucht haben!
Auch heute wird die LSP/PSL an der Seite der Arbeiterbewegung stehen, wenn es darum geht, die Strukturen zu stärken, die von den KollegInnen selbst als ein Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen betrachtet werden. Wir werden mit dafür kämpfen, dass sich die Prognosen bewahrheiten, die z.Zt. für die PVDA/PTB aufgestellt werden – am besten werden diese bei den Kommunalwahlen 2018 und den Regional- sowie landesweiten Wahlen bzw. den Europawahlen 2019 sogar noch übertroffen! Aber genau wie zu der Zeit, als wir noch in der SP aktiv waren, werden wir auch jetzt – und sei es nur von außen – vor Fehlern und Fallstricken warnen und gleichzeitig weiter unsere eigenen Strukturen aufbauen. Die „einfachen“ Leute wählen die PVDA/PTB nicht, nur um ein paar konkrete Maßnahmen durchzusetzen. Sie tun dies, weil sie den Bruch mit der neoliberalen Kürzungspolitik wollen, die die Kluft zwischen Arm und Reich derart vergrößert hat. Es ist unerträglich geworden. Ein solcher Bruch ist allerdings unmöglich, ohne es mit dem gesamten kapitalistischen System aufzunehmen.
Kampf gegen den Kapitalismus
Der Spielraum für eine andere Politik wird heutzutage immer kleiner. Egal, welche Mehrheitskonstellation es auf kommunaler, regionaler oder gar landesweiter Ebene auch immer versuchen wird, der Politik des sozialen Kahlschlags ein Ende zu bereiten – sie wird auf eine Mauer des Widerstands von Seiten der Arbeitgeber und des Establishments stoßen. Genau wie im Falle von Tsipras in Griechenland werden sie der Volkswirtschaft die finanzpolitische Kette an den Hals legen. Tsipras hat „konkrete Maßnahmen“ ergriffen. So wurde beispielsweise der Mindestlohn angehoben, für RentnerInnen galt wieder das „13. Monatsgehalt“, BeamtInnen wurden nicht mehr entlassen und die Privatisierung der Energiebetriebe wurde gestoppt. Doch um sich gegenüber dem Establishment durchzusetzen, haben diese „konkreten Maßnahmen“ nicht ausgereicht. Notwendige Maßnahmen wie die Verstaatlichung des Finanzsektors und der Schlüsselindustrien, das Monopol des Staates auf den Außenhandel und ein Aufruf an die internationale Arbeiterbewegung, um die linke Regierung durch Mobilisierungen zu stärken, blieben aus. Heute führt Tsipras ein viertes, noch folgenreicheres Memorandum durch.
Die PVD/PTB in Belgien will sensibilisieren, mobilisieren und organisieren. Doch auch die griechische Arbeiterbewegung ist mobilisiert, sensibilisiert und organisiert worden. Ganz sicher ist dies nach dem Referendum über das dritte Memorandum so gewesen. Auch die Gewerkschaften haben mobilisiert, aber zu oft ist auf halber Strecke Halt gemacht worden, noch bevor es zur ernsthaften Konfrontation gekommen wäre. Wer sich mit dem kapitalistischen System anlegen will, der muss mehr tun. Die WählerInnen, die potentiellen WählerInnen und SympatisantInnen müssen schon jetzt mit einer ausgearbeiteten Strategie und Taktik sowie einem entsprechenden Programm auf diese Konfrontation vorbereitet werden. Geschehen muss dies durch demokratisch organisierte Diskussionsrunden. Dabei können die Gegner gerne zuhören. Das wird ihnen nichts nützen gegen den enormen Vorteil, die Kraft aus der reellen und bewussten Beteiligung tausender AktivistInnen ziehen zu können, die in ihren Gewerkschaften, Aktionsgruppen, Betriebe, Wohnviertel, Schulen und Universitäten noch hunderttausende weitere Menschen überzeugen und mobilisieren können.